Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsidenten der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew, am 5. Juni 2010 in Meseberg

Deutschland/Russische Föderation Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsidenten der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew, am 5. Juni 2010 in Meseberg

Bundeskanzlerin Angela Merkel und der russische Präsident Dmitri Medwedew wollen eine engere Sicherheitszusammenarbeit zwischen der EU und Russland anstoßen. Dafür sprachen sich beide Regierungschefs nach einem zweitägigen Treffen in Meseberg aus.

  • Mitschrift Pressekonferenz
  • Samstag, 5. Juni 2010
Medwedew und Merkel während der Pressekonferenz

Einig gegen das "verantwortungslose Verhalten" des Iran

Foto: REGIERUNGonline/Denzel

Pressestatements von Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem Präsidenten der Russischen Föderation, Dmitri Medwedew, am 5. Juni 2010 in Meseberg

(Hinweis: Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung.)

BK'in Merkel: Guten Tag, meine Damen und Herren, ich freue mich, dass der russische Präsident Dmitri Medwedew bei uns zu Gast ist und wir seit gestern Abend ausführliche Gespräche miteinander geführt haben.

Bei unserem kurzen Treffen, das wir in Moskau angesichts der Parade hatten, konnten wir naturgemäß nur wenige Worte miteinander wechseln. Deswegen hatten wir schon seit Längerem verabredet, einmal in großer Ruhe und Ausführlichkeit die bilateralen Probleme, aber auch die internationale Situation miteinander zu besprechen.

Dabei hat natürlich die Vorbereitung des G20-Gipfels und die Einschätzung der Weltsituation eine Rolle gespielt. Ich habe darüber berichtet, dass wir uns in der Europäischen Union gemeinsam einem stabilen Euro verpflichtet fühlen und deshalb auch die Rettungs- und Schutzpakete miteinander verabschiedet haben. Wir waren uns einig, dass die Stabilität des Euro eine Kernaufgabe einer stabilen Weltentwicklung und eines nachhaltigen Wachstumspfads ist.

Auf dem G20-Treffen wird es neben der Finanzmarktregulierung, über die es große Übereinstimmung zwischen Russland und Deutschland gibt, vor allen Dingen auch um nachhaltige Wachstumspfade gehen. Ich habe darüber berichtet, dass für die Bundesregierung und für Deutschland die Frage von vernünftigen und nicht zu hoch defizitären Haushalten eine Schlüsselrolle spielt und dass wir glauben, dass wir Wachstum nicht auf Kosten von hohen Defiziten erreichen dürfen, sondern dass wir uns Wachstumspfade auf einem nachhaltigen Weg erarbeiten müssen.

Wir haben die gesamte Palette der internationalen Fragen miteinander erörtert und dabei auch die Frage einer engeren Sicherheitszusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland besprochen. Dmitri Medwedew hat vor geraumer Zeit vorgeschlagen, dass man zu neuen Formen der Kooperation in Fragen der Sicherheit zwischen der Europäischen Union und Russland kommen sollte. Wir glauben, dass man zu einer qualitativen Fortentwicklung, zu einer Aufwertung der schon bestehenden Kontakte, die heute zwischen der EU und Russland auf einem sehr niedrigen Niveau, nämlich auf dem Niveau der Botschafter stattfinden, kommen könnte und dies auf ein höheres Niveau heben könnte.

Wir müssten innerhalb der EU gemeinsam mit Russland grundlegende Regeln für eine zivil-militärische Krisenbewältigung entwickeln   wir haben immer wieder erlebt, dass die Mechanismen hierfür nicht ausreichend sind  , und wir müssten verschiedene Krisenherde und Konflikte gemeinsam permanent und kontinuierlich miteinander diskutieren.

Es gibt heute in Brüssel ein Komitee der Botschafter, das sich mit Sicherheitsfragen beschäftigt. Dieses Komitee könnte dahingehend weiterentwickelt werden, dass es regelmäßige und ständige Kontakte nicht nur auf der Botschafterebene, sondern zwischen der EU und Russland auch auf der Außenministerebene gibt.

Wenn man solche gemeinsame Regeln entwickelt hätte, könnte man so etwas auch an konkreten Fällen, die wir immer noch zu lösen haben, ausprobieren. Hierfür ist unserer Meinung nach gerade auch die Situation in Transnistrien ein sehr günstiges Beispiel, bei dem wir zeigen könnten, dass solche Krisenbewältigungsmechanismen auch in der Zukunft praktische Anwendung finden und zur Lösung von Konflikten beitragen.

Deutschland und Russland schlagen heute vor, dass wir einen solchen Mechanismus in Angriff nehmen. Die Bundesrepublik Deutschland wird auf der nächsten Tagung dieses Sicherheitsforums der Europäischen Union, die am Dienstag stattfindet, diese Initiative einbringen. Russland wird das natürlich genauso unterstützen. Wir hoffen und denken, dass dies eine positive Resonanz in der gesamten Europäischen Union finden könnte und wir auf einem sehr praktischen Pfad dazu kämen, unsere Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland auf eine neue Stufe zu heben, die dann auch in schwierigen Situation besser Stand hält, als das in der Vergangenheit der Fall war.

Noch einmal herzlich willkommen und herzlichen Dank für den Besuch! Was das Wetter anbelangt, so haben wir uns alle Mühe gegeben, uns positiv zu zeigen.

P MEDWEDEW: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, verehrte Medienvertreter, ich möchte mich natürlich für dieses heutige Treffen herzlich bedanken.

Dieses Treffen ist beispiellos, was den Inhalt anbelangt. Ich habe eine Hochrechnung gemacht: Wir haben insgesamt zehneinhalb Stunden miteinander gesprochen. Das ist recht viel für Staats- und Regierungschefs. Wenn solche Treffen länger als drei, vier Stunden dauern, ist das schon ein Zeichen dafür, dass wir sehr unterschiedliche Fragen diskutieren. Wir haben also wirklich etwas zu besprechen. Wir können einander zuhören. Wir können gemeinsame Lösungen für sehr schwierige Probleme finden, die bilateraler, regionaler und internationaler Art sind.

Wir haben vereinbart, dass wir in der nächsten Zeit unsere Diskussion in erster Linie im Wirtschaftsbereich fortsetzen. Ich meine die Regierungskonsultationen, die im Juli in Jekaterinburg stattfinden werden. Wir werden dort über die Wirtschaft und über die bilateralen Projekte sprechen. Das haben wir zwar auch heute schon angesprochen, aber hier in Meseberg haben wir uns auf die Themen Sicherheit, die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation und die Probleme der europäischen Sicherheit und der Sicherheit im weiteren Sinne des Wortes konzentriert.

Wir rechnen damit, dass wir durch gemeinsame Anstrengungen Auswege aus recht verschiedenen Situationen finden werden. Eines der Beispiele, das Frau Merkel gerade hinsichtlich der konkreten Konsultationen zu diesen Fragen angesprochen hat, ist insbesondere ein Ausschuss zwischen Russland und der Europäischen Union zu Fragen der Sicherheits- und Außenpolitik. Wir haben Konsultationen, die ständig stattfinden. Aber unserer Meinung nach müssen wir das Niveau erhöhen. Wir müssen diese zu einem besonderen Forum machen, in dem wir Meinungen zu aktuellen Fragen der internationalen Sicherheit austauschen können. Wir können außerdem Empfehlungen zu recht verschiedenen Fragen der Zusammenarbeit ausarbeiten. Wir können auch Lösungen für Krisensituationen angehen, bei denen Russland und die Europäische Union entweder als Sponsoren des Prozesses oder als Beobachter beteiligt sind oder wo wir aus einem anderen Grund in die Diskussion einbezogen werden.

Wir haben deswegen vereinbart, dass wir die Konsultationen zu diesem Thema fortsetzen werden. Es besteht der Wunsch, dass wir das Niveau erhöhen möchten und dass wir die Konsultationen zu Ende bringen müssen; nicht nur, um wieder ein bürokratisches Organ zu schaffen   diese gibt es schon genug  , sondern um die praktischen Aufgaben zu lösen.

Wir haben heute das Thema Transnistrien angesprochen. Wir haben besprochen, dass wir unsere Anstrengungen bündeln können, damit wir die Krise um Transnistrien lösen können. Wir müssen die Arbeit im Rahmen des Formats „fünf plus zwei“ beleben, und zwar unter Einbeziehung aller Parteien dieses Formats, aber auch unter Einbeziehung der zusätzlichen Möglichkeiten, die sich aus diesem neuen Forum für die Sicherheit Russlands und der EU ergeben werden. Ich glaube, diese Initiative ist interessant. Ich hoffe, dass sie auch die Unterstützung in anderen Staaten der Europäischen Union finden wird. Ich bin sehr dankbar, dass es ein Einvernehmen mit den deutschen Partnern gibt.

Wir haben natürlich auch andere Fragen angesprochen, so die Regelung der internationalen Probleme. Natürlich haben wir auch die Themen Iran, Afghanistan und die Situation in Zentralasien angesprochen. Selbstverständlich haben wir auch die europäische Sicherheit angeschnitten. Die Themen, die ich gerade angesprochen habe, betreffen die europäische Sicherheit. Wir haben auch über die Fortsetzung der Arbeit am Vertrag über die europäische Sicherheit sowohl im Rahmen der OSZE und des Korfu-Prozesses als auch im Rahmen dieser möglicherweise neuen Plattform Russland/EU, die wir heute angesprochen haben, gesprochen.

Wir haben ebenso über die Ergebnisse des letzten EU-Russland-Gipfels in Rostow am Don gesprochen. Ich muss sagen, dass ich mit den Ergebnissen dieses Gipfels höchst zufrieden bin. Zugleich müssen wir in einer ganzen Reihe von Bereichen unsere Zusammenarbeit intensivieren.

Wir haben natürlich auch die Wirtschaftslage in Europa und die Krisenerscheinungen in der Eurozone angesprochen. Für mich war sehr interessant, die Meinung Deutschlands zu diesem Thema zu hören. Deutschland ist eines der wichtigsten Mitglieder dieses Prozesses. Von der Situation im Euroraum und der Wirtschaft in verschiedenen europäischen Ländern insgesamt hängen viele wirtschaftliche Prozesse in unserem Land ab. Ich bin höchst zufrieden mit den Erläuterungen der Bundeskanzlerin. Die Situation war vor einiger Zeit schwierig. Aber ich glaube, dass es unsere Kollegen heutzutage schaffen werden, die bestehenden Probleme zu meistern. (Ich bin zuversichtlich, dass) all das Positive, das in den letzten Jahren hinsichtlich der Bildung des einheitlichen Wirtschaftsraum Europas und der einheitlichen Währung erreicht worden ist, nicht versiegen wird, sondern dass weiterhin gute Aussichten bestehen. Das ist auch für Russland wichtig, weil Russland einen sehr hohen Handelsumsatz mit der EU hat. Auch ein beträchtlicher Teil der Währungsreserven Russlands ist in Euro angelegt.

Wir haben selbstverständlich auch die Zukunft angesprochen. Es gibt ein Thema, von dem wir glauben, bei dem auf jeden Fall viel mehr getan werden muss. Ich habe dieses Thema auch beim EU-Russland-Gipfel angesprochen. Das ist das Thema der Abschaffung der Visa-Einschränkungen. Wir verstehen die Komplikationen. Aber ich glaube, wir müssen einander aufmerksamer zuhören. Wir müssen die Diskussion fortsetzen.

Das ist eine Auswahl an Themen gewesen, die wir in den letzten zehneinhalb Stunden besprochen haben. Ich möchte sagen, dass unser Treffen in einer sehr offenen und sehr freundschaftlichen Atmosphäre verlaufen ist. Natürlich trägt der Ort dazu bei, der von unseren Partnern vorgeschlagen wurde. Aber der Meinungsaustausch ist noch nicht zu Ende. Wir werden beim Mittagessen die Diskussion im Schloss weiter fortsetzen.

Frage: Herr Präsident, können wir diese neue Sicherheitsinitiative so verstehen, dass sie eine Reaktion auf den doch aus Ihrer Sicht sehr unbefriedigenden Verlauf des Gipfels in Rostow am Don ist und dass Sie jetzt versuchen, Ihre Politik sozusagen bilateral mit der Bundeskanzlerin als Partnerin voranzutreiben?

Frau Bundeskanzlerin, haben Sie dem russischen Präsidenten Ihre recht turbulente Woche geschildert, die Sie hier in Berlin erlebt haben? Hat er Ihnen vielleicht als Fachmann für Stabilität einen Rat gegeben?

P MEDWEDEW: Wir sind immer von einigen Prämissen ausgegangen, hinsichtlich derer wir die Beziehungen mit unseren Partnern aufgebaut haben. Es gibt einerseits langfristige, strategische und produktive Beziehungen mit Deutschland, das ein sehr bedeutender Partner in Europa ist. Ich glaube, bilateral werden diese Beziehungen immer in diesem Geiste fortgesetzt werden. Sie werden   ich hoffe das sehr   immer sehr gut sein.

Wir wissen natürlich, dass Deutschland ein Mitglied in der Europäischen Union ist. Viele Fragen, die gelöst werden müssen, müssen in der EU abgestimmt werden. Nichtsdestotrotz bin ich der Meinung, dass sich kein Prozess entwickeln kann, wenn man das nur theoretisch angeht. Alle Ideen haben irgendwelche Gründungsväter, die diese Ideen durchsetzen und voranbringen. In diesem Sinne bin ich der Meinung, dass man zuerst gute Ideen bilateral ansprechen kann. Dann kann man natürlich entsprechende Vorschläge im Format der Europäischen Union, der Europäischen Kommission und in alle anderen Gremien einbringen, die im Rahmen des europäischen Raums Beschlüsse fassen. Ich glaube, es gibt keine Gegensätze. Es bedeutet ja nicht, dass wir unsere Zusammenarbeit mit Brüssel zurückfahren oder durch die Zusammenarbeit mit anderen Staaten ersetzen möchten. Erst müssen sich die Ideen auf dieser persönlichen Ebene herauskristallisieren. Dann müssen wir diese Ideen voranbringen. Wir haben uns miteinander abgestimmt, wie wir diese Ideen voranbringen möchten.

BK'in Merkel: Das, was ich von dem EU-Russland-Gipfel gehört habe, ist nicht so, dass dieser nicht erfolgreich gewesen wäre. Wir haben auch darüber gesprochen, dass dort wichtige Themen besprochen wurden. Wir wissen, dass Deutschland an einigen Fragen   zum Beispiel der Frage der Visa   beteiligt ist, bei denen wir unsere Bedenken haben. Wir haben zum Beispiel miteinander besprochen, dass dieses Thema jetzt mit mehr Hochdruck angegangen werden muss, weil es ein wichtiges Thema für Russland ist. Die EU kann immer nur so weit sein, wie auch die Mitgliedstaaten der EU bestimmte Themen voranbringen.

Zweitens. Das Thema Sicherheit zwischen der Europäischen Union und Russland beschäftigt mich seit langem. Dmitri Medwedew hat uns vor langer Zeit Vorschläge unterbreitet. Ich habe immer darüber nachgedacht, ob es nicht jenseits der OSZE eine Möglichkeit gibt, etwas operativer und praktischer an die Sache heranzugehen. Deshalb haben wir darüber diskutiert. Wir haben das auch mit vielen europäischen Partnern konsultiert. Ich glaube, das kann etwas werden, was in eine europäisch-russische Sicherheitszusammenarbeit mündet. Das ist keine bilaterale Abmachung, sondern es dient diesem ausdrücklichen Zweck. Aber es gibt immer wieder Situationen, wo ein Mitgliedsstaat ein bestimmtes Thema ein Stück voranbringt, und dann kommt wieder ein anderer. Dass alle 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zum gleichen Zeitpunkt auf den gleichen Einfall kommen und dann auf Russland zugehen, ist relativ unwahrscheinlich. Deshalb leisten wir hier ein Stück Arbeit. Von anderen Mitgliedstaaten wird ein anderes Stück Arbeit an anderer Stelle geleistet.

Ehrlich gesagt haben wir in den letzten Stunden mehr über die Wochen gesprochen, in denen es um den Euro ging, als über die letzte Woche. Wir haben allerdings darüber gesprochen, wie die Entwicklungen unserer Budgets sind, was man einsparen und was man in die Zukunft investieren muss. Es gibt sehr viele Gemeinsamkeiten, was die Prioritätensetzung anbelangt, so zum Beispiel Bildung und Forschung. Auch das Thema demografischer Wandel ist ein Thema, das Deutschland und Russland gemeinsam beschäftigt. Wie reagiert man darauf? Welche familienpolitischen Initiativen ergreift man? Den Rest der vergangenen Woche können wir noch beim Mittagessen besprechen.

Frage: Ich habe eine Frage, die den visafreien Verkehr angeht. Wir waren in Russland ein bisschen enttäuscht von den Ergebnissen des EU-Russland-Gipfels. Man bespricht das seit dem Jahr 2004. Den russischen Bürgern wurde versprochen, dass die Frage in drei bis fünf Jahren endgültig gelöst wird. Jetzt haben wir gehört, dass es jetzt an der Zeit ist, die ausführliche Diskussion über die langfristige Perspektive dieses Prozesses zu führen. Bleibt diese Frage wirklich immer wieder im Rahmen dieser langfristigen Perspektive ungelöst? Wie sehen das die Führungspersonen zweier wichtiger Staaten? Warum unternehmen Sie nichts, um diese Lösung zu beschleunigen?

BK'in Merkel: Ich habe noch einmal deutlich gemacht, dass wir seitens Deutschlands einen sehr sorgsamen Kurs bei der Visabefreiung fahren. Das hat nicht etwas mit Russland und Deutschland zu tun, sondern das hat insgesamt etwas mit unserem Herangehen zu tun. Das gilt für die Ukraine genauso wie für viele anderen Staaten auf der Welt.

Dennoch glaube ich, dass wir vorankommen müssen. Die Europäische Union kann in der Frage nur so gut vorankommen, wie die einzelnen Mitgliedstaaten vorankommen. Deshalb ist jetzt die Zeit gekommen. Es geht nicht darum, das auf die lange Bank zu schieben. Ich verstehe die Sorgen der Bürger in Russland, die fragen: Was ist denn mit guten Beziehungen zu den Staaten der EU, wenn man nicht einfach einmal reisen und sich gegenseitig kennenlernen kann? Das fragen die Menschen auf der Straße natürlich. Das kann ich sehr, sehr gut verstehen. Deshalb ist die Zeit gekommen, wirklich in eine Phase einzutreten, wo wir sehr konkret sagen, was gemacht werden müsste, damit es zu einer Visabefreiung kommt. Ich glaube, dann wird auch die russische Seite auf die Bedenken eingehen.

Man ist in eine solche konkrete Phase lange nicht gekommen. Deshalb glaube ich, dass das ein wichtiger Punkt ist. Aber gerade die Europäische Union muss ich an dieser Stelle etwas in Schutz nehmen, weil es wirklich zum Schluss der Zustimmung aller Mitgliedstaaten bedarf. Ich habe zugesagt, dass ich mit unserem Innen- und Außenministerium noch einmal die Fragen besprechen werde, welche konkreten Erwartungen wir an Russland haben, damit wir dieser Visabefreiung nähertreten können.

P MEDWEDEW: Unsere Position ist ganz einfach: Russland ist bereit zur Abschaffung der Visa. Wir haben die interne Gesetzgebung verändert. Wir führen ein neues System der Registrierung sowie den biometrischen Pass ein. Wir haben eine Reihe von Rückübernahmeabkommen mit vielen Staaten geschlossen. Das ist eine wichtige Voraussetzung für die Abschaffung der Visa. Für unsere Bürger   sowohl für die Bürger Russlands als auch für die Bürger der Europäischen Union   ist etwas außergewöhnlich wichtig: Wenn wir darauf eingehen werden, wird das qualitativ unser Leben verändern. Das wird uns zu echten strategischen Partnern machen.

Wenn wir über die bestehenden Befürchtungen sprechen, gibt es diese natürlich in den verschiedenen Ländern. Frau Merkel hat angesprochen, dass es sie auch in Deutschland gibt. Die Wahrheit liegt auf der Hand: Man muss viel aufmerksamer werden und Menschen betrachten, die ins Land kommen. Wir müssen die Kriminalität aktiver bekämpfen. Ich habe heute gesagt: Die Gefährlichsten, die kommen könnten, werden selbst dann kommen, wenn die Visapflicht besteht. Sie werden es so machen, dass die Polizeibeamten nichts gegen sie in der Hand haben werden. Gerade diejenigen muss man auf eine andere Art und Weise bekämpfen, genauso wie wir den Terrorismus auf unserem Planeten bekämpfen.

Wenn man über die normalen Besucher spricht, muss man eine andere Herangehensweise wählen. Wir hoffen sehr, dass im Rahmen der Beschlüsse, die wir beim letzten Gipfel in Rostow am Don und im Rahmen der Diskussion, die wir heute mit meiner Kollegin geführt haben, solche Diskussionen nicht nur fortgesetzt, sondern möglichst intensiviert werden. Ohne die Lösung dieser Frage   das möchte ich nochmals betonen   werden wir keine umfassende und für Jahre im Voraus bestehende Partnerschaft ausbauen können.

Frage: Sie haben sicherlich auch über die Lage im Iran und das Atomprogramm gesprochen. Wie besorgt sind Sie über die Entwicklung? Wie sehen Sie die Lage mit Blick auf die neuen Sanktionen?

Frau Bundeskanzlerin, Sie haben die Eurokrise und auch die Frage nach beiderseitigen Sparbemühungen angesprochen. Was ist für Sie besonders wichtig, wenn man sieht, welche Seiten man betrachten kann? Bei der Einnahmeseite in Deutschland gibt es zum Beispiel Vorschläge Ihres Koalitionspartners CSU.

BK'in Merkel: Erstens. Wir haben selbstverständlich über das Thema Iran gesprochen. Es gibt eine sehr erfolgreiche Arbeit an gemeinsamen Resolutionen des UN-Sicherheitsrats. Dass eine solche Gemeinsamkeit bei den Gesprächen erkennbar ist, ist ein großer diplomatischer Fortschritt. Das war vor zwei Jahren zum Beispiel nicht so. Das hat natürlich damit zu tun, dass die Sorge um das iranische Nuklearprogramm wächst und dass wir mit einer großen Gemeinsamkeit auch zu einer gemeinsamen Einschätzung kommen.

Es steht im Raum, dass in naher Zukunft solche Sanktionen vom UN-Sicherheitsrat verabschiedet werden können. Wir haben immer wieder betont: Wir wollen natürlich dem Iran eine vernünftige und gute Entwicklung eröffnen. Wir haben diesen zweispurigen Ansatz gewählt und auf der einen Seite Angebote gemacht. Auf der anderen Seite ist jetzt, wenn sich qualitativ nichts ändert, die Zeit gekommen, dass solche Sanktionen beschlossen werden müssen. Ich bin sehr froh, dass wir heute hier gemeinsam stehen und sagen können: Das ist eine gemeinsame Position, nicht nur inklusive der Europäischen Union, der Vereinigten Staaten von Amerika und Russland, sondern auch von China. Das ist ein großer und wichtiger Schritt, den die internationale Staatengemeinschaft gegangen ist.

Zweitens. Wenn es um die Frage der Zukunft unseres Landes geht   wir haben in der Zeit, in der wir miteinander gesprochen haben, sehr viel über Globalisierung und über den Wettbewerb, den wir haben, gesprochen  , geht es im Kern bei dem, was wir im Zusammenhang mit den Budgetberatungen unternehmen, um die Zukunftsfähigkeit Deutschlands. Investieren wir das, was wir einnehmen, dort, wo Zukunft geschaffen wird? Oder aber befinden wir uns in einem Zustand, wo wir im Grunde angesichts von demografischen Veränderungen und einem zunehmenden weltweiten Wettbewerb in die falschen Strukturen investieren?

So wird sich die Klausur, die wir morgen und übermorgen durchführen, natürlich vor allen Dingen mit der Zukunftsfrage befassen und genau auf diesem Gebiet auch die Prioritäten setzen. Es ist unabdingbar, dass wir in dem Verhältnis von Zukunftsinvestitionen zu Sozialausgaben eine neue Austarierung vornehmen. Das kann nicht einfach dadurch geschehen, dass man immer die Einnahmeseite erhöht, sondern das muss dadurch geschehen, dass man auch die Strukturen der sozialen Sicherheit effizienter macht. Es geht nicht darum, die soziale Marktwirtschaft in irgendeiner Weise infrage zu stellen. Das Gegenteil ist der Fall. Aber wir müssen einen Kurs fahren, bei dem klar wird: Wir geben nur das aus, was wir eingenommen haben. Deshalb müssen wir die Anstrengungen, in die Zukunft zu investieren, verstärken und auf der anderen Seite die Frage des Einsparens und der Effizienz sehr ernst nehmen. Das ist der Kern, um den es geht.

Dann ist natürlich die Aufgabe, dass wir durch die Ausgewogenheit der Maßnahmen deutlich machen: Bei diesen Bemühungen geht es gerecht zu. Das ist auch das, was die Menschen erwarten.

P MEDWEDEW: Alles, was wir besprochen haben, wurde von der Bundeskanzlerin bereits jetzt schon gesagt. Es gibt eigentlich fast nichts hinzuzufügen.

Zu den Sanktionen: Manchmal muss man Sanktionen vereinbaren. Die Situation ist so, dass die Vereinbarung über solche Sanktionen besteht. Wir hoffen sehr, dass die Stimme der internationalen Gemeinschaft von der iranischen Führung gehört wird. Es steht ihr nicht zu, dass sie sich weiterhin verantwortungslos benimmt. Man muss zuhören, was international gesagt wird. Man muss auf die Partner in der internationalen Gemeinschaft zugehen. Nur so kann man komplizierte Aufgaben lösen.

In diesem Sinne haben wir ...(akustisch unverständlich) in den letzten Jahren aufgebaut. Unsere Positionen sind sich in den letzten Jahren wesentlich näher gekommen. Das ist für die Zukunft der internationalen Gemeinschaft und für die künftigen Beziehungen zwischen uns, der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten und der Volksrepublik China sehr wichtig. Wir lösen im Rahmen der G20 sehr schwierige Aufgaben. Aber wir müssen eine einheitliche Meinung auch bei anderen Fragen vertreten, so zum Beispiel beim Nuklearprogramm, das bei uns Zweifel hervorruft. Ich möchte darauf aufmerksam machen: Wir rechnen sehr damit, dass weitere Schritte zur Kontrolle und hinsichtlich der Situation in einem internationalen Konsens und nicht aufgrund persönlicher Vorlieben des einen oder anderen Landes getroffen werden. Entweder stehen wir alle gemeinsam (für eine Linie ein), oder wir driften in verschiedene Richtungen ab. Aber Letzteres wäre falsch.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie haben gesagt, dass das Maßnahmenpaket zur Stabilisierung des Euro angenommen wird. Halten Sie diese Maßnahmen für ausreichend? Können Sie auf diese Maßnahmen etwas näher eingehen?

Herr Präsident, wie wird es die russische Wirtschaft beeinträchtigen, wenn der Kurs des Euro weiter sinkt? Sollte man deswegen etwas unternehmen?

BK'in Merkel: Der Schutzschirm für den Euro, den wir vereinbart haben und der in Deutschland umgesetzt ist, dient dazu, den politischen Willen deutlich zu machen, dass wir alle gemeinsam für unsere gemeinsame Währung einstehen und dass nicht durch Spekulationen die Unterschiede, die es im Euroraum gibt, politisch missbraucht werden können, damit der Euro nicht mehr stabil ist. Insofern ist dieses Rettungspaket etwas, was im ureigensten deutschen Interesse ist. Denn ohne den Euro wäre die Bewältigung der Wirtschaftskrise viel schwieriger geworden, als das so schon der Fall ist.

Zweitens. Mit einem solchen Schirm sind die Probleme nicht gelöst. Deshalb hat Deutschland immer darauf bestanden, dass überhaupt nur Länder eine solche Unterstützung in Anspruch nehmen können, die vorher eine Strukturverpflichtung zur Sanierung des eigenen Budgets und zur Durchführung von strukturellen Reformen eingegangen sind. Denn die eigentliche Ursache, die dahinter steht, ist, dass die Stabilität in einzelnen Ländern nicht so ausreichend gesichert ist, dass daraus nicht Spekulationen der Märkte werden können. So heißt der erste Schritt immer: Das Land muss Maßnahmen ergreifen, die von der Kommission, der Europäischen Zentralbank und dem IWF als zielführend, als zukunftweisend akzeptiert sind. Erst dann kann der Hilfsmechanismus in Anspruch genommen werden.

Das heißt, das Problem muss an der Wurzel gelöst werden. Es hat keinen Sinn, einfach einen Schirm darüber zu breiten und zu hoffen, dass sich niemand mehr damit beschäftigt. Durch einen solchen Schirm kaufen wir Zeit, um strukturelle Probleme im Euroraum zu lösen. Insgesamt wird Europa dadurch stärker werden. Das ist der Ansatz. Darüber haben wir gesprochen. Das ist unser Eintreten für unsere gemeinsame Währung.

P MEDWEDEW: Über die Frage des Euro sind unsere Bürger natürlich besorgt. Unsere Unternehmen sind besorgt. Auch diejenigen sind aus verständlichen Gründen besorgt, die die Entscheidungen treffen. Wir haben in der Tat sehr gut ausgebaute Beziehungen im Wirtschaftsbereich mit der Europäischen Union und mit einzelnen Mitgliedern. Unsere Bürger haben auch Ersparnisse in Euro. Selbstverständlich ist uns das Schicksal dieser europäischen Erfindung nicht gleichgültig. Ich glaube, das ist trotz dieser Krise eine gute Erfindung.

Nicht der Euro hat zu dieser Krise geführt. Wir wissen, wo und aus welchen Gründen diese Krise entstanden ist. Es hat im Grunde genommen keinen Sinn, der Sache jetzt auf den Grund zu gehen. Das machen schon die G20. Das Wichtigste ist jetzt, dass unsere europäischen Partner es schaffen, die Situation mit dem Paket, das angenommen wurde, zu stabilisieren. Deutschland hat eine sehr klare Position geschaffen. Es war für mich sehr interessant, die deutsche Position zu begreifen. Ich glaube, dieses Paket wird funktionieren, und die allgemeine Situation im Euroraum wird sich absolut stabilisieren. Das ist für den Euroraum, für die Partner des Euroraums und auch für die Russische Föderation wichtig. Mehr noch: Es ist für das Weltfinanzsystem nötig. Wenn wir aus dem Weltfinanzsystem diese Stütze in Form des Euro herausreißen, glaube ich, dass das entstehen wird, was im Jahr 2008 geschehen ist. Damals haben wir auf den Dollar geschaut. Jetzt schauen wir sehr aufmerksam auf den Euro.

Das internationale Währungssystem ist nicht vollkommen. Ich habe das schon mehrmals angesprochen. Es muss sich entwickeln. Es müssen neue Währungen entstehen. Aber die Währungen, die es schon jetzt gibt, müssen stark und stabil sein. Wir sind an einem stabilen Kurs des Dollar interessiert. Das Gleiche gilt für den Eurokurs. Ich hoffe, dass das Weltfinanzsystem den besten Ausweg aus dieser Lage finden wird.

Diese Diskussion werden wir natürlich im Rahmen der G20 fortsetzen. Das ist nicht nur ein europäisches Problem und nicht nur ein Problem der Beziehungen zwischen Russland und dem Euroraum. Das ist ein internationales Problem im Finanzbereich. Ich glaube, alle diese Beschlüsse, die in der Europäischen Union gefasst worden sind, alles, was von meinen Partnern beim Gipfel in Rostow am Don besprochen worden ist, und das, was die Frau Bundeskanzlerin angesprochen hat, ist die beste Grundlage, die für eine nachhaltige Entwicklung im Euroraum und in der Europäischen Union sorgen wird. Ich wünsche unseren Partnern sehr, dass sie bei dieser sehr komplizierten Arbeit Erfolg haben werden.

BK'in Merkel: Vielen Dank, dass Sie gekommen sind!