"Als One-Man-Show kann ich etwas bewegen"

Interview zum Vorlesetag "Als One-Man-Show kann ich etwas bewegen"

Ulf Störmer (68) ist seit zehn Jahren Vorlesepate der Stiftung Lesen. Durch die Corona-Pandemie kann er derzeit nicht in die Schule, um dort vorzulesen. Aber er hat sich andere Wege ausgedacht, um Kinder für Bücher zu begeistern. Ein Gespräch zum bundesweiten Vorlesetag über ehrenamtliches Engagement, interaktives Vorlesen - und die Macht der Fantasie.

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Der ehrenamtliche Vorlesepate Ulf Störmer steht in einem Klassenraum hinter einem Tisch mit Kinderbüchern.

Ulf Störmer kennt sich aus mit Kinderbüchern: "Ist da Action drin? Da kannst Du aber von ausgehen!"

Foto: Reiner Bing

Seit zehn Jahren sind Sie jeden Monat in eine Grundschule in Koblenz gegangen, um dort Kindern vorzulesen - bis zum März. Wie hat die Corona-Pandemie Ihre Arbeit verändert?

Ulf Störmer: Vor Ort habe ich das letzte Mal im Februar vorgelesen. Dann fing die Pandemie an und ich war plötzlich ein Externer, der nicht mehr in die Schule durfte. Das gilt noch heute. Es war ein Bruch, aber ich verstehe es natürlich. Für mich war klar: Ich mache weiter – und muss halt andere Wege finden, um Leseförderung zu betreiben und vor allem Kindern Abwechslung und Freude in der schwierigen Zeit der Einschränkungen zu geben.

Sie sind nicht mehr präsent, aber Sie wollten trotzdem etwas tun. Was war Ihre Idee?

Störmer: Wenn der Lesemann nicht in die Schule kommt, dann mussten die Bücher eben nach Hause kommen. Noch vor Ostern habe ich "Post für Dich – mach mit!" mit dem Kinderschutzbund Koblenz als Kooperationspartner gestartet. Wir konnten Kinderbilderbücher an 17 Kinder verschicken, die der Kinderschutzbund betreut und die Unterstützung brauchen. Ich besorgte Sondersticker mit dem kleinen Frosch, dem Motiv von Janosch, und wir legten persönliche Briefe bei. Im zweiten Schritt schrieben wir Brennpunktschulen mit einer Empfehlungsliste von Büchern an und starteten einen Spendenaufruf. Mehr als 3.000 Euro sind zusammengekommen und 250 Bücher konnten wir an Kinder übergeben.

Wie waren die Reaktionen?

Störmer: Uns war wichtig, dass die Kinder die Bücher behalten durften, also, dass sie nicht nur ausgeliehen sind. Sie haben als Dankeschön Bilder gemalt oder auch kurze Texte geschrieben. Das ist wirklich ganz entzückend. Auch die Regenbogenschule, an der ich sonst vorlese, ist dabei. Eine Klassenlehrerin der ersten Klasse wünschte sich das Buch "Was brauchst Du?", in dem es um den Umgang mit Gefühlen und Konflikten geht und sie bearbeiten das jetzt auch im Unterricht.

Welche Tipps können Sie für das Vorlesen zu Hause geben?

Störmer: Es lohnt sich, Kinderbilderbücher einzusetzen, denn Kinder brauchen Bilder. Man kann zeigen, was darin vorkommt - was ist Sellerie zum Beispiel, wie riecht sie? Oder man kann eine Szene nachspielen, trampeln wie ein Elefant, springen wie eine Maus, schlängeln wie eine Schlange. Das ist auch meine Methode in der Klasse: interaktives Vorlesen - mit allen Sinnen. Die Idee dabei: Von der Geschichte, ob das durch Hören, Sehen, Riechen, Schmecken oder Anfassen ist, wird etwas hängen bleiben. Enorm wichtig ist es auch, den Inhalt zwischendrin durch Nachfragen immer wieder zu reflektieren.

Wird dadurch das Vorlesen nachhaltig?

Störmer: Ja natürlich, es bleibt etwas hängen. Beim nächsten Mal suche ich mir zum Beispiel fünf Kinder heraus und frage: Was habe ich Euch vor einem Monat erzählt? Dann geben sie das in ihren Worten wieder, jedes immer nur einen Satz, und daraus bilden wir die Geschichte neu. Viel später erzählen mir Kinder manchmal, dass sie jetzt auch gerne lesen und welche Geschichte sie damals toll fanden. Ein schöneres Lob kann ich doch gar nicht bekommen, als wenn die Kinder sich nach Jahren noch an mich erinnern.

Sie engagieren sich seit zehn Jahren für das Vorlesen. Was gab den Anstoß dazu?

Störmer: Damals wurde viel über die Pisa-Studie geredet. Alle Welt beklagte sich, wie schlecht die Lesekompetenz der Kinder sei. Und da habe ich mir gesagt, ich stehe ja außen vor und kann da ganz neutral rangehen. Ich wollte etwas tun und auch der Gesellschaft etwas zurückgeben, denn ich habe großes Glück gehabt in meiner Kindheit und Jugend, dass auch mich andere Menschen zum Lesen gebracht haben.

Welche Rolle spielte die Stiftung Lesen?

Störmer: Es gab dort ein Seminar für Vorlesepaten. Das habe ich mit anderen zusammen besucht und die Ausbilderin stellte den Kontakt zur Regenbogen-Grundschule hier in Koblenz/Lützel her. Am Vorlesetag 2010 las ich allen drei ersten Klassen vor. Anschließend sagte die Schulleiterin: Wir wollen das Vorlesen einmal im Monat als festen Bestandteil ins Schulleben integrieren. Das hat mich damals umgehauen. Seitdem bin ich dabei und es ging auch weiter zu anderen Schulen und anderen Veranstaltungen. Ich habe festgestellt, wie schön das Vorlesen ist.

Wie motivieren Sie Kinder?

Störmer: Wir sitzen im Halbkreis und ich versuche, die Kinder in die Geschichte einzubeziehen. Sie sollen Teil davon werden. Den vorlauten Jungen bitte ich zum Beispiel, für mich das Buch zu halten. Wenn jemand fragt: Herr Störmer, ist da Action drin? Dann sage ich: Da kannst Du aber von ausgehen! Die modernen Heros, die es heute gibt, die kommen in den Geschichten auch vor, Riesen oder Zauberer.

Sie sind inzwischen dabei, selbst  ein Buch zu schreiben, "Der Pfannkuchenmann". Wovon handelt es?

Störmer: Das ist eine moderne Geschichte vom dicken fetten Pfannkuchen. Es geht darum, dass ein Kind Freundschaft schließt mit einem sprechenden Pfannkuchen, der ein Junge war und von einem Zauberer verwandelt wurde, weil er Leute geärgert hat. Er muss sieben Aufgaben lösen und zum Schluss gibt es natürlich eine große Überraschung. Da ist vieles eingeflossen, was ich in den letzten Jahren gelernt habe.

Nach der Pandemie - wie geht es für sie weiter?

Störmer: Ich bin ja eine One-Man-Show und kann hier vor Ort etwas bewegen. Wenn es einen Impfstoff gibt, das ist ganz wichtig, werde ich wieder vorlesen. Aber ich habe mich auch umgehört, wie es an anderen Grundschulen aussieht. In 25 Monaten möchte ich zusammen mit zwei Kooperationspartnern vor Ort 25 Vorlesepatinnen und -paten für 25 Grundschulen gewinnen. Das Projekt "252525" stelle ich noch in diesem Monat der Schulleiterrunde vor. Wenn das klappt, atme ich tief durch, freue mich wie ein Schneekönig – und werde dann im zweiten Schritt auch an die Kitas denken. 

Der bundesweite Vorlesetag findet in diesem Jahr am 20. November aufgrund der Corona-Pandemie hauptsächlich digital statt. Auf www.vorlestag.de lesen unter anderem Autorin Cornelia Funke, Fußballspieler Thomas Müller, Schauspielerin Annette Frier und Moderatorin Nazan Eckes. Auch Bundesbildungsministerin Anja Karliczek und Kulturstaatsministerin Monika Grütters unterstützen den Vorlesetag.

Die Bundesregierung unterstützt verschiedene Projekte der Stiftung Lesen. Das bundesweite Programm "Lesestart 1-2-3" für Familien mit Kindern im Alter von einem, zwei und drei Jahren fördert sie bis 2026 mit rund 21 Millionen Euro. Im Auftrag des Bundesbildungsministeriums setzt die Stiftung Lesen auch das Programm "Lesen bringt uns weiter. Lesestart für Flüchtlingskinder"  um - seit 2018 mit 1,6 Millionen Euro für drei Jahre. Ziel des Projekts "Mentor – Die Leselernhelfer" ist, die digitale Medienkompetenz von ehrenamtlichen Lesementoren über 60 Jahre zu stärken.