Kanzler Scholz bei der VN-Generalversammlung
Bundeskanzler Olaf Scholz warf in seiner Rede bei der 77. Generalversammlung der Vereinten Nationen Russland „blanken Imperialismus“ vor. Der Ukraine sicherte er weitere Unterstützung zu und kündigte eine Konferenz für den Wiederaufbau des Landes in Berlin an. Scholz warb in New York eindringlich für mehr internationale Partnerschaft und Beteiligung zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen.
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Bei seiner ersten Rede vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen nahm Bundeskanzler Olaf Scholz die vielschichtigen Krisen der Zeit in den Blick. Dabei machte er deutlich, dass die Achtung der VN-Charta weiterhin Fundament für eine multipolare und friedliche Welt ist. „Diese Charta ist unsere kollektive Absage an eine regellose Welt. Unser Problem sind nicht fehlende Regeln. Unser Problem ist der mangelnde Wille, sie einzuhalten und durchzusetzen“, sagte Scholz am Dienstag in New York.
Es dürfe niemals Realität werden, dass „die Regeln von denen gemacht werden, die sie uns dank ihrer militärischen, ökonomischen oder politischen Macht diktieren können.“ Es sei die Aufgabe der internationalen Gemeinschaft, dafür zu sorgen, dass die Welt, die immer multipolarer wird, zusammenarbeitet, sagte er anlässlich der Eröffnung der Generalversammlung.
Klare Antwort auf blanken Imperialismus
Den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine verurteilte der Bundeskanzler vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in deutlichen Worten. Das Vorgehen Russlands „ist blanker Imperialismus“, so Scholz. Gleichzeitig warb er für Zusammenhalt und Unterstützung, denn: „Putin wird seinen Krieg und seine imperialen Ambitionen nur aufgeben, wenn er erkennt: Er kann diesen Krieg nicht gewinnen“, so Scholz. Aber: „Wenn wir wollen, dass dieser Krieg endet, dann kann es uns nicht egal sein, wie er endet.“ Die Weltgemeinschaft werde keinen Diktatfrieden gegen die Ukraine akzeptieren ebenso wenig die angekündigten Scheinreferenden in den russisch besetzten Gebieten.
Konferenz zum Wiederaufbau
Scholz bedankte sich am Dienstag, „dass 141 Staaten den russischen Eroberungskrieg hier in diesem Saal eindeutig verurteilt haben“. Gleichzeitig wies er darauf hin, dass dies allein nicht ausreiche. Der Bundeskanzler kündigte deshalb weitere internationale Hilfe für die Ukraine an: „finanziell, wirtschaftlich, humanitär und auch mit Waffen.“ Auch beim Wiederaufbau des Landes könne sich die Ukraine auf internationale Unterstützung verlassen. Der Bundeskanzler lädt daher gemeinsam mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen, zu einer Expertenkonferenz am 25. Oktober in Berlin ein. „Hier werden wir gemeinsam mit Unterstützern der Ukraine aus aller Welt überlegen, wie uns diese Generationenaufgabe gelingt.“
Versorgungssicherheit nicht gefährden
In seiner Rede bezog sich Bundeskanzler Scholz auch auf seinen Amtsvorgänger Willy Brandt, der bereits 1973 vor den Vereinten Nationen den Zusammenhang zwischen Krieg und Hungersnöten geächtet hatte. Mit Blick auf die aktuelle Lage sagte Scholz: „Wer den Hunger ächten will, der muss Russlands Krieg ächten – diesen Krieg, der auch in Ländern weit weg von Russland für steigende Preise, Energieknappheit und Hungersnot sorgt.“ Allein Russland habe die ukrainischen Getreideschiffe am Auslaufen gehindert, Häfen zerbombt und landwirtschaftliche Betriebe zerstört, sagte Scholz. Er dankte, dass es unter Vermittlung des VN-Generalsekretärs Guterres und der Türkei gelungen sei, Getreideexporte aus der Ukraine wieder zu ermöglichen.
Ernährungssicherheit und Klimawandel
Der Kanzler wies auf die großen Herausforderungen unserer Zeit hin: „Wir müssen zu unseren Worten stehen und mit dazu beitragen, dass die großen Probleme unserer Welt gelöst werden können.“ Dazu gehöre aktuell die Ernährungskrise und der menschengemachte Klimawandel. Deutschland gehe hier mit eigenen technischen Innovationen schnell voran. „Wir wollen bis 2045 klimaneutral sein, und wir wollen dazu beitragen, dass alle Länder dieser Welt diesen Weg gehen können – in Asien, in Afrika, in einigen Ländern Südamerikas“, so Scholz.
Der Kanzler betonte zum Thema der Ernährungssicherheit, in dieser reichen Welt dürfe niemand verhungern und es müsse gewährleistet sein, dass Menschen sich und ihre Familien ernähren könnten: „Deshalb haben wir eine Verantwortung dafür, mit finanziellen Hilfen der reichen Länder dazu beizutragen, dass das gelingt.“
Menschenrechte schützen
Der Kanzler hob die Verpflichtungen der Gemeinschaft beim Schutz der Menschenrechte hervor. Deutschland habe als zweitgrößter Geber des VN-Systems und zweitgrößter Geber für humanitäre Hilfe in den vergangenen Jahren Millionen Geflüchtete aufgenommen. Dennoch sei weitere Hilfe nötig, zum Beispiel dort, wo Hunderttausende in Straflagern oder Gefängnissen Leid erdulden müssen, Frauenrechte missachtet würden oder Kriegsvebrechen begangen würden, wie in Mariupol, Butscha oder Irpin: „Die Mörder werden wir zur Rechenschaft ziehen“, so Scholz.
Mit Blick auf den Bericht der früheren Hochkommissarin für Menschenrechte zur Lage der Uiguren in Xinjiang betonte der Kanzler, China sollte die entsprechenden Empfehlungen umsetzen.
Zusammenarbeit auf Augenhöhe
Die Staaten lösten nicht mit Nationalismus und Isolation die Herausforderungen unserer Zeit, sagte Bundeskanzler Scholz zum Abschluss seiner Rede. Vielmehr sei er überzeugt, dass „mehr Zusammenarbeit, mehr Partnerschaft, mehr Beteiligung die einzig vernünftige Antwort ist, egal ob es um den Kampf gegen den Klimawandel oder globale Gesundheitskrisen, um Inflation und gestörte Handelsketten oder um unseren Umgang mit Flucht und Migration geht“. Scholz betonte, Offenheit und Kooperation sicherten Frieden und Wohlstand. Dies gelte auch für die Zusammenarbeit mit den Ländern des globalen Südens – „eine Zusammenarbeit, die Augenhöhe nicht nur behauptet, sondern herstellt“.
Reform des VN-Sicherheitsrats
Der Bundeskanzler erneuerte sein Plädoyer für eine Reform des VN-Sicherheitsrats: „Wir müssen unsere Regeln und Institutionen an die Realität des 21. Jahrhunderts anpassen“, betonte er. Der Kanzler warb für eine Unterstützung bei der Kandidatur Deutschlands für den Sicherheitsrat – als ständiges Mitglied und zunächst als nichtständiges Mitglied in den Jahren 2027 und 2028. Er betonte, Deutschland sei bereit, größere Verantwortung zu übernehmen.
Gleichzeitig betonte er, auch die aufstrebenden, dynamischen Länder und Regionen Asiens, Afrikas und des südlichen Amerikas müssten eine größere Mitsprache auf der Weltbühne bekommen.
Gespräche mit unterschiedlichen Gremien
In New York nahm Kanzler Scholz zudem am EU-US Global Food Security Summit teil. Es sei wichtig, schnell zu handeln und die Unsicherheiten in Fragen der weltweiten Ernährung einzudämmen, so der Kanzler. Der globale Süden sei am härtesten getroffen. Scholz verwies darauf, dass wichtige Übereinküfte getroffen und Initiativen unternommen worden seien – etwa das unter deutscher G7-Präsidentschaft gegründete Bündnis für globale Ernährungsicherheit. „Wir haben ein gemeinsames Interesse und eine gemeinsame Verantwortung, die globale Krise der Ernährungssicherheit anzugehen“, sagte Scholz.
Kanzler Scholz traf außerdem mit Staats- und Regierungschefs der Small Island Developing States (SIDS), Staats- und Regierungschefs der Afrikanischen Gruppe sowie der Global Crisis Response Group (GCRG) auf Ebene der Staats- und Regierungschefs zusammen, in der sich Deutschland besonders zur Frage der globalen Ernährungssicherheit engagiert. Bei einem High-Level-Event des Global Funds sagte der Kanzler, Deutschland werde mit 1,3 Milliarden Euro über die nächsten drei Jahre beim Kampf gegen HIV, Tuberkulose und Malaria unterstützen.
Daneben sprach Kanzler Scholz in New York gemeinsam mit Außenministerin Annalena Baerbock mit Vertretern jüdischer Organisationen. Der russische Angriffskrieg bedroht auch jüdische Gemeinden in der Ukraine. Jüdische Organisationen und Gemeinden in Deutschland leisten enorme Hilfe, indem sie Flüchtlingen aus der Ukraine Schutz und ein Zuhause bieten – eine beeindruckende Solidarität, so Baerbock. Große Sorge mache die Situation von Überlebenden des Holocaust in der Ukraine. Viele brauchen intensivmedizinische Pflege. Die Bundesregierung hilft, Überlebende zu evakuieren und ist allen jüdischen Organisationen, die dabei mitwirken, zutiefst dankbar.
Bilaterale Gespräche
Bundeskanzler Scholz führte am Rande der VN-Generalversammlung auch zahlreiche bilaterale Gespräche, unter anderem mit VN-Generalsekretär António Guterres sowie den Staatspräsidenten von Chiles, Guinea-Bissau und Niger. Auch traf Scholz den türkischen Präsidenten Erdogan zu einem Meinungsautausch, bei dem ebenfalls die Lage in der Ukraine in Folge des russischen Angriffskriegs im Mittelpunkt stand.
Noch bis 26. September 2022 tagt die 77. Generalversammlung der Vereinten Nationen. Um die 150 Staats- und Regierungschefs werden in New York erwartet. Neben dem Krieg in der Ukraine stehen die globale Ernährungslage, Energieversorgung, Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung sowie Bildung auf der Agenda.