Rede von Kulturstaatsministerin Grütters beim Fachgespräch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema „Heimat mit Zukunft − für eine reiche Kultur in ländlichen Räumen“

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Grütters beim Fachgespräch der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema „Heimat mit Zukunft − für eine reiche Kultur in ländlichen Räumen“

In ihrer Rede schlug die Kulturstaatsministerin eine Brücke zwischen den Begriffen "Heimatliebe" und "Weltläufigkeit": Gerade weil Kultur eine geistige Heimat biete, ohne auszuschließen, führe sie diese beiden Konzepte zusammen. Deshalb sei es der Bundesregierung ein wichtiges, kulturelle Angebote für Menschen in ländlichen Regionen zu sichern und sie gemeinsam mit den Ländern und Kommunen noch stärker auszubauen.

Montag, 18. März 2019 in Berlin

Anrede!

So weit als die Welt,

So mächtig der Sinn,

So viel Freude er umfangen hält,

So viel Heimat ist ihm Gewinn.

Eine Veranstaltung, die Kultur und Heimat gewidmet ist, darf man getrost mit einem Gedicht beginnen, finde ich - zumal diese Verse Clemens Brentanos klangvoll unterstreichen, dass Weltläufigkeit und Heimatliebe eben kein Widerspruch sind. Im Gegenteil: Wer das Eigene kennt und schätzt, kann dem Fremden selbstbewusst und offen begegnen. Erst über die Weltläufigkeit erschließt sich die Bedeutung der Heimat in ihrer ganzen Fülle.

Obwohl wir mittlerweile wieder intensiv über „Heimat“ sprechen, machen sich Menschen, die ihre Heimatliebe artikulieren, schnell einer gewissen Deutschtümelei verdächtig. Zumindest aber müssen sie damit rechnen, dass ihnen Weltläufigkeit abgesprochen wird.

Heimweh zu haben, gilt hingegen als völlig legitim. Es gehört zum Leidensrepertoire des Kosmopoliten. Jeder kennt Heimweh, jeder darf es haben.

Interessanterweise war das fast über zweieinhalb Jahrhunderte lang geradezu umgekehrt. Unter Wissenschaftlern jedenfalls galt Heimweh als geradezu pathologischer Befund. Der Philosoph und Psychiater Karl Jaspers beschäftigte sich noch 1909 in seiner Doktorarbeit mit diesem Phänomen als Krankheit. Er untersuchte seltsame „Heimwehverbrechen“ junger Frauen. Sie waren als Kindermädchen in fremde Gegenden gegangen und hatten dort entweder Brände gelegt oder gar die ihnen anvertrauten Kinder ermordet. Christoph Marthaler hat einmal aus dem Stoff am Hamburger Schauspielhaus einen streitbaren Theaterabend gemacht.

Dem Begriff „Heimatliebe“ wird im Gegensatz zum Heimweh heute schnell etwas Exklusives, Ausschließendes unterstellt. Dabei kommt Heimweh nicht ohne Heimatliebe aus. In jedem Fall lässt sich über das Heimweh gut verdeutlichen, warum „Heimat“ auch und gerade in einer offenen Gesellschaft Zukunft braucht. Wer Heimweh hat, vermisst seine vertraute Umgebung: Orte die er kennt, die ihm Struktur und Halt geben. Wer Heimweh hat, sehnt sich nach Menschen, mit denen er Erinnerungen und Werte teilt, Menschen, von denen er sich verstanden fühlt.

Soweit zur Vorrede.

Kultur bietet eine geistige Heimat - gerade in einer globalisierten und digitalisierten Welt, in der alte Gewissheiten in Frage gestellt werden, in der sich Regionen und Städte rasant verändern, in der oft auch soziale Strukturen wegbrechen. Kultur gibt Halt und Orientierung und ermöglicht Erfahrungen der Zugehörigkeit. Kultur stellt das Verbindende über das Trennende und bietet so eine Heimat, ohne auszuschließen. Kultur führt Weltläufigkeit und Heimat zusammen.

Über die Bedeutung der Kultur für Heimat und Heimatverbundenheit wollen wir heute diskutieren, und es freut mich, dass wir uns dabei in bester Gesellschaft befinden: zum einen, weil so viele Kultureinrichtungen, die sich in diesem Sinne in ländlichen Räumen engagieren, prominent hier vertreten sind. Zum anderen, weil nicht nur die CDU/CSU-Fraktion, sondern auch die Kulturverbände dieses wichtige Thema auf ihre Agenda gesetzt haben - der Deutsche Kulturrat zum Beispiel und auch die Kulturpolitische Gesellschaft, die ihren Bundeskongress im Juni dem Motto KULTUR.MACHT.HEIMATen widmet. Vielen Dank dafür - solche kulturpolitischen Diskussionen brauchen wir.

Im Koalitionsvertrag heißt es: „Kunst und Kultur sind Ausdruck des menschlichen Daseins. In ihrer Freiheit und Vielfalt bereichern sie unser Leben, prägen unsere kulturelle Identität, leisten einen Beitrag zu gesellschaftlichem Zusammenhalt und zur Integration und schaffen Freiräume für kritischen Diskurs.“ Das gilt selbstverständlich nicht nur für das städtische Leben sondern gerade auch für ländliche Regionen. Mehr als die Hälfte der Menschen lebt heute in Kleinstädten und Dörfern.

Zugleich sehen sich aber die strukturschwachen ländlichen Regionen mit enormen Herausforderungen konfrontiert: Wo nicht nur das nächste Krankenhaus, sondern auch das nächste Kino, die nächste Bibliothek, das nächste Museum kilometerweit entfernt sind, fühlen Menschen sich abgehängt. Das beschert Populisten Zulauf. Gerade in diesen Regionen werden Kultureinrichtungen als Orte der Begegnung und Zentren des Austauschs gebraucht. Sie sind nicht weniger wichtig als Schulen und Einkaufsmöglichkeiten. Deshalb müssen wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen Kultur in ländlichen Regionen stärken. Und deshalb haben wir im Koalitionsvertrag festgehalten, dass wir uns der Herausforderung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Deutschland stellen wollen.

Lassen Sie mich an Hand einiger ausgewählter Beispiele darstellen, was mein Haus dazu beiträgt und beizutragen plant - mit Maßnahmen und Aktivitäten, die weit über die bekannten Denkmalpflegeprogramme hinausgehen:

Die aus meinem Kulturetat finanzierte Kulturstiftung des Bundes fördert beispielsweise das Programm „TRAFO – Modelle für Kultur im Wandel“. Von 2015 bis 2024 stehen insgesamt 22,8 Millionen Euro zur Verfügung, um Veränderungsprozesse der kulturellen Infrastruktur in ländlichen Regionen zu unterstützen, die in besonderer Weise vom demografischen Wandel geprägt sind. Ziel ist es, das kulturelle Angebot in diesen Regionen dauerhaft zu stärken und bestehende öffentliche Kulturorte mit der Bevölkerung vor Ort für die Zukunft zu rüsten.

Im Rahmen des Programms „Investitionen für nationale Kultureinrichtungen in Ostdeutschland“ stellt die BKM zudem jährlich vier Millionen Euro für den Substanzerhalt und die Erneuerung bedeutender Kultureinrichtungen in den strukturschwachen ostdeutschen Ländern zur Verfügung. Dieses Programm soll ab 2020 aufgestockt und auf alle Bundesländer ausgeweitet werden.

Darüber hinaus versuchen wir, durch etliche Bundeskulturpreise für Theater, Kinos, Musikclubs und Buchhandlungen das großartige Netz „geistiger Tankstellen“, wie Helmut Schmidt es mal so treffend formulierte, aufrecht zu erhalten und kulturell herausragenden Kulturorten mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu verschaffen. Diese Preise sollen auch Unterstützung und Ermutigung für die zahlreichen Kleinkultur-Einrichtungen sein, in denen wahre Liebhaber am Werk sind und mit viel Herzblut und persönlichem Einsatz dafür sorgen, dass es auch fern der Metropolen ein großartiges Kulturangebot auf hohem professionellen Niveau für alle Bürgerinnen und Bürger gibt.

Wichtig sind mir auch die Soziokulturelle Zentren. Zum einen sind sie stark in den ländlichen Räumen verankert. Zum anderen fördern sie mit vielfältigen, generationenübergreifenden und interkulturellen Angeboten die Teilhabe diverser sozialer Gruppen und sorgen für neue Impulse. Mein Haus fördert deshalb die Bundesvereinigung Soziokulturelle Zentren e.V. als Dachverband mit mehr als 550 soziokulturellen Zentren. Den Fonds Soziokultur finanziere ich aus meinem Etat mit jährlich zwei Millionen Euro. Sie fließen in Kulturprojekte vor Ort, die Mittel dafür konnten wir verdoppeln.

Auch die Pflege des immateriellen Kulturerbes in Deutschland trägt gerade in ländlichen Räumen zur Heimatverbundenheit bei - zumal sie vom breiten zivilgesellschaftlichen Engagement in den so genannten Trägergruppen lebt. Die aus unserem BKM-Etat finanzierte Geschäftsstelle Immaterielles Kulturerbe der Deutschen UNESCO-Kommission begleitet, berät und koordiniert die bundesweiten Aktivitäten. In geradezu mustergültiger Manier wird auf diese Weise die kulturelle Vielfalt Deutschlands in der Fläche neu entdeckt, belebt und gewürdigt.

Das gilt auch für die Amateurbewegung, insbesondere im Bereich Musik und Theater. So bilden die zahlreichen Chöre und Orchester geradezu die Basis des deutschen Musiklebens. Der Bund engagiert sich für die Rahmenbedingungen dieses Musizierens - zum Beispiel mit der Sicherung der Übungsleiterpauschalen. Um mehr Aufmerksamkeit für die Bedeutung der Amateurmusik zu schaffen, finanziert die BKMaußerdem einzelne herausgehobene Projekte wie die „Tage der Chor- und Orchestermusik“ und das „Deutsche Musikfest“.

Auch die zahlreichen Bühnen und Amateurtheater praktizieren Theater als ehrenamtliche Aufgabe und bilden so eine wesentliche Säule des kulturellen und vor allem auch bürgerschaftlichen Engagements. Der Bund deutscher Amateurtheater ist mit seinen 18 Mitgliedsverbänden und rund 2.400 angeschlossenen Theaterbühnen einer der größten Interessenverbände für die Darstellenden Künste in Europa. Er wird allein aus meinem Haus mit über 450.000 Euro jährlich gefördert.

Diese Beispiele zeigen: Gerade in den ländlichen Räumen spielt freiwilliges Engagement im Bereich Kunst und Kultur eine zentrale Rolle für das Gemeinwesen und den Zusammenhalt. Deshalb ist es so wichtig, den vielen tausend ehrenamtlich und bürgerschaftlich Engagierten den Rücken zu stärken. In diesem Sinne unterstütze ich auch die Gründung des bundesweiten Dachverbands der Kulturfördervereine, der sich für die Qualifizierung von Ehrenamtlichen und für einen gegenseitigen Wissenstransfer zwischen Land und Stadt in der Kulturarbeit einsetzt. Für die Aufbauphase des Dachverbands der Kulturfördervereine habe ich deshalb gerne die Schirmherrschaft übernommen.

Last but not least bietet auch der digitale Wandel großartige neue Chancen, um allen Menschen, insbesondere auch in ländlichen Räumen, den Zugang zu Kultur zu ermöglichen. Deshalb unterstützt mein Haus Kultureinrichtungen bei der Erweiterung ihres digitalen Zugangs – beispielsweise im Rahmen des Projekts „museum4punkt0“, das mit insgesamt 15 Millionen Euro aus meinem Kulturetat gefördert wird. Die beteiligten Museen entwickeln unter Federführung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz digitale Strategien für das Museum der Zukunft und haben Ende 2018 eine sehr beeindruckende Zwischenbilanz präsentiert: Apps und digitale Erzählformate, Cyberbrillen und Virtual Reality Labs haben auch mich begeistert, die ich Bilder und Exponate eigentlich gerne - ganz altmodisch - analog bewundere. Als Kulturvermittler wie auch als „Kultur-Verführer“ sind diese digitalen Zugangs-Erweiterer jedenfalls jeden Fördercent wert. Von den neuen Strategien sollen dann auch alle Kultureinrichtungen in ganz Deutschland profitieren.

Meine Damen und Herren, das sind wie gesagt nur ein paar Beispiele für unser Engagement in den ländlichen Räumen. Wir arbeiten kontinuierlich und intensiv daran, es weiter auszubauen. Besonders wichtig ist dabei die koordinierte und gute Zusammenarbeit mit den Ländern. Deshalb haben wir im 10. Kulturpolitischen Spitzengespräch der Kulturministerinnen und Kulturminister der Länder und des Bundes am 13. März verabredet, dass wir unsere Förderaktivitäten im Bereich „ländliche Räume“ künftig noch effektiver miteinander abgleichen. Wenn wir Schnittstellen und Gemeinsamkeiten identifizieren, können wir gezielt wirksame Kofinanzierungen und Kooperationen entwickeln.

Für eine effiziente Stärkung der ländlichen Räume ist jedoch nicht nur ein koordiniertes, sondern auch ein ressort- beziehungsweise disziplinübergreifendes Vorgehen notwendig. Im September 2018 hat die Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ unter Vorsitz der Bundeskanzlerin ihre Arbeit aufgenommen: Dort arbeitet die Bundesregierung mit den Ländern und kommunalen Spitzenverbänden zusammen, um mit konkreten Maßnahmen eine gerechte Verteilung von Chancen und Ressourcen für alle Menschen in Deutschland zu erreichen. Mein Haus wirkt daran in zwei von sechs Arbeitsgruppen mit. Auf Basis der Ideen aus den Facharbeitsgruppen wird die Kommission bis Mitte 2019 einen Bericht mit konkreten Vorschlägen vorlegen.

Darüber hinaus erarbeiten wir gegenwärtig auch weitere konkrete Maßnahmen, um die Kultur in ländlichen Räumen zu stärken: So werden wir zum Beispiel dazu beitragen, dass das Kino als kultureller und sozialer Ort attraktiv bleibt, und zwar in ganz Deutschland, nicht nur in den Metropolen. Mit einem aus meinem Etat kofinanzierten „Zukunftsprogramm“ soll der Kulturort Kino künftig auch außerhalb von Ballungsgebieten gestärkt werden.

Neu hinzu kommt auch das im Koalitionsvertrag angekündigte Förderprogramm „Kultur in den Regionen“. Dazu stehen ab diesem Jahr zehn Millionen Euro aus dem Bundesprogramm Ländliche Entwicklung (BULE) des BMEL zur Verfügung. Mit diesen Mitteln werden wir die Kultur in den ländlichen Räumen nachhaltig stärken, zum Beispiel, indem wir die Strahlkraft kultureller Leuchttürme in die Fläche holen. Das kann zum einen durch mobile Vermittlungsprojekte bundesgeförderter Einrichtungen gelingen. Zum anderen will ich aber auch den Zugang breiterer Kreise zu Kultureinrichtungen in den Metropolen erleichtern. Es gibt bereits einige beispielgebende Programme, die aus meinem Etat geförderte Einrichtungen schon länger anbieten und an die wir anknüpfen können: Das Jüdische Museum Berlin etwa fährt mit dem Museumsbus „Museum.On Tour“ schon seit zehn Jahren Schulen im ganzen Bundesgebiet an, damit jedes Schulkind in Deutschland das Museum kennenlernen kann − auch ohne nach Berlin zu reisen. Im Gepäck ist ein mehrtägiges pädagogisches Begleitprogramm, das auch eine Spurensuche zum jüdischen Leben vor Ort beinhaltet. Solche Initiativen sind vorbildlich. Davon wollen wir künftig mehr!

Unser gemeinsames Ziel muss es sein, meine Damen und Herren, dass man in ganz Deutschland von Aschau bis Zingst an unserem reichen Kulturschatz teilhaben kann. Kunst und Kultur bergen die Kraft, Selbstvergewisserung und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu stärken. Kultur kann Brücken bauen und Türen öffnen. Sie stiftet Heimat und öffnet Welten. Diese Kräfte brauchen wir! Ich freue mich und hoffe sehr, dabei auf Ihre Unterstützung zählen zu können: für Heimat mit Zukunft, für eine reiche Kultur in ländlichen Räumen!

Beitrag teilen