Rede von Kulturstaatsministerin Grütters anlässlich der Verleihung des Deutschen Buchhandlungspreises

In der heutigen Thüringer Staatskanzlei − keinen Kilometer von hier entfernt − trafen sich vor etwas mehr als 200 Jahren der damals wohl mächtigste Mann der Welt mit einem der wirkmächtigsten Dichter Europas. Napoleon Bonaparte hatte – so ist es überliefert – einige kritische Anmerkungen zu „Die Leiden des jungen Werther“ und suchte deshalb das Gespräch mit dem Autor.

Als Klassiker deutscher Literatur und Schullektüre steht der „Werther“ sicher nach wie vor auch bei Ihnen im Regal. Und weil es darin, wie jeder Literaturliebhaber weiß, immer wieder ums Lesen geht, gönnen wir uns einen Blick ins Buch und lesen nach, wie Lotte über die schlechte Auswahl der Romane klagt, die sie von ihrer Cousine bekommt: „Wie ich jünger war", sagt sie, „liebte ich nichts so sehr als Romane. (…) Doch da ich so selten an ein Buch komme, so muß es auch recht nach meinem Geschmack sein.“

Lotte konnten Sie, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, bei ihrem Problem noch nicht unterstützen. Heute aber verhelfen Sie jeden Tag zehntausenden Leserinnen und Lesern zu den Büchern, die „nach ihrem Geschmack“ sind, und stehen ihnen mit Rat und Inspiration zur Seite. Aber Sie machen mit Ihrer Arbeit nicht nur die Lesehungrigen glücklich. Mit Ihrem vielfältigen literarischen Sortiment, mit besonderen Veranstaltungen und Initiativen zur Leseförderung, mit innovativen Geschäftsmodellen und dem Wirken als Buchhandlung vor Ort fördern Sie die Lesekultur und tragen maßgeblich zum Erhalt der literarischen, der verlegerischen, der kulturellen Vielfalt in Deutschland bei.

Dieser Beitrag soll heute mit dem Deutschen Buchhandlungspreis gewürdigt werden, und ich freue mich sehr, dass wir dank niedriger Infektionszahlen kurzfristig doch noch die Preisträgerinnen und Preisträger zur feierlichen Preisverleihung einladen konnten. Mit Preisen im Wert von insgesamt 850.000 Euro sowie undotierten Gütesiegeln zeichnen wir in diesem Jahr insgesamt 118 Buchhandlungen aus. Sie sollen ihnen Aufmerksamkeit verschaffen und dabei helfen, im harten Wettbewerb ihre Stärken auszuspielen. Ich danke unseren Partnern, dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Kurt-Wolff-Stiftung, vor allem aber allen Mitgliedern der Jury, die mit viel Sachverstand und großem Engagement deutschlandweit preiswürdige Buchhandlungen ausgewählt haben.

Der Beitrag der Buchhandlungen zur kulturellen Vielfalt in Deutschland kann gerade in diesem Jahr nicht hoch genug geschätzt werden. Die Pandemie hat ja auch die Arbeit der Buchhändlerinnen und Buchhändler extrem erschwert. Und dennoch haben sie uns mit ihrer Fachkompetenz, ihrer Auswahl und Beratung, ihrem Wirken vor Ort durch die Pandemie begleitet. Sie haben uns am Lesen gehalten – uns also gewissermaßen geistig am Leben erhalten, als alle anderen Kulturorte pandemiebedingt geschlossen bleiben mussten. Ich habe mich deshalb immer wieder dafür stark gemacht, dass Buchhandlungen während des Lockdowns offen bleiben dürfen. Das Bundeskulturressort hat auf ihr Engagement und auf ihre Bedeutung für die kulturelle Grundversorgung nicht nur mit der Anpassung der Teilnahmebedingungen zu diesem Preis reagiert, sondern auch mit einem nie dagewesenen Unterstützungsprogramm.

Um die kulturelle Vielfalt im Buchwesen zu erhalten, habe ich in meiner Amtszeit rund 42 Millionen Euro für die Buchbranche zur Verfügung gestellt. Buchhandlungen und Verlage sowie die Frankfurter Buchmesse haben allein aus dem Programm NEUSTART KULTUR bisher 29 Millionen Euro erhalten. Mit der NEUSTART-Digitalisierungsförderung wollen wir Buchhandlungen dabei unterstützen, auf die Folgen der Corona-Pandemie zu reagieren und sich zukunftsgerecht aufzustellen. Denn Lesen ist schließlich kein verzichtbarer Luxus, sondern Lebenselixier, Kulturtechnik und auch für eine demokratische Debattenkultur schlicht notwendig.

Ich freue mich deshalb sehr, Ihnen heute mitteilen zu können, dass wir aus den Mitteln von NEUSTART KULTUR eine weitere Programmlinie zur Unterstützung von Buchhandlungen auflegen werden: die „Anerkennungsprämie für Buchhandlungen“. Für das Programm stehen 10 Millionen Euro und damit über 1000 Prämien zur Verfügung. Anträge können voraussichtlich ab September 2021 beim Börsenverein des deutschen Buchhandels gestellt werden.

Mit dem Programm wollen wir das Engagement von Buchhändlerinnen und Buchhändlern unter schwierigen Corona-Bedingungen einmal mehr würdigen und insbesondere kleine und spezialisierte Buchhandlungen als Kulturorte erhalten.

Bücher und Buchhandel haben sich in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder gewandelt, haben Umbrüche erlebt und auch selbst hervorgebracht. Die Pandemie hat diesen Wandel beschleunigt. Ich möchte, dass Sie, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, die BKM – und auch mich persönlich – dabei immer an Ihrer Seite wissen. Natürlich sind es am Ende Sie selbst, die durch Innovations- und Tatkraft dafür sorgen, dass der unabhängige Buchhandel eine Zukunft hat, und Ihr Engagement insbesondere im vergangenen Jahr zeigt, dass einem dabei nicht bange werden muss. Die BKM wird aber alles in ihrer Möglichkeit Stehende tun, um Sie dabei zu unterstützen.

Erfurter Treffen jedenfalls sind für die Buchbranche keine schlechten Omen. Denn während es mit Napoleon und seiner Macht bald nach dem eingangs erwähnten Gespräch mit Goethe bergab ging, wurde es für die Buchhändler eine sehr erfolgreiche Zeit. Dazu trug im Übrigen auch der „Werther“ seinen Teil bei, war er doch einer der ersten Bestseller der deutschen Literatur und Mitauslöser der sogenannten „Lesesucht“.

Solche literarischen Bestseller wünsche ich auch Ihnen, liebe Buchhändlerinnen und Buchhändler, und dazu jede Menge interessierte Leserinnen und Leser, die bei Ihren Lesungen – wie damals Napoleon mit Goethe – mit Autorinnen und Autoren ins Gespräch kommen wollen und sich bei Ihnen vor allem immer wieder mit neuem Lesestoff eindecken. Kurz und gut, ich wünsche Ihnen viel Erfolg und dem Kulturort Buchhandlung eine glänzende Zukunft! Dazu soll der Deutsche Buchhandlungspreis beitragen. 
Herzlichen Glückwunsch allen Preisträgerinnen und Preisträgern!