„Dürfen und werden Afghanistan nicht vergessen“

Regierungserklärung der Kanzlerin „Dürfen und werden Afghanistan nicht vergessen“

Die Entwicklung sei furchtbar und bitter, für viele Afghanen eine Tragödie, erklärte die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungserklärung vor dem Bundestag zur Lage in Afghanistan. Nun gehe es darum, gefährdete Menschen zu schützen – durch die Luftbrücke, aber auch in der Zeit danach. Merkel erläuterte die aktuellen Prioritäten.

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Bundeskanzlerin Merkel am Rednerpult im Plenarsaal des Bundestages.

Benannte die aktuellen Prioritäten mit Blick auf Afghanistan – Kanzlerin Merkel bei ihrer Regierungserklärung im Bundestag.

Foto: Bundesregierung / Denzel

Bundeskanzlerin Merkel hat vor dem Deutschen Bundestag eine Regierungserklärung zur aktuellen Lage in Afghanistan abgegeben. Seit dem Abzug der internationalen Truppen hätten die Taliban in kürzester Zeit das ganze Land unter ihre Kontrolle gebracht – man werde Zeuge von großer Verzweiflung unzähliger Menschen und menschlichen Dramen.

Internationale Koalition hat Entwicklung unterschätzt

Ihre Gedanken seien in dieser Situation bei den 59 deutschen Soldaten, die ihr Leben im Afghanistan-Einsatz verloren haben, so Merkel. Sie denke auch an die Soldatinnen und Soldaten und Beamtinnen und Beamte, die bleibende Verletzungen an Leib und Leben davongetragen haben.

Man habe unterschätzt, wie „atemberaubend schnell“ die afghanischen Sicherheitskräfte ihren Widerstand gegen die Taliban aufgegeben hätten, was durch die Flucht der afghanischen Regierung noch einmal beschleunigt wurde. „Die gesamte internationale Koalition, wir alle haben die Geschwindigkeit dieser Entwicklung ganz offensichtlich unterschätzt. Und das gilt auch für Deutschland“, unterstrich die Kanzlerin.

Deutschland ist kein Sonderweg gegangen

Die Entwicklungen der letzten Tage am Flughafen von Kabul seien furchtbar und bitter. Für die Afghanen, die sich für Freiheit und Sicherheit in ihrem Land eingesetzt haben. Aber auch für die Verbündeten, die sich über 20 Jahre für eine sichere Entwicklung des Landes eingesetzt hätten.

Merkel betonte, Deutschland sei in Afghanistan keinen Sonderweg gegangen: „Wir haben seit 2001 gemeinsam mit unseren Verbündeten gehandelt und tun es auch jetzt in der Evakuierungsoperation“. Gemeinsam wurde eine internationale Luftbrücke eingerichtet, um ausländische Staatsbürger, afghanische Ortskräfte und besondere zu schützende Personen der afghanischen Zivilgesellschaft aus Afghanistan zu evakuieren. Die Soldaten der Bundeswehr gehörten zu den ersten, die in Kabul eingetroffen sind, um die Luftbrücke zu errichten.

Ende der Luftbrücke nicht Ende der Hilfe

Merkel teilte mit, dass die Bundeswehr bislang über 4.600 Menschen aus 45 Nationen aus Afghanistan ausgeflogen hat. Es handle sich um einen internationalen Einsatz in Taschkent und Kabul. „Wir bemühen uns weiterhin mit allen Kräften, vor allem den Afghanen zum Verlassen des Landes zu verhelfen, die Deutschland als Ortskräfte der Bundeswehr, der Polizei und der Entwicklungszusammenarbeit zur Seite gestanden und sich für ein sicheres, freies Land mit Zukunftsperspektiven eingesetzt haben,“ so Merkel. 

Das Ende der Luftbrücke solle nicht das Ende der Hilfe für Afghanen sein. „Deshalb wird in diesen Tagen intensiv auf allen Ebenen daran gearbeitet, wie wir auch dann Wege schaffen können, mit denen wir weiter diejenigen, die uns geholfen haben, schützen können, unter anderem durch einen zivilen Betrieb des Flughafens in Kabul“, so Merkel.

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Video Bundeskanzlerin Merkel zum Umgang mit Ortskräften

Dank an Soldaten, Polizisten und Botschaftspersonal

Die Bundeskanzlerin dankte den Soldatinnen und Soldaten sowie Bundespolizistinnen und -polizisten für den Einsatz vor Ort in Kabul und Taschkent sowie den Mitarbeitern der Deutschen Botschaft in Kabul und im Krisentab der Bundesregierung, „die rund um die Uhr arbeiten“. Der Dank gilt auch der usbekischen Regierung, die den Flughafen in Taschkent für die Luftbrücke zur Verfügung stellt.

Die Bundesregierung bemühe sich weiterhin „mit allen Kräften, denjenigen das Verlassen des Landes zu verhelfen, die uns als Ortskräfte zur Seite gestanden haben,“ versicherte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie bekräftigte, dass Deutschland bereits seit 2013 gefährdete Ortskräfte und deren Familienangehörige kontinuierlich nach Deutschland geholt habe. Bis August dieses Jahres seien so über 1000 Ortskräfte gekommen - mit Familienangehörigen mehr als 4800 Menschen. Nach der Abzugsentscheidung der Verbündeten hätten in einem beschleunigten Verfahren 2500 Ortskräfte und Familienangehörige Visa erhalten. Mit der Zuspitzung im Land sei nun ein Visum nicht mehr erforderlich.

Merkel beschreibt Dilemma

„Wenn man zeitgleich mit dem Abzug der Bundeswehr auch die Ortskräfte außer Landes gebracht hätte, wäre vielleicht der Eindruck entstanden, man überlasse die Menschen in Afghanistan ihrem Schicksal,“ erläuterte die Bundeskanzlerin die schwierige Situation. Die Entwicklungszusammenarbeit sollte auch nach dem Abzug fortgesetzt werden, um den Menschen auch unter schwierigen Bedingungen zur Seite zu stehen. „Es gab sehr gute Gründe dafür, den Menschen in Afghanistan nach dem Abzug der Truppen wenigstens in der Entwicklungszusammenarbeit weiter zur Seite zu stehen“.

Deutschland leistet humanitäre Hilfe

Nun gehe es auch darum, den Menschen in Afghanistan humanitäre Hilfe zu leisten. Deutschland unterstütze dabei die internationalen Organisationen. Merkel dankt den Vereinten Nationen und den internationalen Organisationen, dass sie ihre Arbeit in Afghanistan fortsetzen. 100 Millionen Euro stelle die Bundesregierung für Soforthilfe bereit und weitere 500 Millionen Euro für humanitäre Hilfe in Afghanistan und als Hilfe für Nachbarstaaten bei der Aufnahme von Flüchtlingen.

Auch Gutes wurde geleistet

Merkel erinnerte daran, dass in den vergangenen 20 Jahren auch Gutes geleistet worden sei. Seit 2001 seien keine Terroranschläge mehr verübt worden, die von Afghanistan ausgingen. Merkel erinnerte daran, dass die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center in New York von Afghanistan aus geplant worden waren.

Auch für die Menschen in Afghanistan ist der Einsatz nicht vergebens gewesen. Die Kindersterblichkeit habe sich seit 2001 halbiert. Fast 70 Prozent der Afghanen hätten heute Zugang zu Trinkwasser und über 90 Prozent Zugang zu Strom.

Es gehe jetzt darum, davon so viel wie möglich zu bewahren. „Es wird schwer, aber wir müssen es versuchen,“ so Merkel. Jedoch sei es aktuell unerlässlich, vorerst die Entwicklungszusammenarbeit mit Afghanistan zu stoppen.

Analyse wichtig – auch mit Partnern in EU und Nato

Auf die Frage, warum keine langfristige Stabilität in Afghanistan erreicht werden konnte, könnten heute noch keine abschließenden Antworten gegeben werden. Jedoch sei eine Analyse wichtig für laufende und zukünftige Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die Analyse solle auch mit den Partnern der Nato und der EU erfolgen.

Abschließend betonte die Bundeskanzlerin ganz grundsätzlich: „Denn auch wenn es in dieser bitteren Stunde nicht danach aussieht, so bin und bleibe ich der festen Überzeugung, dass keine Gewalt und keine Ideologie den Drang der Menschen nach Freiheit, nach Gerechtigkeit und nach Frieden dauerhaft aufhalten können“.