Rede von Bundeskanzlerin Merkel auf der 14. Jahreskonferenz des Rates für Nachhaltige Entwicklung am 2. Juni 2014

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Liebe Frau Thieme,
sehr geehrte Ratsmitglieder,
liebe Kollegen aus den Parlamenten,
meine Damen und Herren,

„verstehen – vermitteln – verändern“, so haben Sie in diesem Jahr Ihre Jahreskonferenz überschrieben. Dieses Motto lässt sich einerseits als Aufforderung – so haben Sie es eben auch gesagt – an uns alle verstehen, gerade auch an die Bundesregierung, an die Bundeskanzlerin. Andererseits beschreibt es auch das Selbstverständnis des Rates für Nachhaltige Entwicklung. Denn Sie leisten ja durch Ihre Tätigkeit als Rat Beiträge dazu, dass Brücken vom Verstehen zum Verändern gebaut werden. Dafür schätze ich den Rat. Und wenn Sie mich auffordern, einen Weckruf zu starten, dann sollten wir das gemeinsam tun. Vielleicht ist diese Tagung auch eine Möglichkeit dazu. Wir bauen auf Ihre Kompetenz. Dass ich wieder hier bin, zeigt auch, dass ich diese Kompetenz schätze und dass wir mit dieser Kompetenz natürlich auch weitermachen müssen, denn das Thema ist noch nicht überall dort angekommen, wo es sein müsste.

Im vergangenen Juni habe ich den Rat für die nächsten drei Jahre berufen. In der Zwischenzeit hatten wir eine Bundestagswahl. Deshalb ist es natürlich verständlich, dass die Ratsmitglieder mit Argusaugen darauf schauen, wie es die neue Bundesregierung mit dem Thema Nachhaltigkeit hält. Deshalb möchte ich vorneweg sagen, dass Nachhaltigkeit für die neue Bundesregierung – jetzt zitiere ich aus dem Koalitionsvertrag – „grundlegendes Ziel und Maßstab des Regierungshandelns“ ist. Dazu wollen wir die nationalen Nachhaltigkeitsziele stärken und auch unser eigenes Handeln stärker darauf ausrichten, etwa auch bei der öffentlichen Beschaffung. Im Subventionsbericht soll künftig intensiver überprüft werden, ob Maßnahmen nachhaltig sind. Nicht zuletzt gilt es, das öffentliche Bewusstsein der Notwendigkeit einer nachhaltigen Entwicklung zu stärken und dementsprechend Bildungsschwerpunkte zu setzen. Das kann durch die Bundesregierung erfolgen, aber dazu brauchen wir natürlich auch andere Akteure, mit denen wir gerne zusammenarbeiten.

Den Worten folgen Taten. Die Arbeiten an der Weiterentwicklung der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie sind bereits angelaufen. Das Statistische Bundesamt wird in Kürze den nächsten Nachhaltigkeitsindikatorenbericht veröffentlichen. Der Ausschuss mit den Staatssekretären wird weiterarbeiten. Unter Leitung von Kanzleramtschef Peter Altmaier beteiligen sich wieder alle Ministerien daran. Und darüber hinaus kann ich es nur begrüßen, dass im Bundestag der Parlamentarische Beirat für Nachhaltige Entwicklung wieder eingerichtet wurde. Damit ist das Gremium seit zehn Jahren aktiv. Ich gratuliere dem Vorsitzenden Andreas Jung, stellvertretend für alle Mitglieder, ganz herzlich zum Jubiläum und wünsche weiterhin viel Erfolg als – dieses Zitat stammt von Ihnen – „Wachhund für Nachhaltigkeit im Parlament“, wie Sie den Beirat beschrieben haben. Ich könnte jetzt sagen: Halten Sie ihn, wenn notwendig, an der Leine; aber lassen Sie ihn auch ab und zu mal los, wenn es notwendig ist.

Das Leitbild Nachhaltigkeit gilt – und das macht auch ein Stück weit die Schwierigkeit der Vermittlung aus – für alle Lebensbereiche und ist damit sozusagen so etwas wie die Präambel allen politischen Handelns. Deshalb ist Nachhaltigkeit auf der einen Seite in aller Munde – das ist im Prinzip gut –, aber es gibt auch die Gefahr, dass dadurch manchmal die Bedeutung des Begriffs verschwimmt. Volker Hauff, der ehemalige Vorsitzende des Nachhaltigkeitsrates, sprach in diesem Zusammenhang von „semantischem Goldstaub“. Allein diese Wortschöpfung lässt die Fantasie schweifen.

Aber um die Bedeutung des Begriffs Nachhaltigkeit nicht zu verwässern und um zu wissen, wovon tatsächlich die Rede ist, hilft immer wieder ein Blick auf die Brundtland-Definition von 1987: „Nachhaltige Entwicklung ist eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ – Sehr gut formuliert. Nun könnte ich einwerfen: Die Bedürfnisse zukünftiger Generationen bereits heute zu kennen, ist eine fast unmöglich zu lösende Aufgabe. Insofern kann man nur die Bedürfnisse zukünftiger Generationen im Auge haben, die sie nach heutigen Erkenntnissen möglicherweise haben werden. Aber auch damit hätte man schon viel getan. Denn man darf sicher nicht darauf hoffen, dass künftige Generationen bescheidener sein sollten als die heutige Generation, ansonsten würden wir uns doch nur wieder etwas von deren Zukunftschancen nehmen. Aber egal, ich wollte ja die Brundtland-Definition als Grundlage nehmen; und deshalb will ich sie jetzt nicht selbst zerreden. Also noch einmal: „ … eine Entwicklung, die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen.“ Das heißt also, Nachhaltigkeit betrifft Gegenwart und Zukunft gleichermaßen. Sie fragt nicht allein dramatisch nach dem Überleben, sondern sie fragt danach, wie wir heute leben, um das Bewusstsein dafür zu schaffen, dass auch in Zukunft ein gutes Leben geführt werden kann.

Darum geht es auch bei unserer geplanten Regierungsstrategie „gut leben – Lebensqualität in Deutschland“. Lebensqualität hat viele Facetten. Die Spannbreite reicht von einem glücklichen Familienleben über Freundschaften und Gesundheit und Bildung bis hin zu Beruf und angemessenem Einkommen. Wir wollen mit Bürgerinnen und Bürgern einen Dialog zum Verständnis von Lebensqualität führen. Aus den Ergebnissen werden wir ein Indikatorensystem und einen Aktionsplan entwickeln.

Was hat das mit Nachhaltigkeit zu tun? Ganz einfach: Der eigene Lebensstil wirkt sich auch auf die Spielräume aus, die kommende Generationen für ihre eigenen Lebensstile haben werden. Wir knüpfen mit dieser Frage nach der Lebensqualität im Grunde auch an die Arbeit einer Enquetekommission an, die sich mit einem erweiterten Wachstumsbegriff befasst hat, der eben Lebensqualität auch in Dimensionen erfasst, die Sie im Nachhaltigkeitsrat längst im Blick haben, etwa was die Frage anbelangt, was wichtig im Leben ist, ohne dabei auf Ressourcenverbrauch oder Ähnliches abzustellen – zum Beispiel Freunde zu haben, ein gutes Familienleben zu führen, Bildungsintensität zu steigern. Ich glaube, dass sich diese Dinge sehr gut ergänzen, wenn es darum geht, Wachstum und Lebensqualität zu definieren.

Wie wir wirtschaften, wie wir konsumieren, wie wir vorsorgen – all das bestimmt unser Erbe. Die Strategie „gut leben“ zielt darauf ab, beim Regierungshandeln die Werte und Ziele der einzelnen Bürgerinnen und Bürger stärker zu berücksichtigen, sie erst einmal aufzunehmen – deshalb der Dialog – und damit auch eine Verbreiterung der Basis für die gesamte Nachhaltigkeitsarbeit zu erreichen. Bei der Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie geht es darum, staatliches Handeln an den Zielen und Kriterien für eine nachhaltige Wirtschafts- und Lebensweise insgesamt auszurichten. Das heißt, es sind politische Entscheidungen gefragt, die langfristig tragfähig sind. Wann ist das der Fall? Das ist dann der Fall, wenn ökologische, ökonomische und soziale Aspekte gleichermaßen berücksichtigt werden. Dabei sind die Folgen dieser Entscheidung nicht nur für unser Land, sondern natürlich auch für andere Menschen in der Welt zu bedenken.

Es ist klar, dass wir vor riesigen globalen Herausforderungen stehen. Diese Herausforderungen manifestieren sich derzeit sehr sichtbar auch in den Flüchtlingsströmen zum Beispiel aus Afrika. Globale Herausforderungen müssen wir stärker in unser Handeln einbeziehen. Überlegen wir uns einmal: Es hat Millionen Jahre gedauert, bis die Weltbevölkerung im 19. Jahrhundert zum ersten Mal die Schwelle von einer Milliarde überschritt. Heute sind wir schon über sieben Milliarden Menschen. Und 2050 werden wir wohl mehr als neun Milliarden Menschen sein. Daran kann man die unglaubliche Beschleunigung der Entwicklungen sehen. Jeder einzelne Mensch – so besagt es auch unser Grundgesetz – hat Anspruch auf ein menschenwürdiges Leben.

Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Menschheit in städtischen Ballungsgebieten. Bis 2050, so rechnet man, könnten es drei Viertel sein. Das heißt also, urbane Räume werden Hauptträger der wirtschaftlichen Entwicklung und der Lebenswirklichkeit der Menschen. Deshalb ist es nicht nur für Deutschland, sondern vor allem auch mit Blick auf globale Herausforderungen sehr, sehr wichtig, städtische Infrastrukturen in ihrer Gesamtheit unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit in den Blick zu nehmen – beginnend beim Wohnraum, bei der Mobilität, den Einkaufsmöglichkeiten, der Müllbeseitigung bis hin zur Wasserversorgung; ein zentrales Thema für Milliarden von Menschen.

Ohne nachhaltige Stadtentwicklung drohen vermehrt Slumbildung oder Gesundheitsprobleme, um nur zwei Beispiele zu nennen. Deutschland hat politisch, aber auch technologisch viel zu bieten, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Das reicht von innovativen Konzepten der Abfallentsorgung bis zur Städtebauplanung. „Made in Germany“ steht seit Jahrzehnten für Qualitätsprodukte. Und unser Anspruch ist es, auch „Sustainability made in Germany“ als Qualitätssiegel zu etablieren. Die Chance, die sich mit neuen Märkten auftut, sollten wir nutzen. Der ehemalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan hat gefordert, wir müssten – ich zitiere – „die Mär von der Wahl zwischen Wohlstand und Nachhaltigkeit entlarven.“ Das ist ganz, ganz wichtig. Wir müssen das Thema Nachhaltigkeit mit Wohlstand und Lebensqualität in Zusammenhang bringen, weil wir damit sonst nicht durchdringen werden. Ich kenne das aus internationalen Diskussionen. Kofi Annan hat weiter ausgeführt: „Deutschland hat den Weg einer grünen Wirtschaft, die auf sauberen erneuerbaren Energien gründet, eingeschlagen und beweist damit, dass Wohlstand und Nachhaltigkeit Hand in Hand gehen.“ – So die Einschätzung von Kofi Annan, die uns freut, die wir aber auch als Ansporn verstehen.

Fortschritt im Sinne von Nachhaltigkeit ist nur als Gemeinschaftswerk denkbar. Ich glaube, wir können durchaus stolz darauf sein, dass wir eine Vielzahl von Fürsprechern und Akteuren haben, die den Nachhaltigkeitsgedanken leben und beleben. – Frau Thieme hat mir gerade beim Reingehen gesagt, dass man das auch in Ihrer Arbeit durchaus bemerkt. – Dies gilt auch für die Wirtschaft. Ich möchte zum Beispiel econsense, das Forum Nachhaltige Entwicklung der Deutschen Wirtschaft, nennen oder den Bundesdeutschen Arbeitskreis für Umweltbewusstes Management, B.A.U.M, und die Preisträger des Deutschen Nachhaltigkeitspreises sowie die über 60 Unternehmen, die sich am Deutschen Nachhaltigkeitskodex orientieren. Es könnten aber noch mehr werden. Also werde ich daran arbeiten, wo immer ich in der Wirtschaft Termine habe, dies auch deutlich zu sagen. Denn wir haben gerade im Zusammenhang mit der Integration von Migrantinnen und Migranten eine sehr breite Wirtschaftsteilnahme. Vielleicht könnten wir einfach auch einmal solche Initiativen nutzen, um auch die Initiative des Deutschen Nachhaltigkeitskodex noch bekannter zu machen. Denn ich vermute, manch einer würde vielleicht mitmachen, wenn er mehr davon gehört hätte. Ich werde mich dem widmen und, wenn ich nächstes Jahr wiederkomme, Bericht erstatten. Dieser Kodex ermöglicht Unternehmen, ihr Nachhaltigkeitsengagement transparent, vergleichbar und damit auch anschaulich für Investoren und Konsumenten darzulegen. Ich glaube, dass dieses Konzept überzeugt, denn der Kodex findet auch über die deutschen Grenzen hinweg in Europa großes Interesse. Wenn wir mit gutem Beispiel vorangehen, wäre das eine Möglichkeit, auch die europäische Dimension zu stärken.

Was die öffentliche Hand anbelangt, so findet die Bundesregierung in den Ländern immer stärker werdende Nachhaltigkeitspartner. Mehr als zwei Drittel der Bundesländer haben bereits eigene Nachhaltigkeitsstrategien entwickelt. Und schließlich – dafür bin ich genauso dankbar wie bei den Ländern – beweisen auch viele Kommunen Kreativität, wenn es darum geht, Nachhaltigkeit vor Ort zu leben. Das zeigt uns also: Es gibt ein breites gesellschaftliches Engagement. Denn anders wäre es auch nicht denkbar, dass sich Deutschland seit mehr als einem Jahrzehnt an einer Nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ausrichtet.

Ein zentrales Projekt – und damit steht und fällt auch das, was Kofi Annan gesagt hat – ist natürlich die Energiewende. Wenn sie uns gelingt, wird sie einen starken Impuls in Richtung vieler Länder haben. Allerdings sind nicht alle Länder, die uns beobachten, davon überzeugt, dass es gelingt. Deshalb hat sich die Bundesregierung auch in der Großen Koalition die zentrale Aufgabe gestellt, mit dem ersten Schritt einer Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes die Grundlage für den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien so zu schaffen, dass die Trias aus Bezahlbarkeit, Umweltfreundlichkeit und Versorgungssicherheit berechenbar eingehalten werden kann.

Wir haben im Grunde einen Qualitätssprung durchlaufen: Die erneuerbaren Energien sind nicht mehr Nischenprodukt, sondern sind jetzt die stärkste, größte Säule der deutschen Stromversorgung. Ihr Anteil beläuft sich derzeit auf rund 25 Prozent. Nun müssen wir den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien planvoll steuern und gleichzeitig den dazu notwendigen Ausbau der Infrastruktur vorantreiben. Wir müssen aber auch den Kostenanstieg spürbar bremsen, um die Akzeptanz für die Energiewende zu erhalten. Und wir brauchen die notwendigen Ausnahmen für unsere energieintensive Industrie. Ansonsten würden Arbeitsplätze Schaden nehmen; und das wollen wir verhindern. Wir arbeiten daran, dass das Erneuerbare-Energien-Gesetz in seiner reformierten Form am 1. August dieses Jahres in Kraft treten kann.

In anderen Ländern wird unser Weg mit großer Aufmerksamkeit verfolgt; davon sprach ich. Auch die Europäische Kommission verfolgt alles mit großer Aufmerksamkeit. Wir müssen dafür werben, dass wir einerseits nicht die Prinzipien des europäischen Binnenmarkts gefährden, aber auch dafür, dass die Investitionen in eine Energiewende natürlich auch eine bestimmte Unterstützung brauchen. Ansonsten werden wir das nicht schaffen. Für uns sind europaweite Klimaschutzziele und Reduktionsziele von großer Wichtigkeit, denn wenn um uns herum niemand einen ähnlichen Weg geht, wird es für uns zumindest nicht leichter.

Was die Innovationsfähigkeit anbelangt – eben auch für das Gelingen der Energiewende brauchen wir eine hohe Innovationsfähigkeit –, so haben wir uns weiter verpflichtet, drei Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts in Forschung und Entwicklung zu stecken. Damit gehören wir in Europa zur Spitzengruppe. Allerdings gibt es weltweit Länder, die vier Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Innovation ausgeben. Also sollte man sich hierzulande wirklich an das Drei-Prozent-Ziel halten, um überhaupt noch in der Spitzengruppe zu bleiben. Für uns bedeutet das einerseits materielle Investitionen, andererseits aber auch, sich um den wissenschaftlichen Nachwuchs zu kümmern. Angesichts unserer demografischen Herausforderungen wird das in den nächsten Jahren von zusätzlicher Wichtigkeit sein.

Der Bund wird für Betreuung und Bildung – von der Kita bis zur Hochschule – in dieser Legislaturperiode zusätzlich zu den drei Milliarden Euro mehr für die Forschung auch sechs Milliarden mehr im Bildungsbereich zur Verfügung stellen und Länder und Kommunen dementsprechend entlasten. Sie werden gelesen haben, dass wir das BAföG komplett übernehmen und damit zu erreichen hoffen, dass die Länder stärker in die Hochschulen investieren können, um die Unterschiedlichkeit der Entwicklung von außeruniversitären und universitären Forschungsgegebenheiten möglichst einzudämmen. Es wäre falsch, wenn wir nur im außeruniversitären Bereich mehr Investitionen hätten; wir brauchen sie auch im universitären Bereich. Dies ist eine Investition in die Zukunft; und diese tätigen wir nach unserem Maßstab der Haushaltskonsolidierung.

Wir steuern einen ausgeglichen Haushalt an und nutzen Haushaltsspielräume für gezielte wachstumspolitische Impulse. Wir wollen 2015 einen ausgeglichenen Haushalt haben. Das ist ein sehr ehrgeiziges Ziel, aber das ist unsere Planung. Wir sehen uns dabei in der Überzeugung bestätigt, dass Konsolidierung und Wachstum einander bedingen und sich nicht gegenseitig ausschließen. Es ist wichtig, dass wir Wachstum haben, um auch weiterhin gute Erwerbstätigenzahlen in Deutschland zu haben, die wiederum eine große Sicherheit für unsere sozialen Sicherungssysteme bringen und auch dazu geführt haben, dass die Steuereinnahmen angestiegen sind. Beschäftigung, Wachstum und Haushaltskonsolidierung passen also aus unserer Sicht sehr gut zusammen.

Wir haben eine Diskussion, die im Nachhaltigkeitsrat sicherlich mit Interesse verfolgt wird, über die Frage: Was dürfen wir uns im sozialen Bereich zutrauen und was nicht? Wir haben insbesondere, was das Spannungsverhältnis von Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit anbelangt, eine sehr intensive Diskussion zu Rentenfragen geführt. Ich wäre daran interessiert, zu erfahren, was Sie darüber denken, unabhängig davon, dass es eine sehr große Zustimmung dazu gibt, dass langjährig Beschäftigte nach 45 Beitragsjahren schon mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen können. Ich glaube, dass es richtig ist, dass man das sehr intensiv diskutiert, aber ich will hinzufügen, dass wir es gerade auch in langfristiger Hinsicht für vertretbar halten, dass wir generell den Anstieg der Lebensarbeitszeit auf 67 Jahre beibehalten und jetzt auch eine Regelung getroffen haben, nach der es für die, die freiwillig jenseits des 65. Lebensjahres bei ihrem bisherigen Arbeitgeber weiterarbeiten wollen, leichter möglich wird, dies zu tun. Dennoch wird die kontroverse Diskussion über diese Frage natürlich anhalten.

Meine Damen und Herren, es deutet sich schon an – das hat auch etwas mit Lebensqualität und gutem Leben zu tun –, dass das Zeitmanagement in der Arbeitswelt auch beim Thema Vereinbarkeit von Beruf und Familie an Bedeutung zunehmen wird. Das heißt, wir werden individueller denken müssen, wir werden flexibler denken müssen. Viele Tarifverträge nehmen bereits eine Vorreiterrolle ein, was Arbeitszeitkonten und Ähnliches anbelangt. Wir werden zudem mehr Erwerbstätigkeit der Frauen auch in der Familienphase haben und damit gleichzeitig eine gewisse Bewegung in die Richtung, dass Väter mehr Familienpflichten übernehmen. Ich denke, das ist gelebte Gleichberechtigung, auch wenn sich manch einer erst daran gewöhnen muss.

Meine Damen und Herren, um unsere wirtschaftliche Entwicklung nachhaltig, auch was die Beschäftigungssituation und die Verfügbarkeit von Erwerbstätigen anbelangt, zu sichern, haben wir eine Vielzahl von Aktivitäten entfaltet, um auch ausländische Fachkräfte zu gewinnen bzw. die Berufsabschlüsse derjenigen, die schon jahrelang bei uns leben, besser anzuerkennen. Wir sind jetzt so gut wie fertig mit der Umsetzung des Anerkennungsgesetzes von ausländischen Abschlüssen. Ich denke, es war vor zwei Jahren höchste Zeit, dass ein solches Gesetz in Kraft getreten ist. Wir werden natürlich auch unsere Demografiestrategie in Richtung Fachkräftesicherung weiterentwickeln.

Meine Damen und Herren, eine Entwicklung, die die gesamte Gesellschaft in Bezug auf Nachhaltigkeit betrifft, erfordert natürlich in jedem einzelnen Fall auch Antworten, die von der gesamten Gesellschaft mitgetragen werden. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die Deutschen Aktionstage Nachhaltigkeit vom 23. bis 29. Juni wieder deutlich machen werden, dass Nachhaltigkeit ein gesamtgesellschaftliches Thema ist. Der Nachhaltigkeitsrat hat das initiiert. Auch die Bundesregierung wird sich an diesen Nachhaltigkeitstagen beteiligen. Wir finden es gut – und das ist ja schon die Implementierung dessen, dass das auch über die deutschen Grenzen hinaus erfolgt –, dass etwa auch in Frankreich und Österreich ähnliche Aktionswochen durchgeführt werden. Und vielleicht ist es ja eine Überlegung wert, unsere Aktionstage mit vergleichbaren Aktivitäten anderer Staaten zu verbinden.

Dem Jahr 2015 wird eine zentrale Bedeutung zukommen, da wir gegen Jahresende die Verhandlungen zum neuen Klimaschutzabkommen in Paris haben werden. „Kopenhagen“ steckt uns allen noch in den Knochen. Insofern müssen wir dafür sorgen, dass „Paris“ ein Erfolg wird. Wir wollen deshalb in der Europäischen Union mit gutem Beispiel vorangehen und diskutieren derzeit über unsere Klima- und Energieziele für 2030. Bis Oktober wollen wir die Beschlüsse hierzu als klares politisches Signal für die französische Präsidentschaft der Klimakonferenz fassen. Dazu wird auch Deutschland seine G7- oder G8-Präsidentschaft nutzen – in welchem Rahmen auch immer das sein wird; das ist jetzt nicht voraussehbar. Jedenfalls werden wir unsere Präsidentschaft nutzen, um international dafür zu werben, dass wir bei den Klimaverhandlungen auch wirklich vorankommen.

Wir haben 2015 eine zweite große Aufgabe. Sie dreht sich um die Frage: Wie geht es weiter mit den Millenniumsentwicklungszielen? Diese werden 2015 enden. Es ist absehbar, dass wir viel geschafft, aber nicht alles erfüllt haben werden. Das heißt, wir müssen darauf achten, einen klaren Plan aufzustellen. Wie werden die Millenniumsziele, die nicht erfüllt sind, dann noch umgesetzt? Und wie heißt die Agenda danach? Beim UN-Gipfel in New York im Jahr 2015 wird es also darum gehen, eine ambitionierte Post-2015-Agenda für nachhaltige Entwicklung aufzustellen. Ich werde mich auch im Rahmen unserer Präsidentschaft bei G7/G8 sehr intensiv dafür einsetzen, dass die Vorarbeiten, die unter anderem von Bundespräsident a. D. Horst Köhler in der vom UN-Generalsekretär eingesetzten Gruppe in umfassender Weise geleistet wurden, auch wirklich umgesetzt werden. Das wird eine nicht ganz einfache Aufgabe.

Ich sehe vor allem vier Schwerpunkte für eine Agenda nach 2015, die eng zusammenhängen: Bekämpfung von Hunger und Armut, der Schutz und die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen, Arbeitsplätze mit angemessenem Einkommen durch ökologisch nachhaltiges Wachstum sowie gute Regierungsführung. Alle vier Bereiche hängen aufs engste miteinander zusammen. Wir erleben immer wieder, dass unser Einsatz im Rahmen der Entwicklungspolitik für nachhaltige Entwicklung keine oder wenige Chancen auf Erfolg hat, wenn er nicht mit guter Regierungsführung kombiniert wird. Wir erleben, dass die Bevölkerung auch in den Ländern, in denen wir Entwicklungsarbeit leisten, gerade auch mithilfe der Möglichkeiten des Internets immer mehr Transparenz und Klarheit gewinnt, sodass immer mehr auch seitens der einheimischen Bevölkerung eine gute Regierungsführung eingefordert wird. Wir wollen, dass das Bundesentwicklungsministerium auch verstärkt darauf hinarbeitet.

Bundesentwicklungshilfeminister Müller entwickelt derzeit zusammen mit den Vertretern der deutschen Zivilgesellschaft eine nationale Zukunftscharta, was ich für sehr, sehr wichtig halte. Das Motto dieser Charta „Eine Welt – unsere Verantwortung“ appelliert an unser aller Verantwortungsbewusstsein, zum Beispiel wenn es darum geht, als Gegenleistung für faire Arbeitsbedingungen einen fairen Preis für Produkte zu zahlen. Dramatische Beispiele liefert ja die Textilindustrie in einigen Entwicklungsländern.

Wir werden unsere nächsten G7-Gipfel in wenigen Tagen in Brüssel und im Jahr 2015 im Schloss Elmau in Bayern abhalten. Ich sage jetzt schon, unsere Diskussionsschwerpunkte werden unter anderem die Post-2015-Agenda und die Frage des Klimaschutzes sein. (Kinderlachen im Saal) – Ich werte das als Zustimmung der jüngeren Generation.

Wenn wir über globale Herausforderungen sprechen, dann ist das, was ich bis jetzt genannt habe, sicherlich wichtig. Aber wir haben auch gesehen: Eine nicht nachhaltige Entwicklung in einem Wirtschaftsbereich, nämlich im Finanzsektor, kann jahrelange Bemühungen um Nachhaltigkeitsverbesserung in Windeseile wieder zunichte machen. Deshalb zähle ich auch in diesem Jahr eine stabile Finanzmarktarchitektur zu den wesentlichen Herausforderungen, wenn Globalisierung im nachhaltigen Sinne gelingen soll.

Hierbei haben wir zwar schon einiges erreicht. Wenn wir aber in diesem Herbst in Australien zum G20-Gifpel zusammenkommen, dann muss und wird die Regulierung der Schattenbanken das zentrale Thema sein. Hierbei haben wir längst noch nicht genug erreicht. Die Gefahr, dass bei einer zwar verbesserten Regulierung der Banken alle Risiken in die Schattenbankenbereiche auswandern, ist nicht nur theoretisch, sondern sie wird mir von Experten auch als ganz praktisch beschrieben. Deshalb müssen wir sagen, dass wir in diesem Bereich noch ein ganzes Stück von unserem Anspruch entfernt sind, jedes Finanzprodukt, jeden Finanzplatz und jeden Finanzmarktakteur auch wirklich einer Regulierung zu unterwerfen.

Deutschland wird mit diesem Thema einen Schwerpunkt setzen, wenngleich ich Ihnen berichten muss, dass das weltweite Interesse mit zunehmendem zeitlichen Abstand zur internationalen Finanzkrise leider nachlässt und man daher das Thema immer sehr hart pushen muss. Deshalb würde ich mich an dieser Stelle, so wie Sie sich über meine Unterstützung freuen, auch über Ihre Unterstützung freuen, die sich ja im Beifall schon ausgedrückt hat. Aber es ist extrem schwierig, international voranzukommen. Wir erleben, dass mit einem gewissen Abstand auch das gemeinsame Regulierungsfeld sozusagen mit einer ähnlichen Wettbewerbssituation wie vor der Krise schon wieder zu zerbröseln droht. Das muss man also ganz klar im Auge haben.

Meine Damen und Herren, gerade in diesem Jahr, 2014, wird uns manches von unserer Verantwortung für die Welt in besonderer Weise bewusst, weil es ein so symbolträchtiges Gedenkjahr ist: Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren, Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren, Mauerfall vor 25 Jahren. Damals, im Jahr 1989, sprach der sowjetische Präsident Michail Gorbatschow vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats von einem „gemeinsamen Haus Europa“.

Heute aber sehen wir in der Ukraine und an der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim leider Entwicklungen, die nach Destabilisierung und nach Gegensätzen aussehen. Die Präsidentschaftswahl in der Ukraine konnte erfreulicherweise einigermaßen vernünftig ablaufen. Die OSZE hat diese Wahl als rechtmäßig eingestuft. Aber wir haben noch viel Arbeit vor uns. Der Unterschied zu früheren Zeiten heißt: Wir führen Gespräche, wir suchen eine Lösung über Gespräche. Aber wir stehen auch zu unseren Werten. Die Erhaltung der territorialen Integrität ist ein Fundament, ein zentraler Pfeiler der europäischen Nachkriegsordnung. Deshalb verlaufen diese Gespräche zum Teil auch kontrovers. Wir stehen seitens der Europäischen Union bereit, die Ukraine auf einem schwierigen Weg zu unterstützen. Und wir wollen weiterhin dafür werben, auch wenn wir viel Europaskepsis bei den europäischen Wahlen gesehen haben, dass dieses wunderbare Projekt Europa weltweit Schule macht. Es ist nach jahrhundertelangen Kriegen und Auseinandersetzungen gelungen, sich die Hände zu reichen, Gräben zu überwinden und ein europäisches Friedens- und Freiheitswerk zu entwickeln.

Die gute Botschaft für das Thema Nachhaltigkeit heißt natürlich: Gemeinsam bringen wir Europäer sehr viel mehr Gewicht auf die Waagschale, wenn wir unsere Positionen gemeinsam erklären und durchsetzen wollen. 500 Millionen Einwohner der Europäischen Union sind zwar aus deutscher Perspektive viel; unabhängig davon, dass aus unserer Sicht die Europäische Union mit 28 Mitgliedstaaten auch ein sehr kompliziertes Gebilde zu sein scheint. Aber gemessen an den über sieben Milliarden Einwohnern auf der Welt sind wir immer noch eine deutliche Minderheit. Wir sind nicht einmal mehr zehn Prozent der Einwohnerschaft der Welt. Deshalb wird die Frage, ob Europa Einfluss auf der Welt behält – ja oder nein –, ganz wesentlich auch davon abhängen, wie wir es schaffen, wirtschaftlich erfolgreich zu leben und trotzdem nachhaltig zu leben und anderen Kontinenten keine Entwicklungschancen zu rauben. Deshalb sehe ich auch keinen Widerspruch zwischen einer Wachstumsstrategie für Europa 2020 und einer EU-Strategie für eine nachhaltige Entwicklung.

Meine Damen und Herren, meine Darlegungen haben gezeigt: Es liegt noch viel Arbeit vor uns; und nicht selten steckt die Tücke im Detail. Deshalb möchte ich zum Abschluss noch einmal danke sagen, weil es Ihnen gelungen ist, trotz unterschiedlicher Perspektiven im Nachhaltigkeitsrat das Gesamtthema doch so zu platzieren, dass unterschiedliche Bewertungen bestimmter einzelner Phänomene niemals dazu geführt haben, dass das Ganze auseinanderbricht, sondern dass man sich dem gemeinsamen Ziel verpflichtet fühlt.

International wird sicherlich die schwierigste Aufgabe sein, das deutlich zu machen, was Kofi Annan gesagt hat: dass Wohlstand und Nachhaltigkeit keine Gegensätze sind. Deshalb ist es so wichtig, dass wir, die wir im Zuge unserer Industrialisierung in Deutschland und in Europa schon viele Ressourcen verbraucht haben, dazu bereit sind, jetzt auch Wege zu gehen, neue Wege zu gehen – Beispiel Energiewende –, die deutlich machen: Man kann auch anders in Wohlstand leben. Deshalb ist die Energiewende nicht nur ein Projekt, das technisch und innovatorisch große Aufmerksamkeit von uns verlangt. Es ist nicht nur etwas, das im Kern die Menschen in Deutschland wünschen, sondern es ist auch ein Verantwortungsprojekt für andere in der Welt, die heute um ihren Wohlstand kämpfen. Und je besser das klappt, umso schneller wird das auch von anderen übernommen werden und umso besser steht es um die Nachhaltigkeit.

Herzlichen Dank für Ihre Arbeit. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Alles Gute und auf eine weiterhin gute Zusammenarbeit.