Rede von Kulturstaatsministerin Grütters bei der Gala des Rates für Formgebung

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Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Grütters bei der Gala des Rates für Formgebung

Kulturstaatsministerin Grüters hat den "Rat für Formgebung" für seine Arbeit im "Dienst des guten Geschmacks" gewürdigt. "Deutsche Produkte können sich längst überall sehen lassen und sind überall gern gesehen", so Grütters. Mit der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft fördert die Bundesregierung auch den wirtschaftlichen Erfolg ideenreichen Unternehmertums.

Donnerstag, 15. September 2016 in Berlin

Zugegeben: Als Sprachästhetin kostet es mich eine gewisse Überwindung, mich für die freundliche Einladung des Rat für Formgebung zu bedanken, was nicht an mangelnder Wertschätzung für die hier versammelten, namhaften Repräsentanten deutscher Designkultur liegt - ganz im Gegenteil! Nein, es ist eher die Befürchtung, dass möglicherweise nicht nur der Dativ dem Genetiv sein Tod ist, sondern auch eigenwillige sprachliche Formgebung dem Genetiv den Garaus machen kann. Deshalb liegt mir eher ein herzliches Dankeschön für die Einladung des Rates für Formgebung auf der Zunge.

Ob dekliniert oder nicht dekliniert: Unbestritten steht der Rat für Formgebung seit mehr als 60 Jahren ganz im Dienste des guten Geschmacks, was für den weiteren Verlauf des Abends - auch kulinarisch - nur das Allerbeste erwarten lässt. Ich freue mich sehr über die Einladung und bin gespannt auf die Buchvorstellung "Die großen deutschen Marken", die mit Qualität und Design "made in Germany" enorme Strahlkraft im In- und Ausland entfalten. Mit seinen renommierten Wettbewerben und Ausstellungen, mit Konferenzen und Strategieberatung hat der Rat für Formgebung dazu in den vergangenen Jahrzehnten in nicht unerheblichem Maße beigetragen, ganz im Sinne seines offiziellen, auf einen Beschluss des ersten Deutschen Bundestages zurückgehenden Auftrags, "die deutsche Wirtschaft bei der Implementierung von Design als Wirtschafts- und Kulturfaktor" zu unterstützen, wie es, vielfach zitiert, in etwas schwerfälligem Bürokratendeutsch heißt. Diese eher durch nüchterne Funktionalität denn durch ästhetische Brillanz bestechende Formulierung offenbart übrigens, dass uns ein "Rat für Formgebung" durchaus auch für eine schönere Sprache gut tun würde - aber das nur nebenbei.

Die Erfahrung zeigt: Gutes Design macht Unternehmen unverwechselbar, macht Produkte verständlich, macht Marken begehrenswert. Ihre Arbeit im Sinne einer ästhetisch ansprechenden Gestaltung der uns umgebenden Gebrauchsgegenstände - lieber Herr Professor Pfeiffer, liebe Vertreterinnen und Vertreter des Präsidiums und der Geschäftsführung - macht sich dabei aber nicht nur in Exportstatistiken bemerkbar, sondern auch im Lebensgefühl. Denn Schönheit ist ja nicht einfach nur schmuckes Beiwerk, oberflächliche Dekoration. Schönheit ist ein Stück Lebensqualität, ja mehr noch: Schönheit - davon bin ich überzeugt - kann Menschen, kann eine Gesellschaft verändern.

Kaum jemand, jedenfalls so weit ich weiß kein Designer, hat die politische Dimension von Schönheit so eindrucksvoll beschrieben wie die in Rumänien aufgewachsene Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller:

"Die allgegenwärtige Hässlichkeit war die einzige Gleichheit im Sozialismus", hat sie einmal gesagt, und ich zitiere weiter: "Die hässliche Gleichheit drückt aufs Gemüt, macht apathisch und anspruchslos, das wollte der Staat. (…) Kurz nach der Wende sah ich, dass die planmäßige Hässlichkeit für ganz Osteuropa zutrifft. (…) überall dieselben rumänischen Vitrinen der Elendsläden (…). So eine Vitrine ist ein Lebensgefühl. Sie ist depressiv und überträgt ihre Depression tagtäglich auf alle, die an ihr vorbei gehen. Selbst wenn sie nur gedankenlos hinsehen, haben sie diese Vitrine schon im Gemüt. Ich glaube, Schönheit gibt einem Halt, sie behütet oder schont einen. (…) Ästhetik ist nicht bloß ,Stilmittel‘, sondern Substanz. Sie bestimmt den Inhalt bei allen Dingen, nicht nur den Satz beim Schreiben."

Ja, Schönheit verleiht Worten wie auch Dingen eine ganz besondere Kraft. Deshalb können Designer mit ihrer Formensprache das Wahrnehmen, Denken und Empfinden verändern. Nicht zuletzt solche kleinen Veränderungen im Bewusstsein sind es, die jeder großen gesellschaftlichen Veränderung vorausgehen, und in diesem Sinne trägt künstlerische Gestaltungskraft immer den Keim des Fortschrittlichen, des - im besten Sinne - Revolutionären in sich. Eine Gesellschaft, die der Gestaltungskraft Raum gibt, sie fördert, bleibt in jeder Hinsicht veränderungs- und innovationsfähig.

Aus diesem Grund unterstützt die Bundesregierung im Rahmen der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft Unternehmerinnen und Unternehmer dabei, mit ihren Ideen auch ökonomisch erfolgreich zu sein. Diese Förderung, meine Damen und Herren, betrachte ich nicht nur wirtschaftspolitisch als Investition in eine Zukunftsbranche, sondern auch kulturpolitisch als Ausdruck unseres gesellschaftlichen Selbstverständnisses, als Bekenntnis zu Offenheit, Vielfalt und Experimentierfreude. Über die bisherige Unterstützung hinaus gibt es für die Förderung der Initiative Kultur- und Kreativwirtschaft in meinem Haus nun erstmals einen eigenen Haushaltstitel: Damit stehen für die kulturellen Schwerpunkte der Kultur- und Kreativwirtschaft rund 1,5 Millionen Euro mehr zur Verfügung. 

Mit diesem kurzen kulturpolitischen Exkurs will ich es mit Blick auf die Uhr und die Menükarte bewenden lassen - zumal einem an einer so schön gedeckten Tafel der Kochtopf ja dann doch näher steht als ein Fördertopf. Das war in Deutschland aber wohl nicht immer so. Jedenfalls lassen Anekdoten aus den Geschichtsbüchern vermuten, dass so manches, was einst an deutschen Tischen gereicht wurde, ebenso wenig überzeugte wie die biederen deutschen Nachkriegsprodukte bei der New Yorker Exportmesse 1949, denen der Rat für Formgebung seine Gründung und damit seine Existenz verdankt. So soll Otto von Bismarck sich bei einem Essen mit Kaiser Wilhelm II. einmal über den ungewöhnlichen Geschmack des Schaumweins gewundert haben.

Das sei deutscher Schaumwein, erklärte der Kaiser, er trinke ihn aus Sparsamkeit und aus Patriotismus. Worauf Bismarck geantwortet haben soll: "Bei mir, Majestät, macht der Patriotismus kurz vor dem Magen halt."

Heute können wir im Land der Dichter, Denker und Designer zum Glück dank hervorragender Köche und Winzer nicht nur im Geiste und im Herzen, sondern auch im Magen Patrioten wie auch Weltbürger sein. Und auch vor dem Geldbeutel muss der Patriotismus heute nicht mehr Halt machen:

Deutsche Produkte können sich längst überall sehen lassen und sind überall gern gesehen. Das ist nicht zuletzt Ihr Erfolg, liebe Mitglieder des Rat für Formgebung! Ich wünsche Ihnen dafür weiterhin eine glückliche Hand und vor allem einen schöpferischen Geist und freue mich auf die gemeinsamen Geschmackserlebnisse, die uns heute Abend mindestens kulinarisch noch erwarten. In diesem Sinne: Guten Appetit für die Hauptspeise!