"Totenglocke der Demokratie"

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Im Wortlaut: Grütters "Totenglocke der Demokratie"

Im Interview mit dem Kölner Stadt-Anzeiger bekräftigt Kulturstaatsministerin Monika Grütters die Förderung von Künstlern sowie Schriftstellerinnen und Schriftstellern im Ausland. Anlässlich der aktuellen auswärtigen Situationen müsse man Programme wie die des PEN-Zentrums sogar ausweiten, so Grütters.

  • Interview mit Monika Grütters
  • Kölner Stadt-Anzeiger

Kölner Stadt-Anzeiger: Frau Grütters, Sie finden deutliche Worte in Richtung Türkei - dort sind vor allem auch Künstler von Erdogans Politik betroffen.

Grütters: Die Situation ist in der Tat bedrohlich: Zahlreiche Künstler und Journalisten sind von Verhaftungen und Schreibverboten bedroht, die uns im Kern erschüttern, und zwar nicht nur deswegen, weil viele Türken in Deutschland leben. Wenn in einem Land wie der Türkei, mit dem wir wirtschaftlich, aber auch politisch eng verbunden sind - einem Nato-Mitglied -, mutmaßlich die Totenglocke der Demokratie läutet, dann hat das Auswirkungen weit über die türkischen Landesgrenzen hinaus.

Kölner Stadt-Anzeiger: Sie sind nach Köln gekommen, um auf einer Veranstaltung des Pen zu sprechen. Welche Rolle kommt dieser Vereinigung von Schriftstellern und Publizisten zu?

Grütters: Eine äußerst wichtige! Die meinungsbildenden Milieus vieler Länder werden durch Schriftsteller und Journalisten beeinflusst, also von denjenigen, die sich der Sprache bedienen. Insofern ist es wichtig, gerade den Pen zu unterstützen - der Pen als Schriftstellerorganisation bietet verfolgten Autoren nicht nur ein geistiges Zuhause, sondern auch einen sicheren Ort im wortwörtlichen Sinn. Seitens der Bundesregierung finanzieren wir für verfolgte Künstler Stipendien von einem bis drei Jahren. Zurzeit betreuen wir so sieben Schriftsteller hier in Deutschland u.a. aus Syrien, Tunesien, Russland, Kamerun. Man kann sagen, das ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Aber es ist doch eine wichtige Unterstützung - gerade vor dem Hintergrund, dass es auch in Polen und Ungarn beängstigende Entwicklungen gibt. Vielleicht müssen wir solche Programme sogar ausweiten.

Kölner Stadt-Anzeiger: Auch für andere Bereiche?

Grütters: Ja, wir haben zum Beispiel Stipendiaten aus aller Welt in der Villa Aurora in Los Angeles. Aber schlimm ist natürlich, dass wir überhaupt über solche Maßnahmen nachdenken müssen. Wir sehen mit Schrecken, wie offen rücksichtslos selbst manche europäischen Länder mit ihren Intellektuellen umgehen. Das war einst auch in Deutschland so. Heute hat Deutschland eine der freiheitlichsten Verfassungen der Welt. Und der Kunstfreiheit haben wir mit Artikel 5 im Grundgesetz einen so noblen Rang eingeräumt wie kaum ein anderes Land. Das heutige Deutschland hat aus den Erfahrungen zweier Diktaturen in einem Jahrhundert eine Lehre gezogen: die Freiheit der Kunst ist konstitutiv für unsere Demokratie.

Kölner Stadt-Anzeiger: Sie haben mehrfach die deutsche Vergangenheit angesprochen. Die Diktatur des SED-Regimes wurde friedlich überwunden, deswegen kam der Gedanke auf, ein Freiheits- und Einheitsdenkmal zu errichten - eine Idee, die gleich in die Diskussion geriet. Wie ist der Stand?

Grütters: Grundsätzlich und vorneweg: Wir haben den dunklen Kapiteln unserer Geschichte aus gutem Grund Mahnmale gewidmet, um eine Erinnerungskultur pflegen zu können, die mehr als nur abstrakt ist. Dass wir es aber nicht schaffen, an die wenigen positiven Höhepunkte in unserer jüngeren Geschichte zu erinnern, das bedrückt mich. Ganz konkret meine ich natürlich die Friedliche Revolution 1989, die von den Bürgern der DDR ausging. Das verdient ein sichtbares Zeichen-und zwar durchaus in einem populären Sinne, denn ein solches Denkmal soll die positiven Aspekte unserer Geschichte ausdrücken und würdigen. Deswegen sollten wir noch einmal einen Versuch für ein Einheits- und Freiheitsdenkmal wagen.

Kölner Stadt-Anzeiger: Was sind die Hauptschwierigkeiten?

Grütters: In einer Monarchie bestellte der Herrscher einfach eine „Viktoria" und bekam sie vom Künstler - das geht in einer Demokratie so natürlich nicht: Hier gibt es Jurys, auch mühsame Meinungsfindungsprozesse, es gibt die Künstler, die sich mitunter allein ihrer Kunst verpflichtet fühlen und nicht dem populären Charakter eines öffentlichen Denkmals - und das ist ja auch richtig so. Aber das macht das Ergebnis keineswegs einfacher. Und schließlich ist der Umgang mit dem Nationalen - selbst, wenn es die positiven Aspekte der Geschichte betrifft - für uns Deutsche offensichtlich immer noch sehr schwierig.

Kölner Stadt-Anzeiger: Leipzig als Standort, oder Berliner Schlossplatz, erst die Wippe nach einem Entwurf von Sasha Hilltz und den Architekten Johannes! Villa und Sebastian Letz, dann doch nicht - trotzdem wollen Sie weitermachen?

Grütters: Wir sollten bei einem neuen Anlauf ergebnisoffen an das Projekt gehen, sowohl, was das Kunstwerk selbst betrifft als auch in Bezug auf seinen Standort.

Das Gespräch führte Frank Olbert

Zur Person
Monika Grütters (CDU) wurde 1962 in Münster geboren. Sie ist seit 2013 Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien. Sie studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Politikwissenschaft und war Pressesprecherin für Wissenschaft und Forschung in Berlin.