Bei der Love Parade 2010 kam es zur Katastrophe. Was kann die Forschung tun, um so etwas zu verhindern? Wie kann die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger verbessert werden? Diesen Fragen widmet sich die Sicherheitsforschung in der Hightech-Strategie der Bundesregierung. Das Bundespresseamt stellt in vier Artikeln Projektbeispiele vor.
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Seltsam wirkt sie schon, die weiße Mütze mit dem schwarzen Punkt in der Mitte. Doch nicht nur eine der jungen Damen trägt so eine auffällige Kopfbedeckung. Gleich über hundert Männer und Frauen kommen derart eigenwillig gekleidet daher. Wie ferngesteuert folgen die Versuchspersonen einem ausgeschilderten Parcours. Zügig, aber ohne Eile. Von oben filmt eine Kamera: Hier findet Forschung statt, Sicherheitsforschung.
Professor Armin Seyfried vom Forschungszentrum Jülich leitete das Projekt namens Hermes. Zahlreiche Forschungseinrichtungen wirkten daran mit, außerdem Polizei, Feuerwehr und Sicherheitsfirmen. Das Bundesforschungsministerium förderte Hermes im Programm „Forschung für die zivile Sicherheit“. Themenfeld: „Schutz und Rettung von Menschen“.
21 Tote und über 500 Verletzte, so lautete die erschütternde Bilanz der Duisburger Love Parade im Juli 2010. Die Veranstalter hatten sich verschätzt. Es waren weit mehr Menschen gekommen als erwartet. Die Zugänge zum Gelände waren zu eng. Schnell entstand ein Fußgängerstau, noch dazu in einem Tunnel. Panik kam auf, das Drama nahm seinen Lauf. Hätte sich die Katastrophe verhindern lassen?
Professor Seyfried hält das für möglich, vorausgesetzt, man wüsste mehr darüber, wie sich Fußgängerströme verhalten. Mit diesem Wissen und Informationen darüber, wo sich wie viele Menschen in welche Richtung bewegen, ließe sich vorhersagen, wo und wann es eng wird.
Das ist heute noch nicht möglich, es fehlt an wissenschaftlichen Untersuchungen. Die Versuche bei Hermes begannen mit den vielen Menschen mit den merkwürdigen Mützen. Nur so war der Computer anfangs in der Lage, die Kamerabilder auszuwerten. Mit Hilfe der Mützen ließ sich der Weg der Personen aufzeichnen, wie sie sich einfädelten und schließlich dem Ausgang zustrebten.
Aus den Aufzeichnungen leiteten die Forscherinnen und Forscher mathematische Modelle ab. In Form von Symbolen – Kreisen und bei schneller Bewegung Ellipsen – ließen sich die Fußgängerströme grafisch darstellen. Lassen sich diese Erkenntnisse in realen Situationen nutzen? Seyfried ist überzeugt davon. Mit seinem Team arbeitet er mittlerweile an einem Evakuierungsassistenten.
Ein derartiges computergestütztes System könnte Großveranstaltungen sicherer machen. Es böte Unterstützung für Betreiber, Sicherheitsdienst, Polizei und Feuerwehr, indem es frühzeitig vorhersagt, wo es zu einem Stau kommen kann. Das Sicherheitspersonal könnte die Ströme lenken und eventuell weitere Ausgänge öffnen. Denkbar ist umgekehrt, etwa Ausgänge oder einzelne Tribünenteile eines Fußballstadions kurzzeitig zu sperren. Verschiedene Menschenströme könnten so kontrolliert werden und nacheinander abfließen.
Inzwischen ist es den Forschern gelungen, Menschen auch ohne die eigentümlichen Mützen im Videobild und Computer zu erkennen: ein weiterer Schritt hin zur Praxistauglichkeit. Auf der Grundlage der automatisch gezählten Menschen in den verschiedenen Teilen eines Gebäudes prognostiziert die Software den Verlauf am Ende einer Veranstaltung oder für Notfallsituationen. Dabei streben die Forscher eine Vorhersagedauer von 15 Minuten an.
Gleichzeitig mit der Prognose erhalten die Einsatzkräfte alle für ihre Entscheidungen relevanten Informationen. Dahinter stehen Modelle der Fußgängerdynamik, entstanden in umfangreichen Feldstudien und Laborexperimenten. Diese Modelle stellen übrigens auch die teilweise widersprüchlichen baurechtlichen Anforderungen auf den Prüfstand.
Im Themenfeld "Schutz und Rettung von Menschen" geht es vor allem um Situationen, bei denen eine große Zahl von Menschen gefährdet ist. Etwa aufgrund von Anschlägen, Großunfällen oder bei Naturkatastrophen. Ziel ist es, Störungen frühzeitig zu erkennen und Krisen präventiv zu bewältigen. Forschung kann so helfen, Rettungs- und Sicherheitsmaßnahmen schnell und effizient einzuleiten.