30. jahrestag der unterzeichnung des elysee-vertrages

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Bulletin

  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

anlaesslich der feierlichkeiten zum 30. jahrestag
der unterzeichnung des vertrages ueber die deutsch-franzoesische
zusammenarbeit stattete der praesident der franzoesischen
republik, francois mitterrand, der bundesrepublik
deutschland am 21. januar 1993 einen offiziellen
besuch ab.

rede des bundesaussenministers

der bundesminister des auswaertigen, dr. klaus kinkel,
hielt aus anlass des 30jaehrigen bestehens des
elyseevertrags vor dem deutschen bundestag am 21. januar
1993 folgende rede:

der "elysee-vertrag" steht fuer 30 jahre freundschaftliche
verbundenheit und zusammenarbeit mit unserem nachbarn
frankreich. und er steht fuer 47 jahre frieden und
freiheit, die laengste friedensperiode seit mitte
des 19. jahrhunderts in europa. diese verdanken
wir unserer einbindung in atlantische allianz und
europaeische gemeinschaft mit der deutsch-franzoesischen
und deutsch-amerikanischen partnerschaft als kern.
ein jahrhundert blutigen, irrsinnigen ringens hatte
unsere voelker angeblich zu "ewigen erbfeinden" gemacht.
der "elysee-vertrag" setzte den rahmen fuer eine
einzigartige aussoehnung - das "eigentliche wunder
der nachkriegszeit", wie de gaulle sagte. diese
versoehnung war wesentlicher bestandteil des politischen
vertrauenskapitals, das die bundesrepublik deutschland
in west und ost langsam erwerben konnte, und das
schliesslich zu unserer wiedervereinigung fuehrte.
das franzoesische volk hat mit uns gefuehlt, als die
mauer fiel. wie kein anderes land engagiert sich
frankreich wirtschaftlich und kulturell in den neuen
bundeslaendern. die direkte erfahrung mit frankreich,
das erlebnis franzoesischer sprache und kultur war
und ist fuer viele unserer landsleute dort ein besonderes
erlebnis.
die deutsch-franzoesische freundschaft war von anfang
an nicht nur sache der regierungen und der medien,
sondern eine sache der menschen. heute empfinden
die deutschen, dass ihnen die franzosen, und die
franzosen, dass ihnen die deutschen von allen angehoerigen
fremder staaten am naechsten stehen. im laufe von
30 jahren ist es zu einer beeindruckenden anzahl
von partnerschaften zwischen gemeinden, staedten,
vereinen, kulturellen und wissenschaftlichen einrichtungen
gekommen. groesste bedeutung kommt dabei dem staendigen
austausch von millionen junger menschen im rahmen
des deutsch-franzoesischen jugendwerks zu.
der elysee-vertrag hat ueber die versoehnung hinaus
zu einem besseren verstaendnis fuer den partner, fuer
das andere volk, fuer seine kultur, fuer seine identitaet
gefuehrt, ohne dass hierdurch die historisch gewachsenen
unterschiede eingeebnet worden waeren. wie in jeder
partnerschaft zwischen menschen, voelkern oder regierungen
ist natuerlich auch das deutsch-franzoesische verhaeltnis
nicht frei von interessengegensaetzen, meinungsunterschieden
und missverstaendnissen.
wenn jedoch die medien haeufig von krise oder gar
einem bevorstehenden ende des deutsch-franzoesischen
sonderverhaeltnisses sprechen, dann ist das sehr
weit hergeholt. das interesse beider voelker an einer
fortfuehrung des engen, gemeinsamen wegs nach europa
ist zu gross, als dass sie diese gemeinsamkeit aufgeben
wuerden. roland dumas hat recht: "schwierigkeiten
haben unsere partnerschaft immer nur fester gemacht."
ein blick auf die umbrueche und risiken in mittel-,
ost- und suedosteuropa sowie auf hunger und elend
in der dritten welt genuegt, um zu wissen: nur eine
starke gemeinschaft kann diesen herausforderungen
begegnen. europa braucht den sicheren und festen
anker der europaeischen gemeinschaft
mehr denn je. deshalb ist der in maastricht vereinbarte
schritt zur europaeischen union so notwendig. nur
eine gemeinsame aussen- und sicherheitspolitik, eine
wirtschafts- und waehrungsunion sowie gemeinsame
antworten auf die probleme der zuwanderung und des
organisierten verbrechens koennen den europaeischen
voelkern eine stabile zukunft sichern.
deutschland und frankreich waren in der vergangenheit
der motor der integration. dieser motor ist in der
jetzigen umbruchsphase unentbehrlicher denn je.
beide voelker bleiben aufgerufen, ihre freundschaft
auch in zukunft in den dienst der europaeischen vereinigung
zu stellen.
wir wollen ein foederatives, buergernahes und offenes
europa, ein europa ohne schlagbaeume und mit einer
gemeinsamen waehrung. der enge deutsch-franzoesische
schulterschluss, auch und gerade im waehrungsbereich,
muss diese fortentwicklung weiter vorantreiben. dieses
europa muss das ganze europa, und nicht ein westeuropaeischer
wohlstandsclub sein. europas herz schlaegt nicht
nur in paris, london oder rom, es schlaegt auch in
warschau, prag und budapest.
dieses europa kann nur in enger transatlantischer
verbindung sein inneres gleichgewicht und seine
aeussere handlungsfaehigkeit erlangen. eine festung
europa waere nicht nur das ende der europaeischen
wettbewerbsfaehigkeit auf dem weltmarkt, sie wuerde
auch alle chancen nehmen, den teufelskreis von armut,
bevoelkerungswachstum und umweltzerstoerung in globaler
partnerschaft zu durchbrechen.
die nach dem ende des ost-west-konflikts aufbrechenden
regionalkonflikte, allen voran die tragischen ereignisse
im ehemaligen jugoslawien, unterstreichen die notwendigkeit
einer gemeinsamen europaeischen aussen- und sicherheitspolitik.
die deutsch-franzoesische sicherheitspartnerschaft
hat durch die arbeit des deutsch-franzoesischen verteidigungs- und
sicherheitsrates, durch die aufstellung der
deutsch-franzoesischen brigade in boeblingen und juengst
des europaeischen korps eine neue qualitaet erhalten.
damit haben wir deutsche und franzosen einen rahmen
gesetzt, der sowohl den europaeischen pfeiler der
allianz verstaerkt als auch der entstehenden gemeinsamen
europaeischen sicherheits- und verteidigungsidentitaet
substanz verleiht. dabei bleibt das atlantische
buendnis fuer europa ein unentbehrlicher sicherheitsanker.
der "elysee-vertrag" wird heute in der internationalen
politik immer mehr als nachahmenswertes beispiel
fuer versoehnung und freundschaft anerkannt: so bereits
erfolgreich fuer die gestaltung des neuen verhaeltnisses
zwischen deutschland und polen, so mahnend fuer das
kuenftige friedliche zusammenleben im ehemaligen
jugoslawien. deutsch-franzoesische freundschaft und
zusammenarbeit sind ein lebendiger appell:
nie mehr nationalismus, fremdenhass und bruderzwist
in europa!
der elysee-vertrag war von vornherein gekennzeichnet
durch seine europaeische perspektive, seine oeffnung
fuer andere europaeische partner. diese offenheit haben wir
durch die einfuehrung trilateraler aussenministerkonsultationen
mit dem franzoesischen und dem polnischen kollegen
unter beweis gestellt. fuer unsere beziehungen zu
dem nachbar polen bleibt unser verhaeltnis zu frankreich
vorbild.
deutschland und frankreich muessen ihre bisherige
fruchtbare zusammenarbeit fuer europa, ihre gemeinsamen
initiativen im bereich der europaeischen gemeinschaft,
der ksze, der weu, des europarats und in anderen
internationalen institutionen
unbeirrt fortsetzen. diese geduldige und langfristig
angelegte politik der zusammenarbeit und der gemeinsamen
sicherheit aller europaeer war eine wesentliche voraussetzung
fuer die ueberwindung des ost-west-konfliktes.
sie muss auch jetzt in der neuen weltlage beharrlich
und mit langem atem fortgesetzt werden. dass sie
- wie das beispiel jugoslawien leider zeigt - noch
nicht allen erwartungen gerecht werden kann, spricht
nicht gegen sie, sondern fuer ihren weiteren ausbau,
fuer die schaffung europaeischer handlungsfaehigkeit,
fuer effektives zusammenwirken von ksze, nato und
weu unter dem dach der vereinten nationen - das
ist verlangt!
der gestrige amtsantritt des neuen amerikanischen
praesidenten, dem ich an dieser stelle nochmals herzlich
gratulieren moechte, lenkt unseren blick ueber den
atlantik. an die adresse derer, die zwischen unserer
deutsch-franzoesischen, europaeischen partnerschaft
und unserer partnerschaft ueber den atlantik hinweg
immer einen gegensatz konstruieren wollen, sage
ich: auch unsere franzoesischen freunde wissen, dass
die freundschaft von deutschen und franzosen mit
den vereinigten staaten auch fuer unsere bilaterale
partnerschaft eine wichtige grundlage ist.
es wird immer aufgabe deutscher politik sein, dieses
freundschaftsdreieck zu festigen, ein entweder-oder
kann es fuer uns da nicht geben. gerade angesichts
der gegenwaertigen schwierigkeiten bei den gatt-verhandlungen
wird es wichtig sein, dass deutschland und frankreich
den dialog mit der neuen amerikanischen regierung
ueber wichtige strecken gemeinsam fuehren.
meine damen und herren, 30 jahre elysee-vertrag,
30 jahre fruchtbarer deutsch-franzoesischer partnerschaft
und freundschaft - dies ist nicht nur ein anlass
zur freude und genugtuung fuer die regierungen, sondern
auch fuer die parlamente. die entschliessung, die
heute diesem hause vorliegt, unterstreicht die ueberragende
bedeutung, die unser parlament dem erhalt und der
staerkung unserer freundschaft beimisst. dass sie zum
unantastbaren kernbestand unserer aussenpolitik gehoert,
stand seit der schaffung der bundesrepublik deutschland
nie in frage. so wird es auch in zukunft bleiben.
der heutige tag zeigt dies. hierueber koennen wir
uns alle freuen.