Interview zur Datenstrategie
Digitalisierung vorantreiben, neue Interaktionsräume schaffen – im Zuge der Datenstrategie ebnet die Bundesregierung den Weg für verantwortungsvolle und innovative Datennutzung. Das Innovationspotenzial von Daten hat auch Philippe Genêt erkannt: Mit „Coding da Vinci“ will er den Kulturraum der Zukunft gestalten – mit Hilfe von Hackern und Kulturinstitutionen.
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Herr Genêt, mit der Datenstrategie will die Bundesregierung Deutschland zum Vorreiter für das innovative Nutzen und Teilen von Daten in Europa machen. Welchen Beitrag kann „Coding da Vinci“ hier leisten?
Philippe Genêt: Coding da Vinci ist ein in dieser Form einzigartiger Hackathon, der die Kultur- und die Technikwelt zusammenbringt, um gemeinsam die Möglichkeiten für innovative Zugänge zu unserem digitalen Kulturerbe auszuloten. Die Basis für die gemeinsame Arbeit bilden Mediendateien und Metadaten, die von den teilnehmenden Kulturinstitutionen offen zur Verfügung gestellt werden – die also gemeinfrei sind oder unter offenen Lizenzen stehen.
Von diesen Kulturdaten lassen sich Software-Entwicklerinnen und Software-Entwickler, Designerinnen und Designer sowie Künstlerinnen und Künstler zu Anwendungen inspirieren, die das digitalisierte Kulturerbe mal auf kreative, spielerische Weise, mal durch Visualisierungs-Tools oder mit Hilfe von Virtual oder Augmented Reality erschließen. So eröffnen sie einem breiten Publikum attraktive und innovative Wege, sich mit kulturellem Erbe zu beschäftigen.
Was wollen Sie mit „Coding da Vinci“ erreichen?
Genêt: Unser Ziel ist es, langfristig Strukturen zu schaffen, in denen Kulturinstitutionen und interessierte Teile der Zivilgesellschaft auf Basis offener Daten zusammenarbeiten können – und das möglichst flächendeckend. Durch die regionale Ausrichtung der Hackathons wollen wir Kulturinstitutionen im ganzen Land erreichen, mit dem Konzept offener Daten vertraut machen, Hemmschwellen abbauen und Möglichkeiten im digitalen Raum aufzeigen. Ebenso wollen wir den Open Data- und Creative Tech-Communities näherbringen, dass Kulturdaten für die Kreativität äußerst anregend sind und spannende neue Themenfelder eröffnen. Und schließlich ist auch die Vernetzung ein wichtiger Aspekt: Bei Coding da Vinci treffen kulturbegeisterte, technikaffine Menschen auf Kulturinstitutionen aus ihrer Gegend und können langfristige persönliche und berufliche Kontakte knüpfen.
Der erste Kultur-Hackathon fand übrigens schon 2014 in Berlin statt. Ins Leben gerufen wurde er von der Deutschen Digitalen Bibliothek, dem Forschungs- und Kompetenzzentrum Digitalisierung Berlin (digiS), der Open Knowledge Foundation Deutschland und Wikimedia Deutschland. Seit 2019 wird Coding da Vinci im Programm Kultur Digital der Kulturstiftung des Bundes gefördert. Dadurch wurde unter anderem die Einrichtung der Geschäftsstelle, die ich leite, ermöglicht.
Zweimal im Jahr kommen junge und erfahrene Programmierer zusammen und entwickeln Ideen zur Nutzung von offenen Kulturdaten. Wie genau kann man sich den Ablauf eines Hackathons vorstellen?
Genêt: Im Normalfall dauert ein Hackathon nur ein Wochenende – nicht gerade viel Zeit, um Softwareanwendungen zu entwickeln. Coding da Vinci hingegen erstreckt sich über sechs bis zehn Wochen. Dieser erweiterte Zeitrahmen schafft den nötigen Raum, in dem sich die Open Data- und Creative Tech-Communities mit den Kulturinstitutionen treffen, voneinander lernen und miteinander aktiv werden können. Da sie sich bis dahin oft in verschiedenen Sphären bewegt haben, ist der Faktor Zeit ein wichtiger Brückenbauer. Außerdem können so nicht nur grobe Ideenskizzen, sondern lauffähige Prototypen entstehen, die ein sehr anschauliches Bild vermitteln, was mit Kulturdaten alles möglich ist.
Ein Coding da Vinci-Hackathon läuft wie folgt ab: Beim zweitägigen Kick-Off präsentieren die Institutionen den Teilnehmenden ihre Daten, entwickeln mit ihnen gemeinsam Ideen und bilden interdisziplinäre Teams. In der darauffolgenden, mehrwöchigen Sprintphase arbeiten die Teams ihre Ideen aus und präsentieren sie bei der Abschlussveranstaltung der Öffentlichkeit und einer Jury, die die besten Projekte prämiert. Das Format funktioniert übrigens auch virtuell, das haben die letzten beiden Ausgaben des Hackathons unter Corona-Bedingungen eindrucksvoll belegt.
Was ist mit offenen Kulturdaten alles möglich? Wie sehen Ihre Lieblingsergebnisse aus?
Genêt: Die Projekte, die bei Coding da Vinci-Hackathons entstehen, sind so vielfältig wie die Kulturdaten, auf denen sie basieren. Es sind Spiele darunter, Virtual Reality-Rundgänge, interaktive Websites und Web-Apps, sogar Hardware kann entstehen. Rund 150 Projekte gibt es schon, und alle kann man sich auf unserer Website ansehen. Beim letzten Hackathon entstand etwa die Website „Plantala“, mit der man aus Einzelteilen historischer Pflanzenzeichnungen individuelle Mandalas kreieren kann. Bei einem früheren Hackathon entstand eine Smartphone-App, mit der man sich durch Vogelstimmen wecken lassen und den Wecker erst ausschalten kann, wenn man den passenden Vogel zur Stimme erkannt hat. Das 2020 entstandene Projekt „FabSeal“ erstellt aus Fotos historischer Wachssiegel Modelle, die man am 3D-Drucker ausdrucken kann, und die Siegel damit wieder prägen kann. Es gibt so viele Beispiele, dass ich mich gar nicht entscheiden kann, welches ich für das beste halte!
Was kann „Coding da Vinci“ für die Gesellschaft bewirken?
Ganz einfach: Das Projekt vermittelt vielen Kulturinstitutionen positive Erfahrungen im Umgang mit der Digitalisierung. Viele davon wagen in der Folge mehr Offenheit – in jeder Hinsicht. So trägt Coding da Vinci dazu bei, das digitale kulturelle Erbe in Deutschland offener und zugänglicher für alle zu machen. Zugleich bringt Coding da Vinci kultur- und technikaffine Menschen zusammen, die gemeinsam kreative Ansätze entwickeln, um Kulturdaten für neue Zielgruppen attraktiv zu machen – ohne Konkurrenzdruck, ohne wirtschaftliche Hintergedanken, einfach aus Freude daran, die digitalen Schätze der Kulturinstitutionen in Deutschland zu heben.
Seit 2019 fördert die Kulturstiftung des Bundes den nicht-kommerziellen Hackathon „Coding da Vinci“. Das im Jahr 2014 ins Leben gerufene Projekt verzeichnet seitdem rund 2000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die insgesamt 149 Projekte realisierten. Teilnehmen können sowohl technikaffine Communities als auch ambitionierte Kulturinstitutionen.
Mehr Informationen zum Thema Umgang mit Daten finden Sie in der Datenstrategie der Bundesregierung. Sie wurde kürzlich vom Kabinett beschlossen und verfolgt mit 240 Maßnahmen das Ziel, Deutschland zum Vorreiter für das innovative Nutzen und Teilen von Daten in Europa machen.