Deutsch-amerikanische Freundschaft ­ ein Grundpfeiler unserer Außenpolitik - Rede des Bundeskanzlers in Berlin

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Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl hielt anläßlich der Verleihung des
Eric-M.-Warburg-Preises der Atlantik-Brücke am 18. Juni 1996 im Schloß
Charlottenburg in Berlin folgende Rede:

Herr Präsident, lieber George,
Frau Bundestagspräsidentin,
Herr Regierender Bürgermeister,
Herr Ministerpräsident, liebe Familie Warburg,
meine Damen und Herren Abgeordnete, Exzellenzen,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
und vor allem lieber Walther Leisler Kiep,

es ist eine Ehre und große Freude für mich, heute im Schloß Charlottenburg zu
Berlin den Eric-Warburg-Preis der Atlantik-Brücke entgegenzunehmen. Ich danke
der Atlantik-Brücke für diese Auszeichnung. Sie soll für mich ein Ansporn
sein, im Sinne des Preises, nämlich der deutsch-amerikanischen Freundschaft,
zu arbeiten. Ihnen, lieber George, danke ich für Ihre bewegenden Worte.

Als sich in den 80er Jahren die Welt dramatisch zu verändern begann, haben wir
Deutsche von niemandem so viel Unterstützung und Hilfe erfahren wie von
unseren amerikanischen Freunden. Das war für uns keine neue Erfahrung, denn
seit den Tagen nach dem Ende des Krieges 1945 haben die Amerikaner über die
Jahrzehnte hinweg zu uns gestanden. Es ist kein Zufall, daß mitten in der
deutschen Hauptstadt Berlin das Denkmal für die Opfer der Luftbrücke steht,
für amerikanische, alliierte Soldaten, die ihr Leben für die Freiheit Berlins,
damals West-Berlins, ließen. Wir wissen, wie viele amerikanische Soldaten und
ihre Familien in diesen Jahrzehnten fernab ihrer Heimat bei uns ihren Dienst
taten, um Frieden und Freiheit zu erhalten.

Als sich in den 80er Jahren die Welt dramatisch zu verändern begann, war es
ein Glücksfall, daß Sie, lieber George, Präsident der Vereinigten Staaten
wurden ­ erfahren aus den Jahren der Vize-Präsidentschaft ­, ein Mann, der die
Welt kannte, Ost und West, Europa und Deutschland. Lieber George, ich möchte
in diesem Zusammenhang auch sagen, daß uns in diesen Jahren auch Barbara Bush
herzlich zugetan war und bis zum heutigen Tag geblieben ist. Ich denke an ihre
Freundlichkeit, ihre Herzlichkeit, ihre Offenheit und ihren bemerkenswerten
Humor ­ diese Eigenschaften sind eine große Hilfe, wenn man ein wichtiges Amt
innehat.

Als die Chance der Wiedervereinigung näherrückte und andere noch zögerten,
setzten Sie und Ihre Regierung sich an die Spitze derer, die uns auf dem Weg
zur Einheit ermutigten und unterstützten. Bereits im Oktober 1989 sagten Sie
mit aller Deutlichkeit: "Ich teile nicht die Besorgnis anderer europäischer
Länder über die Wiedervereinigung..." Dieses Zeugnis der Freundschaft und des
Vertrauens hat uns Deutschen gutgetan und auch mir persönlich sehr geholfen.

Das Mißtrauen mancher in Europa war groß. Ich sage das nicht abwertend. Das
Mißtrauen war aufgrund der Geschichte Europas und der schweren Lasten der
Geschichte bei nicht wenigen nun einmal vorhanden. Das Mißtrauen war auch
deswegen groß, weil die Idee der deutschen Einheit auch für viele bei uns in
Deutschland nicht selbstverständlich war. Die Anpassung und der Zeitgeist
hatten auch bei uns ihre Wirkung getan. Um so bedeutender ist die Leistung
eines Mannes wie George Bush und mancher anderer, aber ich nenne ihn hier für
viele andere aus gutem Grund an erster Stelle, weil er zu uns stand. Wenn
Besprechungen bei den Zwei-plus-Vier-Verhandlungen begannen und Jim Baker
anreiste ­ auch ihn will ich hier besonders dankbar erwähnen ­, dann wußten
wir, es war nicht nur einer der Außenminister gekommen, sondern jemand, der
mit voller Unterstützung und Rückendeckung seines Präsidenten im besten Sinne
des Wortes auch unsere Interessen vertrat. Dafür möchte ich Jim Baker an
dieser Stelle herzlich danken.

Wir Deutschen werden ­ trotz aller Alltagsprobleme ­ nicht vergessen, wem wir
die Einheit unseres Vaterlandes zu verdanken haben. Dazu gehört auch ein Wort
des Dankes an Michail Gorbatschow, der diesen Schritt letztendlich aus einer
völlig anderen Situation, unter völlig anderen Bedingungen gewagt hat.

Präsident George Bush aber half, die schwersten Brocken aus dem Weg zu räumen.
Es war die amerikanische Antwort auf eine epochale Herausforderung: großherzig
und weitsichtig. Lieber George, Sie haben einen Platz im Buch der Geschichte
der Deutschen ­ einen Ehrenplatz. Ich danke dem Staatsmann und Freund, dem
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika in einer großen und wichtigen
Zeit.

Meine Damen und Herren, die deutsch-amerikanische Freundschaft ist ein
kostbares Gut, das wir pflegen und an kommende Generationen weitergeben
wollen. Sie lebt ganz wesentlich auch von dem Engagement vieler Menschen und
privater Einrichtungen. Die Atlantik-Brücke nimmt hier einen herausragenden
Platz ein. An dieser Stelle möchte ich Dir, lieber Walther Leisler Kiep, und
Ihnen, Frau Lindemann, für Ihren Einsatz und Ihre unermüdliche Arbeit im
Dienst der deutsch-amerikanischen Freundschaft danken.

Einer der Gründer der Atlantik-Brücke war der deutsch-jüdische Bankier Eric
Warburg. Ich bin froh, daß seine Familie heute hier vertreten ist. 1938
emigrierte er nach Amerika. Von dort setzte er sich für die Befreiung
Deutschlands vom Nationalsozialismus ein. Sofort nach seiner Rückkehr 1945
engagierte er sich ­ zunächst noch in amerikanischer Uniform ­ für den
wirtschaftlichen und moralischen Wiederaufbau seiner deutschen Heimat. Er
erwarb sich große Verdienste um die Völkerverständigung, um die Aussöhnung
zwischen Deutschen und Amerikanern nach dem Krieg und um den Aufbau eines
freiheitlichen und demokratischen Deutschlands an der Seite des Westens.

Die enge Freundschaft zwischen Eric Warburg und dem ersten US-Hochkommissar in
Deutschland, John McCloy, bildete eine wichtige Grundlage für die Einflußnahme
Warburgs auf die Besatzungspolitik der Vereinigten Staaten. Es ist wesentlich
Warburg zu verdanken, daß in der damaligen US-Zone die Demontagen frühzeitig
gestoppt und Reparationen nicht mehr erhoben wurden. Ohne den Beitrag von
Persönlichkeiten wie Eric Warburg hätte sich die deutsch-amerikanische
Partnerschaft nicht so schnell und so gut entwickeln können. Es war daher eine
gute Entscheidung der Atlantik-Brücke, diesen Preis nach ihm zu benennen.

Meine Damen und Herren, es ist mir ein besonderes Anliegen, heute an den
letzten Preisträger, an Manfred Wörner, zu erinnern. Als er ­ nur wenige
Monate vor seinem Tod ­ vor zwei Jahren mit diesem Preis ausgezeichnet wurde,
beschrieb er in eindrucksvollen Worten, wie sehr ihn die Menschlichkeit, die
Hilfsbereitschaft und die Großzügigkeit der Amerikaner gegenüber dem besiegten
Deutschland nach dem Krieg berührt haben. Eindringlich schilderte er, wie tief
ihn seit seinen Reisen in den 50er Jahren die Kraft Amerikas, der
Führungswille, der Pioniergeist und die Vitalität dieses großen Landes
beeindruckt hatten. Manfred Wörner war davon überzeugt, daß der Verbindung
dieser jungen Nation mit einem erneuerten, mit einem wiederaufgebauten, mit
einem starken Europa die Zukunft gehöre. Deswegen freue ich mich, liebe Frau
Wörner, daß Sie in dieser Stunde dabei sind.

Auf beiden Seiten des Atlantiks teilen wir ­ um es mit dem NATO-Vertrag zu
formulieren ­ die "Grundsätze der Demokratie, der Freiheit der Person und der
Herrschaft des Rechts". Diese Grundsätze sind eine Quelle der Kraft, aus der
wir gemeinsam schöpfen. Ich empfinde dies immer wieder bei meinen Reisen in
die USA. Erst vor wenigen Wochen habe ich Milwaukee besucht, eines der Zentren
der deutschen Einwanderung in den Vereinigten Staaten.

Mich haben nicht nur die deutsche Prägung dieser Stadt und der Beitrag der
Deutsch-Amerikaner zum "American Way of Life" beeindruckt. Mich haben auch die
Verbundenheit und Zuneigung dieser Menschen zur alten Heimat Deutschland
bewegt ­ eine Verbundenheit, von der hierzulande viele nichts wissen, manche
vielleicht nichts wissen wollen. Dabei sind diese guten Beziehungen ein
wertvolles Kapital, ja ein Schatz! Das gilt auch für die etwa sieben Millionen
amerikanischen Soldaten, die in den letzten 50 Jahren in Deutschland
stationiert waren. Mit Familien werden es etwa 15 Millionen Amerikaner gewesen
sein, die bei uns waren! Wir müssen uns überlegen, wie wir dieses Potential
nutzen. Hier sehe ich auch eine wichtige Aufgabe für die Atlantik-Brücke.

Die Reduzierung amerikanischer Truppen in Europa hat zur Folge, daß auch das
tägliche Miteinander deutscher und amerikanischer Soldaten und ihrer Familien
seltener wird. Wenn wir nichts tun, wird dieser Umstand Folgen für die
menschlichen Beziehungen zwischen unseren beiden Ländern haben.

Bei den Wahlen im Herbst in den USA wird wieder eine Reihe von Senatoren und
Abgeordneten ausscheiden, die Deutschland und Europa kennen und uns in
besonderer Weise verbunden sind. Ich sehe einstweilen noch nicht, daß sie von
Nachfolgern ersetzt werden, die sich in gleicher Intensität Europa und
Deutschland zuwenden. Deshalb habe ich auch mit dem Vorsitzenden der
Gouverneurs-Konferenz besprochen, daß im Herbst wiederum eine Reihe von
Gouverneuren als Gäste der Bundesregierung nach Deutschland kommen. Wir müssen
alte Freundschaften erhalten und neue begründen!

Bei seiner Frühjahrstagung hier in Berlin vor wenigen Tagen hat das
Atlantische Bündnis die Partnerschaft Europas mit den Vereinigten Staaten
erneut unterstrichen. Gerade hier in Berlin, wo Amerikaner gemeinsam mit
Briten und Franzosen die Freiheit geschützt haben, spüren wir, wie wichtig
diese bewährte Partnerschaft ist und bleibt. Seit Konrad Adenauers Zeiten ruht
die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik auf zwei Säulen: auf der Säule der
europäischen Einigung und der Säule der transatlantischen Partnerschaft,
besser gesagt, auf der deutsch-amerikanischen Freundschaft.

Es gibt für uns Deutsche kein Entweder-Oder zwischen transatlantischer
Partnerschaft und europäischer Integration. Es geht vielmehr um ein
Sowohl-Als-auch. Unsere Bemühungen um eine substantielle europäische
Sicherheits- und Verteidigungsidentität sollen die Allianz stärken und
ergänzen. Wenn Europa militärische Aufgaben in Einzelfällen im Rahmen des
Atlantischen Bündnisses selbst erfüllt, dann entlastet dies auch die
Vereinigten Staaten.

In einer Zeit dramatischer Umbrüche und großer Herausforderungen müssen wir
genauso fest zusammenstehen wie bisher. Präsident Clinton hat in Milwaukee
gesagt: "Die Vereinigten Staaten von Amerika haben keinen besseren Freund als
Deutschland". Das ist ein hoher Anspruch. Wir müssen ihm genügen.

Vier Jahre vor dem Ende dieses Jahrhunderts stehen unsere beiden Länder und
Völker vor ähnlichen Herausforderungen. Wir haben große Zukunftsaufgaben vor
uns, die sich am besten gemeinsam lösen lassen. Ich möchte fünf Aufgaben auf
unserer Agenda für das 21. Jahrhundert nennen:

­ Gemeinsam wollen wir den jungen Demokratien in Mittel-, Ost- und
Südosteuropa auf ihrem Weg in eine gute wirtschaftliche und politische Zukunft
helfen.

­ Wir wollen gemeinsam dafür sorgen, daß der Friede in Bosnien hält. Die dort
praktizierte Zusammenarbeit weist den Weg für die Sicherung des Friedens und
das künftige Miteinander in Europa.

­ Wir wollen gemeinsam für Abrüstung und Rüstungskontrolle eintreten,
insbesondere für die Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen.

­ Wir wollen gemeinsam die Schöpfung bewahren helfen. Das umfaßt den Schutz
der Erdatmosphäre ebenso wie die Verbesserung der Sicherheit von
Kernkraftwerken auf dem Boden der ehemaligen Sowjetunion und anderswo.

­ Gemeinsam wollen wir für einen weltweiten freien Austausch von Waren,
Dienstleistungen, aber auch von Ideen eintreten. Die historische Erfahrung
lehrt, daß freier Welthandel der Wohlfahrt aller Beteiligten zugute kommt.

Politik und Wirtschaft sind aber nicht alles. Die kulturellen Bindungen
zwischen der Alten und der Neuen Welt werden in Zukunft noch mehr
Aufmerksamkeit erfordern als bisher. Unsere Gemeinsamkeiten in Literatur,
bildender Kunst, Musik oder auch in Bildung, Wissenschaft und Forschung werden
an Bedeutung gewinnen, ja gewinnen müssen ­ als Quelle neuer künstlerischer
und wissenschaftlicher Leistungen. Wir stellen derzeit eine Abnahme des
Interesses junger Amerikaner an einem Studium in Deutschland fest. Wir haben
noch nicht jenes Ziel erreicht, das ich mit dem damaligen Präsidenten George
Bush vereinbart habe: die Zusammenarbeit in Forschung und Lehre wesentlich zu
intensivieren. Wir müssen alles daransetzen, diesen Trend zu verändern.

Wir haben auf diesem Gebiet zwar schon eine Menge getan. Wir müssen aber
wesentlich mehr auch und vor allem bei uns in Deutschland tun. Aber alle
Initiativen stehen und fallen damit, ob wir etwas zu bieten haben, was
ausländische Wissenschaftler und Studenten anspricht. Die Probleme, die es
gegenwärtig im Wissenschafts- und Studienstandort Deutschland gibt, erfordern
eine wesentlich größere Anstrengung, als wir sie bisher gemeinsam erbracht
haben. Wenn wir nicht in einen geistigen Provinzialismus zurückfallen, wenn
wir nicht weltweit an Ansehen und Reputation verlieren wollen, dann dürfen wir
uns einen Rückzug nicht erlauben. Je mehr junge Amerikaner und je mehr junge
Deutsche wirklich das jeweils andere Land kennen, je mehr wir etwas gegen den
gelegentlich heute in Deutschland zu beobachtenden Provinzialismus tun, um so
größer wird unsere Chance im nächsten Jahrhundert sein.

Wir müssen uns immer wieder fragen, ob wir alle genug tun, um das Erreichte in
den deutsch-amerikanischen Beziehungen zu erhalten und für die Zukunft
auszubauen. Es geht ja nicht so sehr um die Angehörigen meiner Generation,
sondern es geht um unsere Kinder und Enkel.

Der Schlüssel für eine feste Freundschaft der jungen Generationen ist der
Wille und die Fähigkeit zum gegenseitigen Verstehen. Gegenseitiges Verstehen
setzt aber nicht nur Kenntnisse der jeweils anderen Sprache voraus, sondern
das Wissen um die besonderen historischen Prägungen und die besonderen
kulturellen Leistungen des Partners. Die deutsch-amerikanische Freundschaft,
die in den vergangenen Jahrzehnten so viel Gutes für unsere Völker gebracht
hat, ist nicht nur eine Sache des Verstandes, sie ist vor allem eine Sache des
Herzens.

Ich danke allen, die sich mit Kopf und Herz für diese gute Sache einsetzen.
Ich wünsche mir, daß sich in jeder Generation auf beiden Seiten des Atlantiks
immer wieder Menschen finden, die sich dem Werk unserer Freundschaft in
besonderer Weise verpflichtet fühlen. Hierin liegt unsere gemeinsame Chance
für eine glückliche Zukunft in Frieden und Freiheit. Das ist unser gemeinsames
Ziel.