Im Interesse der Patientinnen und Patienten

  • Bundesregierung ⏐ Startseite
  • Schwerpunkte

  • Themen   

  • Bundeskanzler

  • Bundesregierung

  • Aktuelles

  • Mediathek

  • Service

Gröhe-Interview Im Interesse der Patientinnen und Patienten

Unser Gesundheitssystem sei insgesamt gut, bilanziert Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe. "Aber es gibt nichts, was nicht noch verbessert werden kann", sagt er in der Bild am Sonntag. So will Gröhe Pflegeberufe attraktiver gestalten und Anreize für Jungmediziner schaffen, Praxen im ländlichen Raum zu übernehmen.

  • Interview mit Hermann Gröhe
  • Bild am Sonntag
Ein Arzt im Gespräch auf dem Flur eines Krankenhauses.

Gröhe: Wer ernsthaft erkrankt, erhält eine sehr gute medizinische Versorgung.

Foto: Jens Komossa

Das Interview im Wortlaut:

Bild am Sonntag (BamS): Herr Gröhe, fühlen Sie sich fit für das Amt des Bundesgesundheitsministers?

Hermann Gröhe: Ja, gesundheitlich und politisch.

BamS: Was haben Sie gedacht, als Ihnen die Kanzlerin dieses Ministerium anbot?

Gröhe: Ich habe mich gefreut, denn es handelt sich um eine spannende Aufgabe. Und ich empfinde es als Ehre, in der Regierung unseres Landes mitzuarbeiten.

BamS: Sie hätten ihr auch sagen können: Frau Bundeskanzlerin, ich bin ein guter Jurist und Parteimanager, aber von Gesundheitspolitik verstehe ich nichts, verschonen Sie mich bitte ...

Gröhe: Ein ordentlicher Jurist zu sein, schadet sicher nicht in diesem Amt. Ein ausgewiesener Gesundheitspolitiker bin ich in der Tat nicht. Aber ich habe in sieben Jahren als Vorsitzender des Diakonischen Werks in meiner Heimatstadt Neuss wichtige Erfahrungen in der Altenpflege, der Gemeindepsychiatrie und der Hospizarbeit gemacht. Und mir steht ein gut aufgestelltes Ministerium mit hervorragenden Fachleuten zur Verfügung. Meine Aufgabe als Minister besteht darin, politische Entscheidungen zu treffen, zu erläutern und durchzusetzen.

BamS: Ihr direkter Vorgänger Daniel Bahr ist Marathonläufer. Welchen Sport treiben Sie?

Gröhe: Ich mache leider zu wenig Sport. Deswegen bemühe ich mich um Bewegung im Alltag. So komme ich zum Beispiel zu Fuß ins Büro, wenn das Wetter es zulässt. Zu meinen Vorsätzen für 2014 gehören auch eine gesündere Ernährung und mehr Bewegung.

BamS: Haben Sie eigentlich einen Organspenderausweis?

Gröhe: Ja.

BamS: Ihnen ist klar, dass Sie von nun an das Hauptziel für die Apotheker-, Ärzte- und Pharmalobby sind. Beunruhigt Sie das und wie wollen Sie mit dem Lobby-Druck umgehen?

Gröhe: Mir ist sehr bewusst, dass es hier um die Verteilung eines gewaltigen Kuchens geht. Aber ein leistungsfähiges Gesundheitswesen kostet nun einmal Geld. Wir alle wollen motivierte Pfleger, Ärzte und andere Heilberufe. Wenn ich mich für eine bessere Bezahlung der Pflegekräfte einsetze, dann nicht wegen einer Lobby, sondern wegen der Schwere der Arbeit und im Interesse der Pflegebedürftigen. Und wir alle wollen beste Arzneimittel. Es liegt in unserem Interesse, dass Deutschland bei der Arzneimittelforschung in der Weltspitze mitspielt. Meine Aufgabe als Minister besteht darin, allen Beteiligten am Gesundheitswesen zuzuhören und dann im Interesse der Patientinnen und Patienten zu entscheiden.

BamS: Die meisten gesetzlich Versicherten fühlen sich im deutschen Gesundheitswesen inzwischen als Patienten zweiter Klasse. In den Praxen wird als Erstes gefragt: Sind Sie Privatpatient?

Gröhe: Ich bin jedenfalls gesetzlich versichert ...

BamS: Dann können Sie zum Beispiel in Berlin ein halbes Jahr auf einen Termin beim Neurologen warten, wenn Sie nicht gerade Gesundheitsminister sind. Wie lange machen die Versicherten das noch mit?

Gröhe: Ich nehme die Verärgerung sehr ernst. Da gibt es allerdings große regionale Unterschiede und Unterschiede zwischen den verschiedenen Facharztgruppen. Es gibt auch Ärzte, bei denen gibt es lange Wartezeiten, weil sie so beliebt sind.

BamS: Im Koalitionsvertrag steht: "Für gesetzlich Versicherte wollen wir die Wartezeit auf einen Arzttermin deutlich reduzieren." Wer nicht zügig einen Termin bekommt, der kann sich danach auf Kosten der Kassenärzte im Krankenhaus behandeln lassen. Versprechen Sie uns hier und heute, dass Sie das durchsetzen?

Gröhe: Das werden wir genau so machen. Die Koalition hat vereinbart, dass künftig von überlangen Wartezeiten betroffene Kassenpatienten sich an eine Servicestelle der Kassenärztlichen Vereinigung wenden können. Diese vermittelt entweder einen Termin bei einem niedergelassenen Facharzt oder, wenn das nicht geht, eine ambulante Krankenhausbehandlung. Ich freue mich, dass aus der Ärzteschaft jetzt auch eigene Vorschläge zur Verbesserung der Lage kommen. Je wirksamer diese sind, umso weniger muss die Politik machen.

BamS: Die wirklich bestmögliche Versorgung gibt es in Wahrheit nur gegen Aufpreis oder als Privatpatient ...

Gröhe: Wenn Sie wirklich ernsthaft krank sind, erhalten Sie in Deutschland eine sehr gute medizinische Versorgung. In keinem anderen Land bekommen Sie schneller medizinische Hilfe von einem Facharzt als in Deutschland. Und es gibt auch Leistungen, die die gesetzlichen Kassen erstatten, die privaten aber nicht. Insgesamt tut dem Land aber der Wettbewerb privater und gesetzlicher Versicherungen gut. In Deutschland erhalten alle Menschen unabhängig von Geldbeutel zum Beispiel auch noch die schwierigste Herzoperation. Das gibt es wahrlich nicht in jedem Land. Unser System ist insgesamt gut. Aber es gibt nichts, was nicht noch verbessert werden kann.

BamS: Eines der großen Probleme ist die ärztliche Versorgung auf dem Land. Brauchen wir eine erleichterte Niederlassung von Ärzten auf dem Land oder stärkere Anreize für Jungmediziner?

Gröhe: Schon seit 2012 können Ärzte, die in unterversorgte Gebiete gehen, besser bezahlt werden. Und auf Landesebene gibt es größere Spielräume bei der Zulassung von Arztpraxen. Aber ich will auch mit den Wissenschaftsministern der Länder darüber sprechen, dass junge Leute, die sich verpflichten, eine Praxis im ländlichen Raum zu übernehmen, der Zugang zum. Studium erleichtert wird. Dies könnte auch für diejenigen gelten, die ein freiwilliges soziales Jahr zum Beispiel im Rettungsdienst geleistet haben.

BamS: Denken Sie dabei an einen Notenbonus?

Gröhe: In einigen Bundesländern und an manchen Hochschulen werden entsprechende Regelungen ja auch schon erfolgreich praktiziert.

BamS: Ein anderes Problem ist die Pflegeversicherung. Wie kann die Pflege für alle Bürger bezahlbar bleiben, ohne dass sie zur Akkordarbeit wird?

Gröhe: Ich habe höchsten Respekt vor denen, die in Pflegeeinrichtungen oder in der häuslichen Pflege zum Teil rund um die Uhr eine oft schwere Arbeit leisten. Gerade weil uns Fachkräfte fehlen, müssen wir diese Berufe attraktiver gestalten. Im Koalitionsvertrag haben wir uns die kostenfreie Ausbildung vorgenommen, aber auch mehr Geld für Pflegeeinrichtungen. Der Pflegeversicherungsbeitrag wird schrittweise um 0,5 Prozentpunkte angehoben. Dadurch stehen der Pflegeversicherung rund 20 Prozent mehr Mittel - das sind etwa fünf Milliarden Euro - zur Verfügung.

BamS: Hilft die Zuwanderung bei der Lösung des Pflegeproblems in Deutschland?

Gröhe: Eindeutig ja! Wir können in der Pflege seit Jahren nur bestehen, weil es auch qualifizierte Zuwanderung gibt.

BamS: Denken Sie dabei auch an Bulgarien und Rumänien?

Gröhe: Pflegepersonal aus EU-Staaten ist bei entsprechender Qualifizierung kein Problem. Unter bestimmten Voraussetzungen kommen auch Nicht-EU-Staaten in Betracht. Unser Ziel ist es aber auch, den Pflegeberuf so attraktiv zu machen, dass junge Menschen in Deutschland ihn nach der Schule gern ergreifen.

BamS: Sie haben vier Kinder im Alter zwischen 14 und 20 Jahren. Das ist das klassische Alter für die Frage nach dem richtigen Umgang mit Alkohol. Wie gehen Sie mit diesem Thema in der eigenen Familie um und wie groß ist das Problem insgesamt?

Gröhe: Alkoholismus unter jungen Leuten ist ein gewaltiges Problem. Über die Hälfte der Unfälle in der Silvesternacht gehen auf zu viel Alkohol zurück. Und das sogenannte Komasaufen von Jugendlichen wird uns weiter beschäftigen. Ich bin überzeugt davon, dass Alkohol im Kindesalter absolut tabu sein sollte. Jugendliche ab 16 sollten auch durch das Vorbild der Eltern lernen, vernünftig mit Alkohol umzugehen. So halten es auch meine Frau und ich bei unseren Kindern. Ich selbst habe mein erstes Glas Wein mit 14 bei der Konfirmation getrunken. Danach war aber für eine ganze Weile wieder Schluss mit Alkohol. Und heute verzichte ich in der Fastenzeit vor Ostern weitestgehend auf Alkohol.

BamS: Zu einiger Prominenz bei YouTube hat es die Szene vom Abend der erfolgreichen Bundestagswahl gebracht, in der die Kanzlerin Ihnen eine Deutschlandfahne abnimmt, die Sie in der Hand hielten. Was war da los?

Gröhe: Das war ein wunderschöner Abend, an den ich mich gern erinnere. Punkt.

Das Interview führten Michael Backhaus und Martin S. Lambeck für die Bild am Sonntag .