Vom Todesstreifen zum freien Raum

Architekturbiennale Venedig Vom Todesstreifen zum freien Raum

Der deutsche Beitrag zur 16. Internationalen Architekturausstellung in Venedig befasst sich mit dem "Freiraum", den die frühere innerdeutsche Grenze vor 28 Jahren hinterließ. Die geplante Ausstellung zeigt Beispiele des Erinnerns, Gestaltens und Vergessens sowie die Aktualität von "Mauern".

3 Min. Lesedauer

"Free Space" – "Freier Raum" ist das Thema der 16. Internationalen Architekturausstellung in Venedig, die am 25. Mai eröffnet wird. Zur 28-jährigen Zeitengleiche von Mauerbau und Mauerfall - dem Zirkeltag - liegt es nahe, den deutschen Beitrag auf das Thema "Mauern" auszurichten. Es geht um Ausgrenzung und Eingrenzung und um den "Freiraum", der nach dem Fall der Mauer auf dem früheren Todesstreifen entstanden ist.

Relikte des "Eisernen Vorhanges"

28 Jahre gab es den Eisernen Vorhang und ebenso lang ist es her, dass die Mauer gefallen ist. Dennoch sind die Überbleibsel vorhanden und im Gedächtnis eingebrannt: Orte, die es so nicht mehr gibt, auf alten Fotografien, Leerräume als Narben im Gelände, Erinnerungen in den Köpfen. Stellvertretend für die Teilung Deutschlands wurde vor allem international die Stadt Berlin wahrgenommen: Mitten durch Häuser und Familien wurde die Mauer gebaut.

Heute, 28 Jahre nach dem Fall der Mauer, kann der frühere Verlauf mancherorts in der Stadt kaum mehr ausgemacht werden. Stadtplaner und Architekten haben den früheren Todesstreifen längst in Beschlag genommen. Vielseitig und vielschichtig, ohne einen Masterplan für die architektonische "Wiedervereinigung" der getrennten Stadthälften, ist ein erstaunliches Zusammenwachsen zu betrachten.

Entlang des früheren Eisernen Vorhanges hingegen: Unberührte Natur und teils verfallene, teils erhaltene Spuren der früheren Grenzverlaufes. Hier entlang ist über mehr als 10.000 Kilometer der Europa-Radweg entstanden, der durch 20 Länder von der Barentssee an der norwegisch-russischen Grenze bis zum Schwarzen Meer führt. Der Radweg in Deutschland zieht sich durch mehrere Nationalparks und verbindet eine Vielzahl einzigartiger Landschaften, die in der Sperrzone lagen und nach dem Fall der Mauer bis heute nahezu unberührt geblieben sind. Das "Grüne Band" ist das längste durchgehende Biotop in Europa.

Freiräume im ehemaligen Grenzstreifen

Es ist Zeit, im nationalen und internationalen Zusammenhang darüber nachzudenken, welche Spuren und welche Freiräume der ehemalige "Todesstreifen" entlang der Mauer für Architektur und Gestaltung anbietet. Der "Freiraum" der Internationalen Architekturausstellung in Venedig kann hierfür genutzt werden. "Free Space" ist das Thema der diesjährigen Biennale. "Unbuilding Walls" ist das Thema für den Deutschen Pavillon.

Als Kuratoren für die Gestaltung des deutschen Beitrags wurde die frühere Beauftragte für die Stasi-Unterlagen, Marianne Birthler, und Graft Architekten beauftragt. Das Bundesbauministerium hat 2017 einen offenen Wettbewerb für den Deutschen Pavillon ausgelobt. Der nun auf einer Pressekonferenz vorgestellte Vorschlag der Kuratoren für eine Ausstellung zur Biennale will zur Diskussion anregen: Wie gehen Stadtplaner und wie die Bevölkerung mit ehemaligen und bestehenden Mauern in Stadträumen um? Und wie ordnen die Menschen ihr Leben hinter und vor Mauern ein?

Mauern: Sichtbare Sperren und unsichtbare in den Köpfen

Die Geschichte der deutsch-deutschen Mauer sei eine von Teilung und Heilung, sagte Bundesbaustaatssekretär Gunther Adler bei der Vorstellung des Ausstellungskonzepts. "Der geschichtliche Hintergrund hat unsere Kuratoren dazu inspiriert, eine Ausstellung zur städteräumlichen und architektonischen Auswirkung des Phänomens Mauer vorzuschlagen. Dabei geht es um bestehende Mauern, aber auch um Zeiten nach deren Überwindung", so Adler.

Die für Venedig geplante Ausstellung wird anhand von 28 architektonischen Projekten auf dem ehemaligen Grenzstreifen die Entwicklung nach dem Fall der Mauer zeigen. Dabei steht vor allem der Stadtraum Berlin im Mittelpunkt. Denn hier gab es einen beispiellosen innerstädtischen, künstlich geschaffenen Leer-Raum. In den vergangenen 28 Jahren wurde er bebaut – im Ergebnis sind äußerst vielschichte Lösungsansätze von städtebaulicher Architektur zu besichtigen.

Die Ausstellung im Deutschen Pavillon wird ergänzt durch Interviews mit Menschen, die an anderen Orten in der Welt mit Mauern leben (müssen). Denn neben der deutschen Mauer-Erfahrung geht es in Venedig auch um Barrieren jenseits des nationalen Blickwinkels.