11. April 1990 - Auf dem Weg zur Deutschen Einheit
11. April 1990: Zum Abschluss dreiwöchiger Beratungen verabschiedet die Bonner KSZE-Konferenz über wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa ein Schlussdokument, in dem sich auch die osteuropäischen Staaten klar zur Marktwirtschaft bekennen.
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Konferenz über Wirtschaftliche Zusammenarbeit in Europa
Foto: Bundesregierung/Reineke
Bekenntnis zu Marktwirtschaft und Mehrparteiensystem
Es ist eine historische Zäsur, die die Delegierten der 35 KSZE-Staaten mit ihrem Abschlussdokument ziehen: Erstmals sprechen sich auch die osteuropäischen Staaten für ein freies Unternehmertum und ein Mehrparteiensystem aus. Das Dokument befürwortet marktgestützte Volkswirtschaften mit Gewerbefreiheit und Privateigentum – und es bekennt sich zum demokratischen Pluralismus mit den Attributen Mehrparteiensystem, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte.
An der KSZE-Tagung nehmen zwischen dem 19. März und dem 11. April mehr als 600 Minister, hohe Regierungsbeamte und namhafte Wirtschaftsvertreter aus allen europäischen Ländern (bis auf Albanien) teil. Bundeskanzler Helmut Kohl hatte eine solche KSZE-Wirtschaftskonferenz bereits 1986 vorgeschlagen. Die Bundesregierung sieht in dem Treffen einen Meilenstein auf dem Weg zu einem gesamteuropäischen Wirtschaftsraum. Zwischen insgesamt fünf Plenarsitzungen zu Beginn und zum Abschluss der Konferenz beraten vier Arbeitsgruppen über die Verbesserung der geschäftlichen Rahmenbedingungen, über die Voraussetzungen für Investitionen und Kooperationsmöglichkeiten, über Probleme des Währungsumtausches sowie über Fragen der Preisbildung.
Während der KSZE-Wirtschaftskonferenz lässt sich Kohl ständig über den Verlauf informieren. Das Ergebnis ist für ihn eine große Befriedigung.
Kohl erneuert Bekenntnis für vereintes Deutschland
Kohl sieht in dem Abschlussdokument einen großen Erfolg für die ökonomische Zusammenarbeit zwischen Ost und West. Es werde weitreichende, langfristig gültige Auswirkungen zur Hebung der Wirtschaftskraft und des Wohlstandes nicht nur in Europa haben. Für Kohl ist es der Beginn einer neuen Phase wirtschaftlicher und wirtschaftspolitischer Kooperation. Sie gebe auch den politischen Veränderungen in Osteuropa eine solide marktwirtschaftliche Basis. Kohl erklärt die Bereitschaft der Bundesregierung, die neue Qualität der Zusammenarbeit nach Kräften weiter zu unterstützen.
Der Konferenzbeginn am 19. März ist gut gewählt: Einen Tag nach den ersten freien Wahlen in der DDR hat Kohl in seiner Eröffnungsrede die Gelegenheit genutzt, ein erneutes Bekenntnis für ein vereintes Deutschland in einem zusammenwachsenden Europa abzulegen. Das geeinte Deutschland werde dann ohne eine Änderung der EG-Verträge der Europäischen Gemeinschaft angehören, so Kohl. Es werde damit einen Wachstumsimpuls auslösen, der ganz Europa zugute komme.
Kohl betonte, der deutsche Einigungsprozess werde sich in engem Zusammenwirken mit den Alliierten und mit den Nachbarstaaten Deutschlands vollziehen. Noch vor einer abschließenden vertraglichen Regelung solle insbesondere den polnischen Nachbarn die Unverletzlichkeit ihrer Westgrenze zugesichert werden.
Die Resonanz auf seine Rede war außerordentlich positiv, gerade auch bei den Vertretern des Ostens, einschließlich der Sowjetunion.
Perspektiven für Mittel- und Osteuropa
Für Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat die Bonner KSZE-Wirtschaftskonferenz dadurch ihren historischen Stellenwert für den KSZE-Prozess erhalten, dass sie Perspektiven für den Umbruch in Mittel- und Osteuropa eröffnet hat.
In seiner Ansprache am 11. April sagt Genscher: „Zu den Kernaussagen gehört der untrennbare Zusammenhang zwischen der Achtung der Menschenrechte, der Nichtdiskriminierung, dem politischen Pluralismus, freien Wahlen, Demokratie, der Herrschaft des Rechts und der auf privater Initiative beruhenden Marktwirtschaft. Diese Marktwirtschaft hat eine soziale und umweltpolitische Dimension, sie ist soziale und ökologische Marktwirtschaft.“
Genscher verweist auf die langfristigen Perspektiven und Möglichkeiten dieser Entwicklung - hin zu einer Überwindung der wirtschaftlichen Teilung Europas. Für ihn ist klar, dass diese gesamteuropäischen Aktivitäten den deutschen Vereinigungsprozess auch außerhalb des Zwei-plus-Vier-Prozesses politisch abstützen können.