„Verschwörungsglaube gefährdet auch seine Anhänger selbst“

Interview  „Verschwörungsglaube gefährdet auch seine Anhänger selbst“

Verschwörungsmythen erfahren in der Corona-Pandemie Zulauf. Die Digitalisierung verhelfe ihnen zusätzlich zu mehr Schlagkraft, sagt Dr. Michael Blume, Mitglied der Bund-Länder-Kommission gegen Antisemitismus. Was wir als Gesellschaft tun müssen, um diesem Phänomen zu begegnen und warum Verschwörungsgläubige auch sich selbst gefährden, erzählt er im Interview. 

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Interview mit Dr. Michael Blume

Michael Blume ist Mitglied der Bund-Länder-Kommission gegen Antisemitismus.

Foto: die arge lola / Kai Loges + Andreas Langen

Herr Blume, warum glauben Menschen an Verschwörungsmythen?

Michael Blume: Schon immer gibt es Menschen, die glauben, dass die Welt von bösen Mächten beherrscht wird. Diese Mythen haben historisch betrachtet meist frauenfeindliche oder antisemitische Züge. In Krisenzeiten erfahren solche Verschwörungserzählungen Zulauf. Das hat mit einem psychologischen Phänomen zu tun: Wir können auf Krisen reagieren, indem wir uns auf die Wissenschaft stützen und bleibende Unsicherheiten akzeptieren. Oder wir wählen den vermeintlich leichteren Weg und suchen die Schuld bei bösen Verschwörern. Die Digitalisierung befeuert dieses Phänomen einmal mehr, weil sich die Mythen viel schneller in der Welt verbreiten. Daher erleben wir jetzt, dass der Glaube an eine jüdische Weltverschwörung, die sich um einen amerikanischen Politiker dreht, auch in Deutschland, Frankreich, der Türkei und Brasilien Millionen Anhänger finden kann.

Worin besteht die Gefahr von Verschwörungsmythen?

Blume: Verschwörungsglauben bedroht nicht nur andere, sondern letztlich die Anhänger selbst. Sie misstrauen Ärzten, sind nicht mehr bereit, sich impfen zu lassen oder akzeptieren sinnvolle Schutzmaßnahmen, wie das Maskentragen, nicht. In der Pandemie werden die Probleme dadurch nicht kleiner, sondern größer. Denn Verschwörungsglauben bedeutet, dass man sich selbst nicht als Teil der Lösung sieht. Stattdessen wird die Schuld an allem, was schiefläuft, bei Verschwörern gesucht.

Was kann gegen Verschwörungsdenken getan werden?

Blume: Durch das Internet kann man sich heutzutage quasi über Nacht in Verschwörungsglauben reindenken. Trotzdem braucht es Zeit, bis man verfestigt verschwörungsgläubig ist. Deswegen macht die Arbeit gerade mit jungen Menschen viel Sinn. Bei Erwachsenen kann Verschwörungsglauben schon sehr in der Persönlichkeit verfestigt sein. Dann geht es eher um eine Änderung der Bezugspunkte, der Weltanschauung und des sozialen Umfelds. Religionspsychologisch lässt sich das mit einem Sektenausstieg vergleichen.

Also Bildung und Integration einerseits, gleichzeitig muss der Rechtsstaat klare Grenzen ziehen, rechtsextreme Bewegungen beobachten und strafrechtlich verfolgen, um der Verbreitung entgegenzuwirken.

Sie sind Mitglied der Bund-Länder-Kommission gegen Antisemitismus – was unternimmt die Kommission gegen Verschwörungsdenken?

Blume: Wir verfolgen einen föderalen Ansatz, weil Bundesländer und Kommunen näher an den Gegebenheiten vor Ort sind. Dafür ist die Bund-Länder-Kommission ein wichtiges Vernetzungsinstrument. Zudem stärken wir als Kommission den Dialog mit der Wissenschaft und fördern Projekte vor Ort mit dem Förderprogramm "Demokratie leben".

Wir beobachten, dass Verschwörungsbewegungen geografische Unterschiede aufweisen, nicht nur unter Ost-West-, sondern auch unter Nord-Süd-Aspekten. In Süddeutschland beispielsweise fühlen sich viele in Berlin nicht wahrgenommen. Das will die Kommission ändern.

Wir erleben außerdem, dass lokale Tageszeitungen und mit ihnen der politische Raum der Kommune aus der Wahrnehmung der Menschen verschwindet. Stattdessen nimmt man durch das Internet die internationale Politik mit brennenden Wäldern, Kriegen, Katastrophen wahr und fühlt sich nur noch machtlos. Heute wächst eine ganze Generation mit diesen Erfahrungen auf. Deswegen brauchen wir einen Dialog mit Wissenschaft, Verwaltung und Medien, der über die Zukunft der Medien berät.

Michael Blume ist Religionswissenschaftler und Beauftragter der Landesregierung von Baden-Württemberg gegen Antisemitismus. Als Mitglied der Bund-Länder-Kommission  setzt er sich mit Vertretern der Bundesländer gemeinsam für die Belange jüdischer Gruppen ein. Seit einigen Jahren befasst er sich auch mit Verschwörungsmythen. Die Bund-Länder-Kommission heißt genau genommen "Gemeinsame Bund-Länder-Kommission zur Bekämpfung von Antisemitismus und zum Schutz jüdischen Lebens" und hat am 18. September 2019 ihre Arbeit aufgenommen.