Rede von Kulturstaatsministerin Claudia Roth anlässlich des European Month of Photography (EMOP) 2023

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Rede von Kulturstaatsministerin Claudia Roth anlässlich des European Month of Photography (EMOP) 2023

„Deutschland ist ein Land mit einer herausragenden Fototradition“, sagte Claudia Roth im Amtsalon Charlottenburg in Berlin. Sie finde es richtig, dass das Bundesinstitut für Fotografie dieser großen Tradition und Gegenwart Rechnung tragen und sie würdigen soll. In ihrer Rede stellte die Kulturstaatsministerin sechs zentrale Aufgaben vor, die die Gründungskommission nach ihrer Konstituierung in den Blick nehmen müsse.

Sonntag, 5. März 2023 in Berlin

Ein wichtiger Wegweiser der modernen Fotografie, Andreas Feininger, sagte einmal, „dass idealerweise ein Fotograf dem Betrachter mehr zeigen sollte, als er in Wirklichkeit zu sehen vermag.“ Mit diesem Satz erklärt er, was die Fotografie zur Kunst macht. Gleichzeitig ist das natürlich auch ein Anspruch, ein Ideal, dem man erst einmal gerecht werden muss. Denn die Fotografie ist ja nicht nur ein Medium im Wandel, sie ist ein Medium, vielleicht das Medium des Wandels. Sie unterliegt den Kräften, die sie gleichzeitig beherrschen will: dem Licht, der Zeit, der Bewegung. Kurz: künstlerische Fotografie verlangt Meisterschaft. Und es gibt dafür, auch nach Feininger, herausragende Beispiele. Künstlerinnen und Künstler, Journalistinnen und Journalistinnen und andere haben weltweit Bilder von zeitloser visueller Kraft und Ästhetik erschaffen und so die Fotografie als Kunstform etabliert. Aber nicht nur das, zugleich dokumentiert die Fotographie den Wandel, legt Zeugenschaft ab über gesellschaftliche Verhältnisse und soziale Realität.

Fotografie begleitet mich seit vielen Jahren. Ich verdanke ihr große Momente des Sehens, Erkennens und Staunens. Fotografie schafft es eben manchmal besser als Worte, ja, sogar eindrücklicher als das eigene Auge, die Dinge in ihrer eigentlichen Wucht darzustellen, die visuellen Erfahrungen zu komprimieren, zu destillieren. Gerade in den Momenten, in denen einem die Worte fehlen, kann ein Bild unmittelbar emotional vermitteln, worum es geht. Ich verdanke Fotografie den Blick für Details, die erst zusammen ein Bild ergeben. Den Blick für Farben und Schattierungen, den Blick für die Zeitlosigkeit eines fotografischen Moments. Eine Art des Sehens, die Voraussetzung ist für ein Verständnis von Freiheit und Demokratie, von Vielfalt der Kunst überhaupt, für ein Verständnis von Kunst. Deshalb setze ich mich so sehr gerne für die Belange der Fotografie ein.

Die Beschlüsse des Deutschen Bundestages zur Einrichtung des Instituts für Fotografie sind nun ein wichtiges Bekenntnis zur großen Bedeutung des Mediums. Das Institut gibt ihr ein institutionell getragenes Fundament, einen festen Standort in Deutschland. Und es sendet klare Botschaften in unser Land: Fotografie ist Kunst! Wie die Kunst im Allgemeinen kann, ja soll auch die Fotografie emotionalisieren, bewegen, kritisch beleuchten. Fotografie ist bleibende Dokumentation dessen, was ist, was geschieht! Fotografie repräsentiert unsere Geschichte und unsere Gegenwart und öffnet Augen in die Zukunft! Fotografie kann Zuflucht bieten, kann ebenso beruhigen wie aufwiegeln. Kann sicher Geglaubtes ins Wanken bringen. Aber natürlich kann Fotografie auch Trauer und Leid vermitteln. Fotografie kann einen förmlich „umhauen“, kann Unbegreifliches begreifbar machen und ist deshalb so viel mehr als bloße Ästhetik; vor allem dort, wo Worte fehlen, wo Vertrauen und Verständnis längst verloren gegangen sind. Und das ist gerade wichtig in Zeiten, die geprägt sind von Krisen, von Konflikten, von Katastrophen. Es sind die Bilder, die sich uns einprägen, die sich uns einbrennen, die wir nie wieder vergessen werden. Die Bilder von Butscha, das Bild des Krieges, des entsetzlichen, grauenhaften Krieges. Wie das Bild des kleinen ertrunkenen Jungen Alan Kurdi. Es war ein Bild, das die Flüchtlingstragödie deutlich macht, deutlicher als alles andere. Das Bild des Eisbergs, friedlich, wunderschön. Das Bild aber auch der Traurigkeit über sein baldiges Verschwinden.

Ihre Wertschätzung – und die Wertschätzung aller Beteiligten, der Fotografinnen und Fotografen, der an den technischen Prozessen Beteiligten, der Kuratorinnen und Kuratoren sowie Sammlerinnen und Sammler in Museen, der Restautorinnen und Restauratoren, der Archivarinnen und Archivaren, das ist eine bundespolitische Aufgabe!

Und das heißt: Auch eine Aufgabe, die die föderale Kultur unseres Landes respektieren wird. Ich finde es richtig, und da weiß ich mich mit dem Deutschen Bundestag einer Meinung, dass das Bundesinstitut der großen Tradition und Gegenwart der Fotografie in Deutschland Rechnung tragen und sie würdigen soll. Es ist das Institut für Deutschland, das Institut für uns alle. Aber ob es nun am Rhein, an der Isar oder an der Elbe gegründet wird… - Halten wir uns in dieser Frage doch einfach an das, was der Deutsche Bundestag demokratisch entschieden hat und verstehen wir es als Aufforderung: Machen wir etwas daraus!

Eine neue Institution in unserer Zeit zu gründen, ist nicht so leicht. Eine neue kulturelle Institution ist eine große Herausforderung für die Politik. Ich weiß und verstehe, dass der Weg, den das Vorhaben in der vergangenen Legislaturperiode genommen hat, weder reibungs- noch schmerzfrei war. Und das wirkt noch nach, offene Wunden sind da. Ja, das weiß ich. Aber ich möchte Sie, ich möchte alle einladen, dieses Institut nun gemeinsam zu einem großen Erfolg zu führen. Das Potenzial ist enorm. Für die Fotografie. Für die Fotografie in Deutschland. Für uns alle.

Gerade weil die mit der Entscheidungsfindung verbundene Standort-Debatte das eigentliche Vorhaben in den vergangenen Jahren immer wieder überlagert hat, sollten jetzt die Inhalte im Vordergrund stehen. Mit der Besetzung der Gründungskommission wollen wir mit einer breiten fotografischen Expertise aus den unterschiedlichsten Bereichen erreichen, dass ein solides Fundament für das Bundesinstitut geschaffen wird. Wir stehen zurzeit in engem Austausch mit dem Land Nordrhein-Westfalen, das das Ganze schon weit vorangetrieben hat, um die Zusammensetzung der Kommission sorgfältig abzustimmen. Mir ist wichtig, dass die Gründungskommission die Perspektive der Fotografinnen und Fotografen – und zwar ganz unterschiedlicher Fotografinnen und Fotografen mit unterschiedlichen Hintergründen – angemessen abbildet, aber auch über herausragende Fähigkeiten im Bereich der Foto-Technik, der Forschung und der Vermittlung verfügt. Nur so kann das Gremium seiner Aufgabe gerecht werden, auf der Grundlage der bereits bestehenden Konzepte die inhaltliche und strukturelle Ausrichtung des Bundesinstituts zu schärfen. Mit einigen von Ihnen durfte ich mich dazu schon unterhalten. Weitere Gespräche stehen an. Immer in enger Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Ländern und besonders meiner nordrhein-westfälischen Kollegin Kulturministerin.

Deutschland ist ein Land mit einer herausragenden Fototradition. Fotografie aus Deutschland ist wegweisend und populär. Sie hat als Sparte in den vergangenen Jahrzehnten an Popularität noch hinzugewonnen. Weltweit zeigen bekannte Museen und Ausstellungshäuser die Arbeiten deutscher Fotografinnen und Fotografen der Gegenwart und aus den verschiedenen Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts. Aber auch die Fototechnik hat – nicht zuletzt dank der hervorragenden Arbeit spezialisierter Foto-Labore – große Fortschritte erzielt. Auch hier wird das Fotoinstitut im Bereich der Konservierung, Restauration und Reproduktion anknüpfen. Zum Werk gehören seine Entstehungsgeschichte und natürlich seine Wirkung. Darum muss das künftige Institut für Fotografie die Frage beantworten, wie Pflege, Erhalt und Vermittlung der Substanz von Fotografie gewährleistet werden können. Daraus ergeben sich auch die Leitlinien und die Kernaufgaben des Instituts.

Sobald die Gründungskommission vollständig ist, wird sie sechs zentrale Aufgaben des Instituts in den Blick nehmen müssen:

- Erstens: Eine dieser Aufgaben ist das Sammeln von Vor- und Nachlässen in analoger und digitaler Form. Die Auswahl der Vor- und Nachlässe muss dabei der Vielschichtigkeit des fotografischen Arbeitens gerecht werden und unterschiedliche biografische Kontexte miteinbeziehen. In diesem Archiv soll nicht nur fotografisches Material zusammengetragen werden. Damit es zu einem „Tagebuch seiner Zeit“ werden kann, müssen auch gedruckte und handschriftliche Texte dazu kommen, mit anderen Worten alles, was notwendig ist, damit das Archiv einen wesentlichen Beitrag zum Verstehen der Entstehungsgeschichte leisten kann.

- Zweitens: Anspruchsvolle Technologien sind zum Erhalt des fotografischen Kulturguts unerlässlich. Konservierung und Restaurierung des empfindlichen analogen, aber auch des digitalen Materials und der „Zwischenformen“ benötigen das neueste Knowhow, das geteilt und weitervermittelt wird. Hier muss das Institut mit Expertise bestechen und Anlaufstelle für die Vermittlung dieses Wissens in Deutschland werden. Es geht dabei um Konservierung und Restaurierung, aber auch um den Schutz dieses Kulturguts. Weil wir gerade, gar nicht soweit weg von hier, erleben wie in einem Krieg systematisch und gezielt Kultureinrichtungen wie Museen, wie Archive, wie Theater, wie Ausstellungsräume, wie Bibliotheken angegriffen und zerstört werden, um kulturelle Identität zu zerstören.

- Drittens: Die im Institut vorhandenen fotografischen und dokumentarischen Bestände sollen als Quellenmaterial der Forschung dienen. So wird auch auf Dauer eine lebendige Auseinandersetzung mit dem ästhetischen und historischen Gehalt der Werke garantiert.

- Viertens: Zu den Aufgaben des Instituts zählt auch die breite Vermittlung von Standardwissen über die Fotografie. Welche Form es dafür konkret braucht, darüber wird sicher noch zu reden sein. Aber es bedarf zur Vermittlung auch die öffentliche Präsentation von Fotografien und zu ihre jeweilige Kontextualisierung. Im gesamten Bundesgebiet stehen Museen und Ausstellungshäuser zur Verfügung, die sich um die Präsentation von Fotografie verdient machen.

- Fünftens: Die Arbeit des künftigen Instituts ist inspiriert vom Netzwerk-Gedanken. Das bedeutet zum einen, dass die zahlreichen, bereits existierenden Sammlungen in den deutschen Museen fachlich unterstützt werden sollen. Zum anderen bedeutet es die Zusammenarbeit mit anderen nationalen und internationalen Einrichtungen. Denn gegenseitiges Lernen und Beratung im Bedarfsfall sind die Grundlagen der Kooperation. Und die Fotografie ist natürlich grenzüberschreitend.

- Sechstens: Das Institut muss nicht nur in die Vergangenheit und/oder von der Gegenwart her, sondern muss auch in die Zukunft gedacht werden. Es müssen natürlich bedeutende historische und aktuelle Konvolute von Fotografinnen und Fotografen gesichert werden. Es muss aber auch gewährleistet werden, dass die künftigen Produktions-, Rezeptions- und Gebrauchsformen der Fotografie mitgedacht werden. Denn, wie eingangs gesagt, die Fotografie ist das Medium des Wandels. Das Institut muss, um ein lebendiger Ort zu sein, dieser Lebendigkeit Rechnung tragen, ihr Heimat geben.

An der Erfüllung dieser Aufgaben wird sich das Institut und zunächst auch die Gründungskommission messen lassen müssen. Ich freue mich darauf, dieses strahlende Vorhaben gemeinsam mit Ihnen voranzubringen. Ich sage bewusst noch einmal gemeinsam. Ich weiß, es haben sich über die vergangenen Jahre Fronten herausgebildet und auch verhärtet. Ich weiß, dass bereits die Begriffe belastet sind. Die Begriffe Bundesinstitut und Deutsches Fotoinstitut sind jeweils mit eigener Bedeutung aufgeladen. Nach der Entscheidung des Bundestages, nach dieser demokratischen Entscheidung, können und sollen wir uns endlich nun nach vorne bewegen, jetzt wirklich die inhaltliche Auseinandersetzung, die kreative Fantasie – was kann und was muss dieses Institut leisten - in den Vordergrund stellen. Ich möchte alle, die in diese Debatte viel Arbeit, viele Gedanken und viel Herzblut gesteckt haben, bitten und ermutigen, aufeinander zuzugehen. Dann geben wir der Fotografie den Ort, den sie verdient und den sie braucht.

Im Hier und Jetzt ist es aber erst einmal der European Month of Photography, der unsere Foto-Herzen höherschlagen lässt. Vielen Dank an all die Menschen, die dahinterstehen, allen voran an Maren Lübbke-Tidow, der künstlerischen Leiterin, und an Moritz van Dülmen von den Kulturprojekten Berlin. Sie setzen auch in diesem Jahr ein vielstimmiges Gespräch über das Medium und die Wirkmacht der Fotografie in Gang und begeistern ein breites Publikum für Fotografie.

Ich wünsche Ihnen anregende Gespräche.