Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf der Festveranstaltung zum 350-jährigen Bestehen des Unternehmens Merck

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Sehr geehrter Herr Spangenberg-Haverkamp,
sehr geehrter Herr Oschmann,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident, lieber Volker Bouffier,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Partsch,
Exzellenz,
meine Damen und Herren
und vor allem: liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Merck, die dieses Ereignis von verschiedenen Stellen aus verfolgen,

350 Jahre sind eine stolze Zahl. Es fällt uns heute gar nicht so leicht, uns in die damalige Zeit zu versetzen. Es wird in diesen Tagen viel über den 400. Jahrestag des Beginns des Dreißigjährigen Krieges gesprochen, an dessen Ende ein verwüstetes Europa, ein verwüstetes Deutschland stand. Nur 20 Jahre nach Ende dieses Krieges begann die Geschichte des Unternehmens, die schließlich zu einer jahrhundertelangen Firmengeschichte wurde. Umgekehrt konnte man sich damals noch viel weniger vorstellen bzw. konnte man es sich überhaupt nicht vorstellen, dass aus dem Unternehmen ein großer und global aktiver Konzern werden könnte. Auch als Konzern liegt das Unternehmen immer noch in den Händen der Gründerfamilie. Ich kann natürlich nur vermuten, was Sie als Familie seit Generationen unermüdlich antreibt. Es scheint aber so, dass die Familie Merck mit Wissen, Willen und Können reich gesegnet ist. Genau das macht das Traditionsunternehmen ja auch zu einem guten Stück gelebter Sozialer Marktwirtschaft, auf das nicht nur das Bundesland Hessen stolz ist, sondern die Bundesrepublik Deutschland insgesamt.

Deshalb bin ich sehr gern wieder zu Ihnen gekommen – ich sage „wieder“, denn 2010 war ich zur Eröffnung des Materialforschungszentrums schon einmal hier. Heute bin ich hier, wenn das neue Innovationszentrum eröffnet wird, das Experten und Start-ups zusammenbringt und verschiedene Kompetenzen bündelt. Forschung und Innovation – das hat Merck immer ausgezeichnet. Konsequenterweise steht Ihr Jubiläum unter dem Motto – das wäre zu Beginn wahrscheinlich etwas anders gewesen; damals wurden Deutsch und Englisch nicht so vermischt –: „Imagine. Immer neugierig auch in den nächsten 350 Jahren“ – „Celebrate Curiosity“. Es wäre interessant zu hören, in welcher Sprache dann in 350 Jahren gefeiert wird. Aber vergessen Sie das Deutsche nicht.

Neugier und Zukunftsorientierung haben Ihr Unternehmen also von Anfang an geleitet. Vor 350 Jahren machte sich der gelernte Apotheker Friedrich Jacob Merck auf den Weg, um sich eine Zukunft als eigenständiger Apotheker aufzubauen. Sein Weg führte ihn nach Darmstadt, wo er eine Apotheke erwarb – die spätere Engel-Apotheke, die noch heute existiert. Die Neugier auf Neues aber ließ ihn wie später auch seine Erben nicht los. Sie forschten. Sie kreierten immer wieder neue Medikamente aus pflanzlichen Naturstoffen. Sie entwickelten Reinheitsstandards. Es ging ihnen um verbindliche Qualität, auf die sich Kunden und Patienten verlassen konnten. Das ist auch so etwas wie der Grundstein dessen, was wir heute „Made in Germany“ nennen. Das Konzept wurde deshalb auch zum Erfolgsrezept. Schließlich wurde 1850 ein Gemeinschaftsunternehmen gegründet, das weit über den eigenen Bedarf hinaus produzierte. Das war im Grunde der Beginn der industriellen Produktion.

Das Unternehmen hat im Wandel der Zeiten natürlich Höhen und Tiefen erlebt. Eine bittere Kriegsfolge für Merck war die Enteignung der US-Niederlassung im Jahre 1917, die selbständig und nie wieder Teil des deutschen Unternehmens werden sollte. Zur Firmengeschichte gehört auch, dass während des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Zwangsarbeiter herangezogen wurden, um unter schrecklichen Bedingungen die Produktion am Laufen zu halten. Es bleibt unser aller Pflicht – und dieser Pflicht hat sich Merck gestellt –, immer wieder an das Leid zu erinnern, das Zwangsarbeitern in Deutschland im Nationalsozialismus angetan wurde. Die vielen Initiativen, die die Erinnerung an das dunkle Kapitel der deutschen Geschichte wachgehalten haben, sind von größter Bedeutung. Ich möchte hier nur an die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ erinnern. Es ist unverzichtbar, dass sich Merck dieser Verantwortung gestellt hat und beispielsweise das Apothekenprojekt Belarus zur kostenfreien Versorgung mit Arzneimitteln betreibt, weil sich darin auch das Bewusstsein für unsere immerwährende Verantwortung für die Schrecken des Holocausts und des Zweiten Weltkriegs widerspiegelt.

Merck konnte in seiner langen Geschichte sehr viele Erfolge erzielen: von der Isolierung von Wirkstoffen bis zur Entwicklung und Produktion hochkomplexer Medikamente, die das Leben erleichtern, verbessern oder gar erhalten. Als Merck 1968 auch mit der Flüssigkristallforschung begann, wusste noch niemand, wohin die Reise geht; so ist das eben in der Forschung. Andere Unternehmen zeigten nicht so viel Ausdauer wie die Darmstädter Forscher. Ihre Beharrlichkeit machte sich aber wahrlich bezahlt, denn heute kommt kein moderner Monitor oder Flachbildschirm ohne Flüssigkristalle aus. Merck ist unangefochtener Weltmarktführer in der LC-Technologie, für die sich immer wieder völlig neue Anwendungsgebiete finden. Ich nenne zum Beispiel die sogenannten Smart Windows an Gebäuden. Mit ihnen lässt sich die Lichtdurchlässigkeit steuern und die Energieeffizienz erhöhen.

Fortschrittliche Entwicklungen, die für jeden und jede spürbar werden – nach dieser Maxime handeln, arbeiten und forschen weltweit 52.000 Merck-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in 66 Ländern, von denen uns viele jetzt hier zuhören. Ihnen sei auch vonseiten der Bundesregierung ein ganz herzliches Dankeschön gesagt. Merck hat immer wieder beispielhaft gezeigt, dass Forschung und Entwicklung keine Grenzen kennen. Das gilt genauso für einen großen Teil der deutschen Forschungslandschaft. Wir haben gerade auch mit unserer Pharma- und Biotechnologiebranche einen echten Trumpf, denn Gesundheit und Gesundheitsversorgung sind Themen, die uns alle weltweit bewegen.

Es kommt natürlich auch auf eine gute internationale und interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Forschung und Entwicklung neuer Mittel und Methoden an. Dabei stehen Industrieländer wie Deutschland in besonderer Verantwortung, denn wir haben viele Forschungsmöglichkeiten, die ärmeren Ländern fehlen. Wir haben im Rahmen unserer G20-Präsidentschaft im letzten Jahr sehr viel im internationalen Gesundheitsbereich vorangebracht. Ich möchte der Firma Merck herzlich dafür danken, dass sie sich immer wieder an diesen Aktivitäten beteiligt.

Wir nutzen natürlich auch zu Hause unsere Möglichkeiten. Seit 2009 hat die Bundesregierung sechs Deutsche Zentren der Gesundheitsforschung aufgebaut. Wir wollen Deutschland als Standort für Gesundheitsforschung zukunftsorientiert gestalten, und zwar mit konkreten Initiativen: etwa mit der E-Health-Initiative, um digitale Anwendungen besser zu nutzen, oder mit unserem Strategieprozess, um Innovationen in der Medizintechnik weiter voranzubringen.

Herr Oschmann hat uns eben auf die vielfältigen Herausforderungen hingewiesen. Die Verschmelzung von Digitalisierung und klassischer Entwicklung und die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz werden uns vor sehr viele Herausforderungen stellen. Ich möchte ein ganz herzliches Dankeschön sagen, dass hier bei Merck nicht nur technisch geforscht wird, sondern auch die ethische Komponente immer im Blick behalten wird. Denn nur wenn diejenigen, die über das technische Know-how verfügen, auch die ethische Diskussion begleiten, werden wir wirklich vorankommen und verantwortungsvolle Produkte entwickeln können.

Wir werden auch den Pharma-Dialog zwischen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft fortführen. Denn die Herausforderungen werden nicht weniger. Vielmehr ist die Versorgung mit hochwertigen und bezahlbaren Arzneimitteln eine Daueraufgabe. Natürlich sind wir Deutsche stolz darauf, ein Pharmastandort zu sein. Aber manchmal gerät aus dem Blick, wie hart die Konkurrenz, wie hart der Wettbewerb ist. Deshalb geht es darum, sachgerechte Lösungen für die Patienten, die Versicherten zu finden, aber eben auch mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit des Forschungsstandorts. Dazu gehört zum Beispiel, das Arzt-Informationssystem zu verbessern. Außerdem müssen die Fälschungssicherheit und die Therapiesicherheit von Arzneimitteln weiter vorangetrieben werden.

Es gibt auch immer wieder ein gewisses Spannungsverhältnis zwischen EU-Verordnungen und nationalen Erwartungen. Dazu gibt es aktuell sehr viele Diskussionen. Herr Oschmann hat darauf hingewiesen, dass der Ministerpräsident des Landes immer gut aufpasst, was in Brüssel geschieht. Wir versuchen, das auch auf der Bundesseite zu tun, da wir glauben, dass wir manches auch national gut regeln können und nicht alles in Europa geregelt werden muss.

Meine Damen und Herren, Ihr Jubiläumsmotto „Imagine. Immer neugierig“ zeigt auch: Trotz aller Digitalisierung und Automatisierung – die Zukunftsfähigkeit eines Unternehmens hängt immer noch vom Menschen und seiner Neugier ab. Diese menschliche Eigenschaft scheint bei Merck eine Konstante über die 350 Jahre zu sein. Man muss nicht viel Prognosefähigkeit haben, um zu sagen: Das wird auch in den nächsten 350 Jahren für Merck und alle anderen unerlässlich sein.

Vielleicht spielt hierbei auch die Tatsache eine Rolle, dass Darmstadt der konstante Heimatstandort der Firma Merck ist. Darmstadt hat sich sukzessive zu einer Wissenschaftsstadt entwickelt. Neben der Technischen Universität und den beiden Hochschulen gibt es hier zahlreiche Institute und forschende Unternehmen – darunter eben auch und besonders Merck –, in denen sich geballtes Wissen, Erfahrung und vielversprechende Nachwuchstalente finden.

Wir alle wissen: Es reicht nicht aus, sich auf dem einmal Erreichten auszuruhen. Wir stehen vor riesigen Herausforderungen, die für jeden Einzelnen gelten, der in einem solchen Unternehmen tätig ist. Lebenslanges Lernen, Weiterbildung, berufsbegleitende Qualifizierung – all das ist entscheidend, um unseren Standort innovativ und damit auch wettbewerbsfähig zu halten. Es geht aber auch für jeden Einzelnen darum, ein Leben lang gute berufliche Aussichten zu behalten.

Lernen hängt auch von Motivation ab. Deshalb setzen wir darauf – auch politisch –, immer wieder die Chancen auf berufliche Veränderung und Aufstieg in den Blick zu nehmen. Deshalb wollen wir in der Bundesregierung auch eine Nationale Weiterbildungsstrategie entwickeln. Hierbei wollen Bund und Länder sehr eng zusammenarbeiten. Wir wollen allen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ein Recht auf Weiterbildungsberatung geben, damit sie sich besser orientieren können. Natürlich kommt es auf möglichst betriebsspezifische Angebote an. Ich bin mir sicher, dass die Firma Merck auch hierzu vieles sagen kann und wir von der Firma Merck vieles lernen können, wenn es um die Frage geht, wie der technische Wandel organisiert wird. Wie der Ministerpräsident schon gesagt hat: Wenn der letzte Streik 1971 war, dann muss es hier eine gute Sozialpartnerschaft geben, die auch Garant dafür sein kann, technisch revolutionäre Zeiten gut zu durchleben.

Natürlich wird sich auch die Arbeitsorganisation ändern. Fragen der Flexibilität spielen dabei eine herausragende Rolle. Wie sieht gute, sichere und gesunde Arbeit künftig aus? Wie lassen sich Arbeitszeiten so regeln, dass sie den Belangen von Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Familien gleichermaßen Rechnung tragen? All das sind große Herausforderungen. Ich glaube, dass die Firma Merck sie gut lösen wird.

Meine Damen und Herren, aller guten Dinge sind bekanntlich drei. Im Fall von Merck sind das Healthcare, Life Science und Performance Materials. Welche Fragen auch immer sich hierbei in Zukunft stellen – Merck wird immer daran arbeiten, die Antworten vorwegzunehmen. Der Innovation verpflichtet und der Tradition verbunden – so hat das Familienunternehmen über Generationen hinweg echten Mehrwert für viele, viele Menschen geschaffen; und zwar sowohl im Unternehmen als auch außerhalb des Unternehmens. Sie denken nicht nur an heute, sondern immer auch an morgen und übermorgen – getreu Ihrem Jubiläumsmotto: „Imagine. Immer neugierig auch in den nächsten 350 Jahren“. Wir werden zwar Schwierigkeiten haben, mitzuverfolgen, ob Sie sich Ihre Neugier auch weiter jahrhundertelang bewahren; das ist den heute Anwesenden nicht vergönnt. Wir dürfen Sie aber mit einem guten Stück gesunden Optimismus begleiten. Ihre Weitsicht nährt die Zuversicht auf künftige Erfolge. Diese wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen.

Ich bedanke mich, dass ich heute hier dabei sein durfte.