Bei Streit mit der Versicherung hilft der Ombudsmann für Versicherungen, Günter Hirsch. Er nimmt die Beschwerden der Kunden entgegen und versucht eine Einigung mit den Versicherern. In vielen Fällen endet das kostenlose Schlichtungsverfahren zu Gunsten der Versicherten.
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Viele Streitigkeiten beruhen auf Unverständnis der komplizierten Versicherungsprodukte
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Bundespresseamt (BPA): Mit welchen Anliegen kommen Versicherte auf Sie als Ombudsmann zu?
Günter Hirsch: Über ein Drittel der Beschwerden betreffen Streit mit dem jeweiligen Lebensversicherer. Mit Abstand folgen Eingaben zur Rechtsschutzversicherung, wohinter sich ganz unterschiedliche Rechtsgebiete verbergen können: Ein Streit gegen einen Nachbarn wegen der Höhe der Rechtsanwaltsgebühren oder auch eine Ehescheidung. Weniger Anfragen betreffen die anderen Versicherungsarten. Wesentlich für die Annahme einer Beschwerde ist, dass sie auf einem Anspruch aus einem eigenen Versicherungsvertrag beruht.
BPA: Weisen Sie Beschwerden auch zurück?
Hirsch: Ja. Von den ungefähr 17.000 Eingängen im Jahr, von denen sich bei weitem die meisten gegen Versicherungsunternehmen und nur wenige gegen Vermittler richten, weise ich gut ein Drittel als unzulässig zurück. Dazu gehören etwa Ansprüche aufgrund unerlaubter Handlung oder Beschwerden von Dritten, zum Beispiel Geschädigten. Da der Ombudsmann zudem nur Fälle bis zu einem Beschwerdewert von 100.000 Euro behandelt, sind Beschwerden gegen Versicherer mit einem höheren Wert auch unzulässig. Ebenso verhält es sich, wenn bereits eine Klage vor Gericht anhängig ist. Oder die Beschwerde betrifft einen Versicherer, der nicht Mitglied im Trägerverein des Versicherungsombudsmanns ist. Übrigens: Mitglieder des Vereins sind fast alle Versicherungsunternehmen, die in Deutschland tätig sind, sowie der dazugehörige Gesamtverband.
BPA: Wie gehen Sie in einem Schlichtungsfall vor?
Hirsch: Eine Beschwerde kann ein Verbraucher per Brief, Telefon, Fax oder E-Mail einlegen. Mitarbeiter im Service-Center der Schlichtungsstelle nehmen die Beschwerden entgegen. Sie klären gegebenenfalls das Anliegen, sondern unzulässige Beschwerden aus und fordern notwendige Unterlagen und Stellungnahmen der Versicherer an. Wenn alle nötigen Unterlagen vorliegen, geben sie das Verfahren weiter zur juristischen Bearbeitung. Das sind auf das Versicherungsrecht spezialisierte Volljuristen, die die Beschwerden nach meinen generellen und einzelfallbezogenen Vorgaben bearbeiten. Rechtsgrundsätzliche und rechtlich zweifelhafte oder aus sonstigen Gründen bedeutsame Fälle werden mir als Ombudsmann zur Entscheidung vorgelegt. Das Verfahren dauert im Schnitt dreieinhalb Monate.
Das Ombudsmannverfahren ist ein schriftliches Verfahren. Das heißt: Der Ombudsmann ermittelt zwar den Sachverhalt von Amts wegen, hört jedoch weder die Parteien noch Zeugen. Beschwerden, die einer Beweisaufnahme bedürfen, versuche ich zu schlichten; gelingt dies nicht, sind sie nicht für eine Entscheidung im Ombudsmannverfahren geeignet.
BPA: Wie sieht Ihre Erfolgsquote aus?
Hirsch: Von den zugelassenen Beschwerden gegen Unternehmen enden im Schnitt über alle Sparten 35 bis 40 Prozent mit einem Erfolg des Versicherungsnehmers. Ausgenommen ist hiervon die Lebensversicherungssparte. Die Erfolgsquote liegt bei der Lebensversicherungssparte von jeher erheblich niedriger. Der Grund ist: Die Entscheidung des Versicherers ist rechtlich zumeist nicht zu beanstanden. Insofern kann ich der Beschwerde auch nicht stattgeben.
Die Streitigkeiten beruhen vielmehr größtenteils auf einem Unverständnis dieses komplexen und komplizierten "Produktes" oder in einem Missverständnis. In diesen Fällen erkläre ich dem Versicherten die Rechtslage so, dass sie auch ein Laie versteht. Wenn der Erfolg meiner Arbeit auch daran gemessen würde, ob ich zum Verstehen und zur Transparenz beitragen konnte, so läge die Erfolgsquote sicher höher.
BPA: Ermahnen Sie die Versicherer auch dazu, ihre Versicherungsverträge verständlicher zu gestalten?
Hirsch: Meine Entscheidungen, in denen ich die Rechtslage laienverständlich erläutere, erhält auch der Versicherer. Er erfährt also davon, dass die betreffende vertragliche Regelung offenbar missverständlich ist, und kann sie ändern. Auch auf Tagungen und Foren, auf denen ich mit Versicherern zusammentreffe, appelliere ich an diese, die Verständlichkeit und Transparenz ihrer Bedingungen zu verbessern. Mittlerweile beobachte ich, dass Versicherer ihre Formulierungen auf Laienverständlichkeit durchforsten lassen. Auch weil der Bundesgerichtshof (BGH) in letzter Zeit etliche Klauseln in Allgemeinen Versicherungsbedingungen für nichtig erklärt hat. Denn sie benachteiligten den Verbraucher und waren intransparent. Prominente Beispiele waren Entscheidungen des BGH vom 12.10.2005 (IV ZR 162/03) und vom 25.07.2012 (IV ZR 201/10) über Bedingungen bei Lebensversicherungen.
BPA: Wie verbindlich ist Ihre Entscheidung?
Hirsch: Bis zu einem Beschwerdewert von 10.000 Euro, was nahezu 90 Prozent aller Beschwerden ausmacht, kann der Ombudsmann eine Entscheidung treffen. Sie ist für den Versicherer verbindlich. Der Versicherte hingegen kann nach einer für ihn negativen Entscheidung immer noch vor Gericht ziehen. Bei Beschwerden oberhalb dieses Wertes kann der Ombudsmann eine Empfehlung abgeben. Hieran müssen sich Versicherer nicht halten, sie tun es aber in den meisten Fällen.
Das Ziel des Ombudsmanns ist es jedoch, möglichst eine gütliche Einigung zwischen den Streitparteien zu erreichen. Es dient dem Rechtsfrieden und der Kundenbindung, wenn der Ombudsmann nicht streitig entscheiden muss, sondern der Versicherer der Beschwerde abhilft, einem Vergleich zustimmt oder eine Kulanzleistung anbietet. Schließlich sollen die Vertragsparteien auch weiterhin noch miteinander geschäftlich auskommen.
BPA: Wie unabhängig ist der Ombudsmann?
Hirsch: Der Versicherungsombudsmann ist im Hinblick auf sein Verfahren und seine Entscheidungen völlig unabhängig und neutral. Die Schlichtungsstelle wird von einem eingetragenen Verein betrieben. Damit ist neben der persönlichen Unabhängigkeit des Ombudsmanns auch seine institutionelle Unabhängigkeit gewährleistet. Der Trägerverein legt in seiner Satzung fest, welche Aufgaben, Pflichten und Befugnisse der Ombudsmann hat. Maßstab seiner Entscheidungen ist, wie bei einem Richter, ausschließlich Recht und Gesetz.
Mit besonderen Befugnissen ausgestattet ist der Beirat des Vereins. Ihm gehören Vertreter von Verbraucherorganisationen und der Vereinsmitglieder in gleicher Zahl an, außerdem Vertreter der Versicherungsaufsicht, der Wissenschaft, der im Bundestag vertretenden Fraktionen sowie der Versicherungsvermittler. Er ist wichtiges Mitsprache- und Beratungsorgan der Schlichtungsstelle und des Ombudsmanns. Er wirkt an der Bestellung des Ombudsmanns und an der Verfahrensordnung mit und gewährleistet die Unabhängigkeit des Ombudsmanns. Somit beruht die Autorität des Ombudsmanns auf seiner Neutralität und seiner fachlichen Kompetenz. Vor allem aber beruht sie auf der Tatsache, dass er faktisch von Vertretern aller im Versicherungswesen gesellschaftlich relevanten Gruppen bestellt und gestützt wird.
Und: Obschon die Inanspruchnahme der Schlichtungsstelle für den Verbraucher kostenfrei ist, löst selbst die Finanzierung der Schlichtungsstelle keine Abhängigkeit aus, da sie autonom vereinsrechtlich erfolgt. Die Schlichtungsstelle wird von den Mitgliedsunternehmen einerseits über eine Umlage und andererseits über eine Fallpauschale für jede zulässige Beschwerde finanziert.
Das Interview führte für das BPA Susanne Kasten.