Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der 7. Urheberrechtskonferenz

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Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Monika Grütters bei der 7. Urheberrechtskonferenz

In ihrer Rede betonte Staatsministerin Grütters die EU-Urheberrechtsrichtlinie als "wegweisend für die Wirtschaftsordnung der Kultur- und Kreativwirtschaft im digitalen Zeitalter". Außerdem mahnte Grütters Leistungsschutzrecht und Verlegerbeteiligung zügig umzusetzen."Hier geht es um journalistische Qualität und mediale Vielfalt, und damit um den Kern unseres demokratischen Selbstverständnisses", so Grütters.

Montag, 11. November 2019 in Berlin

Was nicht auf dem Programm steht, sagt manchmal genauso viel über die Qualität einer Tagung wie das Programm selbst. Zumindest gilt das für die heutige Urheberrechtskonferenz: Differenzierte und kenntnisreiche Debatten versprechen nicht nur die Themen und Namen im Programm, sondern auch das Fehlen eines Begriffs, der die öffentlichen Debatten über die EU-Urheberrechtsreform monatelang bestimmte: Der „Uploadfilter“ war der sprichwörtliche Teufel, den Kritiker der Richtlinie an die Wand malten - und neben dem all die lang ersehnten Verbesserungen verblassten. Umso erfreulicher, dass der Schwerpunkt heute auf den Chancen und auf der Umsetzung der über mehrere Jahre verhandelten und nun endlich beschlossenen Reform liegt. Ich danke Ihnen, lieber Herr Prof. Pfennig, dass Sie sich in diesem Sinne intensiv in die Diskussionen über die Richtlinie eingebracht haben – nicht zuletzt, indem Sie differenzierten Debatten insbesondere im Rahmen von Urheberrechtskonferenzen regelmäßig Raum gegeben haben. Herzlichen Dank dafür auch dem Team der Initiative Urheberrecht und allen Kooperationspartnern!

Das engagierte Werben mit der Kraft guter Argumente hat sich zum Glück gelohnt. Herr Dr. Pfennig hat die Bedeutung der Richtlinie für die Urheber und Künstler ja eben schon in den Mittelpunkt seiner Eröffnungsrede gestellt, und man muss kein Volljurist, keine Volljuristin sein, um der Reform einen prominenten Platz auch in der juristischen Fachliteratur zu prognostizieren. Dafür sorgt allein schon die Komplexität dieses Gesetzeswerks, vor allem aber der Umstand, dass man es mit Fug und Recht als wegweisend für die Wirtschaftsordnung der Kultur- und Kreativwirtschaft im digitalen Zeitalter bezeichnen darf. Einen prominenten Platz verdient die neue EU-Urheberrechtsrichtlinie aber auch in den Geschichtsbüchern - als Meilenstein europäischer Demokratiegeschichte. Denn hier wurde nicht nur der Ausgleich unterschiedlicher wirtschaftlicher Interessen, sondern auch die Frage verhandelt, ob demokratische Errungenschaften wie die Pressefreiheit im digitalen Zeitalter Bestand haben - oder anders formuliert: ob Regeln, die in Deutschland aus gutem Grund Verfassungsrang genießen, der Macht und den Geschäftsmodellen digitaler Plattformen Grenzen setzen. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, dass genau das dringend notwendig ist, dann wäre das beste Beispiel der Verlauf der Debatte zu diesem Thema auf eben diesen digitalen Plattformen: das Nebeneinander von Wahrheiten, Halbwahrheiten und Falschbehauptungen, von Information und Manipulation.

Fest steht, dass die Verlagerung der öffentlichen Meinungsbildung ins Internet und die algorithmische Sortierung des Informationsangebots auf digitalen Plattformen dem sachlichen Austausch von Argumenten, dem konstruktiven Ringen um Kompromisse, dem Bemühen um Verständigung nicht nur guttun, sondern bisweilen auch schaden: zum Beispiel dort, wo der Schutz der Anonymität genutzt wird, den gesellschaftlichen Konsens eines fairen und menschlichen Miteinanders zu verlassen. Der vermittelnde Ausgleich zwischen unterschiedlichen Interessen und Positionen ist Kern der Demokratie. Debatten im Netz fördern oft aber eher Polarisierung als Verständigung. Nicht zuletzt deshalb war es wichtig, mit der Reform des Urheberrechts dafür zu sorgen, dass digitale Technologie unserer Demokratie dienen kann. Das eröffnet neue Chancen für Kultureinrichtungen, aber auch für all jene, die sich im digitalen Zeitalter nicht nur als User und Konsumenten, sondern nach wie vor auch als Bürger eines demokratischen Rechtsstaats verstehen – für all jene, die wertschätzen, was Künstler und Kreative, Kultureinrichtungen und unabhängige Medien zum Fortbestand der Demokratie beitragen.

Digitale Technologie im Dienst der Demokratie: Das ermöglicht zum Beispiel ein eigenes Leistungsschutzrecht, das Presseverleger bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützt und so dabei hilft, journalistische Qualität zu finanzieren und die Vielfalt freier, unabhängiger Medien zu erhalten. Für mich steht außer Frage, dass Plattformen mit hoher Marktmacht Verantwortung tragen für die Auffindbarkeit von Inhalten, die nach journalistischen Qualitätsstandards erstellt wurden. Wer öffentliche Kommunikationsräume von enormer Größe betreibt, kann sich nicht hinter einer ausschließlichen Logik des Marktes verstecken. Es muss der Staat sein, der weiterhin die wesentlichen Regeln bestimmt und auch durchsetzt, um die Grundlagen einer demokratischen Gesellschaft zu sichern. Das Leistungsschutzrecht ist ein gutes Beispiel hierfür. Denn eine freie Presse ist die wirksamste Waffe im Kampf gegen Desinformation und Manipulation: Hüterin einer offenen Gesellschaft, Wächterin einer lebendigen Demokratie. Die Bundesregierung hat deshalb auf europäischer Ebene erfolgreich und im parteiübergreifenden Konsens für das Leistungsschutzrecht für Presseverleger und die Verlegerbeteiligung bei Verwertungsgesellschaften gekämpft. Die Umsetzung ist jetzt dringlich, vor allem bei der Verlegerbeteiligung, zumal schon viel Schaden entstanden ist. Es ist wichtig, dass die Verlage wieder einen echten Beteiligungsanspruch erhalten. Denn nur so kann die seit Jahrzehnten bewährte Praxis der engen Zusammenarbeit zwischen Autorinnen und Autoren und Verlagen in gemeinsamen Verwertungsgesellschaften innerhalb eines klaren Rechtsrahmens fortgesetzt werden. Das ist nicht zuletzt für kleinere Verlage unabdingbar, die aufgrund der Rechtsprechung noch immer mit massiven finanziellen Problemen zu kämpfen haben. Deshalb können wir damit nicht warten, bis auch der letzte Artikel der Richtlinie soweit diskutiert ist, dass er umgesetzt werden kann. Das habe ich kürzlich in einer Rede im Deutschen Bundestag wie auch in einem Brief an meine federführend zuständige Kabinettskollegin, Justizministerin Lambrecht, einmal mehr deutlich gemacht. Wir müssen Leistungsschutzrecht und Verlegerbeteiligung jetzt zügig umsetzen: am besten indem wir beide vorziehen. Hier geht es um journalistische Qualität und mediale Vielfalt, und damit um den Kern unseres demokratischen Selbstverständnisses!

Digitale Technologien im Dienst der Demokratie: Dafür sorgen auch Regelungen, die neue Chancen für Kultureinrichtungen bieten. Die Richtlinie eröffnet Möglichkeiten, mehr von unserem kulturellen Erbe sichtbar zu machen - umfassender und deutlicher als dies bisher möglich war. Lassen Sie mich dies am Beispiel der Regelungen zu vergriffenen Werken (Artikel 8 bis 11 der Richtlinie) erläutern. Sie wird es vielen Gedächtniseinrichtungen erleichtern, ihre Bestände digital zugänglich zu machen, zum Nutzen aller. Das scheiterte bisher meist daran, dass Einrichtungen die Rechte für jedes vergriffene Werk in ihrer Sammlung einzeln klären musste - undenkbar angesichts der Vielzahl ihrer Schätze und der Knappheit der personellen und finanziellen Ressourcen. Eine solche Einzelfallprüfung ist künftig nicht mehr erforderlich. Verwertungsgesellschaften sollen Kulturerbeeinrichtungen (dieser Begriff ist in der Richtlinie übrigens sehr weit gefasst, dazu zählen sogar die Archive der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten) künftig auch für die Nutzung vergriffener Werke Lizenzen erteilen können, unabhängig davon ob alle Rechteinhaber dafür ein Mandat erteilt haben - was bei vergriffenen Werken gerechtfertigt scheint, weil hier vermutet werden kann, dass kein Interesse mehr an einer wirtschaftlichen Verwertung besteht. Zum Schutz der Urheber sind jedoch eine Widerspruchsmöglichkeit und auch die Vergütung der bis dahin erfolgten Nutzung vorgesehen. Die Vorteile dieser Neuregelung liegen auf der Hand: Ursprünglich öffentlich zugängliches Kulturerbe drohte, dauerhaft in Vergessenheit zu geraten. Künftig können Werke und Zeitzeugnisse, die bisher digital nur unter erheblichen Schwierigkeiten und hohem Aufwand an die Öffentlichkeit vermittelt werden können, auch online sichtbar sein. So können die Einrichtungen die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen, um ihrem Vermittlungsauftrag umfassender als bisher gerecht zu werden, jedenfalls dann, wenn sie gut mit den Verwertungsgesellschaften zusammenarbeiten. Davon ist auszugehen, denn die Kulturerbeeinrichtungen selbst waren ja gemeinsam mit den Verwertungsgesellschaften über Jahre Treiber dieser rechts- und kulturpolitischen Entwicklung. Manchen geht das sicherlich noch nicht weit genug. Sie dürfen aber nicht vergessen, dass wir aus gutem Grund bei der Abwägung nicht nur den Zugang zu Kultur, sondern weiterhin das Urheberrecht als wirtschaftliche Grundlage für die Kreativen hinreichend würdigen und schützen müssen.

Doch auch wenn die Rechteklärung künftig mit weniger Aufwand verbunden ist, wird die Erweiterung des digitalen Zugangs zu unseren Kulturschätzen selbstverständlich nicht kostenlos zu haben sein. Im Rahmen einer Digitalisierungsoffensive unterstützen wir deshalb Kultureinrichtungen unterschiedlicher Sparten, die digitale Transformation produktiv zu gestalten.

Ein schönes Beispiel ist das Projekt „museum4punkt0“: Hier erproben Museen und Kultureinrichtungen verschiedener Größe und Ausrichtung unter Federführung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz digitale Strategien für das Museum der Zukunft: Mit Apps und digitalen Erzählformaten, mit Cyberbrillen und Virtual Reality Labs locken sie mehr junge Leute in die Museen und begeistern auch Menschen für Kunst und Kultur, die man bisher noch viel zu selten in Museen trifft. Ein anderes Beispiel ist das von der Kulturstiftung des Bundes initiierte und ebenfalls mit Bundesmitteln geförderte „Programm Digital“, das Kultureinrichtungen motiviert und unterstützt, sich den digitalen Möglichkeiten und Herausforderungen zu stellen. Die Digitalisierung von Kulturgütern eröffnet auch ganz neue Möglichkeiten, ländliche Regionen an die kulturelle Grundversorgung anzuschließen. Dafür steht zum Beispiel die Deutsche Digitale Bibliothek (DDB) - die zentrale Plattform, auf der Bestände und Sammlungen zahlreicher Einrichtungen kostenfrei digital zugänglich sind. Wir reden hier von mehr als 32 Millionen Objekten, darunter zum Beispiel alte Filme in voller Länge, Einspielungen klassischer Musikstücke oder auch digitalisierte Bücher. Die Bestände wachsen permanent, ebenso wie die Zahl der kooperierenden Einrichtungen. Solche Beispiele zeigen, dass die Digitalisierung eine Demokratisierung der Kultur ermöglicht, die selbst den Idealisten unter den Kulturvermittlern lange als utopisch galt: Alle können teilhaben an Kunst und Kultur. Wo Menschen nicht zu unseren Kulturschätzen kommen, weil die Wege in die Kulturtempel zu weit oder Hemmschwellen welcher Art auch immer zu groß sind, kommen die Kulturschätze digitalisiert zu den Menschen - und wecken sicherlich vielfach auch das Interesse am authentischen Ort und am Original, am Besuch eines Museums, einer Oper oder einer Gedenkstätte. Ja, auch auf diese Weise können digitale Technologien, kann das Internet der Demokratie dienen… .

Insgesamt, denke ich, ist das gesetzgeberische Update des Urheberrechts auf europäischer Ebene geglückt – wenn sich auch manche Regelung in der Praxis noch bewähren, wenn auch manche Regelung vielleicht auch präzisiert werden muss. Mit der Richtlinie lösen wir nicht zuletzt den politischen Anspruch ein, die Regeln im digitalen Raum demokratisch zu bestimmen statt die politische Macht im Netz den Digitalkonzernen zu überlassen – ein Anspruch, der mittlerweile übrigens auch auf Seiten der Plattformbetreiber nicht mehr automatisch Abwehrreflexe auslöst. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat sich dazu vor einem halben Jahr ausführlich in einem Interview geäußert:

„Ich bin zu der Überzeugung gelangt“, sagte er, „dass wir zu viel Macht darüber erlangt haben zu entscheiden, was Redefreiheit im Internet ist. Politiker und Wissenschaftler rund um den Globus haben mir das gesagt, und ich stimme mit ihnen überein, dass wir einen demokratischeren Prozess brauchen, um über entsprechende Normen übereinzukommen. Offen gesagt: Das wäre wirklich hilfreich für alle.“ Es freut mich, dass Mark Zuckerberg damit meine - und nicht nur meine - Auffassung teilt. Die Verabschiedung der Urheberrechtsrichtlinie jedenfalls zeigt, dass wir es nicht den IT-Konzernen überlassen, Rahmen und Regeln des demokratischen Diskurses zu setzen, sondern Rechte schützen und Pflichten durchsetzen, die für den Fortbestand einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung unverzichtbar sind. In diesem Sinne halte ich die Reform für einen Meilenstein europäischer Demokratiegeschichte - und den Zeitpunkt ihrer Verabschiedung im 30. Jubiläumsjahr der Friedlichen Revolution, nebenbei bemerkt, für einen ebenso schönen wie passenden Zufall.

Genau hier, vor den Türen der heutigen Akademie der Künste, bevölkerten vor ziemlich genau 30 Jahren, am 9. November 1989, Tausende Menschen jubelnd und feiernd die Mauer am Brandenburger Tor, und noch viel mehr haben hier vorgestern den Fall der Mauer in Deutschland und des Eisernen Vorhangs in Europa gefeiert – als Errungenschaft von Menschen, die mutig ihre Stimme erhoben für demokratische Freiheitsrechte. Ja, wir haben in Deutschland und in ganz Europa vor 30 Jahren so glücklich wie kaum je zuvor erfahren, dass Demokratie kein Geschenk ist, sondern eine Errungenschaft - kein Besitz, sondern stetes Bemühen. Das gilt auch angesichts sich ändernder gesellschaftlicher Bedingungen, angesichts der Digitalisierung:

Demokratische Grundprinzipien wie Meinungs-, Kunst- und Pressefreiheit brauchen weiterhin stetes Ringen und Bemühen - nicht zuletzt bei der nun anstehenden Umsetzung der EU-Urheberrechtsrichtlinie. Ich hoffe einmal mehr auf argumentativen Rückenwind im Rahmen der Urheberrechtskonferenz und wünschen Ihnen allen erkenntnisreiche Diskussionen!