Neues Zukunftszentrum
Die Bundesregierung hat die Einrichtung des „Zukunftszentrums für Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ beschlossen. Es soll den Austausch über den Wandel im Osten Deutschlands fördern und Brücken nach Osteuropa schlagen. Der Ostbeauftragte Schneider sieht darin einen Beitrag zur Festigung der Deutschen Einheit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
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„Das ist ein Beschluss, für den ich mich schon in früherer Tätigkeit sehr eingesetzt habe und der aus der Beschäftigung mit der Deutschen Einheit und den Empfehlungen der Kommission der letzten Legislaturperiode erwachsen ist,“ sagte Bundeskanzler Olaf Scholz. Die notwendigen Eckpunkte für das Zukunftszentrum seien jetzt beschlossen worden. Damit beginne ein Prozess, in dem sich ostdeutsche Städte und Gemeinden als Ort für das Zukunftszentrum bewerben könnten.
Das Zukunftszentrum soll kein neues Denkmal für die deutsche Einheit werden. Es soll vielmehr sichtbar machen, was die Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR seit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung Deutschlands bis heute erlebt, erfahren und in ihrem Leben umgesetzt haben.
Das Zentrum will diese Erfahrungen und die Erfahrungen osteuropäischer Nachbarn sichtbar und verstehbar machen und zu Diskussionen anregen.
Die nächsten Schritte: Beginn eines Standortwettbewerbs zur Gestaltung des Zentrums für interessierte Kommunen in Ostdeutschland. Entscheidung durch eine Auswahlkommission in der zweiten Jahreshälfte. Daran an schließt sich ein Realisierungswettbewerb. Bis 2027 soll das Zukunftszentrum laut bisheriger Planung fertiggestellt werden.
Carsten Schneider, Ostbeauftragter der Bundesregierung, spricht im Interview über die Pläne.
Was erwarten Sie von einem Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und Europäische Transformation?
Schneider: Das Zukunftszentrum soll ein Ort sein, an dem sich unser Land auf unterschiedlichen Ebenen mit den Auswirkungen von Transformationsprozessen auf unsere gesamte Gesellschaft auseinandersetzt, um daraus für die aktuell anstehenden, vielfältigen Transformationsprozesse zu lernen. Das Zentrum soll ein erleb- und begehbarer Ort für die Menschen werden und Begegnungen ermöglichen. Hier können sich Bürgerinnen und Bürger, Vertreterinnen und Vertreter aus Wissenschaft und Kultur sowie alle Interessierte ganz praktisch mit allen Dimensionen gesellschaftlicher Transformation befassen. Es geht auch darum, Vielfalt und Unterschieden ein Forum zu geben. Damit wird echte Debatte und ernsthafte Partizipation möglich. Indem wir dies tun, stärken wir nicht zuletzt das Selbstbewusstsein auf Leistungen und Fähigkeiten im Osten. Insofern erwarte ich durch Begegnung und Dialog einen Beitrag zur Festigung der Deutschen Einheit und des gesellschaftlichen Zusammenhalts.
Warum soll dieses nach mehr als 30 Jahren nach der Deutschen Einheit im Osten Deutschlands entstehen?
Schneider: Weil vor allem die Menschen in Ostdeutschland nach der Einheit tiefgreifende Erfahrungen mit dem Wandel gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und politischer Strukturen gemacht haben. Das Zukunftszentrum wird ein Ort sein, an dem diese Erfahrungen und Leistungen sichtbarer gemacht werden – und dadurch auch eine Würdigung erfahren sollen. Wir können als ganzes Land von diesen Erfahrungen für die Transformationsprozesse der Zukunft lernen. Dabei ist wichtig, dass wir einerseits Belastungen, Enttäuschungen und Veränderungsmüdigkeit ernst nehmen und darauf eingehen, wo sie auftreten. Gleichzeitig übernimmt ein Standort in Ostdeutschland eine wichtige Brückenfunktion nach Mittelosteuropa. Denn auch hier haben die Menschen in den vergangenen 30 Jahren zahlreiche Umbruchserfahrungen gemacht. Gerade hier stehen die Gesellschaften vor weiteren tiefgreifenden Veränderungen, die Europa insgesamt betreffen.
Was bedeutet ein solches Zentrum für das praktische Leben der Deutschen und der Europäer?
Schneider: Die Angebote für den Bereich Dialog und Begegnung ermöglichen zunächst den direkten Austausch vor dem Hintergrund von persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen der Transformation zu Fragen, wie wir in Zukunft miteinander leben und wie wir dafür fundamentale gesellschaftliche Änderungsprozesse gestalten wollen. Hierfür gibt es ein starkes Interesse und Bedürfnis in der Bevölkerung, wie bereits die Kommission „30 Jahre Friedliche Revolution und Deutsche Einheit“, auf welche der Vorschlag des Zukunftszentrums zurückgeht, in ihren Bürgerdialogen durchgängig feststellen konnte. Die drei Bereiche des Zentrums – Wissenschaft, Dialog und Galerie – sollen nicht nebeneinander, sondern eng verschränkt miteinander arbeiten. Neben dem Fokus auf den Umbrüchen in Ostdeutschland liegt ein Schwerpunkt auf dem Austausch in und mit Mittelosteuropa. Die Freiheitsrevolutionen 1989/90, die Umbrucherfahrungen und -leistungen der Menschen in Mittelosteuropa sind essentiell für die Auseinandersetzung mit Transformationsprozessen. Die Forschung kann dazu nicht nur Gemeinsamkeiten und Unterschiede der einzelnen Entwicklungspfade der Länder herausarbeiten, sondern vor allem ihre Verbindungen und Zusammenhänge und dies über einen gegenseitigen Austausch, den es bislang umfassend und systematisch nicht gibt. Das Zentrum wird damit einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Demokratie und des Zusammenhalts in Europa leisten.
Wie soll das Zukunftszentrum arbeiten?
Schneider: Das Zukunftszentrum wird sich auf verschiedenen Ebenen mit der Transformation beschäftigen. Ein beim Zentrum angesiedeltes Institut soll sich nach dem Konzept wissenschaftlich mit den Themen der Transformation auseinandersetzen. Eine kreative und künstlerische Annäherung an das Thema soll ein eigener Kulturbereich übernehmen. Und schließlich wird ein Dialog- und Begegnungsbereich zentraler Bestandteil des Zukunftszentrums sein. Das Zentrum schafft Angebote des Dialogs über persönliche Erfahrungen und Vorstellungen von Bürgerinnen und Bürgern, Expertinnen und Experten, der Zivilgesellschaft und bürgerschaftlichen Initiativen. Bestehende Netzwerke und Aktivitäten sollen genutzt und gebündelt werden. Das Zentrum wird Initiatorin und Kooperationspartnerin zum Beispiel für Schüleraustausche oder Städtepartnerschaften sein. Alles in allem ein Ort der Begegnung, ein Ort als Symbol in Deutschland und Europa für die Möglichkeiten des gesellschaftlichen, ökologischen und wirtschaftlichen Wandels.“