Kanzler empfängt chilenischen Präsidenten
Nach dem Treffen mit dem chilenischen Präsidenten Boric lobte Bundeskanzler Scholz die engen bilateralen Beziehungen zu Chile. Bei Klima- und Umweltschutz, beim Handel und bei der Haltung zu internationalen Konflikten gebe es viele Gemeinsamkeiten.
19 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Montag, 10. Juni 2024
Deutschland und Chile haben viele Übereinstimmungen in den politischen Handlungsfeldern. Das betonte Bundeskanzler Olaf Scholz in der Pressekonferenz nach dem Treffen mit dem chilenischen Präsidenten Gabriel Boric.
Das Wichtigste in Kürze:
- Klima- und Umweltschutz: Chile hat den Co-Vorsitz des von Deutschland gegründeten Klimaclubs übernommen. Deutschland und Chile bereiten für die COP29 im Herbst in Baku ein ambitioniertes Arbeitsprogramm vor.
- Erneuerbare Energien: Deutschland und Chile wollen bei der umweltfreundlichen Erschließung und Nutzung von Rohstoffen eng zusammenarbeiten.
- Handelsbeziehungen: Deutschland und Chile betonen die Wichtigkeit des Handelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Chile, weil dies beiden Seiten viele Vorteile bringt.
- Russlands Krieg gegen die Ukraine: Deutschland und Chile verurteilen den eklatanten Bruch des Völkerrechts durch Russland.
- Nahost-Konflikt: Deutschland und Chile fordern eine bessere Versorgung der Bevölkerung im Gazastreifen durch Israel. Zugleich muss die Hamas ihre Angriffe beenden und alle Geiseln freilassen.
- Colonia Dignidad: Deutschland unterstützt die Errichtung eines Gedenk- und Dokumentationszentrums auf dem ehemaligen Gelände der Colonia Dignidad.
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Sehen Sie sich die Pressekonferenz an:
Lesen Sie hier die Mitschrift der Pressekonferenz:
Bundeskanzler Olaf Scholz: Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Gabriel Boric, ich heiße dich ganz herzlich willkommen hier heute in Berlin! Es ist mir eine große Freude, dich hier im Kanzleramt zu begrüßen; denn ich denke sehr gerne zurück an meinen Besuch in Santiago de Chile im vergangenen Jahr.
Die Beziehungen zwischen Chile und Deutschland sind sehr gut, freundschaftlich und vertrauensvoll, und wir beide sind intensiv dabei, diese ohnehin guten Beziehungen weiter auszubauen. Schön, dich hier zu haben!
Ausdrücklich möchte ich noch dafür danken, dass Chile den Co-Vorsitz im internationalen Klimaclub übernommen hat. Mit Blick auf die COP29 im Herbst in Baku sind wir dabei, das ambitionierte Arbeitsprogramm des Klimaclubs umzusetzen. Danke für eure Unterstützung dabei!
Wir haben auch über den Kampf gegen die Verschmutzung der Meere durch den Plastikmüll und über das UN-Hochseeschutzabkommen gesprochen, das Chile ja bereits ratifiziert hat.
Wichtig für den Schutz unseres Klimas ist der Einsatz von erneuerbaren Energien. Chile und Deutschland wollen dabei eng kooperieren, sei es bei der Erzeugung der Energien oder bei der Ausbeutung der notwendigen Rohstoffe. Hierbei ist Chile ein Vorreiter. Um einen umweltfreundlichen und nachhaltigen Abbau von Lithium zu erreichen, haben wir einen engeren wissenschaftlichen Austausch zwischen den Forschungsinstituten unserer Länder vorgesehen. Das ist ein Meilenstein für die Energiewende. Unsere geologischen Institute werden in diesen Fragen noch enger zusammenarbeiten. Die entsprechende Vereinbarung haben wir ebenfalls während dieses Besuchs getroffen.
Das Gleiche gilt für eine Absichtserklärung, die vorsieht, dass Forschungsinstitute aus unseren Ländern in der Antarktis enger zusammenarbeiten werden.
Unsere Handelsbeziehungen, und das ist mir sehr wichtig, werden sich durch die erweiterten Rahmenvereinbarungen und das Interimshandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Chile weiter verbessern. Es zeigt mir einmal mehr, wie wichtig es ist, solche Abkommen miteinander zu vereinbaren, weil sie beiden Seiten viele Vorteile bringen in einer Welt, die im Augenblick eher dazu tendiert, Handelshemmnisse aufzubauen, statt sie zu beseitigen.
Neben diesen bilateralen Themen beschäftigt unsere Länder natürlich auch die herausfordernde weltpolitische Lage. Deutschland und Chile sind sich einig, dass internationale Zusammenarbeit der Schlüssel zur Lösung globaler Probleme ist. Uns eint ein klares Bekenntnis zur regelbasierten Ordnung.
Der eklatante Bruch des Völkerrechts, den Russland durch seinen imperialistischen Krieg gegen die Ukraine erbarmungslos fortsetzt, empört uns zutiefst. Tag für Tag fordert dieser Krieg furchtbare Opfer. Deutschland ist der stärkste Unterstützer der Ukraine in Europa, und wir werden das sein, solange es notwendig ist. Morgen richten wir die Ukraine Recovery Conference aus, bei der mehr als 90 Länder vertreten sein werden, um über den Wiederaufbau des zerstörten Landes zu sprechen.
Vor dem Wiederaufbau braucht es aber ein Ende des Krieges. Präsident Boric und ich haben deshalb eben über die Friedenskonferenz in der Schweiz gesprochen, an der wir beide am Wochenende teilnehmen werden. Diese Konferenz wird - das ist klar - noch keinen Durchbruch auf dem schwierigen Weg hin zu Frieden in der Ukraine mit sich bringen. Aber sie wird, so ist meine Hoffnung, ein erster Schritt auf diesem mühsamen Weg sein.
Sehr konkret fordern wir, dass Russland die illegal deportierten Kinder aus der Ukraine endlich nach Hause zurückkehren lässt. Putin darf diese Kinder nicht länger als Geiseln nehmen.
Meine Damen und Herren, die Lage im Nahen Osten haben wir ebenfalls besprochen. Einig sind wir uns, dass die Menschen im Gazastreifen deutlich besser mit Wasser und Lebensmitteln versorgt werden müssen, als das heute der Fall ist. Es geht um mehr als 500 Lastwagen pro Tag, die notwendig sind, und dafür muss Israel Sorge tragen. Es ist wichtig: Die Hamas muss ihrem mörderischen Treiben ein Ende setzen und alle Geiseln freilassen. Mit dem israelischen Angebot, das US-Präsident Biden vorgestellt hat, besteht die greifbare Aussicht auf ein Ende der Kämpfe und auf ein Ende des Krieges. Darum sollte es uns jetzt allen gehen.
Lassen Sie mich noch ein paar Sätze zu einem dunklen Kapitel unserer gemeinsamen Geschichte sagen, die sogenannte Colonia Dignidad. Wir beide haben die Aufarbeitung der Geschichte der Colonia Dignidad intensiv besprochen. Ich habe Präsident Boric meinen vollen Respekt und meine Unterstützung für die chilenische Entscheidung versichert, Teile des Geländes der heutigen „Villa Baviera“ zu enteignen. Damit könnten auf dem Gelände eine Gedenkstätte und ein Dokumentationszentrum errichtet werden. Ich würde mich freuen, wenn dieser Prozess jetzt Fahrt aufnimmt. Die Bundesregierung steht weiter als Partner bereit, einen Beitrag für ein solches Gedenk- und Dokumentationszentrum zu leisten.
Gleichzeitig unterstützen wir ein wichtiges Projekt des chilenischen Nationalarchivs. Im Rahmen des „Nationalen Suchplans“ sollen damit Anstrengungen unternommen werden, die Verbrechen der Pinochet-Diktatur aufzuarbeiten und die lange Phase der Straflosigkeit dieser Verbrechen zu beenden. Ich weiß, wie schwierig, aber auch wichtig dieser Prozess für die chilenische Gesellschaft ist. Deutschland wird hier helfen, wenn das gewünscht ist.
Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Gabriel, vielen Dank für deinen Besuch und dafür, dass wir unsere Beziehungen auf diese Weise weiter stärken und ausbauen konnten!
Präsident der Republik Chile, Gabriel Boric: Ich wünsche Ihnen einen guten Nachmittag! Vielen Dank, Olaf, für deine freundlichen Worte, die die bedeutenden Beziehungen zwischen unseren Ländern zum Ausdruck bringen.
Mit Deutschland teilen wir gemeinsame Werte, auf die wir nicht verzichten können, zum Beispiel die Konsolidierung der Demokratie und die absolute Einhaltung der Menschenrechte, zusätzlich natürlich auch den Rechtsstaat und die nachhaltige Entwicklung. Unsere Beziehung zu Deutschland ist dynamisch, divers. Es gibt historische Bindungen, auch wirtschaftliche Bindungen, aber natürlich auch politische und kulturelle Aspekte innerhalb der Beziehung. Dieser Besuch soll all diese Dimensionen beleuchten.
Für mich persönlich als Repräsentant des chilenischen Staats ist es eine Ehre, dass der Bundeskanzler uns hier in Deutschland empfängt. Das spricht auch für den Respekt, den Chile in Europa genießt.
Wir haben eine sehr volle Agenda, die wir hier besprechen. Wir haben vor allem über unsere nationale Lithiumstrategie gesprochen, über grünen Wasserstoff. Wir haben über die Maßnahmen gesprochen, die wir hinsichtlich des Klimawandels ergreifen wollen. Unsere Wirtschaft soll wachsen. Wir wollen hierbei auch ganz stark auf Innovation setzen. Deutschland hat mehr als eine Milliarde Dollar in Chile investiert. Wir haben hier ja auch das erweiterte Rahmenabkommen mit der Europäischen Union modernisiert. Das wurde im Dezember des letzten Jahres ratifiziert. Wir sind sehr stolz, dass die Mitgliedstaaten der europäischen Länder dieses Abkommen jetzt ratifizieren. Für uns ist es eine große Priorität, den eingeschlagenen Weg weiter zu verfolgen, um auch eine zentrale Rolle im Bereich der erneuerbaren Energien zu spielen.
Derzeit ist Lateinamerika nicht nur, wie es das während langer Zeit war, zum Beispiel im 20. Jahrhundert, eine Region, die unterstützt werden muss, sondern ein Partner auf Augenhöhe; das ist Lateinamerika. Das heißt, wir wollen die Herausforderungen, die wir weltweit angehen, gemeinsam angehen, wie zum Beispiel auch der Klimawandel eine ist. Deshalb können wir heute voller Stolz sagen, dass zwei Drittel der Energie in unserem Land aus sauberen Energiequellen kommen.
Es gibt Länder wie zum Beispiel Deutschland, die die gleiche Vision haben wie wir. Hierbei geht es auch um die Brennstoffe wie den grünen Wasserstoff, den wir entwickeln wollen. Wir haben ja gemeinsam den Vorsitz des Klimaclubs inne, zu dem Sie uns auch eingeladen haben, und wir wollen hier natürlich auch Dekarbonisierung sehen. Eine ganz klare Aufgabe, die wir haben, ist der Kampf gegen diesen Klimawandel.
Bezüglich des Lithiums sind unsere Beziehungen mit Deutschland extrem wichtig. Eines der Dinge, die wir hier mit dem Herrn Bundeskanzler in unserem Vieraugengespräch diskutiert haben, ist genau der Wille, den es hier seitens beider Länder gibt, unseren Wirtschaftsaustausch zu verstärken, insbesondere in einer Industrie, die so vielversprechend wie die des Lithiums ist. Das ist also eine historische Möglichkeit für uns als Exportland, und wir wollen hier auch Wertschöpfungsketten erschaffen. Eines der Abkommen, das wir mit der Europäischen Union unterzeichnen, bezieht sich auf die Lithiumindustrie. Aber es geht nicht nur darum, Lithium zu exportieren, sondern darum, in unserem Land Wertschöpfungsketten zu schaffen und hierbei als Partner zusammenzuarbeiten. Das ist gut für Chile, aber das ist natürlich auch gut für Deutschland, die eben den Klimawandel bekämpfen wollen. Wir schätzen sehr das Interesse, das deutsche und europäische Unternehmen hier zum Ausdruck gebracht haben, gerade hinsichtlich der Entwicklung des Lithiums, aber eben auch der Unternehmen, die die Wertschöpfung und den Mehrwert in unserem Land fördern wollen.
Wir befinden uns auch in verschiedenen multilateralen Instanzen im Gespräch, wenn es um die Sicherheit geht. Wir haben eine bilaterale Zusammenarbeit beschlossen und wollen im Bereich von Schutzpolizei und grenzübergreifendem organisierten Verbrechen miteinander zusammenarbeiten. Hierfür gibt es ein Memorandum of Understanding.
Wir haben mit Herrn Scholz auch bezüglich der weltweiten Situation gesprochen, gerade auch im Hinblick auf den Ukrainegipfel in der Schweiz. Denn sowohl Chile als auch Deutschland stimmen darin überein, dass der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine inakzeptabel ist und gerade auch internationales Recht verletzt. Es wurde angesprochen, dass Kinder mit Gewalt ihren Familien entrissen und auf russisches Territorium gebracht wurden. Chile leistet humanitäre Hilfe. Aber natürlich unterstützen wir auch die Friedensaktionen, die auf dem Gipfel in der Schweiz besprochen werden. Als im internationalen Maßstab mittelgroßes Land wollen wir uns mit der Garantie für Sicherheit verpflichten und uns ganz klar positionieren, was die Daseinsberechtigung des Landes angeht.
Das bezieht sich auch auf den Konflikt im Mittleren Osten. Auch das ist ein Thema im Rahmen unseres Besuchs. Wir haben hierzu eine konstante Position auf allen administrativen Ebenen gezeigt. Wir wollen zwei gleiche, souveräne, unabhängige Staaten, die ein Recht auf eigene Sicherheit und ein Leben in Würde haben können.
Wir sehen, dass man davon weit entfernt ist. Der Krieg zwischen der israelischen Regierung und der Hamas hat bisher Tausende Tote gefordert, bis zu 40 000 Tote, und muss gestoppt werden. Wir sehen, dass weiterhin terroristische Attacken durchgeführt wurden. Die Flüchtlinge, die dort gefangen genommen wurden, müssen freigelassen werden. Gleichzeitig fordern wir eine Waffenruhe in Gaza und unterstützen den Vorschlag für eine Waffenruhe, damit der Wiederaufbau Gazas garantiert werden kann.
Aber wir haben hier über grundlegende Dinge gesprochen. Internationales Völkerrecht muss respektiert werden. Als Land haben wir uns der Forderung Südafrikas angeschlossen, was die Position Netanjahus angeht. Auch der Internationale Gerichtshof hat ganz klar Anzeigen gegen die Hamas, aber auch gegen die israelische Regierung formuliert. Unabhängig von den Unstimmigkeiten, die es diesbezüglich geben könnte, muss internationales Völkerrecht natürlich respektiert werden. Dafür wollen wir uns einsetzen, immer und überall. Ich will hier aber auch noch einmal die Unterstützungshaltung der G7 erwähnen, die darauf ausgelegt ist, diesen blutigen und grausamen Krieg so bald wie möglich zu beenden. Der Schutz der Menschenrechte hat keine Grenzen. Darüber haben wir gesprochen.
Natürlich bezieht sich das auch auf die ehemalige Colonia Dignidad. Wir wollen sowohl für chilenische als auch deutsche Opfer die entsprechende Hilfe anerkennen. 2017 haben Chile und Deutschland ein Memorandum für einen gemeinsamen gemischten Ausschuss unterschrieben. Die Opfer sollen wieder in die Gesellschaften integriert werden. Gerade in den letzten Tagen ist viel passiert. Wir wollen Teile der Colonia Dignidad enteignen. Das hat Bundeskanzler Scholz schon erwähnt. Deutschland wird bedeutend zur Errichtung des Gedenkzentrums beitragen und auch die Arbeit zur Wiedergutmachung für die Opfer unterstützen, die auf verschiedenen Ebenen einzustufen sind. Dieses Thema ist für unser Land sehr relevant.
Ich danke dem Bundeskanzler, Herrn Olaf Scholz, für seine Bereitschaft, die er in diesem Treffen gezeigt hat, in dem das Vertrauen in unsere Beziehungen bestätigt wurde. Es ist ganz wichtig, dass die historische Beziehung, die wir haben, weiter gestärkt wird. Deutschland ist unser wichtigster Partner in der Europäischen Union und unser drittwichtigster Partner auf internationaler Ebene. Es ist gut und wichtig, dass wir die Bindungen, die weit über die Wirtschaft hinausgehen, beibehalten und ausbauen, zum Beispiel die Wissenschaftszusammenarbeit und den Austausch Studierender. Das sind wichtige Themen, ebenso wie der Klimawandel, der unsere Generation betrifft.
Vielen Dank.
Fragerunde im Anschluss
Frage: Die erste Frage möchte ich an beide richten. Die Verteidigung der Opfer der Colonia Dignidad - - - Die Enteignung würde nicht unbedingt die Opfer begünstigen.
Herr Scholz, Sie haben auch gesagt, Sie würden die diplomatischen Archive freigeben. Welche Rolle hat die deutsche Regierung hier gespielt?
Präsident Boric: Lassen Sie mich etwas dazu sagen. Darauf möchte ich kurz antworten. Die Enteignung muss natürlich die Voraussetzungen erfüllen, die im chilenischen Recht festgelegt sind. Dafür müssen auch Gerichte einbezogen werden. Wir wollen einen Gedenkort errichten. Natürlich wollen wir nicht die Täterschaft begünstigen, indem wir versuchen, den Opfern zu helfen. Die Opfer sollen eine zentrale Rolle haben, Protagonist sein. Bezüglich der Enklave müssen wir dafür sorgen, dass das Böse, das Schlechte, das dort geschehen ist, gestoppt wird. Deswegen wollen wir einen Gedenkort an diesem Ort.
Herr Bundeskanzler Scholz hat sich dazu bereit erklärt, zusammenzuarbeiten und alles zu geben, was die Bundesregierung in dieser Hinsicht geben kann. Das bezieht sich natürlich auch auf die Dokumentation, auf die Archive, die es seitens der deutschen Regierung geben kann, damit eine komplette Information über das vorliegt, was über so viele Jahrzehnte passierte.
Kanzler Scholz: Ich will nicht viel ergänzen. Wir sind ein freundlicher Partner bei der Aufarbeitung dieser Geschichte und werden es auch bleiben.
Frage: Herr Präsident, Sie haben eben schon die Zusammenarbeit im Lithiumbereich angesprochen und von einer historischen Chance gesprochen. Wie weit kann diese Kooperation aus Ihrer Sicht gehen? Welche konkreten Pläne gibt es dafür schon? Sehen Sie darin auch eine Chance, sich stärker von China abzukoppeln?
Herr Bundeskanzler, ich möchte Sie zur Europawahl fragen. Ihre Partei hat dabei das bisher schlechteste Ergebnis überhaupt bei einer bundesweiten Wahl eingefahren. Welche persönliche Verantwortung tragen Sie für diese Wahlniederlage? Was antworten Sie denen, die jetzt eine Neuwahl des Bundestages fordern?
Präsident Boric: Bezüglich der ersten Frage, auf die ich antworten werde: Chile hat eine nationale Lithiumstrategie vorgestellt, in der Möglichkeiten für den privaten Sektor aufgezeigt werden, gemeinsam mit dem chilenischen Staat zu investieren, Material abzubauen und zu explorieren, was eine Schlüsselfunktion in der Welt hat. Chile hat die Erwartungshaltung, dass wir unsere Lithiumproduktion verdoppeln werden. Ich denke, dass wir das im nächsten Jahrzehnt schaffen werden. Wir sind der zweitgrößte Hersteller. Wir brauchen hierfür öffentlich-private Zusammenarbeit. Das wird natürlich auch durch die deutsche Regierung gefördert werden, um Investitionen in dieser Industrie in unserem Land zu tätigen.
Wir wollen die Investitionen diversifizieren. Bezüglich der Geopolitik haben wir Freihandelsabkommen mit vielen Ländern der Welt, mit der Europäischen Union, den USA , mit Ländern in Asien, mit China, mit Ländern in Lateinamerika. Natürlich ist es sehr wichtig, was uns die Erfahrung, auch internationale Erfahrung, gezeigt hat, dass man nicht alle Eier in denselben Korb legt. Man muss diversifizieren. Dieses Konzept hat bei Bundeskanzler Scholz eine sehr freundliche Aufnahme gefunden. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sich die deutschen Investitionen in Chile erhöhen werden. Wir haben im letzten Jahrzehnt eine Stagnation in diesem Bereich. Aber es gibt ein großes Potenzial für deutsche Investitionen, dafür, die Investitionen zu erhöhen. Wir wollen das natürlich umsetzen.
Kanzler Scholz: Das Wahlergebnis war für alle drei Regierungsparteien schlecht. Keiner ist gut beraten, der jetzt einfach zur Tagesordnung übergehen will. Gleichzeitig geht es aber auch darum, dass wir unsere Arbeit tun, dafür zu sorgen, dass unser Land modern wird, dass es vorankommt, und sich im Übrigen darauf vorzubereiten, dass die Zustimmung immer größer werden wird, sodass man bei der nächsten Bundestagswahl die Ergebnisse dieser Arbeit zur Wahl stellen kann und das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger für die Arbeit hat. Das muss jetzt für alle der Maßstab sein, sich anzustrengen und die Aufgaben zu lösen, vor denen wir stehen.
Frage: Guten Tag, ich möchte noch einmal zu den europäischen Wahlen fragen. Wie ist das hier mit der rechten Kraft, die aufgestiegen ist? Könnte das auch in Chile passieren? - Die Beteiligung bei den Vorwahlen in Chile könnten Sie noch kurz ansprechen.
Präsident Boric: In erster Linie habe ich keine Angst vor der Demokratie. Ich denke, dass die Bevölkerung in Chile und in anderen Ländern die Weisheit hat, entsprechend zu wählen. Es gab hier ein großes Erstarken der Rechten, aber es gab auch ein Erstarken der progressiven Kräfte in anderen Bereichen. Wie ich das verstanden habe, haben die Europawahlen im Ergebnis gezeigt, dass die Komponente der Integration weiterhin eine große Mehrzahl hat. Da haben wir eine gemeinsame Sichtweise auf die Welt.
Das klarste Beispiel ist die Unterzeichnung der Modernisierung unseres Abkommens mit der Europäischen Union. Dabei spielen ja nicht nur wirtschaftliche Perspektiven, sondern auch wissenschaftliche und kulturelle Aspekte eine Rolle.
Ich möchte jetzt nicht auf die Wahl in jedem einzelnen Land eingehen. Aus der Sichtweise von Chile sind wir natürlich über das Erstarken von Kräften besorgt, die nicht wie wir die Demokratie schätzen, die die Bedeutung von Menschenrechten relativieren oder denken, dass es Bürger und Bürgerinnen erster und zweiter Klasse geben könnte. Für mich ist es wichtig, dass progressive Kräfte hier eine Alternative bieten, um die Lebensqualität der Menschen zu verbessern - in der Justiz und bei Dialogen -, und dass eben nicht auf Gewalt zurückgegriffen wird. Der Großteil der Bevölkerung in Chile hat dies, und ich vertraue darauf. Deshalb habe ich keine Angst vor der Demokratie.
Ich freue mich, dass heute die politischen Parteien entschieden haben, dass die Vorwahlen abgeschlossen sind und die Kandidaten aufgestellt werden. Es ist natürlich viel besser, wenn das über Abstimmungen durch die Bevölkerung geht und nicht nur durch bestimmte Kräfte.
Ich weiß jetzt nicht, welche Zahlen dort mitspielen, aber die Beteiligung war höher als bei den vorherigen Wahlen. Natürlich wäre es schön, wenn noch mehr Leute hingehen würden. Die Beteiligung ist eine gute Nachricht für Chile. Ich freue mich sehr, dass das die Art und Weise ist, wie wir eventuelle Differenzen lösen können, um populistischen Kandidaturen entgegenzustehen und fortschrittliche Kräfte zu fördern.
Kanzler Scholz: Die Stimmen für rechtspopulistische Parteien bei uns und in anderen europäischen Ländern müssen uns Sorge machen. Daran darf man sich niemals gewöhnen. Es muss immer der Auftrag sein, sie wieder zurückzudrängen und dafür zu sorgen, dass es klare, deutliche Mehrheiten für die Parteien gibt, die ein klares Bekenntnis zu unserer Demokratie, zu dem Rechtsstaat, zu dem, was uns als Europäische Union auch ausmacht, abgegeben haben und das auch repräsentieren.
Aber das muss in dieser Situation, in der es in einzelnen Ländern doch ganz erhebliche Zustimmungswerte für rechtspopulistische Parteien gibt, auch gesagt werden: Es gibt in Europa eine klare Mehrheit für Parteien, die sich ganz klassisch für Demokratie und Rechtsstaat einsetzen. Auch das Europäische Parlament spiegelt das wider. Das ist auch die Grundlage für die Arbeit, die in den nächsten fünf Jahren in Europa ansteht.
Frage: Meine Frage richtet sich an Präsident Boric. Sie haben schon vom Klimaclub gesprochen. Sie haben ja den Co-Vorsitz mit Deutschland. Wenn ich das richtig verstehe, dann arbeiten beide Länder mit den anderen Partnern im Club zusammen, auch bezüglich des Green Steals. Können Sie hier eine klare Definition des grünen Stahls abgeben, gerade bezüglich der Zölle, die darauf erhoben werden, und im Hinblick auf China?
Und die zweite Frage: Ich hätte gern zu Europa gefragt, zu den Top Jobs jetzt im Nachblick auf die Europawahl. Unterstützen Sie Ursula von der Leyen als Kommissionspräsidentin? Werden Sie sich dafür einsetzen, dass sie vom Europäischen Rat wieder nominiert wird? Haben Sie auch schon einen Favoriten für den Präsidenten des Europäischen Rates? Könnte António Costa das sein? Und gibt es auch schon einen Gedanken, wer Außenbeauftragter werden könnte?
Da wir bei Brüssel sind, wenn Sie noch erlauben, noch eine Frage: Nun erwartet man ja in dieser Woche die Ankündigung von Strafzöllen gegen chinesische Autos. Wollen Sie sich dagegen einsetzen? Glauben Sie, das kann Deutschland noch verhindern?
Präsident Boric: Ich würde gern einen Gedanken hinzufügen. Wenn hier nach dem Aufkommen der ultrarechten Kräfte gefragt wird, dann muss ich fragen: Wie sieht es denn im Alltag aus?
Wir haben uns in Lateinamerika in den letzten Jahren zum Beispiel auch der Verteidigung der Frau gewidmet, dass die Frau das Recht hat, ihren eigenen Körper zu verteidigen. Das heißt, es geht ja auch um sexuelle und reproduktive Rechte der Frau.
Viele wollen hier zum Beispiel den Klimawandel bekämpfen und das zum Beispiel nicht verweigern. Viele unterstützen die Wissenschaft, statt sie infrage zu stellen.
Wir wollen heute auch die Renten der älteren Leute verbessern - einfach, um dann auch zu sagen, dass der Markt besser funktioniert. Aber das ist eine Frage, die wir abschließend stellen müssen. Hier wird dann eben abgestimmt. Wir können viel über Sicherheit sprechen. Aber in der Praxis geht es natürlich darum, dass wir auch konkrete Aktionen ergreifen müssen, um die Sicherheit zu stärken. Das sind die Fragen, die wir uns am Ende des Tages stellen müssen und auf die wir antworten können müssen, um zu sehen, wie die Leute dann bei den Abstimmungen, bei den Wahlen, reagieren.
Ich würde ganz gern auf die Frage des deutschen Journalisten antworten. Für uns ist es wichtig, hier den Co-Vorsitz zu haben und der Einladung von Herrn Bundeskanzler Scholz nachgekommen zu sein, diese Rolle zu übernehmen. Gerade für uns als Herstellerland des grünen Stahls ist es natürlich wichtig, dass kürzlich diese Diskussion gestartet ist, dass eben auch zentrale Fragen besprochen werden. Auch der Wirtschaftsminister hat ganz klar eine Entscheidung dafür getroffen, um die Stahlindustrie in Chile zu fördern.
Bezüglich der Zölle bin ich eher Verteidiger dessen, dass wir auf allen Mechanismen vorankommen müssen, um die grünen Energien zu fördern. Wir können Mechanismen diskutieren, ob es mehr Steuern geben sollte, was dann wieder weniger Impulse und Anreize in anderen Bereichen bedeuten würde. Aber wir sollten uns hier klar werden, was die Konsequenzen aus der Klimakrise sind.
Chile ist ein Land, das relativ wenig zu Emissionen beiträgt. Aber wir sind Protagonist, wenn es um Dekarbonisierung geht, wenn es um die Ozeane geht, beim Abkommen von Paris. Aber das heißt nicht, dass die Länder, die die Ozeane und die Luft mehr verschmutzen, mehr machen müssen. Nein, wir müssen alle etwas tun, auch Chile. Deshalb sind wir ganz vorne dabei und versuchen, diesen Kampf ums Überleben des Planeten mitzugestalten. Deshalb möchte ich auch auf keine individuellen Maßnahmen eingehen. Wir haben da in unserem Land eine ganz große Verpflichtung.
Kanzler Scholz: Schönen Dank für die vielen Fragen zu Europa. Vielleicht eine kurze Antwort: Ich bin dafür, dass wir alle diese Herausforderung in diesem Monat bewältigen, also schnell und zügig entscheiden. Es gibt keinen Anlass, sich damit viel zu lange aufzuhalten. Es ist so, dass wir die von Ihnen genannten Funktionen alle besetzen müssen. Da ist ein großer Zusammenhang zwischen Kommissionspräsidentschaft, Präsidentschaft des Rates und Hoher Beauftragter, den jeder sieht. Aber auch das ist kein unlösbares Problem.
Ansonsten bleibt es bei der Ihnen bekannten Position meiner Regierung - und die lautet eben, dass sich die Kommissionspräsidentschaft auf eine demokratische Mehrheit traditioneller demokratischer Parteien im Europäischen Parlament stützen muss.
Schönen Dank.