Gastbeitrag im Handelsblatt
Deutschland und Chile teilen sich den Vorsitz im sogenannten Klimaclub. Für eine bessere Klimapolitik gilt es, nun mutig und pragmatisch zu handeln. Lesen Sie hier den Gastbeitrag von Kanzler Scholz und dem chilenischen Präsidenten Boric im Handelsblatt.
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Von Gabriel Boric und Olaf Scholz
Der Klimawandel ist die größte Herausforderung dieses Jahrhunderts. Ohne multilaterale Zusammenarbeit und Koordinierung kann er nicht wirksam bekämpft werden. Doch es gibt eine gute Nachricht: Das Übereinkommen von Paris, ein Meilenstein der multilateralen Zusammenarbeit, funktioniert. Auf der COP 28 hat sich die internationale Gemeinschaft trotz Schwierigkeiten und unterschiedlicher Ausgangspunkte auf den Konsens von Dubai geeinigt: eine Verdreifachung der Erneuerbaren Energien, eine Verdopplung der Energieeffizienz und die Abkehr von fossilen Energieträgern.
Wir können uns jedoch nicht ausschließlich darauf verlassen, dass Klimakonferenzen uns die Lösungen für komplexe Fragen liefern. Staaten werden sich höchstwahrscheinlich nur dann auf ehrgeizige Klimaziele einlassen, wenn sie darauf vertrauen können, dass auch andere Staaten ambitionierte Maßnahmen ergreifen. In dieser kritischen Phase der internationalen Klimapolitik haben sich unsere Länder in einem neuen Forum der multilateralen Zusammenarbeit zusammengeschlossen: dem Klimaclub, dessen Vorsitz sich Chile und Deutschland teilen. Das Ziel ist eine bessere Abstimmung. Unsere Idee ist es, mutig, aber auch pragmatisch zu handeln. Klimapolitik wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie den Wunsch der Menschen nach einem guten Leben und einer besseren, fairen Zukunft für kommende Generationen berücksichtigt.
Gleichzeitig muss sie der Erderwärmung Grenzen setzen, auch durch Lösungen, mit denen die Umweltverschmutzung und der Verlust der Biodiversität gestoppt werden können. Die Welt braucht nicht weniger Wachstum, sondern nachhaltige Entwicklung. Dafür notwendig ist entschlossene politische Führung, aber auch das Bohren dicker Bretter in vielen technischen und fachlichen Fragen. Der Klimaclub geht gezielt eine der vor uns liegenden Herausforderungen an: die Emissionen des internationalen Industriesektors zu senken, ohne die wirtschaftliche Entwicklung zu gefährden. Unsere Klimaziele erreichen wir nur, wenn wir die Emissionen im Industriesektor drastisch senken. Energieintensive Bereiche wie der Stahl-, Zement- oder Chemiesektor sind für etwa 70 Prozent der Industrieemissionen verantwortlich. Die Dekarbonisierung der Industrie birgt enormes wirtschaftliches Potenzial.
Sie wird in Ländern auf der ganzen Welt für gute Arbeitsplätze im Industriesektor sorgen. Regierungen müssen nun die besten Strategien und Rahmenbedingungen finden, um aus der Industriedekarbonisierung das Geschäftsmodell der Zukunft zu machen. Das ist eine komplexe Aufgabe, denn der Umbau geht je nach Land unterschiedlich schnell voran. Die industrielle Produktion findet in stark integrierten globalen Lieferketten statt. Sie ist Risiken wie Handelsverzerrungen ausgesetzt. Daher müssen wir in Schwellenländern wie Chile eine Stufe der industriellen Entwicklung überspringen und direkt auf die grüne Industrie setzen. In Industrieländern wie Deutschland müssen wir wiederum Teile der industriellen Basis erneuern. Wir sind überzeugt, dass wir dieses Ziel mit dem Klimaclub erreichen können.
Als erstes zwischenstaatliches Forum seiner Art befindet er sich an der strategischen Schnittstelle von Klima-, Handels- und Industriepolitik. Der Club bietet eine einzigartige Plattform, auf der gemeinsame Lösungen für die Erzeugung von und den Handel mit klimafreundlichen Produkten gefunden werden können. Außerdem geht es um die Frage, wie wir Leitmärkte für nahezu emissionsfreie Materialien aufbauen. Zu diesem Zweck müssen wir, ausgehend von Stahl und Zement, überprüfbare, vergleichbare und zueinander passende Standards für Emissionsintensitäten und CO2-Fußabdrücke ermitteln. Das ist das Fundament, das für den Aufbau grüner Leitmärkte erforderlich ist.
Da der Klimaclub auf einem inklusiven Konzept beruht, möchten wir gemeinsam auf diese Standards hinarbeiten. Die Mitglieder des Clubs, die noch nicht die Kapazitäten haben, um die vereinbarten Standards umzusetzen, können über die „Global Matchmaking Platform“ technisch oder finanziell unterstützt werden. Ein großes Problem in diesem Zusammenhang sind negative Effekte wie die Verlagerung von CO2-Emissionen, also Carbon Leakage. Mit Blick auf die COP 29 werden wir daher Ursachen und Relevanz der Verlagerung von CO2-Emissionen erörtern und diesbezüglich auf konkrete Ergebnisse hinarbeiten.
Dank des gemeinsamen Vorsitzes von Deutschland und Chile steht der Klimaclub auf einem soliden Fundament. Wir sind 38 Mitglieder aus allen Regionen der Welt und repräsentieren etwa 60 Prozent der Weltwirtschaft.
Wir erleben eine Triple-Krise aus Klimawandel, Verlust der Biodiversität und Umweltverschmutzung. Deshalb brauchen wir Netto-Null-Emissionen weltweit und einen gerechten Übergang dahin. Das kann nur gelingen, wenn wir uns gemeinsam bemühen, sowohl im eigenen Land als auch auf globaler Ebene. Im eigenen Land müssen wir hierbei auch die Perspektive der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sowie die der betroffenen Regionen und Gemeinden mit berücksichtigen. Auf globaler Ebene müssen wir an konkreten und fairen Ergebnissen arbeiten und sinnvolle Anreize für die Zusammenarbeit schaffen. Chile und Deutschland sind entschlossen, ihre Führungsrolle gemeinsam wahrzunehmen.