Rede der Kulturstaatsministerin zur Eröffnung der Ausstellung "Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht" in der Berlinischen Galerie

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Im Wortlaut Rede der Kulturstaatsministerin zur Eröffnung der Ausstellung "Lotte Laserstein. Von Angesicht zu Angesicht" in der Berlinischen Galerie

Lotte Laserstein steht nach Ansicht der Kulturstaatsministerin exemplarisch für die sogenannte "verlorene Generation" von Künstlern und Künstlerinnen, die in der NS-Zeit aus politischen oder rassischen Gründen aus dem Kunstbetrieb ausgeschlossen wurden und in Vergessenheit gerieten. "Umso erfreulicher ist es, dass sie wiederentdeckt werden, dass sie heute zunehmend die verdiente Aufmerksamkeit erfahren", sagte Grütters.

Donnerstag, 4. April 2019 in Berlin

Es ist ein schöner Zufall, dass die heutige Ausstellungseröffnung ausgerechnet auf den Geburtstag Bettina von Arnims fällt. Die Dichterin, die heute vor234 Jahren geboren wurde, schrieb einmal: "Finde Dich, sei Dir selber treu, lerne Dich verstehen, folge Deiner Stimme, nur so kannst Du das Höchste erreichen!"

Was heute beinahe ein wenig wie Ratgeberliteratur wirkt, bedeutete in einer Zeit, in der die Frau auf die Rolle der fürsorglichen Gattin und Mutter reduziert wurde, nicht nur für eine Dichterin: Erwartungen zu unterlaufen und gegen äußere Widerstände selbstbewusst und mutig der eigenen Berufung und Überzeugung zu folgen. Glaubt man Bettina von Arnims eigenen Darstellungen, so riet ihr sogar ihr geschätzter Bruder Clemens Brentano, sie solle doch lieber Strümpfe stricken als Philosophen lesen.

Wie gut, dass sie seine Ratschläge nicht beherzigte! So konnte sie zu einer Wegbereiterin für Künstlerinnen werden, zu einem Vorbild für Frauen, die, um es salopp zu sagen, "ihr Ding machen" wollten.

So wie Bettina von Arnim ging auch Lotte Laserstein unbeirrt ihren Weg. Beide eroberten Männerdomänen, beide verließen sich selbstbewusst auf ihr Können. Lotte Laserstein schuf ein beeindruckendes Oeuvre, das vor dem Krieg zwar gebührend gefeiert, nach dem Krieg aber zu Unrecht vergessen wurde. Damit teilt sie das Schicksal vieler Zeitgenossinnen. Die vom Städel initiierte und von Ihnen, liebe Frau Lütgens, kuratierte Ausstellung ist eine wichtige Etappe auf dem Weg ihrer Wieder- und Neuentdeckung. Eine Art Durchbruch war 2010 der Ankauf des Bildes "Abend über Potsdam" für die Neue Nationalgalerie. BKM hat ihn damals mit einer finanziellen Beteiligung unterstützt. Ich hoffe zuversichtlich, dass die späte Würdigung ihres Schaffens (ein Vierteljahrhundert nach ihrem Tod) dazu beitragen wird, Lotte Laserstein einen angemessenen, ja, den ihr gemäßen Platz in der Kunstgeschichte einzuräumen, gleichrangig neben bekannten männlichen Künstlern ihrer Zeit.

Ihnen, lieber Herr Köhler, danke ich sehr herzlich, dass Sie sich immer wieder für die Sichtbarkeit großer Künstlerinnen engagieren – so auch mit der sehr erfolgreichen Jeanne-Mammen-Retrospektive, für die Sie − wie Sie das ja immer wieder tun – unter großem persönlichem Einsatz Gelder eingeworben haben.

"Museumsarbeit heißt entdecken, aber eben auch gut auswählen", so wurden Sie in der Berliner Zeitung in diesen Tagen zitiert. Und ich kann nur sagen: Das gelingt Ihnen vortrefflich! Ich freue mich sehr, dass Ihr Vertrag um weitere fünf Jahre verlängert wurde − und dass ich heute mit der gemeinsamen Eröffnung der Lotte-Laserstein-Ausstellung eine weitere "Entdeckung" und eine "gute Wahl" der Berlinischen Galerie würdigen kann.

Weibliche Kreative stärker ins Rampenlicht rücken − das ist mir nicht nur als Kunstliebhaberin, sondern auch politisch ein Herzensanliegen. Denn leider gilt ja bis heute, was Lotte Laserstein erleben musste: Künstlerinnen haben es deutlich schwerer als Künstler in einer eben doch sehr männlich dominierten Kunstwelt.

Laserstein gehörte zu den ersten Frauen, die an der Kunsthochschule studierten. Bis vor 100 Jahren schlossen die meisten Akademien die als "Malweiber" verspotteten Künstlerinnen vom Studium aus. Frauen, die eine Künstlerkarriere anstrebten, waren auf Privatlehrer oder kostspielige private Kunsthochschulen angewiesen. Eine Karikatur von Bruno Paul, 1901 im Simplicissimus veröffentlicht, zeigt deutlich, was man(n) von malenden Frauen hielt: Ein Maler sagt zu seiner Schülerin: "Sehen Sie, Fräulein, es gibt zwei Arten von Malerinnen: die einen möchten heiraten und die anderen haben auch kein Talent."

Wir kennen das ja aus den Biographien vieler großer Künstlerinnen: Spott und Häme waren ihnen sicher, Anerkennung und Wertschätzung enthielt man ihnen vor. Anna Dorothea Therbusch beispielsweise, die wohl erste Malerin
in Berlin und Preußen, die zu Erfolg und Ansehen kam, stieß mit ihrem herausragenden Werk "Junge Dame im Negligé" 1768 in der Kunstwelt auf Ablehnung. Die Mitglieder der Pariser Kunstakademie - allesamt Männer - hielten es für eine Täuschung − es war einfach zu gut gelungen, als dass es von einer Frau hätte stammen können; und Denis Diderot, der damalige "Kunstpapst", verspottete die Malerin ihrer Freizügigkeit wegen. Paula Modersohn-Becker wiederum, eine der bedeutendsten Vertreterinnen des frühen Expressionismus, klagte um 1900: "Die Zahl derer, mit denen ich es aushalten kann, über etwas zu sprechen, was meinem Herzen und meinen Nerven naheliegt, wird immer kleiner werden." Ihr Zeitgenosse, der Kunstkritiker Karl Scheffler, bezeichnete eine malende Frau als "die Imitatorin par excellence. […] Sie ist die geborene Dilettantin." Und der Kunsthistoriker Wilhelm Lübke stellt 1862 mit Befriedigung fest, "sie haben über Pinsel und Palette nicht die Sorge für die Kinder und den Mann, über den Farbtöpfen nicht die Kochtöpfe […] vergessen […]. Solange sie so treffliche Töchter, Gattinnen und Mütter sind, mögen wir, dünkt mich, es leichter ertragen, wenn sie keine Raffaels und Michelangelos werden."

Sprüche wie diese gehören der Vergangenheit an?  – …sollte man meinen. Doch tatsächlich gibt es auch heute noch Männer, die Künstlerinnen ihr Talent schlicht absprechen. Georg Baselitz gab beispielsweise wiederholt zu Protokoll "Frauen können nicht malen" und führte als Begründung an: "Der Markt lügt nicht". Unter den teuersten Künstlern seien kaum Frauen, ergo: das Preisschild gibt Auskunft über die Qualität des Kunstwerks.

Möglicherweise ist ihm entgangen, dass Werke mancher einst gut bezahlter Künstler heute in den Depots verstauben, während einst unter Wert gehandelte Künstlerinnen mittlerweile sehr hohe Preise erzielen. Käthe Kollwitz wurde beispielsweise 1904 der Zugang zur Akademie verweigert, weil der Berliner Akademiedirektor Anton von Werner wie Baselitz der Meinung war, Frauen könnten nicht malen. Ein kleines Aquarell von Käthe Kollwitz kostet heute zehnmal so viel wie ein großformatiges Ölbild von ihm.

Man mag Äußerungen wie die von Baselitz heute als Einzelmeinung eines eitlen Künstlers abtun. Doch leider wird die Argumentationsfigur immer wieder bemüht. Ein internationales Forscherteam hat 1,5 Millionen Auktionsabwicklungen in 45 Ländern aus den Jahren 1970 bis 2013 untersucht und die Ergebnisse 2017 in einer Studie veröffentlicht.

Dabei stellte sich heraus: Kunst von Frauen wird nicht nur weniger gezeigt und verkauft; auf weibliche Kunstwerke gibt es auch einen "Geschlechtsrabatt" von 47,6 Prozent. Da sollte man doch gleich zuschlagen.

Die Forscher hatten verschiedene Experimente mit kunstaffinen Teilnehmern durchgeführt. In einem Experiment sollten die Probanden erraten, ob die gezeigten Bilder von Frauen oder Männern gemalt wurden. Die Zuordnung gelang ihnen nicht − und Bilder, die sie für Werke von Männern hielten, gefielen ihnen einfach besser. Es liegt auf der Hand, dass hier angeblich überkommene, gleichwohl tief in der Gesellschaft verwurzelte Rollenbilder am Werk sind.

Ein anderes Ergebnis der Studie: Der "Geschlechts-Rabatt" variiert entsprechend der Geschlechterverhältnisse in den einzelnen Ländern und Zeiten. Wo wenige Frauen im Parlament und Bildungswesen vertreten sind, ist der Pay-Gap größer. Das, meine Damen und Herren, bestätigt: Wir brauchen weibliche Vorbilder, die ein Umdenken einleiten − und wir Politiker können einiges dafür tun. Zum Beispiel mit dem Mentoring-Programm, das wir gemeinsam mit dem Projektbüro "Frauen in Kultur und Medien" beim Deutschen Kulturrat entwickelt haben: Es ermöglicht Künstlerinnen und weiblichen Kreativen, von erfahrenen Kolleginnen und Kollegen zu lernen und von deren Netzwerken zu profitieren.

Denn Begabung alleine reicht oft nicht. Wer als Künstlerin Erfolg haben möchte, muss Fäden ziehen, Netzwerke spinnen und innovative Selbstvermarktungsstrategien beherrschen. Das war übrigens zu Lasersteins Zeiten nicht anders. Zum Glück war Lotte Laserstein nicht nur ein herausragendes Talent. Sie war auch eine gute Netzwerkerin und setzte versiert  − heute würde man sagen  − "zielgruppengerechte" Strategien ein, um sich auf einem männlich dominierten Kunstmarkt behaupten zu können. So suchte sie Anschluss an einflussreiche und professionelle Kreise, nahm an Wettbewerben wie "Das schönste deutsche Frauenportrait" teil und veröffentlichte ihre Bilder in Magazinen. Sie wäre eine wunderbare Mentorin für unser Förderprogramm gewesen. Von ihr kann man viel über Erfolgsstrategien lernen.

In der späten Ära der Weimarer Republik jedenfalls wurde Lotte Laserstein euphorisch gefeiert − obwohl sie eine Frau war, obwohl sie sich keiner Mode unterwarf und obwohl sie − wie es Bettina von Arnim riet − sich selbst treu blieb. Doch die angesehene, erfolgreiche Künstlerin geriet danach über Jahrzehnte in Vergessenheit.

Die als Jüdin verfolgte Lotte Laserstein steht exemplarisch für die sogenannte "verlorene Generation" von Künstlern und (den auch dabei etwas aus den Blick geratenen) Künstlerinnen, die in der NS-Zeit aus politischen oder rassischen Gründen aus dem Kunstbetrieb ausgeschlossen wurden und in Vergessenheit gerieten, auch weil sie nach 1945 mit ihren realistisch gemalten Bildern in der avantgardeorientierten Nachkriegskunst nicht mehr an ihre erfolgversprechenden Vorkriegskarrieren anknüpfen konnten.

Umso erfreulicher ist es, dass sie wiederentdeckt werden, dass sie heute zunehmend die verdiente Aufmerksamkeit erfahren! Ich bin auch sicher: Lotte Laserstein wäre zufrieden und glücklich, dass ihre Werke nicht nur im Städel-Museum in Frankfurt, sondern auch in Berlin gezeigt werden. Berlin war die künstlerisch prägendste und erfolgreichste Station in ihrem Leben. Die Berlinische Galerie ist deshalb geradezu prädestiniert für diese umfassende Schau der künstlerischen Entwicklung Lotte Lasersteins, ergänzt um Arbeiten anderer Künstler ihrer Zeit.

Die Schriftstellerin Eva Menasse hat in einem Portrait über Lotte Laserstein geschrieben, es wäre zu kurz gegriffen, ihr Leben und ihre Karriere nur unter dem Label „benachteiligte Frau“ zu betrachten.  Ebenso wird ihr eine Reduzierung auf das Label „verfolgte Künstlerin“ kaum gerecht. Ihr Werk verweigert sich klaren Zuschreibungen, ihre Bilder erfüllen keine Rollenerwartungen und lassen sich keinem bestimmten Stil zuordnen.

Ich denke, sie erschließen sich in ihrer Vielschichtigkeit am besten, wenn man Lasersteins eigenen, unvoreingenommenen Blick einnimmt − diesen Blick, der ihr Werk auszeichnet.

Mit diesem Blick erkennt der Betrachter, welch große Künstlerin uns in diesem Werk begegnet − so wie der Sammler John Chrichton Stuart, der über seine Laserstein-Bilder gesagt haben soll: „Ich habe mit Lottes Kunst gelebt und ich habe nie versäumt, sie zu betrachten und ihre Schönheit zu bestaunen.“ Machen Sie es ihm nach, meine sehr verehrten Damen und Herren, und bestaunen Sie die Schönheit dieser Bilder. Ich wünsche Ihnen dabei viel Freude und Kunstgenuss!