Wohin entwickelt sich das Private?

Neue Hightech-Strategie Wohin entwickelt sich das Private?

Das Internet, Smartphones, Apps verändern unser Leben. Sie verändern auch das Verständnis davon, was privat und was öffentlich ist. Im Rahmen des "Forums Privatheit", einem Projekt der Zukunftsaufgabe "Zivile Sicherheit" der neuen Hightech-Strategie, arbeiten Soziologen an einem neuen Verständnis von Privatheit.

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Hightech-Forschung ist nicht nur den Naturwissenschaftlern und Technikern vorbehalten. Gerade die neue digitaler Technik, die uns alltäglich umgibt, wirft gesellschaftliche Fragen auf, denen sich Sozialwissenschaftler und Juristen stellen. Auch Soziologen befassen sich mit den Auswirkungen.

Die Soziologie ist die Wissenschaft vom Sozialen und von der Gesellschaft. Soziologen analysieren und erforschen die Gesellschaft oder bestimmte soziale Strukturen. Die Privatheit ist Teil solcher Strukturen und damit auch ein zentraler Bestandteil unseres Zusammenlebens. Wissenschaft und Gesellschaft insgesamt müssen verstehen, wie sich Privatheit entwickelt. Das trägt zur Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger bei und kann die Prozesse der politischen Meinungs- und Willensbildung verbessern.

Keine aktuelle Theorie der Privatheit

Die Kasseler Soziologen Carsten Ochs und Jörn Lamla arbeiten an einer Theorie der Privatheit. Dabei erforschen sie auch die politischen Auseinandersetzungen, die durch den sich verändernden Umgang mit den neuen digitalen Medien entstehen. Die theoretische Arbeit ist erforderlich, weil der herkömmliche Begriff von Privatheit oder Privatsphäre nur noch sehr bedingt greift: Privatheit ist nicht mehr nur die Situation, in der ich allein in meinem Wohnzimmer sitze, in dem mich niemand sehen oder belauschen kann. Dieses Verständnis reicht nicht aus.

Privatheit gilt immer stärker auch für soziale Situationen. Wenn ich mit Freunden im Garten grille und mich unterhalte, möchte ich nicht, dass der Nachbar, die Polizei oder mein Arbeitgeber unser Gespräch belauscht. Viele soziale Medien im Internet und insbesondere die neuen sozialen Netzwerke ähneln dieser Situation. Eine Privatheitstheorie muss also auch solche Situationen umfassen. Was kann Privatheit in sozialen Netzwerken bedeuten?

Allgemeine Geschäftsbedingungen lesen

Grundsätzlich wünschen sich Nutzer die Wahl zwischen öffentlichem Austausch und dem Informationsaustausch nur mit dem eigenen Freundeskreis. Wie sehr kann der Nutzer wirklich kontrollieren, dass seine Fotos und Nachrichten nur für seinen privaten Freundeskreis zugänglich sind?

Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 im sogenannten "Volkszählungsurteil" das Recht auf informationelle Selbstbestimmung formuliert. Es stellte fest, dass jeder selbst entscheiden können soll, welche Informationen für ihn privat und welche öffentlich sein dürfen. Das Verfassungsgericht hatte damals ein ganz neuartiges Verständnis von Datenschutz entwickelt, und dabei vielfach auf Erkenntnisse der Soziologie und der Gesellschaftswissenschaften Bezug genommen. Vor dem Hintergrund der heutigen elektronischen Datenflut stellt sich nun erneut die Frage, wie Privatheit und informationelle Selbstbestimmung wieder neu definiert und weiterentwickelt werden können.

Ein Beispiel für auftretende Probleme wären die vielen Smartphone-Apps, die heute genutzt werden. Viele dieser nützlichen Programme versenden auch Daten und dies mit meiner Zustimmung, schließlich habe ich ja selbst per Klick den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zugestimmt. Aber habe ich diese wirklich gelesen und weiß, welchen Dingen ich da zustimme - dass beispielsweise meine Positionsdaten weitergegeben werden? Kann ich bei der Vielzahl von digitalen vernetzten Technologien überhaupt noch den Überblick behalten und mich vor jeder Entscheidung ausreichend informieren?

An solchen Fällen stellen die Soziologen in der Diskussion mit den Juristen die Frage, wie das Verständnis von Privatheit weiterentwickelt werden könnte. Lässt sich in der digital vernetzten Gesellschaft die Freiheit und Selbstbestimmung ihrer Bürgerinnen und Bürger gewährleisten?

Daten selbst schützen

Ein vieldiskutierter Vorschlag in der Diskussion um Privatheit ist der sogenannte Selbstdatenschutz. Gemeint sind damit technische Mittel, mit denen jeder Einzelne selbst die eigenen Daten zu schützen versucht. Die Soziologen untersuchen solche Lösungsvorschläge und analysieren deren Möglichkeiten und Grenzen. Die Grenzen des Selbstdatenschutzes werden deutlich, wenn man bedenkt, wie schwierig es für den einzelnen Bürger sein kann, sich die nötigen technischen Mittel anzueignen. Müsste der Einzelne dafür nicht viel mehr systematische Unterstützung bekommen? Inwieweit können technische Mittel die Probleme überhaupt lösen? Wäre es nicht fairer und effektiver, die Verantwortung nicht an den einzelnen Bürger zu schieben, sondern stattdessen die Politik, die Unternehmen und die Zivilgesellschaft in die Pflicht zu nehmen?

Dies sind Fragen, mit denen sich die Soziologen in der Diskussion mit Informatikern, Juristen, Psychologen, Datenschützern und Fachleuten anderer Disziplinen im "Forum Privatheit" beschäftigen. Sie wollen so die aktuellen Probleme bestimmen und neue Konzepte erörtern. So abstrakt das alles klingt, ist doch zu hoffen, dass es den Soziologen gelingt, das theoretische Verständnis von Privatheit zu verbessern und die Erforschung der Privatheit voranzubringen  Denn nur so kann ein Rahmen entstehen, an dem sich die künftige Politik und Rechtsprechung orientieren können, wenn es um den Schutz unserer Daten und unserer Privatsphäre geht.