Im Wortlaut
In ihrer Rede dankte die Kulturstaatsministerin den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie allen beteiligten Partnern für die Verdienste des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte. "Sie vermitteln allgemeine Erfahrungen der Migration und Integration und schaffen damit Verständnis und Zusammenhalt in einer multiethnischen Gesellschaft", so Grütters.
„Heimat kann überall sein. Wir entscheiden mit unserem Herzen, wo diese ist.“ hat die russlanddeutsche Schriftstellerin Katharina Martin-Virolainen einmal geschrieben. Wer einmal die Gastfreundschaft einer aus Russland kommenden, deutschen Familie erleben durfte, mit Borschtsch und Pelmeni bekocht wurde, Krepli und Rievelkuchen probieren durfte, begreift, welchen - auch kulinarischen - Reichtum das Leben in zwei Kulturen hervorbringt und dass man die alte Heimat durchaus auch in die neue Heimat mitbringen und integrieren kann. Gerade in meinem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf erlebe ich es immer wieder: Die russlanddeutsche Kultur ist in der Küche, in der Musik, aber auch in der Sprache, in den vielen Dialekten und Wortkreationen aus Russisch und Deutsch enorm erfinderisch und lebendig.
Das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte schenkt der Tradition und Kultur der Deutschen aus Russland die verdiente Aufmerksamkeit. Es freut mich sehr, dass Sie, liebe Frau Dr. Neufeld und lieber Herr Ens, dieses Haus gemeinsam mit den beteiligten Partnern zu einer professionellen Einrichtung mit großer Strahlkraft entwickelt haben. Es freut mich nicht nur deshalb, weil Wurzeln und Traditionen etwas sind, worauf jede Gemeinschaft stolz sein kann, sondern, weil die hier erzählte Geschichte immer noch zu wenige Menschen kennen, obwohl sie auch ein Teil unserer deutschen Geschichte ist.
Die ausgestellten Kunstwerke, die umfangreiche Bibliothek, aber auch etliche persönliche Gegenstände und Texttafeln der Dauerausstellung vermitteln Erfahrungen der Auswanderung, Ansiedlung, Diktatur, Deportation und Rückkunft eindrücklich und berührend. Sie erzählen von Hoffnung und Trauer, Erfolg und Schmerz. Sie wecken ein Bewusstsein für die Wurzeln und Prägungen der Deutschen aus Russland. Sie vermitteln aber auch allgemeine Erfahrungen der Migration und Integration und schaffen damit Verständnis und Zusammenhalt in einer multiethnischen Gesellschaft – seit Beginn der Bundesförderung im Jahr 2016 beispielsweise
- mit der bemerkenswerten Sonderausstellung über die doppelte Diktaturerfahrung der Schwarzmeerdeutschen mit dem Titel „Volksgenosse oder Feind des Volkes?“,
- mit reger Vernetzung auf allen Ebenen: von Bildungspartnerschaften mit Schulen und Hochschulen bis hin zu Kooperationen beispielsweise mit Yad Vashem,
- mit Diskussionsveranstaltungen und Begegnungsforen,
- mit zukunftsweisender Museumspädagogik und der Mitarbeit an einem neuen E-Book, das Schülern multimedial die russlanddeutsche Kultur nahebringt.
- Vor allem aber auch mit dem geplanten Pilotprojekt „Bi-Kultur-digital am Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte“, einem experimentellen digitalen Museumskonzept, das ganz neue Erlebnisformate auslotet. In einem virtuellen „Escape Room“ können Besucherinnen und Besucher beispielsweise durch 3D-Modelle Zeitzeugen erleben und tief in die Geschichte eintauchen.
Neue, zeitgemäße Formen des Erinnerns zu finden, ist nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil die Zahl der Zeitzeugen, die von Diktatur, Flucht und Vertreibung erzählen können, Jahr für Jahr abnimmt. Wenn der Erinnerungstransfer von Generation zu Generation nicht gelingt, gehen Erfahrungen der Vergangenheit verloren – dabei sind sie gerade in unserer heutigen Situation für das Selbst- und Fremdverständnis essentiell. Digitale Technologien können zwar nicht die Erzählungen der Familienangehörigen ersetzen, aber sie können einen emotionalen Zugang zu individuellen Geschichtserfahrungen ermöglichen – auch und gerade bei jungen Menschen, die andere Sehgewohnheiten mitbringen. Deshalb freue ich mich, dass wir Mittel für das „Bi-Projekt am Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte“ bereitstellen können.
Erfreulich ist auch vor allem, dass ich mit Bundesmitteln ein Kulturreferat für die Deutschen aus Russland einrichten konnte: Das verstärkt das Museumsteam und wertet das Museum auch als bundesweites Kompetenzzentrum für die Belange der Russlanddeutschen auf. Ich freue mich, lieber Herr Warkentin, dass Ihr Vertrag nun auch entfristet wurde!
Um die sehr erfolgreiche Tätigkeit des Museums für russlanddeutsche Kulturgeschichte zu würdigen und es auch dauerhaft als bundesweites Kompetenzzentrum für die Belange der Russlanddeutschen zu etablieren, wollen wir die Förderung des Museums über das Jahr 2020 hinaus fortsetzen – gemeinsam mit dem Land Nordrhein-Westfalen, der Stadt Detmold, dem Christlichen Schulverein Lippe und weiteren Partnern.
Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa zu bewahren, zu erforschen und zu vermitteln, so wie es der Paragraph 96 des Bundesvertriebenengesetzes vorgibt – das war und ist fester Bestandteil der Politik der Bundesregierung, und das liegt mir auch persönlich sehr am Herzen. Wir konnten die dafür vorgesehenen Mittel immer wieder deutlich erhöhen.
Mit der 2016 verabschiedeten Neukonzeption der Kulturförderung nach Paragraph 96 tragen wir unter anderem dazu bei, europäische Kooperationen zu stärken und gerade jüngeren Menschen das kulturelle Erbe unter anderem auch der Russlanddeutschen zu vermitteln.
Dieses Erbe, meine Damen und Herren, wird nicht zuletzt auch in der russischen Sprache wunderbar sichtbar − kennt sie doch offenbar 450 deutsche Worte, darunter so schöne wie Buterbrod, Wunderkind, Parikmacher oder Poschtamt.
Solche Worte sind klangvolle Zeugnisse der Verständigung und des Brückenbaus zwischen zwei Sprachen und Kulturen. Deutsche, die aus Russland kommen sind meist in beiden Sprachen und Kulturen zu Hause. Ihre Erfahrungen können uns im deutsch-russischen Dialog helfen.
Sie können auch dazu beitragen, die Krisen und Konflikte besser zu verstehen, in deren Angesicht Europa sich heute neu bewähren muss – geht es doch um Themen, die Deutschland und Europa heute mehr denn je beschäftigen: um Fragen des Zusammenlebens unterschiedlicher Kulturen und Religionen, um Fragen der wechselseitigen Wahrnehmung und Anerkennung, um Fragen des Fremdseins und des Ankommens. Ich wünsche mir, dass unsere Haltung dabei im besten Sinne europäisch bleibt - offen, tolerant und mutig in dem Bemühen, Grenzen zu überwinden. Das Museum für russlanddeutsche Kulturgeschichte Detmold leistet dazu einen wichtigen Beitrag: Ich danke dem Museumsteam, dem Museumsverein, dem Christlichen Schulverein Lippe und allen beteiligten Partnern, die Brücken in eine friedliche, gemeinschaftliche Zukunft bauen, und wünsche diesem Haus viele interessierte Besucherinnen und Besucher.