Türkei-Politik neu ausrichten

Nach Verhaftungen in Türkei Türkei-Politik neu ausrichten

Außenminister Gabriel hat einen Kurswechsel in der Türkei-Politik angekündigt. Unter anderem sollen die Reisehinweise für das Land verschärft werden, sagte er am Freitag in Berlin. Die stellvertretende Regierungssprecherin Demmer ergänzte am Montag, dass die Türkei in Vielem ein wichtiger Partner bleibe.

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Die Bundesregierung werde ihre Türkei-Politik neu ausrichten. Das sagte Außenminister Sigmar Gabriel am Freitag in Berlin. Als Reaktion auf die Verhaftung des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner und anderer werde die Bundesregierung unter anderem die Hinweise für Reisen in die Türkei verschärfen. Zudem werde sie die staatliche Absicherung von Türkei-Geschäften der deutschen Wirtschaft durch Hermes-Bürgschaften auf den Prüfstand stellen.

Der Kurswechsel sei mit Bundeskanzlerin Angela Merkel abgestimmt, so der Minister. "Die vom Außenminister vorgestellten Maßnahmen gegenüber der Türkei sind angesichts der Entwicklung notwendig und unabdingbar", betonte auch Regierungssprecher Steffen Seibert per Twitter.

Für die Neuausrichtung der Türkei-Politik der Bundesregierung sieht Außenminister Gabriel folgende Punkte:
1. Die Bundesregierung könne niemanden zu Investitionen in einem Land raten, in dem keine Rechtssicherheit mehr herrsche. Die Bundesregierung sehe nicht, wie sie deutsche Investitionen in der Türkei garantieren könne. Man müsse etwa darüber sprechen, wie man den Hermes-Bürgschaftsrahmen entwickle.
2. Man müsse auch mit den europäischen Kollegen über die Frage sprechen, wie man mit den Vorbeitrittshilfen der EU für die Türkei umgehe.
3. Die Reise- und Sicherheitshinweise in die Türkei müssten angepasst werden, damit die Reisenden wüssten, was ihnen geschehen könne.

Türkei bleibt wichtiger Partner

Zu einem möglichen Abbruch der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei betonte die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer am Montag: "Die Türkei ist und bleibt Nato-Mitglied und in Vielem ein wichtiger Partner. Eine völlige Abwendung der Türkei von Europa, aber auch Europas von der Türkei liegt weder im deutschen noch im europäischen Interesse."

Dennoch müsse klar sein: Wer der Europäischen Union beitreten wolle, schließe sich einer Union der Werte an, der Menschenrechte, der Pressefreiheit und der Rechtsstaatlichkeit, so Demmer. "Es ist an der Türkei, zu klären, wie sie sich daher ihr künftiges Verhältnis zur Europäischen Union vorstellt", sagte die stellvertretende Regierungssprecherin.

Verhältnis schwer belastet

Außenminister Gabriel hatte am Freitag erklärt, das deutsch-türkische Verhältnis sei in letzter Zeit schweren Belastungen ausgesetzt gewesen. In der Vergangenheit habe man sich allerdings immer auf ein partnerschaftliches Verhalten verlassen können, um Lösungswege aus Krisen zu finden. Man habe versucht, große Aufregung zu dämpfen und darauf gesetzt, dass die Vernunft wieder einkehren werde.

"Die Entwicklungen in der Türkei sind unübersehbar und man muss sie auch beim Namen nennen", sagte Gabriel. Die in den vergangenen Jahren erfolgreich aufgebauten Fundamente für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sollten wohl wieder abgetragen werden.

Konsularischer Zugang nicht automatisch

Die Bundesregierung halte den Freiheitsentzug von Peter Steudtner und weiteren 21 deutschen Staatsangehörigen für nicht rechtmäßig, so Gabriel. Die Fälle von Peter Steudtner, Deniz Yücel und Mesale Tolu stünden beispielhaft für die abwegigen Vorwürfe von Terrorpropaganda.

Peter Steudtner wurde am 5. Juli zusammen mit weiteren Amnesty-International-Aktivisten von türkischen Sicherheitskräften festgenommen. Er sitzt seitdem in Untersuchungshaft. Die türkische Justiz wirft ihm vor, eine bewaffnete Terrororganisation unterstützt zu haben. Deniz Yücel, Mesale Tolu und andere deutsche Staatsbürger sitzen wegen ähnlicher Anschuldigungen in der Türkei in Untersuchungshaft.

Zudem gebe es immer wieder Schwierigkeiten bei der konsularischen Betreuung: "Wir müssen in jedem Fall um den völkerrechtlichen zustehenden Anspruch auf konsularischen Zugang kämpfen", so der Minister. Dieser werde nie automatisch gewährt.

Einbestellung des türkischen Botschafters

Schon zuvor hatte die Bundesregierung die Türkei aufgefordert, Peter Steudtner "unverzüglich" freizulassen. Die Verhaftung sei eine ernste und traurige Situation im deutsch-türkischen Verhältnis, so Regierungssprecher Seibert am Mittwoch (19. Juli). Sie sei ein durchschaubarer Versuch, "Andersdenkende zu diskreditieren und zu kriminalisieren", sagte er in der Regierungspressekonferenz.

Wegen der Inhaftierung des Deutschen Peter Steudtners und fünf weiterer Menschenrechtsaktivisten war der türkische Botschafter am Mittwoch ins Auswärtige Amt zitiert worden. Es sei notwendig gewesen, dass die Türkei die Empörung Deutschlands sowie das Unverständnis und die damit verbundenen glasklaren Ansagen zum Fall Peter Steudtner ohne Umwege und unmissverständlich erhalte, erklärte Außenamts-Sprecher Martin Schäfer.

Dem türkischen Botschafter sei klipp und klar gesagt worden, dass die Verhaftung von Steudtner und anderer Menschenrechtsaktivisten weder nachvollziehbar noch akzeptabel sei, und schon gar nicht vermittelbar, so Schäfer weiter. Die Bundesregierung fordere die unverzügliche Freilassung von Peter Steudtner. Der türkische Botschafter habe zugesagt, diese Auffassung Deutschlands unverzüglich an die türkische Regierung zu übermitteln, sagte der Sprecher.

Solidarisch mit allen Verhafteten

Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte bereits am Dienstag (18. Juli) ihre "allergrößte Sorge" über die Ereignisse zum Ausdruck gebracht. Die Verhaftung von Peter Steudtner sei absolut ungerechtfertigt: "Wir verurteilen sie als Bundesregierung. Wir erklären uns mit ihm und den anderen Verhafteten solidarisch. Und wir werden seitens der Bundesregierung alles tun, auf allen Ebenen, seine Freilassung zu erwirken."

Dies sei leider ein weiterer Fall, in dem "unbescholtene Menschen" in der Türkei in die Mühlen der Justiz und damit auch in Haft gekommen seien. Die Bundesregierung verurteile die Verhaftung Steudtners in aller Deutlichkeit und fordere seine sofortige Freilassung.