Bezahlbarer Wohnraum hat Priorität

Im Wortlaut: Hendricks Bezahlbarer Wohnraum hat Priorität

Preiswerte Wohnungen sind knapp. Bundesbauministerin Hendricks will die Bundeszuschüsse für den sozialen Wohnungsbau verdoppeln und damit Länder und Kommunen dabei unterstützen, bezahlbaren Wohnraum bereit zu stellen: Unterkünfte für Studierende, Familien und Asylbewerber.

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Porträt von Barbara Hendricks, Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Raktorsicherheit

Hendricks: Bund unterstützt Länder und Kommunen massiv, Flüchtlinge "gut und menschenwürdig" unterzubringen

Foto: Bundesregierung/Steins

Die Welt: Frau Ministerin, die große Zahl von Flüchtlingen, die nach Deutschland kommt, muss untergebracht werden. Einige Asylbewerberunterkünfte sind inzwischen überfüllt. In anderen Regionen stehen dagegen Wohnungen leer. Sollte dieser Leerstand nicht stärker zur Entlastung der Heime genutzt werden?

Barbara Hendricks: Ich glaube nicht, dass das der richtige Ansatz ist. Wir brauchen in erster Linie mehr Erstaufnahmeeinrichtungen. Das sind Gebäude, die einige Hundert Menschen beherbergen können. Es ist Sache der Länder, solche Einrichtungen bereitzustellen. Der Bund ist für die Registrierung zuständig und die Bearbeitung der Asylanträge. Das alles ist zu schaffen. Ich glaube nicht, dass unser Land damit wirklich überfordert ist.

Die Welt: Kann sich der Bund tatsächlich aus der Frage der Unterbringung zurückziehen?

Hendricks: Das tut er doch gar nicht. Wir unterstützen die Länder und Kommunen massiv, um die Aufgabe der Flüchtlingsunterkünfte gut und menschenwürdig zu bewältigen. Auch der Bund trägt dazu bei, die Erstaufnahme zu entlasten, indem er die Anerkennungsverfahren beschleunigt. Erst wenn wir wissen, dass ein Flüchtling mittel- oder langfristig in Deutschland bleiben wird, kann man ihn weiter verweisen an Unterkünfte in den Gemeinden. Würde man die Menschen gleich von Anfang an dezentral unterbringen, wäre der Aufwand viel zu groß, da man sie immer wieder mit Bussen zu Bearbeitungsstellen fahren müsste, um nur ein Beispiel zu nennen.

Die Welt: Warum agieren Bund, Länder und Kommunen angesichts der extremen Überlastung vieler Erstaufnahmeeinrichtungen nicht wesentlich flexibler und stellen leer stehende Wohnblöcke für Flüchtlinge bereit?

Hendricks: Das kann ich mir durchaus vorstellen, es müssten aber tatsächlich größere Wohnanlagen sein. Das könnten zum Beispiel auch umgebaute Soldatenunterkünfte in früheren Kasernen sein. Im Übrigen empfehlen wir den Ländern, bei der Bereitstellung von Flüchtlingsunterkünften vorhandene Spielräume für Ausnahmen und Befreiungen bei der Energieeinsparverordnung und dem Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz zu nutzen.

Die Welt: Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann von den Grünen hat vorgeschlagen, den Verteilungsschlüssel für Flüchtlinge zu ändern. Ausgerechnet in einigen östlichen Bundesländern werden gemessen an der Bevölkerungszahl relativ wenig Flüchtlinge aufgenommen, gleichzeitig gibt es dort den meisten leer stehenden Wohnraum. Wäre es nicht vernünftig, mehr Flüchtlinge im Osten unterzubringen?

Hendricks: Entscheidend für die Verteilung ist aber nicht nur die Bevölkerungszahl, sondern auch die Wirtschaftskraft. Es wäre nicht vernünftig, an dem bestehenden Verteilungsschlüssel zu rütteln. Schließlich brauchen die Flüchtlinge, wenn sie anerkannt sind und rasch integriert werden sollen, auch eine Perspektive für einen Arbeitsplatz. Und die gibt es vor allem in Regionen mit starker Wirtschaftsstruktur, nicht unbedingt dort, wo es Leerstand gibt. 

Die Welt: Generell entstehen zu wenig neue Wohnungen dort, wo sie gebraucht werden. Nach wie vor wird viel in ländlichen Regionen gebaut, während in den Großstädten ab 100.000 Einwohnern weiterhin Wohnungen fehlen. Was muss geschehen, dass sich das ändert?

Hendricks: Mit der Föderalismusreform ist ja die Zuständigkeit für den Wohnungsbau auf die Bundesländer übergegangen. Allerdings möchte ich mich nicht vor der Verantwortung drücken. Für mich hat weiterhin Priorität, dass wir bezahlbaren Wohnraum haben. Ich habe deshalb vorgeschlagen, die Zuschüsse des Bundes an die Länder für sozialen Wohnungsbau von aktuell jährlich 98 Millionen Euro bis zum Jahr 2019 mindestens zu verdoppeln.

Die Welt: Macht Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble da mit?

Hendricks: Ich setze mich dafür ein. Es ist zwar noch nichts entschieden, aber wir sind uns darüber einig, dass wir beim Wohnungsbau etwas unternehmen müssen.

Die Welt: Einige Bundesländer haben das Geld für Wohnungsbau in der Vergangenheit auch schon gerne angenommen, aber für ganz andere Zwecke verwendet. Besteht nicht die Gefahr, dass auch zusätzliche Millionen künftig wieder irgendwo in den Landeshaushalten versickern?

Hendricks: Die Vergabe dieses Geldes muss natürlich zweckgebunden sein. Das ist bisher nicht der Fall, und das müssen wir ändern. In manchen Ländern besteht allerdings auch gar kein Bedarf an klassischem sozialem Wohnungsbau, dort könnte man stattdessen auch den Bau von Eigenheimen fördern.

Die Welt: Warum fördert der Bund nicht gezielter den Bau von Mehrfamilienhäusern in den großen Städten, dort wo wirklich Wohnraum benötigt wird?

Hendricks: Wir werden noch in diesem Jahr ein Förderprogramm für kleine Wohnungen in den größeren Städten auflegen, das richtet sich in erster Linie an Studierende. Insgesamt stehen 120 Millionen Euro dafür bereit. Wer eine Wohnung von mindestens 22 Quadratmeter Größe baut, mit einer maximalen Miete von 260 Euro pro Monat, kann bis zu 30 Prozent der reinen Errichtungskosten - also ohne die Kosten für Kauf und Erschließung des Grundstücks - erstattet bekommen.

Die Welt: Und in zehn bis 15 Jahren haben wir dann überall Mini-Apartments, die leer stehen, weil die Zahl der Studierenden wieder zurückgeht.

Hendricks: Nein, wir wollen gerade nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und Wohnungen bauen, die nur zu einem einzigen Lebensentwurf oder Lebensabschnitt passen. Gefördert werden sollen deshalb Vario-Wohnungen, die variabel sind, die man im Bedarfsfall leicht umbauen oder zusammenlegen kann, sodass sie zum Beispiel auch von einer jungen Familie oder einem Seniorenpaar genutzt werden können. Im Übrigen geht es auch nicht nur um Neubau, sondern auch um die Umnutzung beispielsweise von Büroflächen in den Innenstädten oder den Dachausbau.

Die Welt: Da verlangen Sie aber sehr viel. Variabilität, keine Barrieren, und natürlich die ohnehin geforderten hohen energetischen Standards. Welcher Bauherr soll so etwas leisten, bei hinterher maximal 260 Euro Miete?

Hendricks: Auf den Quadratmeter gerechnet beträgt die Förderung bis zu 500 Euro, das wäre ein Drittel der Kosten. Sie können auch heute noch in Deutschland einen Neubau für 1500 Euro pro Quadratmeter errichten.

Die Welt: Die Wohnungsbaugesellschaften fordern schon seit Jahren wieder mehr steuerliche Erleichterungen für den Wohnungsbau und nicht unbedingt direkte Zuschüsse.

Hendricks: Ich glaube, dass wir das in den Gebieten mit besonders hohem Wohnungsbedarf ins Auge fassen sollten. Ich habe das dem Bundesfinanzminister auch schon vorgeschlagen. Man könnte für einen beschränkten Zeitraum, zum Beispiel bis 2019, die degressive Afa wieder einführen. Allerdings nur in Gebieten mit Wohnungsknappheit, idealerweise also dort, wo auch die Mietpreisbremse gilt. Dann hätte man eine rechtliche sichere Abgrenzung.

Die Welt: Am Ende hängt der Wohnungsneubau aber nicht nur am Geld, sondern auch an den Flächen. Die großen Bauträger beklagen, dass sie ja gerne bauen und den großen Bedarf in den Städten befriedigen würden, es aber nicht genügend Baugrund gibt.

Hendricks: Das ist in einigen Städten ein Problem, das ist richtig. Der Bund muss deshalb künftig auch nicht nur sogenannte Konversionsflächen, also ehemals militärisch genutzte Flächen bereitstellen, sondern auch andere Flächen, die von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben bereitgestellt werden können. An erster Stelle sind aber dennoch die Kommunen gefragt. Sie müssen schneller und entschlossener Flächen bereitstellen. Die Gemeinden sollten aber auch aktiver auf private Besitzer zugehen, die ungenutzte Flächen oder Gebäude halten, die man umnutzen könnte. Häufig halten Eigentümer an einer ungenutzten Immobilie fest und warten auf eine günstige Gelegenheit, zu verkaufen.

Das Interview führte Michel Fabricius von Die Welt .