Rede von Bundeskanzlerin Merkel bei der Deutsch-Französischen Digitalen Konferenz am 27. Oktober 2015

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Sehr geehrte Präsidenten, lieber François und lieber Jean-Claude,
sehr geehrte Minister, lieber Herr Macron, Herr Gabriel und die anderen Minister,
vor allem liebe Teilnehmer dieser Digitalen Konferenz,

es ist ein sehr gutes Format, in dem wir heute dieses Treffen veranstalten. Es ist auch eine sehr gute Kombination, dass wir das Ergebnis des deutsch-französischen Ministerrats, also die Durchführung einer solchen gemeinsamen Konferenz, mit einer Diskussion mit Vertretern der europäischen Wirtschaft zusammenbringen konnten. Herzlichen Dank dafür, dass wir das alles in Anwesenheit der Kommission tun können, denn ich glaube, das ist in der Tat ein Format, das uns dem digitalen Binnenmarkt näherbringt.

Es ist auch ein guter Zeitpunkt für diese Konferenz. Ich glaube, die Nachricht, dass heute das Europäische Parlament das Telekommunikationspaket verabschiedet hat, ist eine wirklich wichtige Nachricht. Ich erinnere mich an die Jahre, in denen Neelie Kroes versucht hat, ein Telekommunikationspaket durchzubekommen. Es ist dann mit der neuen Kommission, mit der italienischen Präsidentschaft und auch mit dem Vizepräsidenten der Kommission, Herrn Ansip, erreicht worden, dass das endlich vorangebracht wurde, dass der Trilog vorangegangen ist und dass wir wichtige Entscheidungen gefällt haben. In Europa haben wir ja eine etwas andere Situation, als man sie in den Vereinigten Staaten von Amerika hat. In den Vereinigten Staaten von Amerika ist alles erlaubt, was nicht geregelt ist. Bei uns ist erst einmal alles verboten, was nicht legislativ niedergelegt ist. Das heißt, wir müssen Regelungen finden, aber wir sind jetzt einen Schritt vorangekommen. Das beinhaltet zum Beispiel, dass wir jetzt eine Regelung für die Netzneutralität gefunden haben. Das Thema hat auch kontroverse Diskussionen hervorgerufen, aber wir haben uns entschieden.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass wir jetzt auch einen Vorschlag, über den bereits im Trilog mit dem Parlament diskutiert wird, zur Datenschutz-Grundverordnung haben. Das ist sehr wichtig, denn es wird darüber entschieden, in welcher Art und Weise wir die Verarbeitung von Daten in Europa ermöglichen. Ich denke, das sogenannte Data Mining, also die Verarbeitung großer Mengen von Daten, dem Rohstoff der Zukunft, hat in Europa immer noch einen schwereren Stand als in anderen Teilen der Welt. Hier wird aber ein großer Teil der Wertschöpfung stattfinden. Die richtige Balance zwischen Datenschutz, Dateneigentum und neuen Produktmöglichkeiten zu finden – das ist so etwas wie das, was wir in Deutschland immer wieder in dem, was wir Soziale Marktwirtschaft nennen, finden mussten, nämlich eine Balance zwischen dem Schutz der Menschen einerseits und dem Ermöglichen und dem erfolgreichen Umsetzen von Wertschöpfung andererseits.

Ich bin also froh, dass die Arbeit an einem einheitlichen Rechtsrahmen Gestalt annimmt. Da ist noch viel zu tun – angefangen bei den Frequenzen für die fünfte Mobilfunkgeneration, die in den Mitgliedstaaten im Augenblick noch ein Flickenteppich sind, bis hin zu gleichen Bedingungen für Internetunternehmen und auch für diejenigen, die die Infrastruktur anbieten und auch selbst Produkte anbieten. Da haben wir heute noch sehr große Ungleichheiten.

Ich finde es sehr wichtig, dass sich aus Deutschland und Frankreich hier gemeinsam Startups und Unternehmen präsentieren, sich austauschen – und dass Deutschland und Frankreich ihre Möglichkeiten und Kompetenzen bündeln. Das ist ja nicht natürlich und war nicht immer so. Wir haben zwar viele deutsch-französische Kooperationen, aber wir haben durchaus auch ein Wettrennen. Hier aber sieht man jetzt, dass die Fähigkeiten und Stärken beider Seiten zusammen zu sehr innovativen Produkten führen können.

Das ist auch deshalb so wichtig, weil wir durchaus ein Zeitproblem haben. Wir haben bei der Entwicklung des Internets selbst und auch bei der Entwicklung der Anwendungen für Konsumenten nicht immer die Nase vorn – um es vorsichtig auszudrücken. Jetzt aber, da digitale Möglichkeiten immer mehr Eingang in die industrielle, in die wirtschaftliche Welt finden, haben wir eine Chance, an unseren starken Industriestandorten Deutschland und Frankreich eben mit Hilfe der Digitalisierung die Unternehmen der Zukunft zu gestalten – nennen wir es Industrie der Zukunft oder Industrie 4.0 oder wie auch immer.

Das, was wir uns hier heute anschauen konnten, stimmt durchaus sehr hoffnungsvoll. Deshalb bitte ich darum, dass alle mit Enthusiasmus daran weiterarbeiten. Wenn wir die Vorgaben der Kommission, unseren Anteil an der industriellen Wertschöpfung zu halten oder zu erhöhen, in Europa wirklich realisieren wollen, dann müssen wir die Digitalisierung der Produktion schaffen; ansonsten werden wir abgehängt und werden diese Zukunft nicht mitmachen.

Ich freue mich, dass durch die Gründung einer Akademie auch die Diskussion gesellschaftlicher Fragen in den Mittelpunkt gerückt wird: Wie sieht die Arbeitswelt der Zukunft aus, wie sehen die Arbeitsbedingungen aus, welche Berufe brauchen wir, wie müssen wir herkömmliche Berufe umdefinieren und welche neuen Berufsbilder müssen wir schaffen? Antworten darauf zu finden, wird sehr wichtig sein.

Ich habe eine Bitte an die Kommission, nämlich dass sie uns sozusagen die Eroberung des digitalen Zeitalters einfacher macht. Diesbezüglich möchte ich noch einen speziellen Punkt mit Blick auf die Finanzierung der Startups ansprechen, nämlich die Frage der sogenannten Verlustabschreibungen, mit der sich der Europäische Gerichtshof befasst. Nun hängen wir sozusagen „in the middle of nowhere“ und kommen nicht voran. Aber die Startups fragen uns, wenn sie ihre erste Finanzierung mit Business Angels hinter sich haben: Was passiert in der zweiten Stufe? Da wird es eben ganz wichtig sein, dass wir hierfür Lösungen finden.

Wir haben ein großes Interesse daran, dass Standardisierungen, die nur in zwei oder in wenigen Mitgliedstaaten gelten, zu Standardisierungen aller 28 Mitgliedstaaten werden können. Wir begrüßen die Initiative der Kommission zu einer europäischen Cloud und sind auch gern bereit, daran mitzuarbeiten.

Insofern bleibt mir hier heute nur noch zu sagen: Danke für die acht Punkte, die wir uns natürlich auch in der deutschen Regierung zu eigen machen werden und an denen wir ordentlich weiterarbeiten werden. Ihnen allen danke ich für das Mitmachen, denn ohne Sie als Akteure könnte die schönste Konferenz zur digitalen Wirtschaft nicht stattfinden – wir brauchen die Wirtschaft dazu. Ich habe heute schon sorgenvoll die Interviews von Herrn Macron gelesen, in denen er sagte, Frankreich habe die meisten Startups. Wir dachten immer, Berlin sei gut. Nun müssen wir einmal schauen, wie wir in einen Wettbewerb eintreten; das ist ja ein guter Wettbewerb.

Ich verspreche für die deutsche Seite als Regierungschefin: Wir werden uns das, was Sie hier erarbeitet haben, zu eigen machen. Danke für diese Initiative. Und dann eines Tages willkommen in Berlin.