Rede von Kulturstaatsministerin Grütters zur Eröffnung des neuen Bauhaus-Museums in Weimar

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Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Grütters zur Eröffnung des neuen Bauhaus-Museums in Weimar

In ihrer Rede zeigte sich die Staatsministerin beeindruckt von dem Neubau am Museumsquartier in Weimar. Mit der neuen Dauerausstellung lade er zur Auseinandersetzung mit der "Vielfalt teils widersprüchlicher künstlerischer und gesellschaftlicher Konzepte und Experimente ein, mit denen die Bauhäusler nach dem Ersten Weltkrieg sowohl die Welt der Formen neu denken als auch eine geistig und moralisch bis ins Mark erschütterte Welt neu gestalten wollten", sagte Grütters.

Freitag, 5. April 2019 in Weimar

Weimar, die Stadt Goethes und Schillers, gilt mit ihrem kulturellen Erbe, mit ihren Museen und Kulturschätzen schon lange als Schaufenster für das Land der Dichter und Denker. Das wird sich mit der Eröffnung des neuen Bauhaus-Museums ändern - im positiven Sinne: Als Land der Dichter, Denker und Designer wird man Deutschland hier in Weimar künftig noch besser als bisher kennenlernen können, pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum der Bauhaus-Gründung. Ich freue mich, dass auch der Bund mit finanzieller Unterstützung aus meinem Kulturetat dazu beitragen konnte, die weltweit älteste Bauhaus-Sammlung ihrer kunsthistorischen und auch politischen Bedeutung angemessen zu präsentieren.

Als das Bauhaus hier in Weimar vor 100 Jahren seine Pforten öffnete, hieß 'Design' noch 'Formgebung' und war - natürlich - eine Männerdomäne. Walter Gropius verkündete zwar zunächst „absolute Gleichberechtigung“, schließlich hatten in der Weimarer Nationalversammlung gerade die ersten Frauen die parlamentarische Bühne betreten. Doch als sich gleich im ersten Jahr mehr Frauen als Männer für ein Studium einschrieben, bekamen die Bauhaus-Meister kalte Füße: Die große Anzahl von Frauen, fürchtete Gropius, könnte dem Ansehen des Bauhauses schaden. Gerhard Marcks, Formmeister der Töpferei, plädierte dafür, „möglichst keine Frauen in die Töpferei aufzunehmen, beides ihret- und der Werkstatt wegen“. Ähnlich besorgt gab man(n) sich in der grafischen Druckerei und in der Metallwerkstatt, deklarierte dafür aber 1920 die Weberei als Frauenklasse, ganz nach dem Motto, mit dem der Maler Oskar Schlemmer sich einen unrühmlichen Platz weit oben im Ranking peinlich-reaktionärer Chauvi-Sprüche gesichert hat: „Wo Wolle ist, ist auch ein Weib, das webt, und sei es nur zum Zeitvertreib.“ Ironie der Bauhausgeschichte, dass damals ausgerechnet die Weberei zu einer der künstlerisch produktivsten und auch noch kommerziell erfolgreichsten Werkstätten wurde - und dass heute für das Bauhaus-Museum, für die adäquate Präsentation des von Männern dominierten Bauhaus-Vermächtnisses zwei Frauen als Architektin bzw. Museumsleiterin verantwortlich zeichnen. Einem Land, das auch stolz auf seine Dichterinnen, Denkerinnen und Designerinnen sein kann, steht das gut zu Gesicht - so wie auch der nüchterne, differenzierte Blick auf die eigene Geschichte. Der beeindruckende Neubau gibt deshalb nicht nur der hiesigen Bauhaus-Sammlung mit ihrer Vielzahl an Exponaten Raum, sondern auch kritischem Nachdenken und kontroversen Debatten. Mit der neuen Dauerausstellung lädt er zur Auseinandersetzung mit der Vielfalt teils widersprüchlicher künstlerischer und gesellschaftlicher Konzepte und Experimente ein, mit denen die Bauhäusler nach dem Ersten Weltkrieg sowohl die Welt der Formen neu denken als auch eine geistig und moralisch bis ins Mark erschütterte Welt neu gestalten wollten. Ich danke Ihnen, liebe Frau Hanada und liebe Frau Bestgen, und Ihren Teams für die großartige Arbeit in den vergangenen Jahren!

Gerade in der Kultivierung des Suchens und Ringens, das auch in Irrtümer und auf Irrwege führen kann, bietet das Bauhaus als 'Werkstatt der Moderne', als Labor für Ideen und Experimente bis heute zahlreiche Anknüpfungspunkte zur Auseinandersetzung mit der Frage, wie wir leben und zusammenleben wollen - und welche Rahmenbedingungen notwendig sind, damit das Zusammenspiel einer dem Machbaren verpflichteten Politik und einer das Mögliche, gar das Utopische beschwörenden Kunst in gesellschaftlichen Fortschritt mündet. Das neue Bauhaus-Museum kann dafür über das Jubiläum '100 Jahre Bauhaus' hinaus Quelle der Inspiration und des Lernens sein - zumal in Weimar, jener Stadt, die mit der Weimarer Klassik Synonym geworden ist für die Kulturnation Deutschland und Vollendung im Ästhetischen und die gleichzeitig als Gründungsort der Weimarer Republik für das Versagen im Politischen steht, für das Scheitern der ersten deutschen Demokratie. Von Weimar ist es nicht weit nach Buchenwald, als KZ-Gedenkstätte Fanal der Unmenschlichkeit der national-sozialistischen Diktatur und des moralischen Zusammenbruchs unseres Landes. Die Gesichter der überlebenden Buchenwald-Häftlinge, die gerade in einer Open-Air-Foto-Ausstellung rund um das Bauhaus-Museum zu sehen sind, erinnern uns auf erschütternde Weise daran, wie nah Humanismus und Aufklärung neben Völkermord und Barbarei liegen können.

Die Linien und Brüche in der Entwicklung von der Klassik über die Moderne bis zur Gegenwart nachzuzeichnen - das war seit langem Ihre Vision für Weimar, lieber Herr Seemann. Dazu hat die Klassik Stiftung Weimar 2007 den Masterplan 'Kosmos Weimar' vorgelegt, der alle musealen Einrichtungen der Stiftung inhaltlich und konzeptionell vernetzt. Das neue Bauhaus-Museum vollendet diesen Masterplan. Damit hinterlassen Sie, wenn Sie sich im Sommer in den wohlverdienten Ruhestand verabschieden, eine profilierte Einrichtung, die dann bei Ihnen, liebe Frau Lorenz, der künftigen Leiterin, gewiss in den besten Händen liegt. Ich danke Ihnen, lieber Herr Seemann, und allen, die am Erfolg des 'Kosmos Weimar' Anteil haben, und kann Ihnen versichern, dass wir - die öffentlichen Förderer: Bund, Land und Stadt - weiterhin nach Kräften zum Gedeihen der Klassik Stiftung Weimar beitragen werden. Jedenfalls hoffe und wünsche ich mir, meine Damen und Herren, dass Weimar seinen Besucherinnen und Besuchern künftig noch mehr als bisher die Bedeutung der Kunst vor Augen führt - und zwar neben der Wirkmacht der Sprachkunst Goethes und Schillers auch die des Designs, der Gestaltung der uns umgebenden Gebrauchsgegenstände. Denn auch das erfahren wir im neuen Bauhaus-Museum: dass Design nicht einfach nur schmuckes Beiwerk, oberflächliche Dekoration ist, sondern Einfluss nimmt auf unser Leben. Kaum jemand - jedenfalls soweit ich weiß, kein deutscher Dichter, Denker oder Designer  - hat die soziale und politische Dimension des Ästhetischen so eindringlich beschrieben wie die in Rumänien aufgewachsene, deutsche Dichterin und Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller im Zusammenhang mit rumänischen Vitrinen und der - wie sie es formulierte -„allgegenwärtigen Hässlichkeit (…) im Sozialismus“, ich zitiere: „Die hässliche Gleichheit drückt aufs Gemüt, macht apathisch und anspruchslos, das wollte der Staat. (…) So eine Vitrine ist ein Lebensgefühl. Sie ist depressiv und überträgt ihre Depression tagtäglich auf alle, die an ihr vorbei gehen. Selbst wenn sie nur gedankenlos hinsehen, haben sie diese Vitrine schon im Gemüt. Ich glaube, Schönheit gibt einem Halt, sie behütet oder schont einen. (…) Ästhetik ist nicht bloß ,Stilmittel‘, sondern Substanz.“

Ja, Schönheit verleiht den Dingen eine ganz besondere Kraft. Auch das erfahren wir im neuen Bauhaus-Museum. Deshalb können Designer mit ihrer Formensprache das Wahrnehmen, Denken und Empfinden verändern. Es sind solche kleinen Veränderungen im Bewusstsein, die jeder großen gesellschaftlichen Veränderung vorausgehen, und in diesem Sinne trägt künstlerische Gestaltungskraft immer den Keim des Fortschrittlichen, des - im besten Sinne - Revolutionären in sich. Damit haben die Bauhäusler provoziert und polarisiert. Sie haben der Lethargie der Einfallslosen den Enthusiasmus der Fantasie entgegen gesetzt. Das feiern wir mit dem Jubiläum '100 Jahre Bauhaus'. Ich bin sicher: Eine Gesellschaft, die der Gestaltungskraft Raum gibt, bleibt in jeder Hinsicht veränderungs- und innovationsfähig. Möge das Bauhaus-Museum Weimar mit seiner beeindruckenden Ausstellung dazu beitragen! Auf eine erfolgreiche Zukunft und viele begeisterte Besucherinnen und Besucher!