Zeitzeugen berichten

25 Jahre Freiheit und Einheit Zeitzeugen berichten

Packende und authentische Berichte, die die Besucher oft nachdenklich und betroffen machen: Zeitzeugen der Friedlichen Revolution erzählen am Tag der offenen Tür im Bundespresseamt ihre Geschichte.

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Zeitzeugengespräch mit Roland Jahn

Zeitzeugengespräch "25 Jahre Einheit und Freiheit" mit Roland Jahn.

Foto: Bundesregierung/Bilan

Niemand hätte Anfang 1989 geglaubt, dass die Berliner Mauer fallen und das SED-Regime seine Macht verlieren würde. Doch mutige Menschen in der DDR veränderten den Lauf der Geschichte. Sie engagierten sich in Friedens- und Kirchenkreisen, deckten den Wahlbetrug der Kommunalwahl auf und gingen gegen staatliche Unterdrückung und Unfreiheit auf die Straße. Und es wurden immer mehr - im Herbst 1989.

Siegmar Wolf: Der Mut der Massen war ansteckend

"Nur in der großen Masse war ich auch entschlossen, unsere Forderungen der Staatsmacht entgegen zu halten", sagt Siegmar Wolf aus Plauen in einem Interview auf der Internet-Seite www.freiheit-und-einheit.de .

Beim Tag der offenen Tür berichtet er, wie er in der Nacht vor dem 7. Oktober 1989, dem 40. Republikgeburtstag der DDR, auf seinem Dachboden ein Plakat anfertigte. "Ich wollte der Staatsmacht etwas entgegenhalten", erzählt er und so schrieb er auf sein Plakat: "Für Reformen und Reisefreiheit, gegen Massenflucht und vor allem für Frieden".

Mit dem Plakat im Jackenärmel traf er sich mit anderen Plauenern, die nicht feiern, sondern demonstrieren wollten. Aus 2.000 Menschen wurden schnell bis zu 20.000, die nach Reformen, Reisefreiheit und "Gorbi", dem sowjetischen Präsidenten Michail Gorbatschow, riefen.

Rainer Eppelmann: Unmut über Missstände wird zu Mut

"Wir haben erst viel später erfahren, was da in Plauen los war", sagt Rainer Eppelmann in der Gesprächsrunde. Da sei fast die Hälfte aller Plauener auf der Straße gewesen und hätten deutlich gemacht, "was ihnen stinkt."

Auch er habe in seiner Arbeit als Pfarrer oft den Unmut der Menschen über die Missstände in der DDR erfahren. "Mit jedem Tag, den ich Pfarrer war, bin ich in immer größere Distanz gekommen, zu den Verhältnissen in der DDR und vor allem zu den Menschen, die dafür verantwortlich waren", erzählt Eppelmann und so bot er den Menschen in der Berliner Samariterkirche Raum, in dem sie sich austauschen konnten. In den 80er Jahren seien die Kirchengruppen mutiger geworden, erzählt Eppelmann. Sie wurden Teil der Bürgerbewegung in der DDR, die die Friedliche Revolution getragen hat.

Doch man dürfe auch nicht die Entwicklungen in den Ländern wie Polen oder Ungarn vergessen. Sie hätten auch für die Friedliche Revolution in der DDR eine wichtige Rolle gespielt. "Deutschland und Europa wären heute nicht das, was sie sind, wenn es nicht die Friedlichen Revolutionen in Mittel- und Osteuropa gegeben hätte", erinnert Eppelmann.

Bernd Albani: Gethsemanekirche wurde zum Zentrum des Aufbruchs

Packend der Bericht von Bernd Albani über seine sechswöchige Untersuchungshaft als politischer Gefangener. Nach seiner "Ein-Mann-Demonstration" im Juni 1978 gegen die Verhaftung des DDR-Dissidenten Rudolf Bahro, wurde er selbst verhaftet und musste Isolation und Demütigung im Stasi-Gefängnis erfahren. "Das Gefühl von Ohnmacht war schlimm", erzählt er.

Aber die Erfahrung der Haft habe ihn nicht eingeschüchtert. Im Gegenteil: Einen Tag nach seinem Dienstbeginn als Pfarrer in der Berliner Gethsemanekirche organisierte er mit Bürgerrechtlern Mahnwachen für zu Unrecht verhaftete Freunde und Kollegen. Noch heute sei er stolz, dass diese provokante Aktion vor der Gethsemanekirche öffentlichkeitswirksam stattfinden konnte und die Kirche im Herbst ´89 zu einem Zentrum des Aufbruchs wurde.

Roland Jahn: Hilfe mit Kameras und Tonbandgeräten

Mit fantasievollen Demonstrationen gegen die DDR-Diktatur wurde auch Roland Jahn auffällig. Einmal demonstrierte er mit einem leeren, weißen Plakat am 1. Mai zwischen all den Plakaten mit Lobeshymnen auf den Staat. Ein anderes Mal nahm er in seiner Heimatstadt Jena die Parade ab, die eine Gesichtshälfte als Hitler und die andere als Stalin geschminkt. Mehrmals wurde er verhaftet, 1983 wird er gewaltsam ausgebürgert, nachdem man im Gefängnis einen Ausreisewunsch von ihm erpresst hatte. "Man hat mir mit der Ausbürgerung meine Selbstbestimmung genommen", sagt Jahn.

Aber im Westen habe er erfahren, dass die Freiheit dort auch nur ein halbe Freiheit sei, solange die Mauer stehe. Und so nahm er Kontakt zu Bürgerrechtler im Osten auf, unterstützte sie mit Kameras und Tonbandgeräten. "Wir haben so Informationsfreiheit geschaffen", erzählt Jahn. Außerdem machte er Fernsehbeiträge für die ARD-Sendung Kontraste, in denen er unter anderem über die gefälschte Wahl in der DDR berichtet.

Mit den Berichten über die Missstände in der DDR und die Montagsdemonstrationen wollte Jahn auch die DDR-Bürger erreichen. Das habe geholfen, die Menschen in der DDR wachzurütteln, sagt er. Als die Mauer fiel, saß Jahn im Fernsehstudio und kommentierte die Bilder. "Das war ein Augenblick der Genugtuung für jemanden wie mich, der rausgeschmissen worden ist", so Jahn heute. "Aber nach Sendeschluss war klar, jetzt geht’s in Richtung Heimat – gegen den Strom."

Freya Klier: Durch eigene Erfahrungen Geschichte vermitteln

Stille und Spannung im Studio: Freya Klier berichtet von Kindheitstagen im DDR-Kinderheim, weil der Vater inhaftiert war. Sie erzählt von der Verhaftung ihres Bruders, der als Jugendlicher in den Knast kam, weil er Stones- und Beatles-Texte mit Freunden austauschte.

Und sie spricht vom Berufsverbot, vom Mordversuch der Stasi an ihr und ihrem damaligen Ehemann Stefan Krawczyk, von Verhaftung und Abschiebung in den Westen. Längst reichen die Stuhlreihen im Studio nicht mehr aus, viele stehen und hören gebannt zu.

Nach ihrer Ausbürgerung veröffentlichte Klier ihr Buch "Jugend und Erziehungswesen in der DDR", das sie bereits in der DDR geschrieben hatte. Dafür hatte sie erstmals in der DDR eine Jugendbefragung durchgeführt. Das musste natürlich alles geheim bleiben, erzählt sie. Sie staune heute noch, dass die befragten Jugendlichen sie nicht verraten hätten.

Auch heute ist Freya Klier die Jugend wichtig. Sie geht an Schulen und berichtet aus ihren eigenen Erfahrungen mit der Diktatur der DDR. Mit den Schülern "spiele" sie den Schulalltag in der DDR nach, mit Ranzenkontrolle, Strammstehen und FDJ-Gruß. "Und was mich erstaunt, ich lese aus meinem Tagebuch und es ist mucksmäuschen still", erzählt sie.

Gebannte Stille auch im Studio und es wird deutlich, wie wichtig die Berichte von Zeitzeugen sind, die mit ihren Geschichten ein Stück deutsche Geschichte erzählen.