freundschaft mit amerika - fundament unserer aussenpolitik - ansprache des bundesministers des auswaertigen in bonn

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der bundesminister des auswaertigen, hans-dietrich
genscher, hielt anlaesslich der amtseinfuehrung von
professor dr. werner weidenfeld als koordinator fuer die
deutsch-amerikanische zusammenarbeit am 2. oktober
1987 in bonn folgende ansprache:

die heutige veranstaltung steht im zeichen unserer
partnerschaft, unserer freundschaft mit den vereinigten staaten
von amerika. diese freundschaft ist eine grundkonstante
der deutschen aussenpolitik. die bundesregierung hat sie,
herr professor weidenfeld, gebeten, das amt des
koordinators fuer die deutsch-amerikanische
zwischengesellschaftliche, kultur- und
informationspolitische zusammenarbeit zu
uebernehmen. ich freue mich, dass sie die nachfolge von
frau staatsministerin hamm-bruecher und herrn
staatssekretaer a. d. von staden antreten.
sie haben sich eingehend mit den grundlagen der
deutschamerikanischen freundschaft befasst. fuer akzeptanz und
legitimation des europaeisch-amerikanischen buendnisses
muessen wir auf beiden seiten des atlantiks aktiv werden.
zum gegenseitigen verstehen vor allem der jugend
beizutragen, ist die vornehmste aufgabe des koordinators. ich
weiss sie bei ihnen in guten haenden.
das amt, das sie heute uebernehmen, steht auf einem
soliden fundament, ein fundament, das unermuedlicher
einsatz vieler einzelpersonen und gruppen geschaffen hat:
-die grosse zahl deutsch-amerikanischer vereinigungen
und clubs
-deutsche und amerikanische jugend- und
austauschorganisationen
-deutsche und amerikanische schulen und universitaeten
-stiftungen auf beiden seiten des atlantiks
-staedte und gemeinden
-aber auch der deutsche bundestag und der
amerikanische kongress und natuerlich unsere beiden regierungen.
ich freue mich, dass die vielen privaten und oeffentlichen
gremien, die mit grossem engagement fuer die vertiefung der
deutsch-amerikanischen beziehungen wirken, heute durch
ihre vertreter hier anwesend sind. ihnen gilt der dank der
bundesregierung fuer ihre arbeit.
wir gedenken in diesen tagen mit unseren amerikanischen
freunden der grossen und beispielgebenden leistung der
amerikanischen demokratie. sie fand in der verfassung von
1787 ihre grundlage. das amerikanische beispiel haben wir
als herausforderung zur behauptung unserer eigenen
freiheit begriffen. in dem willen, diese freiheit gemeinsam zu
bewahren, haben wir das atlantische buendnis geschlossen.
fuer die bundesrepublik deutschland ist dies eine
wertentscheidung fuer die uns verbindenden ideale von freiheit
und menschenwuerde, von demokratie und
selbstbestimmung. wir sind damit verankert in der gemeinschaft der
europaeischen demokratien und im atlantischen buendnis.
ueber vierzig jahre frieden in europa ist das ergebnis
europaeisch-amerikanischer partnerschaft. die
vorausschauende entscheidung fuer den marshallplan, verbunden
mit der amerikanischen buendnisverpflichtung, gab den
europaeern im westlichen teil des kontinents die chance,
das neue europa aufzubauen. auch heute verfuegen
europaeer und amerikaner ueber die geistigen und materiellen
kraefte, um die herausforderungen der zukunft erfolgreich zu
bestehen. voraussetzung ist, dass sie dies gemeinsam tun.
nur so koennen die westlichen demokratien ihrer
weltgeschichtlichen verantwortung gerecht werden. nur so
kann die vision wirklichkeit werden, in der die gemeinsame
gestaltungskraft der europaeisch-amerikanischen
partnerschaft zusammenfindet zu einem konzept der
friedensgestaltung.
die ausgangsbasis ist ermutigend: die europaeische
integration hat eindrucksvolle fortschritte gemacht, die
europaeische politische zusammenarbeit hat die ansaetze fuer eine
gemeinsame europaeische aussenpolitik entwickelt, die
definition der sicherheitspolitischen identitaet der europaeischen
buendnispartner in der nato schreitet voran.
die vereinigten staaten unterstuetzen diese europaeische
integration nicht nur seit dem ersten tag, sie haben dazu
wichtige anstoesse gegeben. zwei weltkriege haben das
amerikanische volk davon ueberzeugt, wie sehr seine eigene
wohlfahrt und sein eigener frieden auf eine gerechte und
gute ordnung in europa angewiesen sind. amerikas
engagement in und fuer europa war von anfang an mit der
erwartung verbunden, dass dieses europa mit wachsender
wirtschaftlicher kraft und politischer stabilitaet in die rolle
eines verantwortungsbereiten partners hineinwaechst.
insbesondere ist es mit der erwartung verbunden, dass die
europaeischen partner die ihnen zukommende und zustehende
verantwortung uebernehmen, um der gemeinsamen sache
zu dienen.
es ist nur natuerlich, dass ein staerker werdendes europa seine
interessen staerker zur geltung bringt. europaeische einigung
und atlantisches buendnis sind keine gegensaetze, sondern
sie ergaenzen sich gegenseitig, beide sind unverzichtbar.
die deutsch-franzoesische sicherheitspolitische
zusammenarbeit und die revitalisierung der weu sollen den
europaeischen pfeiler der nato festigen, sie haben aber nicht das
ziel, eine art neben-nato zu schaffen. schon gar nicht ist
es ihre aufgabe, ein gegengewicht zu den
abruestungsschritten der usa und der sowjetunion zu schaffen.
abruestung und ruestungskontrolle sind integrale bestandteile der
sicherheitspolitik der nato, der weu, der deutsch-franzoesischen
zusammenarbeit und der bundesrepublik
deutschland. die deutsch-amerikanische freundschaft bildet dabei
im wahrsten sinne des wortes eines der bestaendigsten
fundamente fuer die westliche zusammenarbeit.
die amerikanisch-europaeische sicherheitspartnerschaft, die
sich in der erhaltung des friedens bewaehrt hat, steht vor
einem grossen erfolg: der abschluss eines
amerikanischsowjetischen abkommens ueber die weltweite beseitigung
von nuklearen mittelstreckenflugkoerpern laengerer und
mittlerer reichweite stellt einen durchbruch in der
ruestungskontroll- und abruestungspolitik dar. es geht zurueck auf
einen westlichen vorschlag und war nur moeglich, weil er von den
buendnispartnern geschlossen und konsequent vertreten
wurde.
das inf-abkommen erhoeht die sicherheit vor allem in
europa, es koppelt europa nicht ab von amerika, sondern
es festigt im gegenteil die transatlantischen bindungen. es
schafft oder erhoeht auch keine sonderbedrohung fuer uns
deutsche. niemand sollte vergessen, dass hier bei uns
hunderttausende amerikanischer soldaten mit ihren familien
leben und dass zum beispiel die usa unter der bedrohung
durch die strategischen systeme der sowjetunion zu leben
haben. das abkommen erzeugt chancen und momentum
fuer andere bereiche der ruestungskontrolle und abruestung
und ist ein deutlicher beweis, dass die zeit der stagnation im
west-ost-verhaeltnis ueberwunden ist.
wir stehen am anfang einer phase dynamischer
entwicklungen, zukunftsgestaltung ist gefordert. das gilt fuer
alle aspekte des west-ost-verhaeltnisses: politisch,
wirtschaftlich, technologisch, kulturell und natuerlich auch
fuer ruestungskontrolle und abruestung. das wachsende
bewusstsein fuer die weltweite interdependenz in allen
grundfragen des friedens und des ueberlebens der menschheit ist
auf dem wege, in konkretes politisches handeln umgesetzt
zu werden. so treten wir ein in eine phase, die aufbaut auf
dem erfolg der politik und institutionen, die die westlichen
demokratien in den letzten 40 jahren geschaffen haben.
die herausforderung, vor der wir heute stehen: wir wollen
unseren kindern eine bessere welt ueberlassen, eine welt,
in der menschenwuerde und soziale gerechtigkeit gewaehrleistet
sind, in der frieden herrscht und in der die natuerlichen
lebensgrundlagen geschont und gepflegt werden. dieses
ist eine globale, alle angehende herausforderung.
die bundesrepublik deutschland, ihre partner in der
europaeischen gemeinschaft und im westlichen buendnis
verfuegen mit ihrer demokratischen ordnung, der
marktwirtschaftlichen organisation ihrer wirtschaft und dem hohen
stand ihrer wissenschaftlichen und technologischen entwicklung
ueber guenstige rahmenbedingungen, sich auf die
notwendigen und sich bereits ankuendigenden politischen,
wirtschaftlichen, vor allem aber auch technologischen veraenderungen
und ihre auswirkungen in allen bereichen einzustellen und
sie in die richtige richtung zu steuern. im deutsch-amerikanischen
im europaeisch-amerikanischen verhaeltnis, fuer die
industrialisierten demokratien insgesamt stellen sich
folgende vordringliche aufgaben, die konzeptionelle
durchdringung und gleichzeitig in der praktischen politik intensive
konsultation, koordination und - in vielen faellen - auch
gemeinsames oder paralleles handeln erfordern:
die sicherheitspolitische architektur im atlantischen
buendnis bedarf kontinuierlicher pflege, entwicklung und
staerkung. verschiebungen in der nationalen politik,
verschiebungen auch im transatlantischen verhaeltnis machen dies
erforderlich. die sicherheit westeuropas bleibt in ihren
worten, herr professor weidenfeld, "nur atlantisch definierbar".
aber der europaeische pfeiler der allianz muss endlich
entstehen, soll sie auch in zukunft ihre friedensbewahrende
aufgabe erfolgreich erfuellen.
die vitalitaet der allianz kann dauerhaft nur gewaehrleistet
werden, wenn man von einem buendnis der usa mit kanada und
14 europaeischen staaten zu einem europaeisch-amerikanischen
buendnis kommt, das auf gleichberechtigter
partnerschaft beruht. dies setzt voraus, dass die europaeische
seite zur uebernahme partnerschaftlicher verantwortung
bereit und in der lage ist. europaeisches gewicht,
europaeisches selbstbewusstsein, europaeische verantwortung sind
im lichte der von uns begruessten annaeherung der
grossmaechte mehr denn je gefordert. das nachdenken ueber die
auswirkungen technischer entwicklungen muss die
sicherheit der europaeischen buendnispartner voll einbeziehen.
es gilt, die lehren aus der in den letzten jahrzehnten
gewachsenen ueberzeugung zu ziehen, dass dauerhafte sicherheit im
umfassenden sinne dieses begriffes nicht
durch immer neue waffenentwicklungen und anhaeufung
von militaerischen machtmitteln erhoeht werden kann. wir
haben diese erkenntnis im westen gemeinsam schon in der
harmel-philosophie deutlich gemacht. sie findet ausdruck
in einer in dieser breite noch nie dagewesenen
anstrengung, in allen bereichen militaerischer ruestungen
zu ruestungskontroll- und abruestungsabkommen mit dem
osten zu kommen.
die bundesregierung hat seit langem vorausgesehen, dass
die allgemeine strategische und ruestungskontroll-entwicklung
dem konventionellen kraefteverhaeltnis kuenftig groessere
bedeutung geben wird. ziel der verhandlungen, in denen
ueber konventionelle stabilitaet vom atlantik bis zum ural
verhandelt werden soll, muss vor allem sein, die
konventionelle ueberlegenheit der sowjetunion zu beseitigen. im
sinne dieser zielsetzung ist es wichtig, dass die usa die
bemuehungen um europaeische gemeinsame sicherheit und
verteidigung genauso unterstuetzen, wie sie die wirtschaftliche
integration unterstuetzt haben.
die entwicklung einer gemeinsamen sicherheit innerhalb
des atlantischen buendnisses wird den europaeischen
buendnispartnern auch groesseres gewicht in europa geben. die
sowjetunion wird dadurch einen zusaetzlichen anreiz
erhalten, darueber nachzudenken, ob ihren interessen durch
abruestung und auch kooperative sicherheitsstrukturen nicht
letztlich besser rechnung getragen werden kann.
der weitere ausbau der westeuropaeischen einigung erhoeht
unsere chancen, dass in diesem prozess des ueberdenkens
alter positionen die richtigen schlussfolgerungen gezogen
werden. insofern liegt die staerkere entwicklung der
europaeischen sicherheitspolitischen identitaet nicht nur
sicherheits-und buendnispolitisch auch im interesse der usa,
sondern auch ostpolitisch.
die dynamische fortfuehrung des ksze-prozesses, das
heisst die schrittweise ueberwindung der konfrontation mit
dem osten und die ueberleitung in ein system vermehrter
kooperation bleibt eine zentrale herausforderung fuer die
atlantischen buendnispartner. wir muessen geschlossen und
entschlossen deutlich machen, dass wir die derzeit das
west-ost-verhaeltnis beherrschenden militaerischen fragen
nur als einen teil der gesamtbeziehungen ansehen.
wenn wir die west-ost-beziehungen auf diesen bereich
reduzieren lassen, verzichten wir darauf, das ganze
spektrum unserer faehigkeiten fuer eine fruchtbare
zusammenarbeit einzusetzen. die erfolgschancen sind zweifellos am
groessten, wenn die buendnispartner eine gleichgerichtete
politik verfolgen. das hoechste politische ziel dieser politik ist
es, wie es im harmel-bericht heisst, "eine gerechte und
dauerhafte friedensordnung in europa mit geeigneten
sicherheitsgarantien zu erreichen".
zukunftsgestaltung ist auch in den krisen- und
konfliktgebieten ausserhalb des west-ost-rahmens gefordert. wir
muessen uns als souveraene staaten mit unterschiedlichen
rechtsordnungen und unterschiedlichen historischen
erfahrungen respektieren. es kann aber keinen zweifel geben,
dass vitale gemeinsame sicherheitsinteressen beruehrt sind
und letztlich auch nur im rahmen eines abgestimmten
vorgehens gewahrt werden koennen. die jeweiligen beitraege
hierzu moegen im einzelfall unterschiedlicher natur sein.
wichtig ist, dass wir durch eine praxis offener und
rechtzeitiger konsultationen sicherstellen, dass unsere jeweilige
politik dem gemeinsamen ziel dient.
in diesen zusammenhang gehoert auch die forderung, einer
uebertragung des ost-west-gegensatzes auf regionen
ausserhalb europas entgegenzuwirken und das erfordernis
der zurueckhaltung bei der gestaltung der aussenpolitik
ausserhalb europas in dem bemuehen um kooperative
stabilisierungsbeitraege der sowjetunion deutlich zu machen.
im bereich von handel und wirtschaft ist es besonders
wichtig, die entwicklung in der zukunft mit grossem
verantwortungsbewusstsein zu steuern. die tatsache, dass die
hochindustrialisierten volkswirtschaften der usa und der
europaeischen gemeinschaft eine landwirtschaftliche
ueberschussproduktion finanzieren, die sie dann auf dem
weltmarkt absetzen und damit die wirtschaftskraft von laendern
unterminieren, die auf agrarexporte traditionell angewiesen
sind, ist weder zu erklaeren noch politisch und wirtschaftlich
noch laenger zu verantworten. loesungen sind nicht einfach,
sie muessen aber angestrebt werden.
die vereinigten staaten von amerika und europa sind sich
einig in dem ziel, die freiheit des handels zu wahren und zu
schuetzen. sie sind sich auch einig, dass protektionistische
massnahmen die gemeinsam geschaffene
weltwirtschaftsordnung unterminieren. dem muss die praktische politik
rechnung tragen. wir sitzen alle in einem boot, europaeer
und amerikaner. eine belastung der politischen und
sicherheitspolitischen beziehungen durch handelspolitischen
streit laeuft unseren interessen zuwider.
die bundesrepublik deutschland ist in der europaeischen
gemeinschaft der entschiedenste befuerworter einer den
ausgleich suchenden haltung gegenueber den usa. im
juengsten konflikt um die folge der eg-suederweiterung fuer die
amerikanischen agrarausgaben hat sich die bundesregierung
mit nachdurck fuer eine verhandlungsloesung und gegen
eine eskalation durch handelsbeschraenkende massnahmen
auf beiden seiten des atlantiks eingesetzt. als motor der
weltwirtschaft sind wir gefordert, gemeinsam mit allen
westlichen industriestaaten und japan globale effiziente
anstrengungen fuer die ueberwindung von arbeitslosigkeit,
hunger, armut, krankheit und unwissenheit zu
unternehmen.
wie wir diese herausforderung kuenftig bestehen, ist
entscheidend fuer die stabilitaet und den frieden in der welt.
was heute oekonomisch und politisch an irgendeiner stelle des
globus geschieht - oder auch nicht geschieht - bleibt nicht
ohne wirkung fuer den rest der welt. wir muessen zu
tragfaehigen globalen leistungs- und zahlungsbilanzsalden
zurueckkehren, den vielfach vom wege abgekommenen
entwicklungsprozess in der dritten welt neu beleben und
solidere finanzierungsmuster fuer die verschuldeten laender
finden.
wir, die westlichen demokratien, muessen unseren beitrag
leisten zur verhinderung einer menschheitskatastrophe
durch bewahrung der natuerlichen lebensgrundlagen und
verminderung der sicherheitsrisiken bei der friedlichen
nutzung der kernenergie. keine generation vor uns hat eine
verantwortung getragen, die mit der unseren vergleichbar
waere. die technologische entwicklung hat uns die
moeglichkeit gegeben, unsere welt humaner und besser zu
gestalten. nicht nur fuer unsere generation, sondern fuer alle
folgenden generationen sind wir aufgerufen, diese moeglichkeit zu
nutzen.
fuer uns deutsche ist die deutsch-amerikanische
freundschaft eine feste, verlaessliche, in die zukunft weisende
groesse. zu dieser freundschaft haben auch sie, meine
damen und herren, wichtige beitraege geleistet. dafuer
moechte ich ihnen allen herzlich danken. wir bleiben der
grossen aufgabe verpflichtet, die europaeisch-amerikanische
allianz zukunftsfaehig zu machen fuer eine bessere welt.