Im Wortlaut
- Mitschrift Pressekonferenz
- Donnerstag, 29. Juni 2023
BK Scholz: Guten Morgen! Wir kommen hier zusammen, um in Brüssel jetzt zwei Tage lang über Fragen zu beraten, die uns gemeinsam bewegen. Das ist sehr wichtig, weil Europa unverändert herausgefordert ist durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine - mit all den furchtbaren Zerstörungen in der Ukraine und der hohen Zahl an Menschenleben, die dem Krieg bisher schon zum Opfer gefallen sind -, aber auch, weil das ein Anlass ist, sich darüber zu verständigen, wie wir unsere Unterstützung für die Ukraine weiter gemeinsam organisieren. Das wird auch wichtig sein, denn wir müssen uns darauf einstellen, dass das lange dauern kann. Deshalb ist es auch bedeutend, dass wir uns hier unterhaken und sagen: Wir sind bereit, das auch lange durchzuhalten, was an finanzieller und humanitärer Unterstützung für die Ukraine notwendig ist, aber auch, wenn es etwa um Waffen geht. Wir werden das auch mit Präsident Selensky diskutieren können, und das ist, glaube ich, auch ein ganz wichtiger Punkt.
Natürlich wird auch eine Rolle spielen, was in Russland stattgefunden hat. Es zeigt sich einmal mehr, dass es einfach unverantwortlich ist, militärische Gewalt in Privathände zu geben. Das ist bedrohlich, und was die Wagner-Söldner in dem Ukraine-Krieg gemacht haben, was sie in Afrika und an vielen anderen Orten der Welt machen, ist unverantwortlich, unverzeihlich, und damit sind viele Verbrechen verbunden. Das bedroht dann aber eben auch die Stabilität zum Beispiel eines Landes wie Russland; auch das haben wir gesehen. Wir haben das sehr genau beobachtet und uns, als sich die Ereignisse überschlugen, miteinander beraten. Klar war für uns immer, dass wir das nur beobachten können. Das ist etwas, das in Russland stattfindet und das nichts zu tun hat mit dem Handeln irgendeines anderen Staates. Es war auch wichtig, dass die Reaktionen der Staats- und Regierungschefs entsprechend ruhig waren - hier in Europa, aber auch unter den Verbündeten wie zum Beispiel auch den USA.
Für uns ist wichtig, dass wir gleichzeitig ein bisschen im Vorfeld des Nato-Gipfels mit dem Generalsekretär diskutieren, und wir haben die Gelegenheit, das vertieft zu tun. Auch das ist gut, weil die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und der Nato, die für die transatlantische Verteidigung wichtig ist, so bedeutend sind. Dass wir das jetzt und in dieser Situation tun, ist gut. Ich will auch im Hinblick auf den Nato-Gipfel noch einmal unterstreichen, dass ich unverändert hoffe, dass nach Finnland jetzt auch Schweden Mitglied der Nato wird. Das ist aus meiner Sicht ein ganz, ganz wichtiger Schritt.
Wir haben noch viele andere Punkte, die hier auf der Agenda stehen, die wichtig sind, aber da geht es vor allem darum, dass wir ein bisschen nach vorne blicken, etwa wenn es um die wirtschaftliche Souveränität unseres Kontinents und Europas geht, dass wir stark sind in den Dingen, die für die Zukunft wichtig sind.
Wir werden auch über Fragen von Migration diskutieren. Dazu sind bei den Innenministern aber Entscheidungen getroffen worden, die eine gute Grundlage sind für das, was wir hier zu tun haben, sodass das hier eigentlich mehr ein Schritt der Konsolidierung von Meinungsbildungen ist, die schon stattgefunden haben.
Frage: Dass die Wagner-Truppen nach Belarus gehen, gefährdet das die Sicherheit von … (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich)?
BK Scholz: Wir müssen genau beobachten, was da geschieht und in welcher Dimension das der Fall ist. Auf alle Fälle gibt es ja Klarheit über das, was wir einander schulden. In der Nato haben wir uns Beistand versprochen. Jeder Angriff auf Nato-Territorium ist eine Sache, die wir gemeinsam beantworten werden; deshalb können sich auch alle darauf verlassen.
Gegenwärtig ist es unsere Aufgabe, genau hinzuschauen, ob da etwas geschieht oder nicht, so wie wir das ja auch in der Vergangenheit sehr genau getan haben, als etwa die verschiedenen Versuche unternommen wurden, aus Belarus heraus Destabilisierung in Europa zu organisieren.
Frage: Braucht die EU eine Strategie für ein instabiles Russland? Wenn ja, was sollte die Strategie sein?
BK Scholz: Wir brauchen eine Strategie, wie wir die Ukraine beim Kampf für Unabhängigkeit, Integrität und Souveränität unterstützen. Das ist das, was wir auch tun. Ich habe bereits eingangs gesagt, dass es darauf ankommt, dass wir bereit und in der Lage sind, das lange zu machen. Deutschland ist ja, wie Sie alle wissen, gegenwärtig der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine nach den USA. Das ist, was wir auch als unsere Aufgabe begreifen. Wir haben sehr relevante Unterstützung auch bei der Verteidigung ermöglicht, indem wir eben Artillerie geliefert haben - auch sehr weitreichende und effiziente - und indem wir insbesondere bei der Luftverteidigung mit sehr wirksamen Waffen unterstützen, und das werden wir auch weiter tun.
Für uns ist immer klar - das knüpft an das an, was ich aus dem Gespräch mit Präsident Biden, dem britischen Premierminister und dem französischen Präsidenten sowie auch aus einem Gespräch mit dem polnischen Ministerpräsidenten berichten kann -, dass wir nicht Partei dessen sind, was in Russland geschieht. Dieses Problem hat sich Putin selbst herangezogen. Wir können das nur beobachten. Unser Ziel ist nicht ein Regierungswechsel, ein „regime change“ in Russland. Unser Ziel, das wir verfolgen, ist eine unabhängige Ukraine.
Frage: … (ohne Mikrofon, akustisch unverständlich) Wie könnten diese Sicherheitsgarantien für die Ukraine aussehen?
BK Scholz: Wir als Staaten haben uns dazu verpflichtet, dass wir auch zukünftig der Ukraine etwas schulden, was ihre Sicherheit betrifft. Deutschland ist schon seit Langem mit seinen engsten Verbündeten dabei, solche Diskussionen mit der Ukraine zu führen. Das werden wir auch weiterhin tun.
Frage: Haben Sie nicht Angst, dass der Migrationsdeal eigentlich platzt, wenn Polen und Ungar nicht mitmachen?
BK Scholz: Ich bin sehr froh über die Entscheidung, die die Innenministerinnen und Innenminister getroffen haben. Das ist ein großer Durchbruch. Denn dort wurde ein Solidaritätsmechanismus vereinbart, den wir in Europa schon lange gebraucht hätten. Er verlangt allen etwas ab. Er bedeutet, dass die Staaten, die Außengrenzen in der EU haben, ihren Beitrag leisten, dass sie diejenigen, die kommen, registrieren und ihnen die Möglichkeit geben, Anträge zu stellen. Gleichzeitig bedeutet er, dass wir in einem solchen Solidaritätsmechanismus natürlich auch Verantwortung für einen Teil der Flüchtlinge übernehmen, damit nicht alles bei den Grenzstaaten bleibt.
Im Übrigen hat die Geschichte der letzten zehn, zwanzig Jahre gezeigt, dass jeder Staat, der glaubt, das sei ein Problem der anderen, irgendwann erlebt, dass es auch das eigenen werden kann. Das ist, wie ich finde, vielleicht die Geschichte, die wir aus der Vergangenheit gelernt haben sollten. Vielleicht hat sie dazu beigetragen, dass jetzt dieser gute Konsens bei den Innenministerinnen und Innenministern möglich war.
Frage: … (auf Englisch, ohne Dolmetschung)
BK Scholz: We had a good meeting.
Frage: Herr Bundeskanzler, das jetzt nicht anzusprechen von Verantwortung in der Migrationsfrage, aber sollte die EU nicht auch über die Verantwortung bei der Tragödie im Mittelmeer sprechen, gerade was den EU-Staat Griechenland anbelangt?
BK Scholz: Wir alle haben eine Verantwortung dafür, dass Menschen in Seenot nicht ertrinken. Das ist schon immer meine Haltung, aber auch die Haltung der Europäischen Union. Es wird natürlich immer ganz konkret werden müssen, dass wir über die Dinge sprechen, die dann anstehen und zu tun sind. Aber das alles gehört zusammen. Die große Aufgabe, vor der wir stehen, ist es, die humanitären Verpflichtungen, die wir haben, sehr ernsthaft zu verfolgen und unsere Verantwortung gegenüber anderen wahrzunehmen. Deutschland ist committet und wird auch weiterhin committet bleiben, dass wir das Grundrecht auf Asyl gewährleisten und dass wir internationalen Flüchtlingsschutz gewährleisten, wie wir das auch in der Vergangenheit getan haben.
Das Wichtigste wird eigentlich sein, dass wir dadurch eine Verbesserung der Lage an den Grenzen Europas, wo wir Verantwortung haben, ermöglichen, indem wir auch mit Migrationspartnerschaften arbeiten. Dabei wird Deutschland sehr entschieden vorangehen und eng abgestimmt mit der Europäischen Union handeln. Da es gleichzeitig so ist, dass wir für das Wachstum unserer Volkswirtschaften Arbeitskräfte mit sehr unterschiedlichen Qualifikationen, sehr speziellen, durch langjährige Studien und Arbeit erworbenen Qualifikationen, aber manchmal auch solchen, die einfach mehr „hands-on“ sind, brauchen, ist jetzt eigentlich eine gute Zeit, Verständigungen über reguläre Migration in die Arbeitsmärkte zur Sicherung der Beschäftigungsanforderungen, die wir bei uns haben, und über die Rückführung derjenigen, die nicht bleiben können, herbeizuführen. Wenn das ein allgemeiner Trend wird, dann kann er vielleicht einen ganz substanziellen Beitrag dazu leisten, dass uns das Drama, das jetzt an den Grenzen überall in der Welt, aber eben auch an den europäischen Außengrenzen immer wieder zu beobachten ist, nicht mehr in der gleichen Weise begegnet wie heute. Das ist die Aufgabe, vor der wir stehen.
Ich danke Ihnen allen.