27. April 1990 - Auf dem Weg zur Deutschen Einheit
27. April 1990: Vor dem Deutschen Bundestag skizziert Kanzleramtsminister Rudolf Seiters den Stand der Verhandlungen mit der DDR-Regierung über den Staatsvertrag zur Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion. Er bezeichnet das Angebot der Bundesregierung als großzügig und fair.
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Belastungen für Bundeshaushalt verkraftbar
Unmittelbar nach dem umfassenden Meinungsaustausch zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und Ministerpräsident Lothar de Maizière in Bonn nimmt die Bundesregierung mit der DDR die Gespräche über einen Staatsvertrag zur Verwirklichung der Währungsunion mit Wirtschafts- und Sozialgemeinschaft auf.
Im Bundestag erklärt der Kanzleramtsminister Seiters, das Angebot sei ein bedeutender Schritt zur Einheit. In beiden Staaten müsse man nun darüber nachdenken, was finanziell machbar sei und was nicht. Die zu erwartenden Belastungen nennt Seiters "erheblich", aber dennoch "durchaus verkraftbar".
Die Bundesregierung hält bei den Verhandlungen mit der DDR an ihrem Zeitplan fest: Bereits bis Anfang Mai will sie mit der DDR eine Einigung über die wesentlichen Punkte der Währungsumstellung erreichen. Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion soll bis zum 2. Juli einführt sein.
Seiters bekräftigt, zur Finanzierung der Einheit seien keine Steuererhöhungen notwendig: "Ein Anziehen der Steuerschraube wäre mit Sicherheit der falsche Weg." Die Kosten sollten vor allem durch Wirtschaftswachstum, durch Einsparungen in Einzelposten des Bundeshaushaltes, etwa im Verteidigungsetat, durch Schuldenaufnahme des Bundes und durch Beiträge der Länder aufgebracht werden.
Mut und Energie erforderlich
Seiters fordert die Regierung der DDR dazu auf, den Übergang zur sozialen Marktwirtschaft ohne Verzögerungen voranzutreiben. Das, so der Minister, würde der wirtschaftlichen Entwicklung eine günstige Wendung geben und das dringend notwendige private Kapital in die DDR fließen lassen.
Der Bundesregierung ist bewusst, dass eine Umstrukturierung der gescheiterten sozialistischen Planwirtschaft in eine soziale Marktwirtschaft innerhalb weniger Wochen und Monaten viel Mut und Kraft erfordert. Letztlich, sagt Seiters, würden jedoch alle Deutschen davon profitieren.
Der Kanzleramtsminister verweist darauf, dass allein die Aussicht auf die Einführung der D-Mark in der DDR zu einem erheblichen Rückgang der Übersiedlerzahlen geführt habe. Statt 74.000 Übersiedler im Januar und 64.000 im Februar seien im März noch 46.000 und im Laufe des April nur rund 16.000 Deutsche aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelt.
Seiters fasst zusammen: "Eine solche Aufgabe erfordert von uns allen viel Mut und Energie, Phantasie und politischen Gestaltungswillen. Aber wir können sie lösen, wenn wir uns - in der Bundesrepublik und in der DDR - etwas zutrauen und diese große Aufgabe beherzt anpacken."