in Berlin
Sehr geehrter Herr Professor Turner,
sehr geehrter Herr Professor Mlynek,
sehr geehrter Herr Professor Eissenhauer,
Exzellenzen,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
Nachdenken, Umdenken, Vorausdenken – dazu haben Sie sich hier eingefunden. Inspiration dazu bietet auch die monumentale Installation von David Chipperfield, den ich natürlich auch ganz herzlich begrüße. Ich heiße Sie alle in Berlin, dieser Stadt, die Geschichte geschrieben hat, willkommen.
Die Falling Walls Conference verbindet auf besondere Weise Vergangenheit und Zukunft. Sie verbindet das Gedenken an den Mauerfall vor nunmehr 25 Jahren mit der Vorausschau, welche Grenzen sich heute und morgen überwinden lassen. Sie verbindet Erfahrungen und die Hoffnung auf ein gutes, ja, besseres Leben in Zukunft – eine Hoffnung, die auch und besonders durch Wissenschaft und Forschung genährt wird. Die Falling Walls Conference lenkt damit den Blick auf eine wesentliche Voraussetzung und Triebkraft menschlichen Handelns. Dies war, ist und bleibt Freiheit.
Morgen feiern wir den 25. Jahrestag des Mauerfalls. Dieser Tag führt uns vor Augen, dass sich der menschliche Drang nach Freiheit nicht auf Dauer unterdrücken lässt. Im Laufe des Schicksalsjahres 1989 überwanden immer mehr Ostdeutsche ihre Angst vor staatlicher Repression und Schikane. Sie deckten den Wahlbetrug bei den Kommunalwahlen auf. Sie trafen sich in Kirchen, um sich offen auszutauschen. Sie gründeten Bürgerrechtsbewegungen und gingen mit ihren Forderungen auf die Straße.
Am 7. Oktober 1989 begingen die SED-Größen noch mit dem üblichen Pomp den 40. Geburtstag der DDR. Zugleich ließen sie Jagd auf friedliche Demonstranten machen. Trotzdem versammelten sich nur zwei Tage später Zehntausende in Leipzig zur Montagsdemonstration. Damit war sozusagen schon eine Grenze überschritten. Es gab kein Zurück mehr. Mehr und mehr Bürgerinnen und Bürger zeigten Zivilcourage. Ihrem Mut haben wir zu verdanken, dass sich zu guter Letzt die Schlagbäume an der innerdeutschen Grenze öffneten.
Die Sehnsucht nach Freiheit und Selbstbestimmung konnte – anders als noch 1953, 1956 in Ungarn, 1968 in der Tschechoslowakei, 1981 in Polen – nicht mehr niedergewalzt werden; weder in Ostdeutschland noch anderswo. Das menschliche Bedürfnis, das Schicksal in die eigene Hand nehmen zu können, ließ die menschenverachtende Teilung Europas und den Kalten Krieg Geschichte werden. Heute leben unter dem Dach der Europäischen Union rund 500 Millionen Bürgerinnen und Bürger aus 28 Mitgliedstaaten zusammen. Sie leben in Frieden und Freiheit zusammen. Manch anderer würde gern zu unserer Gemeinschaft gehören. Unser Miteinander ist die zukunftsweisende Antwort auf das Gegeneinander von einst.
Undenkbar geworden sind Zustände der Sprachlosigkeit, des grenzenlosen Misstrauens und kalten Vertrauens auf eine militärische Logik wie vor 100 Jahren, als der Erste Weltkrieg begann. Auch daran haben wir uns 2014 erinnert – ebenso wie an den Beginn des Zweiten Weltkriegs vor 75 Jahren. Beide Kriege forderten viele Millionen Tote – Soldaten wie Zivilisten. Sie legten unseren Kontinent in Schutt und Asche. Sie zogen eine Spur unsäglichen Grauens. Wir Deutsche werden nie vergessen, dass es unser Land war, das während der Zeit des Nationalsozialismus mit sämtlichen Regeln der Menschlichkeit brach. Aus dem Zivilisationsbruch der Shoa erwächst Deutschland eine immerwährende Verantwortung.
Nach all diesen Schrecken sollte Europa noch nicht zusammenfinden. Es folgte der Kalte Krieg. Deutschland, Europa und die Welt teilten sich in zwei Blöcke. Die Mauer mitten durch Berlin war Symbol dafür.
Vor 25 Jahren, an den Vortagen des 9. November 1989, mögen einige angesichts der anwachsenden Protestbewegung es vage für möglich gehalten haben, dass die Mauer fallen könnte. Dass es aber nur noch eine Frage von Stunden sein würde, konnte dennoch kaum jemand ahnen. Wer will, kann darin durchaus eine Parallele zur Wissenschaft sehen. Auch hier zeichnet sich einiges in groben Umrissen ab. Doch wann genau ein Durchbruch gelingt und – vor allem – wie er konkret aussieht und welche neuen Möglichkeiten er bietet, zeigt sich manchmal völlig überraschend.
Freiheit ist eine notwendige Voraussetzung und Motor dafür. Freiheit eröffnet neue Welten. Wer frei denken und forschen kann, dem erschließen sich größere Zusammenhänge, der erkennt neue Wege und ist frei, diese zu beschreiten. Oder wie der französische Schriftsteller André Gide feststellte: „Man entdeckt keine neuen Erdteile, ohne den Mut zu haben, alte Küsten aus den Augen zu verlieren.“ Ja, es braucht Mut, sich Freiheit zu erkämpfen. Und es braucht auch Mut, Freiheit zu nutzen. So will uns auch die Falling Walls Conference Mut machen – Mut, Mauern bisherigen Denkens zu überwinden, Schneisen zu schlagen und neue Perspektiven zu eröffnen.
Dass scheinbar Unüberwindliches doch überwindbar ist – dafür hat der diesjährige Chemie-Nobelpreisträger ein wunderbares Beispiel geliefert. An dieser Stelle möchte ich Herrn Professor Stefan Hell nochmals ganz herzlich zu seinem großartigen Erfolg gratulieren. Sein Forschungsschwerpunkt ist die sogenannte Nanobiophotonik. Seiner bahnbrechenden Arbeit ist zu verdanken, dass in der Mikroskopie nun Detailauflösungen möglich sind, von denen es hieß, sie seien unmöglich. Im Grunde machte er also sichtbar, was bislang unsichtbar war. Und so eröffnen sich nun im wahrsten Sinne des Wortes neue und tiefe Einblicke in lebende Zellen. Das hilft, Ursachen von Krankheiten besser zu verstehen und sie letztlich gezielt behandeln zu können.
Gerade am Beispiel der Gesundheitsforschung zeigt sich in aller Deutlichkeit, wie das Wissenschaftsniveau auch das Lebensniveau prägen kann. Das ist ja auch der Grund, warum oft große Hoffnungen auf der Wissenschaft ruhen. Damit sich viele dieser Hoffnungen erfüllen können, legen wir auch politisch einen Schwerpunkt auf die Förderung der Wissenschaften – im Gesundheitsbereich und in vielen anderen Bereichen.
Verstärktes Augenmerk legen wir im Gesundheitsbereich auf bisher vernachlässigte und armutsbedingte Erkrankungen. Denn gerade in der Gesundheitsforschung stehen entwickelte und forschungsstarke Länder wie Deutschland in einer internationalen Verantwortung. Deshalb haben wir dieses Thema auch zu einem Schwerpunkt unserer G7-Präsidentschaft gemacht.
Wenn ich das sage, dann erinnere ich auch an Ebola, die weite Teile Westafrikas heimsucht. Deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind daran beteiligt, nach Mitteln und Wegen zu suchen, um die Krankheit einzudämmen. Zur Wahrheit gehört aber auch: Wahrscheinlich hätten wir schon einen Impfstoff haben können, wenn wir in Zeiten, als diese Epidemie noch nicht so ausgeprägt war, genug Augenmerk darauf gerichtet hätten.
Meine Damen und Herren, ich könnte Ihnen jetzt viel darüber erzählen, was wir in der Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern tun, um Wissenschaft immer wieder nach vorne zu bringen. Das will ich hier im Einzelnen nicht tun, sondern nur sagen, dass uns immer wieder der Gedanke leitet: Nur wenn wir neue Wege gehen, nur wenn wir bereit sind, eingefahrene Spuren zu verlassen, und Menschen ermutigen, dies zu tun, dann werden wir unseren Wohlstand erhalten und mehren können.
Meine Damen und Herren, die Falling Walls Conference bietet ohne Zweifel auch eine herausragende Gelegenheit, für die deutsche Wissenschaftslandschaft zu werben. Ich mache keinen Hehl daraus: Wir würden uns freuen, wenn noch mehr Spitzenforscherinnen und Spitzenforscher aus dem Ausland nach Deutschland kämen, um hier zu forschen. Unsere Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen haben viel zu bieten. Wir werden uns nicht damit begnügen, unseren Ruf als Land einstiger Dichter und Denker zu pflegen. Wir sind hier zwar heute in einem Museum, aber nicht zu dem Zweck, den Blick nur zurückzuwerfen. Wir wollen uns auch einen festen Namen als Land der Vordenker machen.
Dabei wissen wir: Innovation made in Germany ist als glänzendes Gütesiegel ohne Freiheit nicht denkbar. Das gilt auch schon mit Blick auf die Ausbildung. In der früheren DDR waren zum Beispiel viele vom Studium ausgeschlossen, obwohl sie vielversprechende Talente mitgebracht hätten. Ein freiheitlicher Staat hingegen setzt auf individuelle Neigungen und Fähigkeiten.
Wir freuen uns über Querdenker, über Menschen, die neue Wege gehen. Jeder soll seine Chance haben, aber jeder soll diese Chance auch nutzen. Das erst macht ein Land menschlich, das erst macht ein Land dauerhaft erfolgreich. Das ist und bleibt Ziel und Maßstab zukunftsorientierter, vorausdenkender Politik. Hinzu kommt eine Vielzahl von Initiativen, in denen sich Menschen, die neue Wege gehen wollen, die Mauern überwinden wollen, zusammenfinden. Die Falling Walls Conference ist eine davon.
Ich wünsche Ihnen nicht nur heute einen schönen Abend, sondern auch morgen erfolgreiche Diskussionen. Ich heiße Sie alle nochmals herzlich willkommen.