Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der Konferenz "Burning Issues Meets Theatertreffen"

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Nerviges Gehuste als Begleitmusik des Bühnengeschehens: Den Schauspielerinnen und Schauspielern unter Ihnen dürfte das Phänomen bekannt sein, zu dem Ulrich Matthes vom Deutschen Theater der FAZ vor einiger Zeit ein höchst amüsant zu lesendes Interview gegeben hat. Es war mit der Frage überschrieben „Wann möchten Sie zur Kalaschnikow greifen, Herr Matthes?“, und es ging darin um unterschiedliche Arten von Husten und Hüsteln im Publikum - eine „Burning Issue“ zweifellos für alle, die auf der Bühne Bedeutung in jedes Wort, in jeden Seufzer, ja in jede Sprechpause legen! Aber warum erzähle ich Ihnen das im Rahmen einer gleichstellungspolitischen Fragen gewidmeten Konferenz? - Ich erzähle das, weil Ulrich Matthes in diesem Zusammenhang auf eine männliche Art des „Ego-Husters“ - in Abgrenzung vom erkältungsbedingten Not-Husten - zu sprechen kommt. Er beschreibt das so, ich zitiere: „Ein Teil des beglückenden Erlebnisses, das man im Theater haben kann, ist ja die gemeinsame Konzentration auf eine Sache. Diese Andacht kann bei unruhigeren Gemütern dazu führen, dass sie sich selber und der Welt beweisen müssen, dass sie noch auf der Welt sind. [E]ine Gruppenveranstaltung, in der eine gesteigerte Aufmerksamkeit für andere Menschen gefragt ist, reizt manche Männer dazu, zu sagen: Übrigens, ihr könnt euch seinodernichtseinmäßig abstrampeln, mich gibt’s auch noch.“ Wie er denn diese „Ich-bin-auch-noch-da-Huster“ akustisch von anderem Husten unterscheiden könne, fragt daraufhin ungläubig die Redakteurin, und sie schreibt dazu: „Matthes hustet nun auf eine Art nachdrücklich, zielstrebig und unverschleimt, dass sofort klar ist: Hier will einer husten.“

Ja, meine Damen und Herren, offenbar findet männliches Dominanzgebaren, wenn es keine Bühne und kein Mikrofon bekommt, ganz subtil als banale Ruhestörung nach dem Motto „Ich huste, also bin ich“ seinen Weg. Wenn hier also während der vergangenen beiden Konferenztage auffallend viel in tiefer Stimmlage gehüstelt wurde, wissen Sie, warum. Starke Frauen in der Hauptrolle, Kritik an Sexismus und Diskriminierung und Beifall für lautstarke Forderungen nach fairen Chancen und gerechter Bezahlung: All das kann „bei unruhigeren Gemütern dazu führen, dass sie sich selber und der Welt beweisen müssen, dass sie noch auf der Welt sind“. Doch mag es auch nicht jedem passen, dass Frauen sich und ihren berechtigten Anliegen Raum und Aufmerksamkeit verschaffen: Es ist wichtig, und es ist überfällig! Deshalb finde ich es großartig, dass Theaterfrauen - dass die Initiatorinnen Nicola Bramkamp und Lisa Jopt mit einer wachsende Zahl von Mitstreiterinnen- der männlichen Dominanz im Theaterbetrieb mit ihrer „Konferenz zur Gender(un)gleichheit“ den Kampf ansagen. Vielen Dank Ihnen allen für Ihr Engagement - und vielen Dank auch Ihnen, liebe Yvonne Büdenhölzer, die Sie den „Burning Issues“ beim renommierten Theatertreffen eine Bühne bieten. Sie holen die „Burning Issues“ damit dorthin, wo sie hingehören: ins überregionale, öffentliche und mediale Rampenlicht. Ehrensache, dass ich dafür - als „Brandbeschleuniger“ im besten Sinne - Fördermittel aus meinem Kulturetat zur Verfügung stelle, zumal die Initialzündung, die Impulsgeberin ja offenbar, wie ich gehört habe, die von meinem Haus geförderte, 2016 veröffentlichte Studie „Frauen in Kultur und Medien“ war. Es freut mich sehr, dass nicht zuletzt dadurch im deutsch-sprachigen Theater gleichstellungspolitisch viel in Bewegung gekommen ist.

Der ernüchternde Befund zur Rolle der Frau im Kultur- und speziell im Theaterbetrieb ist mit dieser Studie schwarz auf weiß dokumentiert und mit harten Zahlen und Fakten untermauert, die während der Konferenz sicher hinreichend zur Sprache kamen und die ich hier deshalb nicht noch einmal im Einzelnen vortragen muss. Sie lassen sich in einem Satz zusammenfassen: Die Wertschätzung für künstlerische Leistungen - ob monetär oder in der Währung öffentlicher Aufmerksamkeit, ob bei der Spielplangestaltung oder in den Inszenierungen, ob in der Verteilung von Führungs- und insbesondere Regieverantwortung oder bei der Vergabe von Preisen und Auszeichnungen… - die Wertschätzung für künstlerische Leistungen von Frauen und Männern ist extrem ungleich verteilt. Dieser Befund ist gleichstellungspolitisch beschämend gerade für eine Branche, die sich als gesellschaftliche Avantgarde versteht. Kulturpolitisch ist er ein Armutszeugnis. Denn mit dem Mangel an Gleichberechtigung leidet auch die künstlerische Vielfalt, weil künstlerische Perspektiven und Positionen unsichtbar und künstlerische Potentiale unerschlossen bleiben. Frauen verdienen mehr Wertschätzung, keine Frage! Doch nicht minder wichtig ist der kulturpolitische Aspekt: Ein Land, das sich als Kulturnation versteht, verdient größtmögliche künstlerische und kulturelle Vielfalt!

Deshalb habe ich 2017 den Runden Tisch „Frauen in Kultur und Medien“ ins Leben gerufen: Gemeinsam mit hochrangigen Vertreterinnen und Vertretern der unterschiedlichen Branchen haben wir hier konkrete Maßnahmen und Selbstverpflichtungen für mehr Chancengleichheit entwickelt. Zu den Vorhaben, die mein Haus auf der Basis der Ergebnisse des Runden Tisches zusammen mit dem Deutschen Kulturrat umgesetzt hat, gehört beispielsweise ein Mentoring-Programm für Frauen, die Führungsverantwortung im Kultur- und Medienbereich übernehmen wollen. Für den gerade beginnenden zweiten Durchgang gab es wieder fast 250 Bewerberinnen auf rund 20 Plätze - eine klare Widerlegung des immer wieder zu vernehmenden Vorurteils, Frauen hätten wenig Interesse an Führungsaufgaben!

Mehr Parität auf den Führungsebenen dürfte übrigens auch die beste Prävention gegen den schockierenden Machtmissbrauch im Filmbereich und in anderen Kulturbranchen sein, der im Zuge der #MeToo-Debatte vielfach ans Licht kam. Damit Betroffene wissen, an wen sie sich vertrauensvoll wenden können, habe ich von Anfang an eine Initiative aus der Kulturbranche zur Einrichtung einer Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt unterstützt und sichere nun deren Anschubfinanzierung aus meinem Etat ab. Aber natürlich ist es Aufgabe der Branche selbst, diese neue Stelle ausreichend zu finanzieren. Es freut mich sehr, dass sich daran unter anderem auch der Deutsche Bühnenverein beteiligt.

Ein weiteres Beispiel für bundeskulturpolitisch umsetzbare Maßnahmen für mehr Geschlechtergerechtigkeit ist die paritätische Besetzung von Gremien, Jurys und Auswahlkommissionen in meinem Zuständigkeitsbereich, die wir jetzt voll erreicht haben. Damit haben wir in der Filmförderung bereits gute Erfahrungen gemacht: Seit ich im Rahmen der Novellierung des Filmförderungsgesetzes dafür gesorgt habe, dass mehr Frauen an den Förderentscheidungen beteiligt sind, konnten sich auch mehr von Frauen geprägte Projekte durchsetzen. Deshalb bin ich persönlich - (bei aller Wertschätzung Ihres Engagements, liebe Frau Büdenhölzer) - übrigens auch überzeugt, dass es mit einer paritätisch durch Frauen und Männer besetzten Jury, wie es sie beim Theatertreffen schon seit Jahren gibt, einer Frauenquote nicht bedurft hätte. Das Theatertreffen als eine Art Bestenauswahl der deutschsprachigen Bühnen sollte die zehn „bemerkenswertesten Inszenierungen“ eines Jahres allein nach ästhetisch-künstlerischen Kriterien zusammenstellen. Die Vermischung von Qualitäts- mit Strukturkriterien, mit Vorgaben also für das Auswahlergebnis - konkret: die Besten sollen gewinnen, aber nur, wenn mindestens die Hälfte davon Frauen sind - halte ich für kulturpolitisch widersprüchlich und gleichstellungspolitisch kontraproduktiv. Denn diese Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Jury kann und wird dazu führen, dass erstens eine Inszenierung nur deshalb NICHT eingeladen wird, weil es sich um die Regiearbeit eines Mannes handelt - und dass zweitens jede Regisseurin, die mit ihrer Inszenierung eingeladen wird, im Verdacht steht, ihre Einladung mehr ihrem Geschlecht als ihrer Leistung zu verdanken, während Männer über derlei Zweifel völlig erhaben sind.

Wie auch immer: Über Quoten lässt sich trefflich streiten, selbst bei absoluter Einigkeit, was die Notwendigkeit von Frauenförderung betrifft. Unstrittig und unbestreitbar aber ist für mich die Autonomie unserer Kultureinrichtungen. Der Respekt vor dieser Autonomie, vor der Freiheit der Kunst ist oberster Grundsatz meiner Kulturpolitik. Zu dieser Klarstellung veranlassen mich Spekulationen einzelner Journalisten, die Quote beim Theatertreffen folge politischen Vorgaben der BKM. Mit Verlaub Was für ein Blödsinn! Solche Kommentare sind die journalistische Variante des „Ego-Husters“: Mit solchen ebenso haltlosen wie überflüssigen Unterstellungen heischt man(n) im Feuilleton geräuschvoll um Aufmerksamkeit.

Apropos Husten, meine Damen und Herren: Erfreut stelle ich fest, dass während meiner Rede kaum Gehüstel zu vernehmen war. Vielleicht hat sich keiner mehr getraut. Vielleicht ist es aber auch schlicht und einfach so, dass die „Burning Issues“-Konferenz Menschen - Frauen UND Männer - versammelt, für die männliches Dominanzgebaren im Theater ebenso fehl am Platz ist wie patriarchalische Strukturen. Ich bin sicher, es bleibt auch für die Theaterwelt insgesamt nicht ohne Folgen, wenn diese Themen intensiv diskutiert werden. Ermutigende Fortschritte sind ja auch erkennbar, man denke an die jüngsten Neuigkeiten aus Dortmund, wo auf den erfolgreichen Intendanten Kay Voges zur Spielzeit 2020/2021 ein starkes Frauenduo (Julia Wissert und Sabine Reich) folgen wird, oder an die Diskussionen, die Schauspieldirektorin Anna Bergmann in Karlsruhe mit ihrer Entscheidung entfacht hat, in ihrer ersten Spielzeit ausschließlich Frauen Regie führen zu lassen und mit der Umkehr bestehender Ungerechtigkeiten auf selbige aufmerksam zu machen. Jedenfalls wünsche ich der „Burning Issues“-Konferenz, dass alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Feuer, das hier entfacht wurde, mit in ihre eigenen Häuser, in die Theater, auf die Bühnen nehmen - als Initialzündung für Veränderungen deutschlandweit! Ob damit auch die „Ego-Huster“ im Publikum verstummen, sei dahingestellt. Man könnte sie auf die Seite www.hustenkultur.de - ja, so etwas gibt es - verweisen, die unter der Rubrik „Manierliches“ wertvolle Ratschläge für Zeitpunkt und Lautstärke des Hustens im Zuschauerraum bereithält, dazu die Empfehlung: „Räuspern ist der kleine Bruder des Hustens“. In diesem Sinne: Ohren und Augen auf für starke Frauen! Viel Erfolg der Vielfalt! Viel Beifall und Anerkennung für künstlerische Leistungen, ganz unabhängig vom Geschlecht!