Rede von Bundeskanzler Scholz anlässlich des Tages der Industrie am 19. Juni 2023 in Berlin

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Sehr geehrter Herr Russwurm,
meine Damen und Herren,

ich kann nahtlos dort anknüpfen, lieber Herr Russwurm, wo Sie gerade aufgehört haben. Sie haben völlig recht. Wir gehen durch außerordentlich stürmische, anstrengende und fordernde Zeiten, und zwar in Deutschland, in Europa und weltweit. Gerade schien die Coronapandemie überwunden, da überfiel Russland die Ukraine mit allen furchtbaren Folgen, die das für die Frauen und Männer in der Ukraine hat, aber eben auch mit den Auswirkungen auf unsere Sicherheit, unsere Wirtschaft und unsere Energieversorgung. Hinzu kommen geopolitische Unwägbarkeiten in einer zunehmend multipolaren Welt, dazu die Herausforderung, vor die der Klimawandel uns alle stellt, Stichwort: Transformation, und schließlich ‑ auch das haben Sie angesprochen ‑ der Mangel an Arbeitskräften, der sich verschärft, wenn die Babyboomer in den kommenden Jahren in Rente gehen und wir nichts gegen den Arbeitskräftemangel tun.

Das wirft die Frage auf, warum in den vergangenen Jahren so vieles liegen geblieben ist. Ich finde, zur Ehrlichkeit gehört: Der Status quo war bei vielen, auch vielen Unternehmen, ziemlich populär. ‑ Kein Wunder, wenn man bedenkt, welch eine Ausnahmezeit das vergangene Jahrzehnt, auch historisch betrachtet, war! Geld hat praktisch nichts gekostet. Die Globalisierung hat uns eine weltweite Arbeitsteilung just in time mit kontinuierlichem Wachstum bei hohen Löhnen und geringer Inflation in Europa und Nordamerika ermöglicht. Dank der Freizügigkeit in der Europäischen Union konnte unsere Wirtschaft von einem stetigen Zuwachs an gut ausgebildeten Arbeitskräften profitieren.

Dass eine solche Ausnahmezeit nicht ewig währen würde, war eigentlich klar. Umso wichtiger ist, dass wir in den vergangenen Monaten vom Reden ins Handeln gekommen sind. So haben wir all die Horrorszenarien vermieden, von denen noch vor wenigen Monaten die Rede war. Vier oder fünf Prozent Rezession, Gas- und Stromabschaltungen in der Industrie, Energiepreise, die noch höher klettern als im vergangenen Sommer, keine einzige dieser Prognosen ist eingetreten, weil wir uns gemeinsam erfolgreich dagegengestemmt und weil wir etwas getan haben.

Nicht nur auf unserem klaren Kurs gegen die russische Aggression in der Ukraine hat der BDI die Bundesregierung stets unterstützt, sondern auch beim Einsparen von Energie. Sie, lieber Herr Russwurm, waren Mitglied der Konzertierten Aktion und auch der Expertenkommission Gas und Wärme. Sie haben an der Blaupause für die Energiepreisbremsen mitgewirkt, und Sie haben gemeinsam mit weiteren Verbandspräsidenten und Gewerkschaftsvorsitzenden die steuer- und abgabenfreie Inflationsausgleichsprämie entworfen, um die Härten der Inflation für die Beschäftigten abzufedern. Die Sozialpartner machen von der Prämie umfangreich Gebrauch. Sie stärkt die Kaufkraft in unserem Land. Der „gesellschaftliche Tisch der Vernunft“, wie der ehemalige Finanzminister Karl Schiller die Konzertierte Aktion einmal nannte, hat gute Arbeit geleistet. Für all diese Unterstützung, für diese enge Zusammenarbeit in fordernden Zeiten sage ich heute ganz herzlichen Dank.

Mit großen Hilfspaketen haben wir unser Land sicher durch die Coronapandemie und durch den vergangenen Winter geführt. Hinzu kommen die Milliardeninvestitionen in unsere Sicherheit, das Sondervermögen für die Bundeswehr. All das war richtig. Genauso richtig aber ist es, dass wir diese Ausnahmesituation nicht zum Normalfall werden lassen und dass wir nun Schritt für Schritt wieder zur fiskalpolitischen Normalität von vor der Coronakrise und vor der Energiekrise zurückkehren.

Dieser Logik folgt unsere Haushaltspolitik für die kommenden Jahre. Nach den krisenbedingten Milliardenausgaben führen wir die Ausgaben wieder auf ein Niveau zurück, mit dem wir vor den Krisen über Jahre hinweg gut zurechtgekommen sind. Ich weiß: Das ist nach den Ausnahmejahren vielleicht gewöhnungsbedürftig. ‑ Denn das erfordert klare Prioritäten. Sie haben solche angemahnt, Herr Russwurm. Genau diese Prioritäten setzen wir.

Priorität hat zunächst einmal die Sicherheit unseres Landes. Russland hat den Krieg nach Europa zurückgebracht. Deshalb stärken wir unsere Bundeswehr.

Priorität hat, dass wir klimaneutral werden und ein starkes Industrieland bleiben. Deshalb investieren wir in den Ausbau der erneuerbaren Energien, in neue Technologien, in umweltfreundliche Mobilität und klimafreundliche Gebäude.

Priorität hat, dass wir unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt bewahren, gerade in einer Zeit solch großer Veränderungen. Deshalb sorgen wir für soziale Sicherheit im Wandel, dafür, dass niemand vor unlösbare Aufgaben gestellt wird, nicht der Familienbetrieb und auch nicht die Mieterin, der Hausbesitzer, die Familie, der Industriearbeiter, der Rentner oder die Pendlerin mit ihrem Benziner.

Sicherheit, Klimaneutralität, Zusammenhalt, das sind die drei Prioritäten, die der Haushalt 2024 abbilden wird. Das heißt umgekehrt aber auch: Manche Subvention und manches Förderprogramm stehen auf dem Prüfstand. ‑ Daran wird es Kritik geben, da mache ich mir nichts vor. Hinter jeder Zuwendung steht schließlich ein Empfänger, hinter jeder Subvention ein Interesse. Aber nach beispiellosen Krisenjahren mit beispielloser Schuldenaufnahme ist es unsere Pflicht, unser Land solide in die Zukunft zu führen. Nur so erhalten wir uns und künftigen Generationen Spielräume, wie wir sie in den jüngsten Krisenzeiten nutzen konnten. Nur so ist das nachhaltig. Für diesen Kurs stehe ich. Diesen Kurs vertrete ich aus tiefer Überzeugung. Ich bin dankbar für die Unterstützung auch dafür seitens des BDI.

Unsere gute Zusammenarbeit in den vergangenen Monaten gibt Zuversicht für die Aufgaben, die vor uns liegen. Die größte davon ist ohne Frage die Transformation unserer Wirtschaft, unser Weg in die klimaneutrale Zukunft, und zwar als starkes Industrieland. Es stimmt, die Grundlage für Wirtschaftswachstum ist ein grundsätzlich freier Markt in einem verlässlichen politischen Rahmen. Für einen solchen Rahmen reicht es aber nicht, wie in der Vergangenheit ambitionierte Ziele in ferner Zukunft zu setzen. Politik hat auch die Aufgabe, den Bürgerinnen und Bürgern und den Unternehmen zu sagen, wie wir dorthin kommen.

Das tun wir. Deutschlands Transformationsplan steht. Drei große Kapitel gehören dazu.

Das erste Kapitel ist die Transformation unseres Energiesystems. Sie haben davon gesprochen. Wenn im Jahr 2030 morgens in den Fabriken die Arbeit losgeht, wird unser Strom zu 80 Prozent aus erneuerbaren Energien stammen. Dazu bauen wir die Erzeugungskapazitäten drastisch aus, und zwar auf 200 Gigawatt Photovoltaik, 115 Gigawatt Wind an Land, 30 Gigawatt Wind auf See, 10 Gigawatt Wasserstoffproduktion. Um das zu sagen: All die Entscheidungen, die dazugehören und die Sie angemahnt haben, werden jetzt getroffen und vorbereitet. Das gilt für das Wasserstoffnetz. Darüber sind wir auch im Gespräch mit der Wirtschaft weit vorangeschritten. Das gilt für die wasserstofffähigen Gaskraftwerke, von denen Sie gesprochen haben. Wir verhandeln nur noch mit der Kommission über die Genehmigung für das Gesetz, sodass alle Investitionen auf den Weg gebracht werden können. Denn so, wie Sie es gesagt haben, ist es. Wenn wir 2030 ‑ bei einigen Dingen Anfang der 30er-Jahre ‑ fertig sein wollen, dann müssen jetzt in diesem Jahr oder spätestens am Beginn des nächsten Jahres alle Entscheidungen getroffen sein, dann müssen milliardenschwere privatwirtschaftliche Investitionen getätigt werden, zum Beispiel in das Wasserstoffnetz und bezüglich der Frage der Erzeugung von Strom, wenn Sonne und Wind ihren Beitrag gerade nicht leisten können, weil er ja von Sonne und Wind abhängig ist. Genau das machen wir und werden es jetzt tun und nicht irgendwann.

Überhaupt ist das vielleicht ein ganz großer Wechsel in der politischen Vorgehensweise gegenüber früheren Jahren. Wenn ich mir die anekdotische Erzählung erlauben darf: Wenn ich als Anwalt einen Mandanten hatte, dann war die erste Frage darauf gerichtet, dass ich weiß, ob eine Frist abläuft. Wann muss das fertig sein? Es kann ja sein, dass er sich erst so spät aufgemacht hat, dass es noch am selben Tag ist. Es wäre schlecht, wenn man das einen Tag später herausbekommt. ‑ Ein wenig in der Art haben wir das jetzt als Prinzip für unser Land gemacht. Wenn wir sagen, dass wir 2030 die Ausbauziele erreicht haben wollen, dann bauen wir rückwärts alle Gesetze und alle Entscheidungen so um, dass wir 2030 fertig sein können. Genau das geschieht jetzt, und darum geht es für die Zukunft unseres Landes.

Das ist nicht nur eine klimapolitische und ökologische Notwendigkeit. Schon heute sind die Gestehungskosten von Energie aus Wind und Sonne deutlich günstiger als die aller anderen Energieformen. Wären wir beim Ausbau der Windkraft im Süden und Südwesten dort, wo wir im Norden und Osten schon stehen, und hätten wir bereits die erforderlichen Netze, dann hätten wir schon heute deutschlandweit deutlich geringere Energiepreise. Damit aus dem „hätten“ ein „haben“ wird, machen wir jetzt Tempo. Den dazu nötigen Turbo haben wir in den vergangenen anderthalb Jahren in unseren Transformationsplan eingebaut: über 7000 Quadratkilometer Fläche für Windräder ‑ das ist zehnmal die Fläche Hamburgs –, keine transformationsverschleppenden Gerichtsverfahren mehr, ein schnellerer, ökologischer und sinnvollerer Artenschutz, dazu eine bessere Verzahnung von Raumordnungs- und Planfeststellungsverfahren. Bei Übertragungsnetzen, bei Windkraftanlagen und auch bei Ersatzbrücken auf Autobahnen haben wir mit diesen Gesetzen schon jetzt eine Halbierung der Planungs- und Genehmigungszeiten möglich gemacht. Das wird genau so weitergehen. Das Deutschlandtempo der Transformation unseres Energiesystems ist Gesetz und wird es bald oder ist, anders ausgedrückt, verlässliche Realität.

Kapitel zwei des Transformationsplans ist die Dekarbonisierung der Industrie. Ausgangspunkt dafür ist meine feste Überzeugung, dass Unternehmen die besseren Unternehmer sind. Deshalb setzen wir bei Dekarbonisierung auf die Kräfte des Marktes. Der Weg, auf den wir uns als Mitgliedstaaten der Europäischen Union geeinigt haben, ist ein steigender, aber eben auch ein für alle transparenter und kalkulierbarer CO2-Preis. Ein solcher Preis löst klimaschonende Investitionen aus, und zwar ohne eine Vorgabe zu machen, in welche Technologien konkret investiert werden soll. Diese Entscheidungen treffen allein Sie, meine verehrten Vertreter der Unternehmen.

Übrigens ist Deutschland gerade zum zweitattraktivsten Land für Investitionen in erneuerbare Energien aufgestiegen, wie eine Studie internationaler Wirtschaftsprüfer zeigt. Wir haben China überholt. Vor uns liegen nur noch die USA.

Noch sind die klimapolitischen Ambitionen weltweit sehr heterogen. Solange das so ist, stellen wir sicher, dass es für unsere heimischen Unternehmen fair zugeht. Mit dem CO2-Grenzausgleich sorgt die EU international für ein „level playing field“. Das nützt ganz besonders der innovationsstarken deutschen Industrie. Zudem haben wir unter deutscher G7-Präsidentschaft den internationalen Klimaklub ins Leben gerufen. Es geht darum, die klimapolitischen Ambitionen weltweit zu koordinieren. Denn alle Länder gehen unterschiedliche Wege. Die Ziele sind auch dort überall sehr ambitioniert. Aber es muss ja zusammenpassen. Man sieht, dass das funktioniert. Die Zahl der Klubmitglieder steigt. Darunter sind viele aufstrebende Volkswirtschaften wie Indonesien, Vietnam, Argentinien, Kolumbien oder Kenia. Das zeigt: Nicht nur Deutschland und Europa sind auf dem Weg der Dekarbonisierung ihrer Industrie. ‑ Ich muss Ihnen nicht sagen, welche Wachstumschancen dann gerade für deutsche Unternehmen darin stecken, die bei klimafreundlichen Lösungen oft führend sind.

Das dritte Kapitel unseres Transformationsplans ist die Frage nach qualifizierten Arbeitskräften. Mit Stand von heute ist der Fachkräftemangel die wohl größte Wachstumsbremse für unser Land. Wenn man volkswirtschaftliche Studien betrachtet und alle Leute, die uns vorhersagen, es werde niemals gut werden, dann sieht man, dass der Fachkräftemangel das wichtigste Argument ist, dass sie dabei vortragen. Aber wir tun etwas dagegen. Zum einen unterstützen wir Unternehmen, die in die Aus- und Weiterbildung ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter investieren. Das ist unverändert eine große Ressource, die jeder und jede von Ihnen gut kennt. Ich bin immer wieder beeindruckt, was passiert, wenn Unternehmen langjährige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiterqualifizieren, die manchmal als Angelernte tätig waren, aber schon fachlich tätig sind. Ich bin immer wieder beeindruckt, was an Potenzial und Möglichkeiten daraus entsteht. Wir machen Eltern von kleinen Kindern bessere Betreuungsangebote, damit sie Arbeit und Familie idealer verbinden können.

Aber das alles wird uns nicht helfen und wird nicht ausreichen. Deshalb brauchen wir in Deutschland ein modernes Einwanderungsrecht. Wir haben mit den Gesetzen für ein Fachkräfteeinwanderungsrecht und seine Reform, die wir auf den Weg gebracht haben, jetzt die dazu notwendigen Weichen gestellt. Ich kann Ihnen exklusiv sagen, dass sich die gesetzgebenden Fraktionsmehrheiten heute Morgen schon gefunden haben, sodass das Gesetz zügig zustande kommt. Es wird erhebliche Verbesserungen und Innovationen mit sich bringen. Wir können, denke ich, sagen: Deutschland, das ohnehin eine ganz lange Geschichte von Umgang mit Zuwanderung in den Arbeitsmarkt hat, wird das Land sein, das das modernste Arbeitskräfteeinwanderungsrecht der Welt bekommt. Wir können uns mit allen modernen Gesetzgebungen überall auf unserem Planeten messen. Es ist dann an uns mit der Verwaltung und ihren unbürokratischen Prozessen und an Ihnen mit Ihren engagierten Entscheidungen, aus der Sache etwas zu machen. Aber es kommt jetzt. Das ist nichts, über das wir abstrakt reden. Ich finde es eine wirklich gute Sache, dass wir an das anknüpfen können, was wir in den letzten Jahren ohne allzu großes eigenes Zutun schon geerntet haben. Ich habe es eingangs gesagt. Die Zuwanderung durch die Freizügigkeit in der Europäischen Union hat uns geholfen. Sie hat uns hierher geführt. Ohne diese zusätzlichen Arbeitskräfte, die in den letzten zehn oder 15 Jahren nach Deutschland gekommen sind, wäre unsere wirtschaftliche Entwicklung nicht so gut verlaufen, wie es tatsächlich der Fall war. Jetzt aber reicht das nicht mehr, und wir müssen uns weiter in der Welt umschauen und müssen deshalb Regeln schaffen, die dazu führen, dass wir immer die Kontrolle über das Migrationsgeschehen behalten ‑ das ist klar ‑, die aber gleichzeitig den Unternehmen, den kleinen und mittelständischen Betrieben, dem Handwerker, der Handwerkerin und den großen Unternehmen die Möglichkeit gibt, ihre Anforderungen erfüllen zu können.

Ich will Ihnen gern zusagen, dass wir, wenn das Gesetz gemacht ist, über den Teil „unbürokratisches Handling“ und „schnell und zügig“ auch ununterbrochen nicht nur im Gespräch sein werden, sondern das auch zusammen hinbekommen. Wir haben das in Deutschland schon einmal geschafft, als die Arbeitskräftenot groß war, und wir werden es wieder schaffen, wenn wir das jetzt tun. Was, so denke ich, gut hilft: Die Einstellung in unserem Land ist die richtige dazu. Wir sind längst Einwanderungsland. Deshalb machen wir diese Reform. Das wird dazu beitragen, dass unsere Wirtschaft und unser Wohlstand weiter wachsen können.

Meine Damen und Herren, bei allem, was wir für die Transformation unserer Volkswirtschaft tun, operieren wir hier in Deutschland natürlich nicht im luftleeren Raum. Deutschland ist und bleibt eine der offensten und am engsten vernetzten Volkswirtschaften in der Welt. Darauf basiert unser Wohlstand. Zugleich nehmen wir zur Kenntnis, dass die Risiken gewachsen sind, zum Beispiel im Bereich der Halbleiter. Dort sind wir in der Vergangenheit in einseitige Abhängigkeiten geraten. Mit dem European Chips Act und dem Ziel der EU-Kommission, bis 2030  20 Prozent der weltweiten Halbleiterproduktion nach Europa zu holen, wird die Abhängigkeit Deutschlands und der EU verringert. Das klappt sehr gut. Jeder dritte Chip, der in Europa produziert wird, kommt aus Sachsen. Unternehmen wie Infineon und Wolfspeed investieren neu in Deutschland. Sie alle haben die Investitionsentscheidung vor Kurzem verfolgen können. Weitere sind in den Startlöchern. In Unternehmenszentralen weltweit werden neue Investitionspläne geschmiedet. Wenn sie alle so umgesetzt werden ‑ und daran arbeiten wir, übrigens auch heute wieder ‑, dann wird Deutschland zu einem der großen Halbleiterproduktionsstandorte weltweit. Das ist vielleicht einmal eine gute Botschaft in einer Zeit, in der sich alle ein bisschen angewöhnt haben, darüber zu reden, was alles nicht läuft. Tatsächlich läuft alles gerade auf Deutschland zu. Das ist eine gute Nachricht.

Durch solche Investitionen diversifizieren wir unsere Lieferketten und ermöglichen deutschen und europäischen Unternehmen, die von ihnen benötigten Chips in der EU zu besorgen. Es entstehen gute und zukunftsfähige Arbeitsplätze in einer innovativen Branche.

Die Bundesregierung treibt die Diversifizierung auch auf anderen Feldern weiter voran. Auch Lieferketten und die Versorgung mit strategisch wichtigen Rohstoffen müssen resilienter werden. Deshalb war es so wichtig, dass vom G7-Gipfel in Hiroshima ein ganz klares Signal ausging: „de-risking“, ja; „de-coupling“, nein. Nicht nur, weil morgen die deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen stattfinden, will ich hinzufügen: Diese Formel gilt ausdrücklich auch für China. ‑ In Hiroshima haben wir unsere Erwartungen klar formuliert, dass China den Status quo im Ost- und im Südchinesischen Meer nicht gewaltsam ändert und sich an die internationalen Regeln hält. Zugleich haben wir die Notwendigkeit betont, mit China in globalen Fragen zusammenzuarbeiten. Die G7 hat kein Interesse daran, Chinas wirtschaftlichen Aufstieg zu behindern.

Zugleich schauen wir genau hin, um gefährliche wirtschaftliche Abhängigkeiten zu vermeiden. Dazu gehört, wieder mehr heimische Rohstoffvorkommen zu erschließen. Den Bedarf unserer Volkswirtschaft an Rohstoffen wie Lithium und Kobalt für Batterien oder Iridium und Scandium für die Elektrolyse werden wir so allerdings nicht decken können. Durch Rohstoffpartnerschaften zum Beispiel mit Chile oder Aserbaidschan unterstützen wir deshalb Ihre Unternehmen dabei, neue Lieferketten aufzubauen. Daneben wollen wir weitere Partnerschaften aufbauen, zum Beispiel mit Indonesien.

Bei meinen Reisen in den zurückliegenden Monaten, bei meinen Gesprächen mit Partnern weltweit, wird eines immer mehr deutlich: Viele Länder sind reich an Rohstoffen, haben selbst aber zu wenig von diesem Reichtum. ‑ Den Förderländern nützt es, wenn zumindest die erste Verarbeitungsstufe dort vor Ort stattfinden kann. Uns hilft das bei der Diversifizierung unserer Lieferbeziehungen. Diese Idee gehört daher in die EU-Handelspolitik. Ich bin froh, dass wir dieses Bekenntnis zur Förderung der lokalen Wertschöpfung in Hiroshima auch im G7-Rahmen verankert haben.

Nicht überall auf der Welt sind die politischen Verhältnisse stabil genug, damit deutsche Unternehmen Investitionen im Ausland wagen. Was aus Sicht eines Betriebes als zu risikoreich erscheint, ist aber aus gesamtwirtschaftlicher Sicht oft dennoch wichtig. Deshalb unterstützt die Bundesregierung Unternehmen mit Investitionsgarantien. Gegenwärtig läuft ein Prozess, in dem wir die Bedingungen für solche Garantien anpassen und auf mehr Länder ausrichten.

Schließlich stärken wir die Resilienz unserer Rohstoffversorgung, unsere Lieferketten und den weltweiten Wohlstand, indem wir auf freien Handel setzen. Bei einer ganzen Reihe von Freihandelsabkommen sind wir dem Ziel deutlich näher gekommen. Mit dem Mercosur etwa, Mexiko, Australien, Indonesien und Kenia etwa und auch mit Indien, einem sehr wichtigen Partner, haben wir die Verhandlungen nach langer Pause endlich wieder aufgenommen. Mit Chile und Neuseeland sind die Verhandlungen erfolgreich abgeschlossen. Das Abkommen mit Kanada hat der Bundestag bereits ratifiziert. Auch hier kommen wir vom Reden ins Tun, und diese neue Dynamik gefällt mir.

Etwas zu tun, zu handeln, die Dinge in die Hand zu nehmen, das ist das Gebot in stürmischen, anstrengenden, fordernden Zeiten. Dass dies nach Jahren des Stillstands nicht ganz ohne Knirschen, ohne Kritik, ohne ein Ringen um den besten Weg abgeht, liegt, wie ich finde, auf der Hand.

In einem Interview vor einigen Tagen bin ich dazu befragt worden. Meine Antwort lautete:

„Hätten wir ein bisschen schneller angefangen, wären wir auch ein bisschen weiter. … wir haben gerade noch rechtzeitig die Kurve gekriegt, aber es quietscht ab und zu, weil die Kurve so scharf ist.“

Das Wort Zukunftswende, mit dem Sie den heutigen Tag der Industrie überschrieben haben, lieber Herr Russwurm, hätte gut dorthin gepasst. Denn genau das trifft es. Wir sind mitten in der Zukunftswende. Es ist gut, dass wir einen klaren Transformationsplan für unser Land haben. Es ist gut, dass wir danach handeln.

Schönen Dank für die Einladung! Ich freue mich auf die Diskussion.