Im Wortlaut
in München
- Mitschrift Pressekonferenz
- Freitag, 9. März 2018
Thema: Münchner Spitzengespräch der deutschen Wirtschaft und Besuch auf der Internationalen Handwerksmesse
Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Hans Peter Wollseifer, Prof. Dieter Kempf
Wollseifer: Zunächst einmal herzlichen Dank an die Frau Bundeskanzlerin, die fünf Tage vor ihrer Wiederwahl jetzt zu uns gekommen ist und die Zeit gefunden hat, zur Messe und zu unserem Spitzengespräch zu kommen. Meine Damen und Herren, wir sind sehr froh, dass wir jetzt wieder eine tragfähige Regierung bekommen und dass wir in der deutschen Wirtschaft planbare Zustände bekommen. Planbare Zustände: Das heißt, dass wir Investitionsentscheidungen, Personalentscheidungen, Standortentscheidungen treffen können. Dafür braucht es eine tragfähige Regierung. Die Herausforderungen, die an unser Land herangetragen werden, sind Ihnen allen bekannt.
Wir haben uns in unserem Spitzengespräch natürlich über den Koalitionsvertrag unterhalten. Da ist es so, dass die deutsche Wirtschaft Licht und Schatten sieht. Auf der einen Seite sehen wir richtungsweisende Überlegungen und Entscheidungen bezüglich der Bildung, insbesondere der beruflichen Bildung. Dass wir in der Zukunft einen Berufsbildungspakt eingehen und die berufliche, die duale Bildung stärken, das ist genau unser Ansatz. Das beinhaltet, dass wir an allen Schulen alle Schüler darüber informieren, dass auch in der beruflichen Bildung viele Karrieremöglichkeiten existieren. Das ist genau das, was wir in der Wirtschaft brauchen; denn wie Sie wissen, haben wir ein Fachkräfteproblem und müssen mehr Jugendliche für unsere Berufe, für unsere Betriebe begeistern. Wenn wir dabei die entsprechende politische Flankierung haben, dann ist das mit Sicherheit eine gute Unterstützung.
Im Bereich Digitales sind wir auf einem guten Weg, so wie auch im Bereich der Investitionen. Es ist natürlich so, dass wir mehr Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur, in die Bildungsinfrastruktur und natürlich auch in die Digitalisierung - auch die Digitalisierung im Bildungssystem - brauchen. Auch das geht aus dem Koalitionsvertrag hervor.
Etwas irritierend ist für die Wirtschaft das, was man in der Zukunft, in der neuen Legislaturperiode bezüglich der Sozialpolitik und der Arbeitsmarktpolitik vorhat. Wir haben die Befürchtung, dass das zu mehr Reglementierung und zu starreren Regeln anstatt zu Flexibilisierung führt. Wir brauchen im Arbeitsrecht mehr Flexibilisierung. Unsere Kunden möchten eine immer höhere Qualität, sie möchten mehr Service und sie möchten auch, dass die Produkte zu einem bestimmten Zeitpunkt geliefert werden. Dafür brauchen wir Flexibilisierungen, und wir haben die Befürchtung, dass das in der nächsten Legislaturperiode vielleicht ein Stück weit nicht der Fall sein könnte.
Andererseits befürchten wir bezüglich der Sozialpolitik, dass die 40-Prozent-Grenze bei den Lohnzusatzkosten vielleicht gerissen werden könnte und dadurch unsere arbeits- und lohnintensiven Betriebe insbesondere in der mittelständischen Wirtschaft über Gebühr belastet werden. Die Bundeskanzlerin hat uns aber Hoffnungen gemacht, dass wir diese Grenze in der Zukunft auch einhalten werden; da haben wir guten Zuspruch von der Bundeskanzlerin bekommen, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir auch während der gesamten Legislaturperiode diese Linie nicht reißen werden.
Ein weiteres Thema, das wir besprochen haben, waren die Steuern. Wir hatten uns eigentlich gedacht, dass zu einer Zeit, in der wirklich hohe Steuereinnahmen in die Staatskassen fließen, doch etwas mehr an Entlastung - an Entlastung für die Leistungsträger dieser Gesellschaft - möglich gewesen wäre. Das sehen wir im Moment nicht. Wir hatten uns eigentlich einen kompletten Soliabbau gewünscht. Jetzt bekommen wir den am Ende der Legislaturperiode, und dann auch nicht für alle. Wenn ich sage „nicht für alle“, dann meine ich damit, dass dabei unsere Personenunternehmen ausgeschlossen sind. Das heißt, diejenigen, die in den vergangenen 30 Jahren eigentlich mit am meisten gezahlt haben, bekommen dann keine Entlastung. Das enttäuscht uns ein wenig.
Ich glaube, dabei will ich es belassen. Wir hatten uns natürlich noch über die Klimapolitik, über Diesel und natürlich auch über den Protektionismus in den USA, der gerade in den letzten Tagen bekanntgeworden ist, unterhalten. Das alles waren Themen in unseren Gesprächen - aber jetzt hat die Frau Bundeskanzlerin das Wort.
BK’in Merkel: Lieber Herr Wollseifer, liebe Präsidenten, ich freue mich, heute wieder dabei zu sein. Normalerweise haben wir nach Regierungsbildungen zu diesem Zeitpunkt schon unsere erste Arbeitsetappe beendet; jetzt steht die Regierungsbildung erst noch bevor. Ich glaube aber, wir können guter Hoffnung sein, dass das nächste Woche klappt, und dann muss auch schnell mit der Arbeit begonnen werden - das habe ich hier gesagt. Wir haben uns nämlich eine Menge vorgenommen.
Wir haben uns vorgenommen, wichtige Weichenstellungen, die bis ins nächste Jahrzehnt hineinreichen, zu vollziehen. Dazu gehört die Herausforderung, dass die deutsche Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt. In diesem Zusammenhang ist das Thema Bürokratieabbau ein Thema. Ich habe heute von meiner Seite aus deutlich gemacht, dass wir für jede neue Regelung, die wir einführen, eine andere Regelung auch wieder auslaufen lassen wollen. Auf der anderen Seite haben Sie auf eine zum Teil - gerade für kleine Betriebe - existierende große Konzentration von Bürokratie hingewiesen. Das nehmen wir ernst.
Wir müssen die Digitalisierung voranbringen, und zwar nicht nur beim Infrastrukturaufbau, sondern auch in der gesamten Breite der Gesellschaft. Diesbezüglich haben wir heute neben dem Ausbau der Breitbandförderung das Thema Datensouveränität diskutiert.
Ich freue mich, dass wir auf einer Linie sind, was die Bildungsanstrengungen anbelangt, gerade auch im Bereich der beruflichen Bildung; denn diese Säule muss jetzt wieder gestärkt werden. Die Hochschulseite ist gestärkt worden und wir werden da auch weiter investieren, aber wir wollen ganz bewusst auch die berufliche Bildung stärken.
Wir haben über das Thema Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in Stadt und Land gesprochen - hier gibt es eine große Zahl an Herausforderungen.
Wir haben auch über das Thema Steuern gesprochen. Sie haben mit Recht gesagt, dass Sie wettbewerbsfähige Steuersysteme erwarten. Wir werden mit Frankreich an die Unternehmenssteuerreform herangehen und wollen das jetzt angesichts des größeren Wettbewerbsdruck aus den Vereinigten Staaten von Amerika auch zügig voranbringen. Wir werden die steuerliche Forschungsförderung für kleine und mittlere Betriebe voranbringen, wir wollen die Start-up-Förderung verbessern, und wir werden auch die Abschreibungsregelungen verbessern. Hier sehe ich den Wermutstropfen mit dem Solizuschlag für die Körperschaften und die Personengesellschaften. Das hätten wir uns seitens der CDU auch etwas anders gewünscht, aber wir mussten auch Kompromisse eingehen.
Des Weiteren haben wir über das Thema Sozialversicherungsbeiträge gesprochen. Es gibt ein klares Bekenntnis in der Koalitionsvereinbarung, dass die Lohnzusatzkosten unter 40 Prozent bleiben. Ich weiß, dass das für Sie von allergrößter Bedeutung ist.
Wir hätten noch sehr viel länger sprechen können - über die Energiepolitik und anderes. Ich habe noch einmal betont, dass ich große Chancen darin sehe, dass das Wirtschaftsministerium jetzt wieder in Unionshand ist. Mit Sicherheit werden wir in allen Bereichen in sehr, sehr engem Kontakt bleiben.
Auch wir sehen die Zollerhebungen für bestimmte Produkte mit Sorge. Wir haben als Regierung eine klare Zusage zum Multilateralismus abgegeben. Wir unterstützen die Kommission, sich sowohl an die WTO zu wenden als auch Gespräche mit den Vereinigten Staaten von Amerika, aber auch mit Ländern, bei denen Zweiteffekte entstehen könnten - zum Beispiel China -, zu suchen. Insofern glaube ich, dass auch der Gesprächskanal gepflegt werden sollte; die Kommissarin hat das ja auch noch einmal deutlich gemacht.
Insgesamt war das heute also eine erfüllte Zeit.
Danke auch für das, was ich mir hier auch praktisch anschauen konnte! Da sieht man: Das Handwerk hat Schwung und Dynamik.
Wollseifer: Tradition und Innovation!
Frage: Ich möchte zu den Strafzöllen nachfragen. Wie soll die Bundesregierung und wie soll Europa konkret reagieren? Mit Gesprächen allein wird es wahrscheinlich nicht getan sein. Befürworten Sie Gegenmaßnahmen?
Was hat Ihnen die Wirtschaft in Sachen Protektionismus heute mit auf den Weg gegeben?
BK’in Merkel: Die Wirtschaft hat, wie es Herr Wollseifer eben gesagt hat, hier einhellig und ganz klar gesagt, dass man davon nichts hält. Wir haben ausgehandelte Zollregime innerhalb der WTO. Wir haben uns immer dafür eingesetzt mit den Vereinigten Staaten von Amerika sogar ein Handelsabkommen abzuschließen, um weitere Barrieren abzubauen. Wir werden in den Gesprächen jetzt sehr deutlich machen, dass das unser Ziel und unser Wunsch ist.
Ansonsten vertrauen wir natürlich auch ein Stück weit der Kommission, die ja die Handelspolitik in ihrer Hand hält. Sie hat auch Maßnahmen in Aussicht gestellt, die wir ergreifen könnten. Aber den Vorzug müssen jetzt erst einmal noch Gespräche haben. Am besten wäre es, wir könnten ausgenommen werden. Aber das hat die Kommission ja auch gesagt.
Frage: Fürchten Sie jetzt wirklich, dass es einen Handelskrieg mit den USA geben kann?
Zum Zweiten habe ich die Frage: Wie groß sind Ihre Hoffnungen, dass das Treffen der USA und Nordkoreas zur Entmilitarisierung beitragen kann?
BK’in Merkel: Was Nord- und Südkorea, aber auch die Möglichkeit eines Treffens mit dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika anbelangt, kann man ja sehen, dass eine geschlossene internationale Haltung inklusive Sanktionen durchaus Hoffnungsschimmer entstehen lässt. Ich nenne das einen Hoffnungsschimmer. Daran muss weiter gearbeitet werden. Aber es wäre natürlich wunderbar, wenn wir eine Entspannung erleben würden. Denn die Spannung mit der Nuklearisierung in Nordkorea war für uns alle eine große Besorgnis.
Das Zweite ist: Ich möchte jetzt keine martialischen Wörter in den Mund nehmen. Das hilft uns ja nicht weiter. Es ist nicht gut, wenn wir zusätzliche Zölle haben. Das hat Einfluss auf die Wirtschaft - und nicht nur auf ein Land. Wir sind davon überzeugt, dass es zum Schluss nachteilig für alle ist. Niemand würde in einem solchen Wettlauf gewinnen. Deshalb suchen wir sehr bewusst nach wie vor das Gespräch. Aber wir können natürlich seitens Europas auch reagieren. Auch das hat die Kommission deutlich gemacht.
Kempf: Ich möchte gar nicht allzu viel ergänzen. Denn wir sind uns an dieser Stelle wirklich einig. Jetzt gilt es, Ruhe zu bewahren. Es gibt, wie die Frau Bundeskanzlerin angedeutet hat, auch im Regime der WTO Handlungsmöglichkeiten. Aber dazu muss auch das bilaterale Gespräch mit den USA gehören. Dazu muss auch das Gespräch zwischen der EU und den USA gehören. Vielleicht gelingt es uns ja doch, von den Vorteilen globalisierter Wertschöpfungsketten zu überzeugen. Vielleicht gelingt es uns ja doch, darzulegen, dass man mit dem Aufbau von Zöllen seine Wirtschaft vielleicht konservieren, aber sicherlich nicht für die Zukunft fortentwickeln kann.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, mögliche Dieselfahrverbote beunruhigen das Handwerk im Moment recht stark. Was kann die Bundesregierung tun, um Ruhe und Rechtsfrieden in diese Sache zu bringen?
BK’in Merkel: Ich denke, dass das Bundesverwaltungsgericht ein sehr abgewogenes Urteil gefällt hat, das uns seitens der Handelnden auch Möglichkeiten gibt. Die Kommunen und die Länder sind hier gefragt. Aber der Bund will sich auch nicht aus seiner Verantwortung stehlen. Wir haben die Arbeitsplätze im Blick, die wir natürlich sichern wollen.
Wir wissen, dass das Technologien sind, die als Brücken in eine Zeit der neuen Mobilität dienen. Aber in dieser Brückenzeit brauchen wir diese Technologien und diese Arbeitsplätze. Deshalb müssen wir eine auf die Städte bezogene Lösung finden. In sehr vielen Städten wird sich sehr schnell eine Lösung erreichen lassen. Das ist die große Mehrzahl der heute betroffenen Städte. Dann wird es eine kleinere Zahl von Städten geben, in denen wir sehr passgenau agieren müssen.
Aber ich sage sehr deutlich: Jetzt als Erstes flächendeckend mit Kennzeichnungen wie der „blauen Plakette“ zu agieren, würde den Druck herausnehmen, angepasste, sachbezogene und auf die einzelne Stadt bezogene spezifische Lösungen zu finden. Dem geben wir den Vorrang. Dafür setzt die Bundesregierung viele finanzielle Mittel ein, etwa um die Flotten des öffentlichen Personennahverkehrs umzurüsten, um die Möglichkeit zu schaffen, Taxiauflagen zu machen und Ähnliches. Ich denke, für viele Städte werden wir etwas erreichen. Zusammen mit dem neuen Verkehrsminister werden wir das als prioritäres Thema angehen.
Natürlich hat die Automobilindustrie die Pflicht, das, was sie auch im Softwarebereich versäumt hat, wiedergutzumachen und ihre Verpflichtungen auch umzusetzen. Denn Fehler sind hierbei auch in der Automobilindustrie passiert.