Bessere Orientierung für Verbraucher

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Im Wortlaut: Klöckner Bessere Orientierung für Verbraucher

Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner fordert mehr Wertschätzung für Lebensmittel und diejenigen, die sie herstellen. Im Interview spricht sie auch darüber, wie individuelle Konzepte die Gleichwertigkeit im ländlichen Raum fördern sollen.

  • Interview mit Julia Klöckner
  • Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kühe auf einer Weide in Ostdeutschland

Mehr Wertschätzung für Lebensmittel und für diejenigen, die sie herstellen, fordert die Landwirtschaftsministerin.

Foto: Photothek/Grabowsky

Das Interview im Wortlaut:

Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ): Frau Bundesministerin, reklamieren Sie als Landwirtschaftsministerin das Thema "Heimat" auch für sich?

Julia Klöckner: Ist nicht jeder Politiker dazu verpflichtet, auch Politik für unsere Heimat zu machen? Da spielt natürlich die Landwirtschaft eine wichtige Rolle. Sie versorgt uns mit hochwertigen Lebensmitteln. Und sie ist in vielen Teilen neben Handwerk und Mittelstand Motor der ländlichen Räume. Der ländliche Raum ist das Kraftzentrum. Für jeden ist Heimat sicher etwas anderes. Ich finde, Heimat kann man schmecken. Heimat kann man auch riechen. Wenn ich im Weinherbst zu Hause in Guldental bin, liegt zum Beispiel der Hefeduft überm Dorf. Ein Stück Heimat.

FAZ: Die Zuständigkeit für den ländlichen Raum bleibt im Landwirtschaftsministerium. Haben Sie und die Kanzlerin sich mit Horst Seehofer auch geeinigt, wohin die "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" gehört?

Klöckner: Ich sehe da keinen Widerspruch. Mir ist die Gleichwertigkeit im ländlichen Raum ein besonderes Anliegen. Es gibt nicht den ländlichen Raum in ganz Deutschland. Mein Ziel ist es deshalb, keine Gießkannenlösung anzubieten, sondern individuelle Konzepte zu entwickeln, die ihre Wirkung vor Ort entfalten. Niemand soll sich abgehängt fühlen. Auch nicht in der Stadt.

FAZ: Warum ist das Thema auf einmal so wichtig?

Klöckner: Das ist wohl auch eine Konsequenz aus dem Wahlergebnis. Viele Wähler haben sich abgewendet, weil sie das Gefühl haben, nicht mehr Schritt halten zu können, oder wie es auch heißt: abgehängt zu werden. Ich sehe meine zentrale Aufgabe darin, stärker auf die wirklichen Alltagsthemen der Bürger einzugehen. Wir müssen dafür sorgen, dass die Bürger überall in Deutschland gut leben können. Dazu gehören: schnelles Internet, gute Verkehrsanbindungen, bezahlbarer Wohnraum, Kinderbetreuung, Pflegeangebote und auch flächendeckende medizinische Versorgung. Da sind wir in der Bundesregierung alle gefordert.

FAZ: Horst Seehofer will aber die Marschroute vorgeben. Müssen Sie folgen?

Klöckner: Das Landwirtschaftsministerium wird sicher nicht die nachgeordnete Behörde des Innenministeriums werden.

FAZ: Der Sachverständigenrat "Ländliche Entwicklung" hatte in der vergangenen Wahlperiode empfohlen, Kompetenzen in einem Ministerium zu bündeln - im Landwirtschaftsministerium. Jetzt wird es nicht gebündelt, im Gegenteil. Ist das zielführend?

Klöckner: Die Zuständigkeit für den ländlichen Raum liegt in meinem Ressort. Das ist gut und richtig so. Das werde ich verstärken, da hilft mir auch meine jahrelange Erfahrung als Kommunalpolitikerin.

FAZ: Bislang spielte die "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" als Maßgabe des Grundgesetztes nur im Länderfinanzausgleich eine Rolle. Dadurch sollten Bund, Länder und Kommunen instand gesetzt werden, ebendiese Gleichwertigkeit herzustellen. Irgendetwas muss dabei doch gründlich schiefgelaufen sein. Zieht der Bund die Sache deshalb jetzt an sich?

Klöckner: So sehe ich das nicht. Richtig ist aber, dass nicht zuletzt die Föderalismusreform dafür gesorgt hat, dass der Bund zum Beispiel die Kommunen nicht direkt unterstützen darf. Dadurch entstehen Unwuchten, die der Bund gar nicht steuern kann, für die der Bund aber gerne mal verantwortlich gemacht wird. Immer wieder bleibt dadurch Geld, das eigentlich für die Kommunen bestimmt ist, in der Landeskasse hängen. Ein Beispiel: Das Geld, das die Kommunen vom Bund für die Integration erhalten sollten, ist in Rheinland-Pfalz nur zu etwa einem Drittel wirklich vor Ort angekommen. Das hat die Ampel-Landesregierung so entschieden. Deswegen ist mein Ziel, dass wir künftig noch gezieltere Programme anbieten, die tatsächlich dort ankommen, wo das Geld hinsoll.

FAZ: Der Koalitionsvertrag verspricht an vielen Stellen zusätzliche Förderung. Nur nennt es keine Beträge. Weil Geld keine Rolle spielt?

Klöckner: Der Koalitionsvertrag ist eine gute Arbeitsgrundlage. Konkret: Bei den anstehenden Haushaltsberatungen werde ich mich für eine gute finanzielle Ausstattung einsetzten. Und wir sollten auf eine Erfahrung achten: Wenn der Bund Geld für die Kommunen zur Verfügung stellt, dass nicht einige Länder dann ihren Anteil für die Kommunen kürzen. Am Ende wäre das für die Dörfer und Städte ein Nullsummenspiel.

FAZ: Angesichts der Diskussionen, die über die Landwirtschaft geführt werden, muss man sich fragen: Hat die Landwirtschaft in Deutschland die Gesellschaft abgehängt, oder haben gesellschaftliche Avantgardisten die Landwirtschaft abgehängt? Wie sehen Sie das?

Klöckner: So absolut weder das eine noch das andere. Manche hängen noch an einem romantischen Bild von Landwirtschaft und ländlichem Raum. Dieses Bild hat aber mit moderner Landwirtschaft wenig zu tun. Unsere Landwirte sind oft Vorreiter beim Thema Digitalisierung: mit Maschinen, die mit Hilfe von GPS zentimetergenau Dünger und Pflanzenschutzmittel ausbringen können; mit modernen Ställen, in denen Sensoren den Gesundheitszustand der Tiere überwachen. Was analog bleibt: Landwirt ist nach wie vor ein Beruf, getragen von der Bereitschaft, sieben Tage die Woche von frühmorgens bis spät in die Nacht hinein zu arbeiten.

FAZ: Müsste der Verbraucher etwas mehr über Landwirtschaft lernen?

Klöckner: Ganz ehrlich: Ja. Unsere Landwirte produzieren unsere Mittel zum Leben. Wir brauchen mehr Wertschätzung für Lebensmittel und für diejenigen, die sie herstellen. Aber umgekehrt auch aus der Landwirtschaft mehr Verständnis für die Verbraucher. Heute wollen die Konsumenten wissen, wo etwas herkommt, ob es aus der Region stammt oder nicht, ob Naturschutz und Tierwohl eingehalten werden.

FAZ: Sehen Sie sich da als Moderatorin?

Klöckner: Ich möchte meinen Teil dazu betragen, raus aus den alten ideologischen Grabenkämpfen zu kommen. So vielfältig wie die Landschaft, wie die Landwirtschaft sind unsere Anbaumethoden, die Viehhaltung, die Nahrung. Ich will keine ideologischen Gegensätze, ich will gesellschaftliche Gruppen versöhnen. Die Wettbewerbsfähigkeit unserer Landwirtschaft darf dabei nicht unter den Tisch fallen.

FAZ: Derzeit wird in Brüssel über den Rahmen künftiger Agrarsubventionen verhandelt. Da geht es um die "erste Säule", die Prämien pro Hektar, und die "zweite Säule", die Förderung des ländlichen Raums. Was rechtfertigt diese Subventionen eigentlich noch?

Klöckner: Die gesellschaftlichen Ansprüche an die Landwirtschaft sind enorm gestiegen und gehen weit über das reine Erzeugen von Nahrungsmitteln hinaus: Unsere Landwirt betreiben zusätzlich Naturschutz und Landschaftspflege im Sinne des Gemeinwohls. Das kostet Geld und kann nicht allein den Landwirten aufgebürdet werden.

FAZ: Wollen Sie an den Flächenprämien festhalten? Ist es noch zu rechtfertigen, dass Hektarprämien ausgegeben werden ohne Rücksicht auf die Größe des Betriebs?

Klöckner: Erst vor wenigen Tagen war ich beim Rat der EU-Agrarminister in Brüssel, und da haben wir genau diese Frage diskutiert. Uns allen ist klar, dass die finanzielle Ausstattung der gemeinsamen Agrarpolitik durch den Brexit nicht einfacher wird. Trotzdem werde ich für eine angemessene Ausstattung der ersten und zweiten Säule in Brüssel kämpfen. Und das Geld soll beim Landwirt und nicht beim Hedgefonds angekommen.

FAZ: Werden die Flächenprämien gedeckelt, gibt es also nicht mehr pro Hektar dieselbe Prämie, egal wie groß der Betrieb ist?

Klöckner: Das werden wir diskutieren. Je größer der Betrieb, desto geringer sind für ihn die Kosten pro Hektar. Mein Ziel ist es, eine flächendeckende bäuerliche, inhabergeführte Landwirtschaft zu erhalten. Das ist eine Antwort auf Abwanderungstendenzen für starke ländliche Räume.

FAZ: In Ostdeutschland wollen mehrere Landesregierungen den Landkauf von Inverstoren erschweren und aktive Landwirte bevorzugen. Unterstützen Sie das?

Klöckner: Ich will jedenfalls nachhaltig wirtschaftende Bauern unterstützen - und keine Spekulanten. Investmentfonds sind sicher nicht als Empfänger von Direktzahlungen gedacht.

FAZ: Im Koalitionsvertrag kommt selbst die Biene vor. Ist das nicht etwas übertrieben?

Klöckner: Bienen sind systemrelevant. Der wirtschaftliche Nutzen ihrer Bestäubungsleistung entspricht rund zwei Milliarden Euro - pro Jahr allein bei uns in Deutschland.

FAZ: Dann wollen Sie ein Verbot bienenschädlicher Pflanzenschutzmittel wie der Neonicotinoide?

Klöckner: Wir brauchen gesicherte wissenschaftliche Grundlagen, um zu wissen, was der Biene schadet. Bereits jetzt haben wir in Deutschland einige Stoffe deshalb verboten, weil nachgewiesen ist, dass Bienen ihre Orientierung verlieren, wenn sei mit ihnen in Berührung kommen. Für mich ist klar: Was der Biene schadet, muss vom Markt.

FAZ: Wie sieht es mit Glyphosat aus?

Klöckner: Wir führen unsere Reduktionsstrategie weiter fort. Wir haben in fünf Jahren schon dreißig Prozent reduziert. Durch Präzisionslandwirtschaft, also digital gesteuerte Dosierung, können wir noch weiter reduzieren. Gleichzeitig forschen wir an Alternativen.

FAZ: Verstöße gegen Tierschutz gehören, glaubt man dem medialen Grundrauschen, zum Alltag. Ist das eine Häufung von Einzelfällen oder Systemversagen?

Klöckner: Es ist falsch, Landwirte pauschal unter Generalverdacht zu stellen. Klar ist: Wenn jemand gegen unseren Tierschutz verstößt, muss das bestraft werden.

FAZ: Aber es geht dabei doch auch um Preisdruck, um gleichgültige Verbraucher, um Tierzuchtkonzerne, und den Landwirt, der am Ende einer komplizierten Kette allein dasteht.

Klöckner: Wir haben in Europa und vor allem national hohe Tierschutzstandards. Es geht in den meisten Fällen nicht um ein Gesetzesdefizit, also um effektive Kontrollen durch die zuständigen Behörden. Tiere sind Mitgeschöpfe, keine Maschinen oder Wegwerfware.

FAZ: Gehört auch der Verbraucher zur Kontrolle?

Klöckner: Wir als Verbraucher haben eine Schlüsselrolle. Mit unserem Konsumverhalten entscheiden wir mit, welche Produkte auf dem Markt Bestand haben. Dazu muss der Verbraucher aber auch erkennen können, was woher kommt und wie erzeugt wurde. Mit einem staatlichen Tierwohl-Label werde ich eine verlässliche Orientierung anbieten.

FAZ: Welchen Marktanteil wünschen Sie sich für ein solches Label-Fleisch?

Klöckner: Ich wünsche mir, dass es von den Bauern, vom Handel und den Verbrauchern gut angenommen wird. Und ich weiß, der Preis spielt dabei auch eine Rolle. Die Bauern können die Kosten nicht allein tragen, weil in den wenigsten Fällen die Mehrkosten entsprechend vom Handel und vom Verbraucher gezahlt werden. Ich werde zum Beispiel die Anreize durch Förderung der Investitionen in moderne Ställe und in die Verbraucherinformationen zum Label so setzten, dass das Label gut angenommen wird.

Frankfurter Allgemeine Zeitung: Braucht der Verbraucher auch ein Zuckersteuer? Mexiko und England haben so etwas jetzt versucht.

Klöckner: Aber mit wenig Erfolg. Auch die vereinfachte Ampelkennzeichnung bringt Verwirrung. Nur ein Beispiel: Frischgepresster Orangensaft hat Zucker, also käme da eine rote Ampel drauf. Daneben steht eine Light-Limonade mit grüner Ampel. Ist das Naturprodukt wirklich ungesünder? Ich halte es für den falschen Weg, dass wir einzelne Rohstoffe zum Sündenbock für Fehlernährung machen. Wir brauchen eine Gesamtstrategie zur Reduzierung der Kalorienbilanz.

FAZ: Dürfen wir Ihnen noch ein Glas Wein anbieten?

Klöckner: Sonst gerne, aber in der Fastenzeit versuche ich darauf zu verzichten. Ich freue mich auf Ostern.

Das Interview führe Jasper von Altenbockum und Jan Grossarth für die Frankfurter Allgemeine Zeitung .
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