"Ich war Staatsfeind Nr. 1"

Zeitzeugengespräch in Karlsruhe "Ich war Staatsfeind Nr. 1"

Nach seinem Freikauf durch die Bundesrepublik verhalf Wolfgang Welsch mehr als 200 Menschen zur Flucht aus der DDR, die Stasi bezeichnete ihn als ihren "wichtigsten Feind". In Karlsruhe erzählte er von seinen Erlebnissen - als Fluchthelfer und als politischer Gefangener in der DDR.

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Deutschlandreise in Karlsruhe

Zeitzeugen im Gespräch über die Deutsche Teilung und die Zeit nach der Wiedervereinigung.

Foto: Deutsche Gesellschaft e.V.

Fast heiter ist die Stimmung im Karlsruher Konzerthaus, als Wolfgang Welsch von der Flucht einer jungen Frau erzählt. Er hatte ihr eingeschärft, an der Transit-Autobahn auf das Fluchtauto zu warten. Auf keinen Fall sollte sie das Gebüsch neben der Fahrbahn verlassen. Der Wagen aber hatte auf dem Weg zum Treffpunkt eine Panne und musste repariert werden. "Drei Tage saß die arme Frau im Busch an der Autobahn und hat sich nicht weggetraut", erzählt Welsch schmunzelnd.

Fluchthilfe als Widerstand

Dann wird Welsch ernst. Er berichtet von seiner Zeit als politischer Gefangener im Stasi-Gefängnis und seinem Freikauf in die Bundesrepublik. Indem er anschließend anderen DDR-Bürgern bei der Flucht half, habe er seinen Widerstand gegen die SED-Diktatur fortgesetzt: "Eine Flucht war ein Schlag gegen das System. Wer flüchtete, lehnte das System der DDR ab", erklärt Welsch. Daher habe die Stasi ihn zum "wichtigsten Feind, zum Staatsfeind Nr. 1" erkoren und mehrfach versucht zu töten.

Deutsche Einheit war ein Wunder

Ebenfalls im Karlsruher Konzerthaus zu Gast: Der ehemalige Bundesminister Erhard Eppler und die Autorin Bärbel Maliske-Velten. Beide berichten aus sehr unterschiedlichen Perspektiven von ihren Erlebnissen während der deutschen Teilung und ihren Gedanken zur Wiedervereinigung. An den "schrecklichen Aufwand", mit dem man ein Volk vierzig Jahre lang voneinander trennte, erinnert auch Karlsruher Bürgermeister Michael Obert in seinem Grußwort.

Die Gespräche mit Zeitzeugen werden durch die Deutsche Gesellschaft e.V. im Auftrag des Bundespresseamtes organisiert. Sie sind Teil des Projekts Deutschlandreise .

Für den SPD-Politiker Eppler war die Deutsche Einheit ein Wunder: "Ich kenne niemanden, der sich ein Verschwinden der SED-Diktatur ohne einen Tropfen Blut vorstellen konnte." Entsprechend groß sei die Überraschung nicht nur in seiner eigenen Partei gewesen. "Das Geschenk der Vereinigung fiel uns eher auf den Kopf als vor die Füße", so Eppler.

Hindernisse in den Köpfen abbauen

Für die gebürtige Hallenserin Maliske-Velten war Mitte der 80er Jahre klar, dass das sozialistische Wirtschaftssystem zusammenbrechen würde: "Die DDR hat sich zu Tode gewirtschaftet. Die überhöhten Subventionen, die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit - das war nicht tragfähig." Die soziale Marktwirtschaft habe aber viele Ostdeutsche überfordert. "Die Auswahl war einfach zu groß", erinnert sich Maliske-Velten.

Umso wichtiger sei es gewesen, Vorurteile zwischen Ost und West abzubauen und sich zu begegnen. Maliske-Velten, die seit 1990 in Karlsruhe lebt, gründete einen Freundschaftsverein Karlsruhe-Halle. Dieser Verein unterstützt die Städtepartnerschaft zwischen beiden Städten, die bereits seit 1987 besteht: "Wir arbeiten gegen Hindernisse in den Köpfen. Das braucht aber noch mindestens eine Generation", ist Maliske-Velten überzeugt.

Packender Zeitzeugenbericht vor Schülern

Am Montag berichtet Wolfgang Welsch noch einmal vor 160 Schülerinnen und Schülern des Humboldt-Gymnasiums Karlsruhe von seinen Erlebnissen als politischer Gefangener. Als Welsch von körperlicher und seelischer Folter im Stasi-Gefängnis erzählt, ist es mucksmäuschenstill im Raum. Die Staatssicherheit habe systematisch versucht, die Gefangenen zu brechen: Mit Kontaktverbot, Schlägen und Scheinerschießungen. "Sie nannten uns Kakerlaken, Ungeziefer, das man zertreten müsse", erzählt Welsch. "Wir waren die schlimmsten Feinde der DDR, weil wir frei sein wollten."

"Freiheit ist das einzige, was zählt"

Zum Schluss seines Vortrags zeigt Welsch den Schülern ein Video des Mauerfalls. Er will zeigen, wofür er gekämpft hat. Im Hintergrund ist Marius Müller-Westernhagen zu hören. Eine Schülerin singt leise mit: "Freiheit, Freiheit, ist das einzige, was zählt."