Rede von Kulturstaatsministerin Grütters bei der Eröffnungsveranstaltung von "Kultur öffnet Welten"

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Vielleicht sind Sie Ihnen aufgefallen: die Gesichter der Menschen, die gegenüber der Bühne zu sehen sind. Es sind Flüchtlingsportraits des Künstlers Guillaume Bruère, gezeichnet in einer der vielen Turnhallen, die (auch) hier in Berlin in den vergangenen Monaten zu Notunterkünften umfunktioniert wurden. Und vielleicht ging es Ihnen wie mir, als ich diese Zeichnungen vor einigen Monaten zum ersten Mal gesehen habe: Sie ziehen einen sofort in ihren Bann, wahrscheinlich auch deshalb, weil der Flüchtling in der öffentlichen Debatte oft gesichts- und geschichtslos bleibt - Teil einer anonymen Masse, die administriert werden muss. 

Heute Abend stehen Menschen im Mittelpunkt, die - wie Guillaume Bruère für seine berührenden Zeichnungen - Gesichter sehen, wo andere vor allem oder ausschließlich einen vielfach als bedrohlich empfundenen Flüchtlingsstrom wahrnehmen: In den 150 Projekten, die für den erstmals von mir ausgelobten "Sonderpreis für Projekte zur kulturellen Teilhabe geflüchteter Menschen" vorgeschlagen wurden, begegnen Einheimische und Neuankömmlinge sich von Angesicht zu Angesicht und knüpfen persönliche Verbindungen über Theater, Musik und Kunst.

Es ist beeindruckend, an diesen herausragenden Beispielen bürgerschaftlichen Engagements zu sehen, was Kunst und Kultur zu leisten imstande sind: Kunst kann gemeinsame Sprache sein, wo unterschiedliche Begriffe Schweigen oder Missverstehen provozieren; sie kann gemeinsame Erfahrungen bescheren, wo unterschiedliche Herkunft ab- und ausgrenzt. Kunst kann uns aber auch nötigen, die Perspektive zu wechseln und die Welt aus anderen Augen zu sehen.

Ein herzliches Dankeschön an die Jury, an alle Mitglieder und ihre Vorsitzende, Frau Ferhad, die die 150 Vorschläge gesichtet und dafür viel Zeit und Energie investiert haben! Der jeweils mit 10.000 Euro dotierte Sonderpreis, für den zehn Projekte nominiert sind, soll die Kraft der Kultur als Integrationsmotor sichtbar machen. Vor allem aber soll er Anerkennung und Wertschätzung für die Unterstützung bei einer großen gesellschaftlichen Zukunftsaufgabe zum Ausdruck bringen.

Es war richtig, und ich bin dankbar dafür, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel die europäischen Menschenrechtsstandards im September 2015 angesichts einer drohenden humanitären Katastrophe zum Leitbild ihrer Flüchtlingspolitik gemacht hat - bei allen Risiken und Unwägbarkeiten, mit denen eine Entscheidung dieser Tragweite verbunden war. Die Mühen der Integration werden unser aller Kraft erfordern. Schlimmer als daran zu scheitern wäre allerdings, es nicht einmal versucht zu haben. Mit Ihren Ideen und Ihrem Engagement, liebe Nominierte, bringen Sie die Grenzen überwindende Kraft der Kultur zur Entfaltung, so dass wir sagen können: Wir schaffen das!

Natürlich bleibt die Integration geflüchteter Menschen aber in erster Linie eine politische Herausforderung - und zwar nicht nur eine innenpolitische, eine sozialpolitische und eine bildungspolitische, sondern auch und gerade eine kulturpolitische Herausforderung: zum einen, weil die Angst vor der vermeintlich drohenden Dominanz kultureller Minderheiten das große Bedürfnis nach Vergewisserung unserer eigenen kulturellen Identität offenbart. Zum anderen, weil kulturelle Teilhabe eine grundlegende Voraussetzung dafür ist, dass Zuwanderer in der Fremde heimisch werden. Das von meinem Haus maßgeblich geförderte und 2012 erschienene Interkulturbarometer belegt, dass Menschen mit Migrationshintergrund ihre Lebenssituation in Deutschland vor allem dann als positiv empfinden, wenn sie in das kulturelle Geschehen vor Ort eingebunden sind.

Das Bedürfnis nach kultureller Selbstvergewisserung einerseits und der Anspruch auf kulturelle Teilhabe andererseits stecken den Bereich der Mitverantwortung der Kulturpolitik und der Kultureinrichtungen für Integration und Zusammenhalt ab - übrigens nicht nur für Menschen, die in Deutschland Zuflucht suchen, sondern beispielsweise auch für sozial benachteiligte, bildungsferne Bürgerinnen und Bürger. Kultur ist dabei Brückenbauerin und Türöffnerin, aber auch Ausdruck und Spiegel unserer Identität.

Wie viel unsere Kultureinrichtungen landauf landab zum Gelingen kultureller Vielfalt beitragen, ist uns leider nicht immer bewusst. Umso wichtiger ist es, den Beitrag der Kulturinstitutionen stärker sichtbar zu machen: als Einladung zu interkulturellen Begegnungen vor Ort, aber auch als Ausdruck des Selbstverständnisses einer weltoffenen Gesellschaft. Deshalb bin ich froh und dankbar, dass meine Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern und Kommunen sowie zivilgesellschaftlichen Organisationen meiner Anregung gefolgt sind, in einer gemeinsamen Initiative sichtbar zu machen, was es in unseren Kultureinrichtungen bereits an Aktionen, Programmen und Konzepten zur kulturellen Integration gibt. Darum geht es bei "Kultur öffnet Welten".

Herzlichen Dank an all jene, die dazu beigetragen haben, dass wir heute, am UNESCO-Tag der kulturellen Vielfalt, den Startschuss für eine bundesweite Aktionswoche geben können, insbesondere an

- die Vertreterinnen und Vertreter der Länder, der kommunalen Spitzenverbände und der Zivilgesellschaft, die aus einer guten Idee eine überzeugende Initiative für ganz Deutschland gemacht haben
- das "netzwerk junge Ohren", das die Initiative bundesweit koordiniert und mit seiner Expertise großartige Arbeit leistet
- die Bundesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung (BKJ), die uns bei der Verständigung über die Namensrechte unterstützt hat
- das Haus der Kulturen der Welt, das in kürzester Zeit eine Website für "Kultur öffnet Welten" und die zugehörigen Initiativen entwickelt hat
- unsere heutigen Gastgeber, das Deutsche Historische Museum, das nicht nur für einen schönen Rahmen gesorgt hat, sondern ganz nebenbei als Museum auch daran erinnert, wie stark die deutsche Geschichte seit jeher von Migration geprägt ist

und nicht zuletzt an alle anderen, die im Beirat und in der Steuerungsgruppe der Initiative den Weg zum Erfolg geebnet haben

Mit dieser breiten Unterstützung, meine Damen und Herren, kann und soll aus einer kulturpolitischen Idee und aus einzelnen Aktionen vor Ort eine Kulturinitiative mit bundesweiter Strahlkraft werden, die sowohl kulturelle Identität als auch kulturelle Teilhabe in Deutschland zu stärken vermag - ganz im Sinne des Philosophen Karl Jaspers, der einmal gesagt hat: "Heimat ist da, wo ich verstehe und verstanden werde." Denn ich bin überzeugt: Eine Gesellschaft, die zur Auseinandersetzung mit ihrem kulturellen Erbe und ihrer kulturellen Vielfalt einlädt, stärkt das Verstehen und Verstanden werden und kann unterschiedlichen Kulturen eine Heimat sein.