"Ich kann ja nicht ändern, was ich bin"

Interview mit Mitglied von "Intersexuelle Menschen e.V." "Ich kann ja nicht ändern, was ich bin"

Lynn D. ist 35, Elektroingenieur*in und intersexuell. Zu Beginn des Jahres 2019 konnte Lynn statt männlich oder weiblich die Geschlechtsoption "divers" im Geburtenregister eintragen lassen. Neben der Identifikation mit dem Geschlecht hat das Gesetz zur "dritten Option" außerdem noch etwas ganz anderes bewirkt, wie Lynn im Gespräch anlässlich der Antidiskriminierungstage erzählt.

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Eine Tafel mit den Ankreuzoptionen, männlich, weiblich, "x".

Seit Beginn des Jahres 2019 gibt es die Option, sich neben weiblich und männlich als "divers" im Geburtenregister eintragen zu lassen.

Foto: picture alliance/dpa/Peter Steffen

Lynn trägt die Haare zu einem Irokesen - oben länger und an den Seiten abrasiert - und hat derzeit einen Bart. Lynn war bis zu Beginn des Jahres 2019 als "weiblich" im Geburtenregister eingetragen. Mit der Änderung des Geschlechtseintrags auf "divers" hat Lynn auch den Vornamen ändern lassen. Lynn ist sowohl ein weiblicher als auch männlicher Name.

Was bedeutet der Eintrag der dritten Geschlechtsoption "divers" für Sie?

Lynn: Es bedeutet für mich, dass ich als mein Geschlecht mit meinem Körper akzeptiert werde. Ich stand direkt am erstmöglichen Tag vor dem Standesamt, um die Eintragsänderung durchzuführen. Als das Bundesverfassungsgericht das Geschlecht beschlossen hat, hatte das eine unglaublich große Bedeutung für mich. Es ist uns wichtig, einen Platz in der Gesellschaft zu haben.

Nach der Geburt, bei der Lynn als gesundes Kind mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen zur Welt kam - als sogenannter "Hermaphroditismus verus" -, wurden Lynn die männlichen Geschlechtsorgane entfernt, aber auch die Eierstöcke. Lynn erfährt erst mit 20 Jahren von der medizinischen "Anpassung", die für die eigene Identität schwere Folgen hat und tiefe Narben hinterlässt. Heute nimmt Lynn männliche Hormone - und ist unfruchtbar.

Welche Veränderungen sind nach dem neuen Eintrag auf Sie zugekommen? Haben Sie auch einen Wandel in der Gesellschaft bemerkt?

Lynn: Es verändert eigentlich alles. Zunächst mal habe ich mich bei meiner Krankenkasse, bei der Bank, bei der Arbeitsstelle gemeldet, um die Neuerung anzupassen. Mein Arzt stand vor einer völlig neuen Herausforderung. Zuvor wurden zum Beispiel meine Blutwerte mit den Werten von Frauen verglichen, doch meine Werte weichen ab. Es gibt bis jetzt keine Einträge für Intersexuelle. Das verändert viel in der Medizin.

Aber vor allem habe ich bemerkt, dass sich etwas bewegt hat. Medien interessieren sich für uns. Leute fangen an, sich mit Intersexualität zu beschäftigen. Mein Empfinden ist, dass viele andere aus der Community durch das Gesetz darüber nachdenken, sich auch für das dritte Geschlecht eintragen zu lassen. Sie werden mutiger. Ich sehe viele, die sich deshalb auch geoutet haben. Und das ist toll!

Das "Gesetz zur Änderung der in das Geburtenregister einzutragenden Angaben", wurde am 14.12.2018 verabschiedet und zum 31. Dezember 2018 umgesetzt. Menschen, die wegen einer Variante ihrer Geschlechtsentwicklung weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht eindeutig zugeordnet werden können (Intersexuelle), haben damit die Möglichkeit erhalten, im Geburtenregister neben den Angaben "männlich", "weiblich" sowie dem Offenlassen des Geschlechtseintrages die weitere positive Bezeichnung "divers" zu wählen.

Wo sind immer noch Probleme für intersexuelle Menschen?

Lynn: Probleme sind für mich überall da, wo strikt zwischen Mann und Frau unterschieden wird: öffentliche Toiletten Badehäuser, Duschen, Umkleiden. Man bekommt komische Blicke oder wird aus der Frauentoilette herausgeworfen. Das Gefühl, nicht dazu zu gehören, schlägt einem ständig um die Ohren. Es gibt Tage, da halte ich das nicht aus. Ich kann ja nicht ändern, was ich bin.

Was sollte Ihrer Meinung nach getan werden, um mehr Akzeptanz zu erreichen?

Lynn: Ich wünsche mir, dass wir in allen Lebensbereichen bedacht werden. Intersexuelle sollten in Gesetzen und allen Gesetzestexten bedacht werden, bei der Bildung, bei sexueller Aufklärung, in den Medien. Wenn das dritte Geschlecht mehr akzeptiert wird, dann würden auch Eltern weniger Grusel davor haben, ein intersexuelles Kind zu haben oder zu bekommen. Man sollte die Person so nehmen, wie sie eben ist.

Es sollte vor allem verboten werden, dass gesunde Kinder operiert werden, wo es medizinisch absolut nicht notwendig ist. Die Entfernung der Gonaden und Operationen an den Genitalen haben massive Spätfolgen und schränken die Lebensqualität enorm ein. Das sind Schönheitsoperationen, die in erster Linie nicht dem Betroffenen helfen, sondern den Menschen, die irritiert sind.

Lynn D. gehört zum Vorstand des Bundesverbandes Intersexuelle Menschen e.V.  Der Verband bietet Beratung für Intersexuelle Menschen, aber auch für Angehörige. Er unterstützt unter anderem die Finanzierung, Förderung und Ausbildung von Selbsthilfegruppen. Neben dem Bundesverband gibt es in vielen Bundesländern eigene Landesverbände und Selbsthilfegruppen.

Welches Verhalten oder welche Gesten wünschen Sie sich von Mitmenschen? Was freut Sie im Alltag?

Lynn: Ich schätze es, wenn Mitmenschen auf die Anrede achten: Wenn sie sich nicht sicher sind, am besten das Pronomen durch den Vornamen austauschen. Oder bei allgemeinen Anschreiben, einfach die Organisation ansprechen; besser: "lieber Vorstand" oder Ähnliches anstatt "sehr geehrte Damen und Herren".

Ich freue mich aber auch über einen humorvollen Umgang. Meine Familie, meine Freunde und Kollegen, die mich kennen, machen gerne mal ironische Bemerkungen oder wir lachen auch mal darüber. Und das ist gut so. Wenn man als Intersexueller im Alltag überall vorkommt, darf auch gerne darüber gescherzt werden, auch gerne über die dritte Option bei Toiletten.

Im Rahmen der deutschen Antidiskriminierungstage am 2. und 3. Dezember kommt die Antidiskriminierungsstelle des Bundes unter dem Motto "Was divers macht" mit Vertreter*innen aus deutscher und internationaler Politik und Forschung sowie Akteur*innen aus Unternehmen und Verwaltung, Wirtschaft, Kultur, Medien, Bildung und Zivilgesellschaft im Haus der Kulturen der Welt in Berlin zusammen, um über Zukunftsfragen der Antidiskriminierungsarbeit diskutieren.