Rede von Bundeskanzlerin Merkel beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen des Bundesnachrichtendienstes am 28. November 2016 in Berlin

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Sehr geehrter Herr Präsident, lieber Herr Kahl,
sehr geehrte ehemalige Präsidenten,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag – sowohl aus dem Bereich der Dienste als auch aus dem Bereich der Haushälter, wie ich hier sehe; das ist eine gute doppelte Präsenz –,
sehr geehrte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes,
meine Damen und Herren,

aus ihrem Alter machen nicht wenige ein Geheimnis. Auch beim Bundesnachrichtendienst unterliegt vieles der Geheimhaltung. Das muss so sein. Sein Alter aber hält der BND nicht unter Verschluss. Zum Glück, denn so kann ich heute ganz offen gratulieren: Herzlichen Glückwunsch zum 60-jährigen Bestehen des Bundesnachrichtendienstes, herzlichen Glückwunsch an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die – wie Sie eben gesagt haben, Herr Kahl – zum Teil auch unter Einsatz ihres Lebens ihren Dienst für unser Land leisten. Ich freue mich ganz besonders, dass ich bei dieser Jubiläumsfeier mit dabei sein kann und meinen Dank allen – auch denen, die nicht hier sind – überbringen kann.

Ich glaube, das Umspannwerk Kreuzberg bietet für Ihr Jubiläum einen passenden Rahmen. Die alte Generatorenhalle, in der wir uns hier befinden, hat eine facettenreiche Geschichte – genau wie der BND. Hier wurde buchstäblich unter Strom gearbeitet; und auch der BND arbeitet heute oft, natürlich in übertragenem Sinne, unter Hochspannung.

Bei einem runden Geburtstag, zumal einem 60. Geburtstag, käme nun eigentlich der Blick zurück, die Erinnerung an vergangene Zeiten. Das ließe sich auch hier und heute ohne Weiteres bewerkstelligen. Aber zur Geschichte des BND seit seiner Gründung 1956 sind bereits etliche Bücher geschrieben worden – Herr Kahl sprach von ziemlich vielen Bänden.

Zusätzlich erhoffen wir uns von den Arbeiten der vom BND berufenen Unabhängigen Historikerkommission zur Erforschung der Frühgeschichte des BND bald ein solides wissenschaftliches Fundament, um die damalige Arbeit des BND und seine Bedeutung umfassend beurteilen zu können. Mit ihren ersten Veröffentlichungen konnte die Kommission jedenfalls bereits wertvolle Einblicke vermitteln. Ich wünsche der Kommission auch für ihre weitere Arbeit viel Erfolg.

Heute aber möchte ich den Blick vor allem auf die Zukunft der deutschen Nachrichtendienste und besonders die des BND richten. Beim Bundesnachrichtendienst ist in jüngster Zeit viel in Bewegung gesetzt worden. Auch dafür ist diese Generatorenhalle Sinnbild, denn auch sie hat einen Transformationsprozess durchlaufen und ist heute Teil des modernen Berlins.

Mir ist bewusst, dass die Befassung mit Nachrichtendiensten gerade in Deutschland besonders schwierig ist. Dafür gibt es aktuelle Anlässe wie auch historische Gründe – denken wir an die Gestapo in der Zeit des Nationalsozialismus und die Staatssicherheit zuzeiten der DDR. Die im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland festgeschriebenen Grundrechte waren und sind genau darauf die Antwort des Rechtsstaats unseres Landes. In diesem Rahmen können die Nachrichtendienste heute ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Sicherheitsarchitektur sein; mehr noch: sie können das nicht nur, sondern sie müssen das auch sein.

Ich möchte Ihnen zur Veranschaulichung vier kurze Beispiele geben.

Erstens: Irak und Syrien. Die Lage im Irak ist äußerst prekär und die in Syrien eine einzige Tragödie. Es muss alles darangesetzt werden, dass das Sterben dort ein Ende findet. Außerdem gilt es, ein weiteres Ausbreiten des Flächenbrands in der Region zu verhindern. Zudem muss der Bedrohung unserer Sicherheit durch Dschihadisten begegnet werden, die aus dieser Region nach Europa zurückkehren.

Zweitens: die Ukraine. Die Situation dort ist weiter sehr angespannt. Wir beobachten die Entwicklungen am östlichen Rand Europas mit großer Sorge und müssen die Auswirkungen aktueller geopolitischer Veränderungen auf diese fragile Region genau abschätzen können.

Drittens: die Flüchtlingssituation. Sie fordert uns gesellschaftlich wie auch sicherheitspolitisch – zum Beispiel bei der Bekämpfung der Schleuserkriminalität, der Feststellung von Migrationsrouten sowie der Sicherheitsüberprüfung der Menschen, die zu uns kommen und hier leben wollen.

Viertens: die Sicherheit des Cyberraums. Wir beobachten in unserer vernetzten Welt eine zunehmende Zahl von Cyberattacken auf sensible Infrastrukturen. Auch Fälle von Cyberspionage sind an der Tagesordnung. Darin liegt ein erhebliches Bedrohungspotenzial, auf das wir flexibel und innovativ reagieren müssen.

(Bundesminister Altmaier betritt den Saal)

– Ich begrüße ganz herzlich den Chef des Kanzleramts, der mit dem BND noch deutlich mehr zu tun hat als ich und deshalb auch schon alles weiß. –

In all diesen beispielhaft skizzierten Feldern – ich könnte noch viele andere nennen; Herr Kahl hat von Afghanistan gesprochen – stehen wir vor der Herausforderung, nicht nur kurzfristige Lösungen, sondern auch langfristige Strategien zu entwickeln. Hierbei ist die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes von hoher Bedeutung. Er trägt dazu bei, dass wir – und hierbei schließe ich mich mit ein – gute, fundierte Informationsgrundlagen besitzen, um Entscheidungen treffen zu können.

Zugleich leistet der BND mit seinen Erkenntnissen einen wesentlichen Beitrag zur Arbeit der anderen Sicherheitsbehörden. Beispielhaft hierfür steht seine Arbeit bei der Aufklärung des internationalen Terrorismus. Damit die Polizeibehörden im Rahmen von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr oder Ermittlungsverfahren Zugriffe und Verhaftungen durchführen können, sind es nicht selten die Nachrichtendienste, die eine wesentliche Vorarbeit hierzu leisten. Der BND klärt terroristische Aktivitäten im Ausland auf. Er erkennt Netzwerke. Er identifiziert Gefährder. In enger Zusammenarbeit mit den Innenbehörden trägt er dazu bei, Terrorplanungen zu vereiteln.

Ich betone daher nochmals: Die Arbeit der Nachrichtendienste ist für die Bundesrepublik Deutschland unverzichtbar. Wir brauchen ihre Informationen als Grundlage einer effektiven Sicherheitspolitik. Dabei – das ist selbstverständlich – müssen die Dienste die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente stets nicht nur nach Recht und Gesetz, sondern innerhalb dessen auch mit Augenmaß einsetzen.

Ebenso selbstverständlich sollte sein, dass eine nachrichtendienstlich beschaffte Information, um werthaltig zu sein und werthaltig zu bleiben, um eine wesentliche Komponente ergänzt werden muss: das ist die der Geheimhaltung. Nachrichtendienstliche Informationen verlieren ihren Wert und damit ihren Nutzen für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger, wenn sie auch denen bekannt sind, die unsere Sicherheit bedrohen.

Ebenso wie Freiheit und Sicherheit sich gegenseitig bedingen, sind auch Kontrolle und Geheimhaltung zwei Seiten derselben Medaille. Geheimhaltung ohne Kontrolle ist undenkbar. Sie widerspräche unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und würde Misstrauen schaffen. Kontrolle ohne Geheimhaltung ist ebenfalls undenkbar. Sie gefährdete die Arbeit der Nachrichtendienste und damit die Aufgabe des Staates, für die Sicherheit seiner Bürgerinnen und Bürger zu sorgen. Geheimes also muss geheim bleiben können, und zwar im Rahmen dessen, was Recht und Gesetz dafür vorsehen; das heißt, im Rahmen einer jederzeit möglichen intensiven Kontrolle des Geheimen in den dafür vorgesehenen rechtsstaatlichen Institutionen.

In den vergangenen Legislaturperioden waren die Nachrichtendienste und damit auch der BND immer wieder Gegenstand parlamentarischer Untersuchungsausschüsse. Ich denke zum Beispiel an den BND-Untersuchungsausschuss in der 16. Wahlperiode, an die verschiedenen NSU-Ausschüsse in der 17. und 18. Wahlperiode, an den Kunduz-Untersuchungsausschuss in der letzten Wahlperiode oder an den aktuell laufenden NSA-Untersuchungsausschuss. Gerade der NSA-Ausschuss hat sich durch die Erweiterung des Untersuchungsauftrags zu einem echten zweiten BND-Untersuchungsausschuss entwickelt.

Mir ist klar, dass Untersuchungsausschüsse für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den betroffenen Behörden stets eine erhebliche Arbeitsbelastung bedeuten, die neben der eigentlichen Kernarbeit bewältigt werden muss – insbesondere dann, wenn der Untersuchungsgegenstand lange Zeit zurückliegt. Dennoch – und das sage ich auch als Mitglied des Parlaments – sind solche Ausschüsse durchaus wichtig: zum einen, um die konkreten Vorhaltungen zu klären und daraus die richtigen Schlussfolgerungen zu ziehen; zum anderen, um uns der Grundlagen unserer Arbeit stets aufs Neue zu vergewissern.

Untrennbar damit verbunden ist, dass wir eine angemessene Balance zwischen dem unbestrittenen Informationsrecht der Öffentlichkeit und der Geheimhaltung sensibler Informationen finden müssen. Auch in diesem Zusammenhang hat der laufende Untersuchungsausschuss durchaus positive Effekte. So wird vielen durch diesen Ausschuss bewusst, welche Bedeutung gerade auch die internationale Kooperation hat. Zudem setzen sich viele erst durch den Untersuchungsausschuss mit dem juristischen Rahmen auseinander, der die Arbeit der Nachrichtendienste regelt.

Die öffentliche Diskussion über die Arbeit der Nachrichtendienste trägt insgesamt dazu bei, dass sich mehr Menschen Gedanken darüber machen können, welchen wichtigen, ich sage: ja, unverzichtbaren Beitrag die Nachrichtendienste für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland leisten. Mein Fazit lautet: Der Bundesnachrichtendienst kann stolz auf seine Arbeit sein und muss zugleich weiter für eine ebenso kritische wie faire Begleitung seiner Tätigkeit empfänglich sein.

Meine Damen und Herren, ich habe eingangs gesagt, beim BND ist gerade in den letzten Monaten viel in Bewegung gekommen, vieles ist neu. Zwei dieser Veränderungen sind deutlich sichtbar.

Die erste sichtbare Neuheit ist Ihr neuer Präsident Bruno Kahl, der am 1. Juli als 13. Präsident des BND seinen Dienst aufgenommen hat. Mit Bruno Kahl hat der BND einen in politischen und Verwaltungsvorgängen ausgesprochen erfahrenen Mann gewonnen, der bereits in anderen schwierigen und verantwortungsvollen Aufgaben wertvolle Erfahrung gesammelt hat. Ich wünsche Ihnen hier auch an dieser Stelle noch einmal viel Erfolg.

Die zweite völlig unübersehbare Neuheit steht in ungefähr fünf Kilometern Luftlinie von hier: Es ist der Neubau des BND in Berlin-Mitte. Mittlerweile ist der Einzug in die Chausseestraße mit sagenhaften 1.800 Lkw-Ladungen absehbar. Der Neubau wird sicherlich zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit des BND beitragen. Das neue Haus in der Mitte Berlins bietet dem BND darüber hinaus die Chance, seine Arbeit einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren zu können. Der BND wird sich in einem Besucherzentrum auf dem südlichen Teil des Geländes zukünftig interessierten Bürgern öffnen.

Neben diesen sichtbaren Neuheiten gibt es natürlich auch weniger sichtbare, aber nicht minder wichtige Veränderungen. An erster Stelle zu nennen ist die Novelle des BND-Gesetzes, die in Kürze im Bundesgesetzblatt verkündet werden wird. Mit diesem Reformvorhaben setzt die Bundesregierung Maßstäbe, die international bislang einmalig sind. Mit dem Ende Oktober vom Bundestag verabschiedeten Gesetz zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes haben wir in einem zentralen Bereich nachrichtendienstlicher Arbeit für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit gesorgt. Die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes – darauf haben wir geachtet – wird hierdurch nicht eingeschränkt. Vielmehr werden die formellen und materiellen Voraussetzungen, unter denen der BND Fernmeldeaufklärung einsetzen darf, klar geregelt. Die dadurch entstandene Rechtssicherheit dient auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des BND. Ich glaube, das sehen viele genauso. Gleichzeitig – das war uns auch sehr wichtig – stärkt das Gesetz die unverzichtbare Zusammenarbeit mit ausländischen Partnern durch klare Regelungen zur gemeinsamen Datenhaltung sowie zu internationalen Kooperationen.

Flankiert wird das neue BND-Gesetz von einer Reform des Gesetzes zum Parlamentarischen Kontrollgremium. Die Bundesregierung hat dieses Vorhaben des Parlaments von Anfang an unterstützt. Nicht umsonst wurde bereits im Koalitionsvertrag eine weitere Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle vereinbart. Denn der Bundesregierung ist eine effektive Kontrolle der Nachrichtendienste ebenso wie die Gewährleistung der effektiven Arbeit der Nachrichtendienste ein wichtiges Anliegen. Nur auf diese Weise als Einheit verstanden lässt sich das notwendige Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in ihre Nachrichtendienste sicherstellen und rechtfertigen.

Die Politik ihrerseits hat die Aufgabe, die Nachrichtendienste so auszustatten, dass sie ihre anspruchsvollen Aufgaben angemessen wahrnehmen können. Darum haben wir den BND in bislang nicht dagewesenem Umfang mit Mitteln zur Modernisierung ausgestattet. – Hierbei erschließt sich die Anwesenheit der Haushälter; aber ich möchte hier den Haushältern und den Fachpolitikern gleichermaßen danken für das Ergebnis einer guten Kooperation. – Circa eine halbe Milliarde Euro werden jetzt und in den kommenden Jahren in technische Entwicklungen investiert, damit der BND mit den heutigen Anforderungen auf dem Gebiet wirklich Schritt halten kann. Damit wird er auch für die internationale Zusammenarbeit noch wertvoller. Wir haben außerdem bereits für das Jahr 2016 die Stellenausstattung deutlich verbessert.

Meine Damen und Herren, vieles ist also schon geschafft oder auf den Weg gebracht worden. Aber mit 60 Jahren ist der BND noch lange nicht an das Ende seiner Entwicklung gelangt. Und so, wie sich die Welt entwickelt, sieht es auch wirklich nicht danach aus. Daher muss zum Beispiel die Kooperation zwischen unseren eigenen Nachrichtendiensten weiter gestärkt werden. Ein wichtiger Schritt in diesem Zusammenhang ist zum Beispiel der geplante gemeinsame Master-Studiengang zum Nachrichtenwesen. Selbstverständlich muss auch die Zusammenarbeit mit ausländischen Diensten weiter vertieft werden. Gleichzeitig muss der BND aber auch seine eigenen Fähigkeiten weiter stärker und ausbauen. Wir können es uns nicht leisten, die Hände in den Schoß zu legen und auf die Anstrengungen anderer zu vertrauen.

Doch zum Schluss möchte ich noch etwas sagen: Heute gibt es eine Ausnahme. Heute können Sie – jedenfalls ein Teil von Ihnen; ich glaube andere sind heute genauso aktiv wie sonst, und das hoffe ich auch – die Hände in den Schoß legen. Denn heute ist ein Tag zum Feiern; ein Tag, um auf 60 bewegte Jahre Bundesnachrichtendienst und auf das, was Sie geschafft haben, zurückzublicken. Dabei wünsche ich Ihnen viel Freude, sage noch einmal herzlichen Dank allen, die beim BND arbeiten, die Veränderungen auf sich nehmen, die umziehen müssen. Ich hoffe, dass in der Zukunft Ihre Arbeit genauso erfolgreich sein wird, wie das in der Vergangenheit der Fall war. Herzlichen Dank dafür, dass ich heute mit dabei sein kann.