"Kultur ist ein Modus des Zusammenlebens"

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Grütters-Interview "Kultur ist ein Modus des Zusammenlebens"

Im Interview mit der Berliner Zeitung sprach Kulturstaatsministerin Monika Grütters über das Engagement des Bundes in Berlin und die großartige Idee des Humboldt-Forums als Ort der Begegnung der Weltkulturen.

  • Interview mit Monika Grütters
  • Berliner Zeitung

Das Interview im Wortlaut:

Berliner Zeitung (BZ): Frau Grütters, ihre Freude über ihre Berufung zur Kulturstaatsministerin war unübersehbar groß. Hält Ihr Enthusiasmus noch an?

Monika Grütters: Selbstverständlich freue ich mich über die neuen Gestaltungsmöglichkeiten, eigene Ideen nicht nur zu benennen, sondern sie umzusetzen – das ist schon eine neue Qualität, da macht Kulturpolitik große Freude.

BZ: Richtig viel exekutieren können Sie aber nicht. Es gibt nur wenig Bereiche, in denen die Kulturstaatsministerin federführend sind. Ist das nicht mühsam?

Grütters: Unterschätzen Sie nicht unsere vielen originären Zuständigkeiten: von der Stasiunterlagenbehörde über die Deutsche Welle, die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, all die Museen, etwa das Jüdische Museum, die Bundeskunsthalle und, und, und. Hinzu kommen der gesamte Gedenkstättenbereich und auch der Film. Oder nehmen Sie den jetzt so aktuellen Bereich zur Herkunftsforschung möglicherweise geraubter Kunst. Dass nun ein "Deutsches Zentrum Kulturgutverluste“ gegründet und die Mittel für die Fahndung nach NS-Raubkunst mehr als verdoppelt werden, ist nicht nur meine Initiative gewesen, sondern gehört auch ganz originär zu meinem Kompetenzbereich als Kulturstaatsministerin.

BZ: Kommende Woche beginnen die Haushaltsverhandlungen im Bundestag. Ihr Vorgänger Bernd Neumann konnte den Kulturetat stetig erhöhen. Wie werden Sie die Kurve fortschreiben?

Grütters: Der Kulturhaushalt wird auf einem hohem Niveau bleiben. Den Ehrgeiz, ihn zu entwickeln, habe ich natürlich. Zum Glück gibt es eine breite, echte Kulturaffinität in der Regierungskoalition, gerade auch bei den beiden Fraktionsvorsitzenden, Thomas Oppermann und Volker Kauder. Aber harte Arbeit ist es allemal, für seinen Etat zu kämpfen.

BZ: Lassen Sie uns über das Engagement des Bundes in Berlin reden. Sie haben kürzlich an die alte Idee erinnert, die Gemäldegalerie mit den Alten Meistern könnte vom Kulturforum fort und in einen 400-Millionen-Euro teuren Neubau am Bode-Museum umziehen. Was hat Sie da geritten? Die Preußenstiftung hatte sich doch schon damit arrangiert, die Nationalgalerie durch einen Neubau am Kulturforum zu erweitern – zur Hälfte der Kosten für die große Lösung.

Grütters: Ich habe über eine sehr langfristige Perspektive geredet. Ich war immer eine Anhängerin der Vision und der Weiterentwicklung des Masterplans, den die Stiftung Preußischer Kulturbesitz Ende der 90er Jahre entwickelt hat, um die Kunstbestände der Stadt nach der Wiedervereinigung in sinnvoller Weise zu ordnen. Danach gehören die Bestände aus der frühen Neuzeit bis ins 19. Jahrhundert auf die Museumsinsel – auch die Malerei, die zur Zeit in der Gemäldegalerie am Kulturforum zu sehen ist.

BZ: Die Preußen-Stiftung kann nicht so lange warten. Sie braucht heute Platz für die Kunst der Moderne und plant daher einen Neubau hinter der Neuen Nationalgalerie.

Grütters: Richtig, die Kunst der Moderne braucht dringend ihren Platz, da haben wir akuten Handlungsbedarf. Das 20. Jahrhundert ist in der Malerei das große Berliner Jahrhundert. Von diesen Werken kann die Nationalgalerie nicht einmal zwanzig Prozent zeigen. Auch warten spektakuläre private Sammlungen in Berlin darauf, endlich übernommen und gezeigt zu werden. Dafür muss man Platz schaffen. Die von die SPK favorisierte Variante eines Neubaus an der Sigismundstraße neben der Nationalgalerie ist scheinbar die einfachste und kostengünstigste, weil das Grundstück bereits der Stiftung gehört. Das ist mit der Hoffnung verknüpft, sehr schnell zu einem Neubau mit den benötigten Flächen zu kommen.

BZ: Das klingt auch bei Ihnen unzufrieden. Die Idee mit einem Neubau in die hinterste Ecke des Kulturforums zu ziehen, hat viele enttäuscht. Es wäre eine vertane Chance, diesen geradezu öde und verwahrlost wirkenden Platz interessanter zu machen.

Grütters: Ja, an der Potsdamer Straße zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie zu bauen, wäre stadtentwicklungspolitisch viel spannender. Schon weil die Stadt seit Jahrzehnten darauf wartet, dass dieses Kulturforum endlich einen Rahmen erhält , der seinem Namen gerecht würde, ein Ort auch mit Atmosphäre und städtischer Kulturqualität.

BZ: Das sehen Sie auch so?

Grütters: Schon, aber diese Variante wäre eben deutlich teurer und sehr schwierig, nicht nur wegen der ungeklärten Grundstücksverhältnisse. Und es bräuchte mutige Architekten, die sich einen Bau zwischen der Nationalgalerie eines Mies van der Rohe und der Philharmonie eines Hans Scharoun zutrauten. Aber erstmal muss Berlin, dem 80 Prozent der Fläche gehören, einen Bebauungsplan aufstellen – und die mutlose Schwerfälligkeit des Landes Berlin haben wir in dieser Frage immer wieder erfahren müssen. Seit Jahrzehnten diskutiert man über diesen sensiblen Ort der Stadtentwicklung, dieses Gelenk zwischen Ost und West, aber es passiert nichts.

BZ: Ist da nicht eine entschiedene Stimme des Bundes gefragt?

Grütters: Ja, deshalb der Weckruf an die Stadt. Denn die Enttäuschung darüber ist ja spürbar, dass ein Neubau an der Sigismundstraße präferiert wird, weil Berlin nicht liefert.

BZ: Trauen Sie sich das auch beim Stadtschloss? Sie haben eine interessante Bemerkung gemacht, als der Architekt Braunfels vorschlug, auf den Ostflügel des Schlosses zu verzichten. Sie sagten, dafür wäre es "leider“ zu spät. Das klang, als ob sie die Qualität der Intervention anerkennen.

Grütters: Sie kommt nur acht bis zehn Jahre zu spät. Selten ist über ein Gebäude so lange und unter Wahrung demokratischer Traditionen diskutiert worden. Dann ist es in einem hochklassigen Architekturwettbewerb zu der Entscheidung für Stella gekommen. Man kann ja immer ein bisschen träumen, aber Politik beginnt mit dem Betrachten der Wirklichkeit. Auch urheberrechtliche und andere wie z.B. vergaberechtliche Aspekte kann man nicht einfach ignorieren.

BZ: Am Jahresende soll der Rohbau stehen. So schnell der Bau voranschreitet, so langsam geht es mit der inhaltlichen Planung des Humboldt-Forums voran. Die wenigsten Berliner haben eine Vorstellung davon, was das einmal werden soll.

Grütters: Offensichtlich tun wir uns immer noch schwer damit, die großartige Idee des Humboldt-Forum als Ort der Begegnung der Weltkulturen in die Öffentlichkeit zu tragen. Es ist eine Riesenchance, dass Deutschland am Beginn des 21. Jahrhunderts den zentralen Platz der Republik neu definiert und darauf verzichtet hat, einen Park, eine Tiefgarage, ein Hotel oder Bürogebäude dorthin zu stellen, sondern diesen Platz ganz bewusst der Kultur widmet. Das ist die erste hervorragende Aussage.

BZ: Und die zweite?

Grütters: Wir verzichten darauf, uns selbst zu feiern und widmen diesen Platz den außereuropäischen Kulturen. Das sagt viel aus über ein sich wandelndes Selbstverständnis der Kulturnation Deutschland. Heute verstehen wir uns als Partner in der Welt. Im städteräumlichen Bezug zu unserer eigenen Kulturgeschichte gegenüber auf der Museumsinsel soll hier nicht die eurozentrische Perspektive gelten, sondern die außereuropäischen Kulturen, aus denen die Sammlungen im Völkerkundemuseum stammen, sind eingeladen, selbstbewusst einen eigenen Auftritt zu versuchen.

BZ: Wie soll das konkret aussehen?

Grütters: Wir wollen über neuartige Kulturerfahrung sprechen und tun das vor dem Hintergrund der spektakulären Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Wie viel können wir lernen, wenn wir über unseren eigenen Horizont hinaus die großen Menschheitsthemen beleuchten, wie Fragen nach Leben und Tod, die Bedeutung der Religionen oder das Phänomen der Migration.

BZ: Dennoch hält sich der Eindruck, hier entstehe nur ein neues Museum für die Dahlemer Sammlungen. Dass es um Zeitgenossenschaft geht, und die multikulturellen Kräfte der Stadt dort ein Forum haben sollen, ist nicht kommuniziert.

Grütters: Kommuniziert ist das wohl. Ich gestehe Ihnen zu, dass das in der Breite noch nicht angekommen ist. Deshalb suchen wir jetzt einen Intendanten, jemanden, der über die Partikularinteressen der drei Betreiber SPK, Landesbibliothek und Humboldt- Universität hinaus die große Gesamtidee in die Stadt und auch in die Welt trägt. Wir müssen endlich die Herzen dafür gewinnen. Und: Das Humboldt-Forum ist auch eine Vision für Berlin.

BZ: Wenn Sie jetzt, was sicher keine schöne Vorstellung ist, an das Ende ihrer Amtszeit denken: Was wollen sie bis dahin geleistet haben?

Grütters: Ich wünsche mir eine höhere Sensibilität für die Lebenswelt der Künstler, eine Einsicht, wie wichtig diese Kreativen- und Denkermilieus als kritisches Korrektiv für unsere Demokratie, für unsere Gesellschaft sind. Dass Deutschland sein hohes Ansehen nach dem Zivilisationsbruch des Dritten Reiches wieder erlangt hat, liegt auch daran, dass wir uns die Freiheit von Kunst, Kultur und Wissenschaft nicht nur gönnen, sondern ihr einen hohen Verfassungsrang eingeräumt haben. Dahinter steckt die Überzeugung, dass es diese Milieus sind, die uns vor neuen totalitären Anwandlungen schützen können, wenn wir ihnen erlauben, unbequem zu sein. Dafür zu sorgen, darin sehe ich meine Rolle.

BZ: Das richtet sich auch an ihre Ressortkollegen, denn damit fordern Sie ebenso einen Mentalitätswandel in der Politik.

Grütters: Ja, ich glaube, dass es uns allen gut täte, wenn wir von allzu autoritativen Vorgaben Abstand nähmen, wenn wir ein wenig demütiger werden und anderen mehr Autonomie zugestehen. Kultur ist ein Modus des Zusammenlebens – und auch eine politische Haltung.

Das Interview führten Kerstin Krupp und Harald Jähner für die