Rede von Kulturstaatsministerin Grütters bei der Eröffnung des Humboldt Forums für das Publikum am 20. Juli 2021 in Berlin

Im Wortlaut Rede von Kulturstaatsministerin Grütters bei der Eröffnung des Humboldt Forums für das Publikum am 20. Juli 2021 in Berlin

Kulturstaatsministerin Grütters dankte allen Unterstützern und Beteiligten, die die Eröffnung des Humboldt Forums ermöglichten. Hinter dessen barocken Fassaden warte nun ein modernes Haus für Kultur, Wissenschaft und Bildung, welches im Geiste der Aufklärung, der Weltoffenheit und der Toleranz mit Leben gefüllt werden wolle, so Grütters.

Dienstag, 20. Juli 2021

Kunst und Kultur aus mehreren Jahrtausenden Menschheitsgeschichte im Rücken und ein in neuem Glanz erstrahlendes Schloss vor Augen: So feiert man wahrlich nicht alle Tage! „Dieses Schloss war das Schloss der Republik“: So hat es Christian Walther formuliert, Autor eines gerade erschienenen Buches über die kulturelle und wissenschaftliche Nutzung des Schlosses in der Weimarer Republik. In diesem Sinne erwacht heute mit der Öffnung des Humboldt Forums für Besucherinnen und Besucher wieder zum Leben, was dieser Ort am Ende der Flaniermeile Unter den Linden zwischen Museumsinsel, Berliner Dom und Staatsoper in der Weimarer Republik schon einmal war: Zentrum von Wissenschaft und Kultur, Forum für Austausch und Verständigung – ein vibrierender Mittelpunkt des öffentlichen Lebens!

Die Wiedererrichtung des Schlosses ist das Resultat beispielhaften bürgerschaftlichen Engagements – ein Geschenk für Berlin und für ganz Deutschland, das sich hier mit dem Humboldt Forum als treibende Kraft interkultureller Verständigung präsentieren kann. Insgesamt mehr als 100 Millionen Euro haben der Förderverein Berliner Schloss und die Stiftung Humboldt Forum gesammelt, um die historischen Schloss-Fassaden, Portale und die Kuppel originalgetreu zu rekonstruieren – wahre Meisterwerke der Handwerk- und Bildhauerkunst! Mich persönlich beeindruckt darüber hinaus besonders die barocke Leichtigkeit des imposanten Schlüterhofs, in den uns gleich das Besenballett geleiten wird, das eben schon zum Einsatz kam. Auch dieser einladende Hof, der den Lustgarten mit dem südlichen Schlossplatz verbindet, ist ein Resultat der hohen Spendenbereitschaft. Dank Ihres unermüdlichen Wirkens, lieber Herr von Boddien, und dank der großzügigen Unterstützung der rund 40.000 Spenderinnen und Spender werden Schloss, Schlüterhof und damit auch der Schlossplatz wieder zu einem öffentlichen Raum, den Berlins Bürgerinnen und Bürger wie auch Besucherinnen und Besucher aus dem In- und Ausland in Besitz nehmen können.

Hier lässt es sich im Übrigen auch trefflich streiten, und genau dazu lädt das Humboldt Forum ein: Mit seinen Ausstellungen und Veranstaltungen wird es eine Bühne für Debatten, eine Arena demokratischer Streitkultur: kurz: „unser Kolosseum“, wie die FAZ vor einiger Zeit treffend titelte – wenn auch nicht für die Kämpfe von Gladiatoren, sondern für die Konfrontation unterschiedlicher Perspektiven und Positionen. Natürlich wird auch die Aufarbeitung der deutschen Kolonialgeschichte hier bald eine zentrale Rolle spielen. Als Bühne für Debatten und hoffentlich bald auch als Vorbild im Umgang mit Kulturgütern aus kolonialen Kontexten kann das Humboldt Forum treibende Kraft für notwendige Veränderungen werden. Dass dieses Kolosseum der Debattenkultur kein Luftschloss blieb, ist ein Erfolg, an dem neben Förderverein und Stiftung viele Engagierte Anteil haben. Ich bin dankbar für die Unterstützung zahlreicher Abgeordneter des Deutschen Bundestags und für die gute Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung wie auch mit dem Land Berlin. Darüber hinaus danke ich dem Architekten Franco Stella, seinem Team und allen am Bau Beteiligten. Sie haben Großartiges geleistet.

Hinter den barocken Fassaden wartet nun ein modernes Haus für Kultur, Wissenschaft und Bildung auf SIE, meine Damen und Herren. 42.000 Quadratmeter wollen mit Leben gefüllt zu werden: im Geiste der Aufklärung, der Weltoffenheit und der Toleranz – im Geiste der Brüder Humboldt. Wilhelm von Humboldt kam in der Auseinandersetzung mit fremden Sprachen zu der Überzeugung, dass es auch andere hochentwickelte Kulturräume gibt – damals ein revolutionärer Gedanke in den Ländern des heutigen Europas. Alexander von Humboldt brach zu Orten auf, an denen kein Europäer vor ihm war, und revolutionierte das menschliche Weltverständnis mit seinen Entdeckungen wie auch mit seiner wissenschaftlichen Arbeitsweise. Beide sind für die Annäherung an das Fremde Vorbilder und Vordenker: mit ihrer Lust, die Welt an-zuschauen, über die Grenzen der eigenen Weltanschauung hinweg; mit ihrer Neugier, dem Fremden zu begegnen statt es abzuwehren und abzuwerten. Dieses Vermächtnis ist aktuell wie eh und je in einer Zeit, in der vielerorts Welten und Weltanschauungen aufeinanderprallen und allzu oft Mauern statt Brücken gebaut werden. Deshalb ist das Humboldt Forum – wie einst die legendären „Kosmos-Vorlesungen“ Alexander von Humboldts – offen für alle Neugierigen: mit freiem Eintritt in die bald eröffnenden Dauerausstellungen (und in den ersten 100 Tagen in die Sonderausstellungen) und mit Angeboten für ein gemischtes Publikum aus aller Welt – und aus allen Lebenswelten.

Das Humboldt Forum lädt Sie, lädt uns alle ein, die Geschichte dieses Ortes in einer Weise fortzuschreiben, die dem Selbstverständnis Deutschlands im 21. Jahrhundert entspricht. Im Keller des Schlosses, den Sie auch besichtigen können, ist diese Geschichte gegenwärtig. Zu den Spuren der Vergangenheit gehören Überreste des mittelalterlichen Dominikanerklosters, das hier einmal stand, Fundamente des Berliner Schlosses, die seinerzeit hochmoderne kaiserliche Heizanlage oder auch die Krater, die entstanden, als das SED-Regime das Schloss sprengen ließ. Darüber hinaus erinnern Zeitzeugnisse überall im Gebäude auch an den Palast der Republik und an Ereignisse und Umbrüche, deren Kulisse Schloss und Schlossplatz waren. Vermutlich gibt es nur wenige Orte in Deutschland, die so verdichtet von Schrecken und Sternstunden deutscher Vergangenheit erzählen. Trotzdem werden wir hier künftig nicht uns selbst in den Mittelpunkt stellen, sondern den Kulturen Afrikas, Amerikas, Asien und Ozeaniens eine Bühne bieten, und zwar im engen Austausch mit Vertreterinnen und Vertretern der Herkunftsgesellschaften. Ich denke, das sagt eine Menge über das Selbstverständnis Deutschlands im 21. Jahrhundert. 

Freuen wir uns also auf einen Ort inspirierender Kulturerlebnisse, kontroverser Debatten und interkultureller Verständigung, wenn dieses Haus in den kommenden Monaten mehr und mehr zum Leben erwacht! Ich wünsche ihm, dass es dem Dialog der Kulturen ebenso dient wie der Kultur des Dialogs. Vor allem aber hoffe ich, dass es Sie, meine Damen und Herren, und seine künftigen Besucherinnen und Besucher immer wieder in Berlins neue, alte Mitte lockt und zum Entdecken und Staunen, zum genau Hinschauen und Diskutieren verführt. Die Türen dafür stehen seit heute offen: Seien Sie herzlich willkommen!