Während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft wurden zahlreiche Sammlerinnen und Sammler von Kunst- und Kulturgütern beraubt oder enteignet. Vielfach mussten sie ihre Besitztümer unter Wert veräußern oder auf der Flucht zurücklassen. Vor allem jüdische Bürgerinnen und Bürger waren von dem staatlich organisierten Kunstraub der Nationalsozialisten betroffen.
Umsetzung der Washingtoner Prinzipien in Deutschland
Im Dezember 1999 haben Bund, Länder und kommunale Spitzenverbände ihre "Gemeinsame Erklärung zur Auffindung und zur Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz" abgegeben. Alle öffentlichen Kultureinrichtungen sind damit aufgerufen, ihre Bestände auf NS-verfolgungsbedingt entzogenes Kulturgut (NS-Raubgut) zu überprüfen und unklare oder zweifelhafte Erwerbsvorgänge offen zu legen. Private sind aufgefordert, ebenfalls so zu handeln.
Die Gemeinsame Erklärung geht zurück auf die Washingtoner Konferenz von 1998, auf der Grundsätze für die Rückgabe von Vermögenswerten aus der Zeit des Holocaust erarbeitet worden waren. Gemäß dieser „Washingtoner Prinzipien“ hat sich die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit 43 anderen Staaten bereit erklärt, "nach weiterem NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut zu suchen und gegebenenfalls die notwendigen Schritte zu unternehmen, eine gerechte und faire Lösung zu finden."
Das Bekenntnis der Gemeinsamen Erklärung zur Umsetzung der Washingtoner Prinzipien ist nach wie vor Grundlage für die Arbeit der Bundesregierung, der Länder, der Kommunen und der von ihnen finanzierten Kulturgut bewahrenden Einrichtungen. Die Kulturstaatsministerin setzt sich für eine umfassende Provenienzforschung ein, um bislang noch unentdecktes NS-Raubgut in Sammlungen und Beständen zu identifizieren.
Den Willen Deutschlands zu weiteren Anstrengungen hat die frühere Kulturstaatsministerin Monika Grütters auch in einer gemeinsamen Vereinbarung mit dem Sonderberater des US-Außenministeriums für Holocaust-Fragen, Stuart Eizenstat, und dem US-Sondergesandten für Holocaust-Fragen, Thomas Yazdgerdi, im November 2018 erneut bekräftigt. Dies geschah am Rande der internationalen Fachkonferenz "20 Jahre Washingtoner Prinzipien: Wege in die Zukunft", die das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste ausgerichtet hat.
Weitere Informationen
Gemeinsame Erklärung
Washingtoner Prinzipien
Deutsches Zentrum Kulturgutverluste
Bund, Länder und Kommunen haben 2015 das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste als zentralen nationalen und internationalen Ansprechpartner in Deutschland zu Fragen der Umsetzung der Washingtoner Prinzipien und der Gemeinsamen Erklärung eingerichtet. Das mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) ausgestattete Zentrum bietet finanzielle Unterstützung für Provenienzforschungsprojekte, die Kulturgut bewahrende Einrichtungen wie Museen, Bibliotheken und Archive in ihren Beständen durchführen. Auch Privatpersonen und private Institutionen können Förderungen erhalten.
Zudem betreibt das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste die Lost Art-Datenbank, in der Kulturgutverluste als Such- und Fundmeldungen dokumentiert sind, sowie die Forschungsdatenbank Proveana, in der Forschungsergebnisse vernetzt werden, um die Provenienzforschung zu erleichtern und insbesondere Doppelrecherchen zu vermeiden.
Für die Opfer der verfolgungsbedingten Entziehung von Kulturgut während der nationalsozialistischen Herrschaft und deren Nachfahren existiert seit Januar 2020 der "Help Desk" des Zentrums. Diese Kontakt- und Informationsstelle bietet ihnen ein Beratungsangebot und wendet sich insbesondere auch an Personen aus dem Ausland, die Hilfe bei der Orientierung in Deutschland und dem Kontakt mit Kultureinrichtungen benötigen.
Für Fälle, in denen Kulturgüter als NS-Raubgut identifiziert werden konnten, die berechtigen Empfänger aber unbekannt sind, bietet das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste öffentlichen Einrichtungen und privaten Sammlern in Deutschland seit 2019 auch finanzielle Unterstützung bei einer gegebenenfalls erforderlichen Erbensuche.
Weitere Informationen
Deutsches Zentrum Kulturgutverluste
Help Desk des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste
Lost Art-Datenbank
Proveana-Datenbank
Die Provenienzforschung widmet sich der Herkunft von Kunstwerken und anderen Kulturgütern, insbesondere den erfolgten Eigentums- und Besitzwechseln. Ziel ist es, mögliches NS-Raubgut zu identifizieren, die Verlustumstände aufzuklären und so gegebenenfalls eine Grundlage für gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Prinzipien zu erhalten.
Fachliche Orientierungshilfen
Hilfestellung für die Untersuchung von Beständen und Sammlungen auf das Vorhandensein von NS-Raubgut bietet die Handreichung zur Umsetzung der Gemeinsamen Erklärung von Bundesregierung, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden (aktualisierte Neufassung 2019). Darin finden diejenigen, die Provenienzforschung betreiben, grundlegende Erläuterungen zu der Aufgabe, die Washingtoner Prinzipien in Deutschland umzusetzen, sowie praktische Hinweise und weiterführende Informationen für die eigenständige Provenienzforschung.
Vertiefende fachliche Hinweise für die Praxis der Provenienzforschung bietet der unter Federführung des Deutschens Zentrum Kulturgutverluste erstellte Leitfaden "Provenienzforschung".
Neben der systematischen Untersuchung ihrer Sammlungsbestände sind Kulturgut bewahrende Einrichtungen, die vom Bund gefördert werden, aufgefordert, die Provenienz eines neu zu erwerbenden Objektes bereits vor dessen Erwerb sorgfältig zu untersuchen. Auch hierfür hat die Kulturstaatsministerin mit den Empfehlungen zur Provenienzprüfung beim Erwerb von Kulturgütern durch vom Bund geförderte kulturgutbewahrende Einrichtungen eine Orientierungshilfe herausgegeben.
Weitere Informationen
Handreichung zur "Gemeinsamen Erklärung"
Leitfaden "Provenienzforschung"
BKM-Empfehlung zum Erwerb von Kulturgütern
Aufarbeitung des Kunstfunds Gurlitt
Die systematische Erforschung des Kunstfunds Gurlitt ist seit Ende 2017 abgeschlossen. Alle 14 im Zusammenhang mit dem Kunstfund Gurlitt erforschten Werke, die als NS-verfolgungsbedingt entzogen identifiziert wurden, wurden inzwischen restituiert (Stand: Februar 2021).
Zu den Forschungsergebnissen der Taskforce "Schwabinger Kunstfund" und des Gurlitt-Projekts wurde Anfang Mai 2020 die Publikation "Kunstfund Gurlitt. Wege der Forschung" (Verlag De Gruyter) veröffentlicht. Diese beinhaltet insbesondere die über die Provenienzforschung zu den einzelnen Werken hinausgehenden Erkenntnisse zu den Strukturen des NS-Kunstraubes insgesamt, zum Beispiel zu den Händlernetzwerken in Frankreich während der Besatzung durch das NS-Regime.
Publikation „Kunstfund Gurlitt. Wege der Forschung“
Provenienzforschung in Deutschland
Deutschland hat die Rahmenbedingungen für die Erforschung und Rückgabe von NS-Raubgut seit der Verabschiedung der Washingtoner Prinzipien und der Gemeinsamen Erklärung stetig verbessert. Kontinuierlich ist in den vergangenen 20 Jahren die Zahl der Museen, Bibliotheken, Archive und weiteren Kulturgut bewahrenden öffentlichen Einrichtungen in Deutschland gestiegen, die im Rahmen einer systematischen Provenienzforschung nach entzogenen Kulturgütern suchen.
Bundeseinrichtungen haben zusätzliche Stellen für die Provenienzforschung erhalten. Der Bund hat in den zurückliegenden 13 Jahren insgesamt rund 62 Millionen Euro für die Provenienzforschung zu Kulturgutverlusten zur Verfügung gestellt. Für 2021 sind es rund 12 Millionen Euro. Der Schwerpunkt dieses Engagements lag und liegt im Bereich der Aufarbeitung des NS-Kulturgutraubes.
Ein gewachsenes Problembewusstsein, eine gesteigerte Sensibilität im Umgang mit den Beständen und der Sammlungsgeschichte Kulturgut bewahrender Einrichtungen sowie nicht zuletzt das große Engagement der Provenienzforscherinnen und Provenienzforscher bilden ein tragfähiges Fundament dafür, der umfangreichen Aufgabe gerecht zu werden. In Deutschland wurden so bereits zahlreiche (über 20.000) Kunstwerke, Bücher und Archivalien als NS-Raubgut identifiziert und restituiert bzw. andere Lösungen gefunden. Da Restitutionen und andere gerechte und faire Lösungen im Sinne der Washingtoner Prinzipien unter den Beteiligten erfolgen und nicht in allen Fällen öffentlich bekannt werden, ist die tatsächliche Zahl der Restitutionen nicht genau festzustellen. Um einen Gesamtüberblick zu erhalten, der auch beispielgebend für noch ungelöste Fragen sein kann, sind Museen, Bibliotheken und Archive, aber auch Private aufgerufen, erfolgte Rückgaben oder andere erreichte gerechte und faire Lösungen an das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste zu übermitteln.
Auch das 2016 in Kraft getretene Kulturgutschutzgesetz (KGSG) trägt der Umsetzung der Washingtoner Erklärung und der Gemeinsamen Erklärung mit verschiedenen Regelungen Rechnung. So stehen die Mechanismen des Schutzes von Kulturgut vor Abwanderung in das Ausland ausdrücklich nicht dem Finden von gerechten und fairen Lösungen entgegen. Für das gewerbliche Inverkehrbringen eines mit dem Verdacht eines NS-verfolgungsbedingten Entzugs belasteten Werks wurden erhöhte Sorgfaltspflichten eingeführt.
Provenienzforschung in Wissenschaft und Lehre
Die Verankerung der Provenienzforschung in Wissenschaft und Lehre dient der Schaffung von Grundlagenwissen und der Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses. Sie ist eine notwendige Ergänzung ihrer finanziellen Förderung. Die Einrichtung von spezialisierten Professuren und Juniorprofessuren auf diesem Gebiet an den Universitäten Bonn, Hamburg, München, Berlin und Lüneburg ist daher eine nachhaltige Stärkung der Provenienzforschung.
Zudem gibt es an verschiedenen Standorten in Deutschland Weiterbildungsprogramme. Sie richten sich vor allem an Beschäftigte in Museen, Sammlungen, Museumsverbänden, aber auch an freiberufliche Provenienzforscherinnen und Provenienzforscher sowie im Kunsthandel Beschäftigte. Das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste unterstützt auch dieses Angebot.
Beratende Kommission
Zur Klärung von strittigen Fragen über die Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern hat der Bund zusammen mit den Ländern und Kommunalen Spitzenverbänden 2003 die unabhängige "Beratende Kommission im Zusammenhang mit der Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturguts, insbesondere aus jüdischem Besitz" eingerichtet. Grundlage ihrer Tätigkeit sind die Washingtoner Prinzipien von 1998 und die Gemeinsame Erklärung von 1999.
Die Beratende Kommission kann von Einrichtungen und Privatpersonen angerufen werden. Voraussetzung für das Tätigwerden der Beratenden Kommission ist die Einwilligung beider Parteien in das Verfahren. Für mit Bundesmitteln geförderte Einrichtungen gilt die Auflage der BKM, Wünschen von Seiten der Anspruchsteller auf Anrufung der Beratenden Kommission zu entsprechen.
Zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten kann die Beratende Kommission Empfehlungen für gerechte und faire Lösungen aussprechen.
Weitere Informationen
www.beratende-kommission.de
Kunstverwaltung des Bundes
Der Bund ist Eigentümer eines umfangreichen Bestandes an Kunstwerken, zu dem unter anderem der Restbestand des Central Collecting Point (CCP) München gehört. Der CCP -Bestand beinhaltet Werke aus ehemaligem NS-Reichsbesitz sowie aus privaten Sammlungen von Vertretern des NS-Staates. Diese Objekte proaktiv kontinuierlich auf ihre Provenienz hin zu untersuchen - und möglicherweise vorhandene NS-Raubkunst zu identifizieren - ist eine zentrale Aufgabe der Kunstverwaltung des Bundes (KVdB).
Die Ergebnisse der Provenienzforschung der KVdB sind in der Provenienzdatenbank des Bundes veröffentlicht. Seit Verabschiedung der Washingtoner Prinzipien von 1998 hat die KVdB bereits 66 Kunstwerke und eine Bibliothek aus rund 6.900 Büchern aus dem CCP -Bestand, die als Raubkunst identifiziert wurden, an die jeweiligen Berechtigten zurückgegeben (Stand November 2021).
Weitere Informationen
Kunstverwaltung des Bundes (KVdB )
Provenienzdatenbank.Bund
Geförderte Projekte
Das mit Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien geförderte Forschungsprojekt "Restatement of Restitution Rules" an der Universität Bonn befasst sich mit der internationalen Praxis bei Restitutionen nationalsozialistischer Raubkunst. Ziel ist es, durch eine rechtsvergleichende Bestandsaufnahme und Analyse der Restitutionspraxis in Österreich, Frankreich, Großbritannien, Deutschland und den Niederlanden die abstrakten Entscheidungsregeln und die ihnen zugrundeliegenden Gerechtigkeitserwägungen festzustellen. Die geplante Abhandlung ist als Vorschlag und Argumentationshilfe bei Restitutionsentscheidungen sowie bei der Erarbeitung von Empfehlungen gedacht. Das Projekt soll 2024 - im 25. Jahr der Washingtoner Prinzipien - abgeschlossen sein.
Weitere bundesgeförderte Projekte sind das Judaica-Fachsymposium "Geraubte Judaica – Die Erforschung ihrer Provenienz in Israel und Deutschland" und die deutsche Übersetzung des "Handbook on Judaica Provenance Research: Ceremonial Objects".
Der Bund unterstützt auch internationale Kooperationen, wie das 2017 bis 2019 durchgeführte Deutsch-Amerikanische Austauschprogramm zur Provenienzforschung für Museen (PREP) und den vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste im August 2019 organisierten deutsch-israelischen Fachdialog. Um speziell die deutsch-israelische Kooperation zur Provenienzforschung zu stärken, ist eine Verstetigung dieser Kooperation geplant.
Weitere Informationen
Forschungsprojekt "Restatement of Restitution Rules"
Judaica-Fachsymposium "Geraubte Judaica – Die Erforschung ihrer Provenienz in Israel und Deutschland"
Deutsche Übersetzung "Handbook on Judaica Provenance Research: Ceremonial Objects"
Deutsch-Amerikanisches Austauschprogramm zur Provenienzforschung für Museen (PREP)
Dieser Beitrag wurde zuletzt am 8. Dezember 2021 aktualisiert.