Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und Präsident Erdoğan zum Besuch der Bundeskanzlerin in der Republik Türkei am 16. Oktober 2021

(Die Protokollierung des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultandolmetschung)

Präsident Erdoğan: Sehr geehrte Frau Bundeskanzlerin, werte Delegationsmitglieder, verehrte Angehörige der Presse, ich darf Sie ganz herzlich begrüßen! Ich freue mich, dass ich die Frau Bundeskanzlerin Deutschlands als Freundin und Verbündete der Türkei in Istanbul empfangen darf. Ich möchte mich bei Frau Merkel noch einmal herzlich bedanken und sie in Ihrer Anwesenheit herzlich willkommen heißen.

Mit meiner werten Freundin Frau Merkel haben wir seit 2005, als sie ihr Amt angetreten hat, eigentlich einen sehr engen Dialog aufgebaut. Seit 16 Jahren haben wir Gespräche geführt, in denen Frau Merkel immer besonnen war und sich immer lösungsorientiert gezeigt hat. Während ihrer Amtszeit war sie immer in einer sehr wichtigen Führungsrolle für die Europäische Union in Zeiten der Krisen. Auch in unseren bilateralen Beziehungen gab es sicherlich angespannte Phasen, aber wir haben es eigentlich stets geschafft, diese Phasen zu überwinden und die Zusammenarbeit und die Beziehungen noch weiter auszubauen. 

Wir haben mit Frau Merkel einen sehr engen Dialog gehabt, und das nicht nur in bilateralen Fragen, sondern auch hinsichtlich der Lösung von regionalen Problemen. Auch in Bezug auf die irreguläre Migration mit Blick auf Syrien und die Verbringung von humanitärer Hilfe in den Norden Syriens, aber auch in Bezug auf viele weitere Themen hat sich Frau Merkel nie gescheut, die Initiative zu ergreifen und Verantwortung zu übernehmen. In diesem Zusammenhang möchte ich mich auch im Namen meines Volkes ganz herzlich bei der Frau Bundeskanzlerin für ihre Bemühungen in Bezug auf die Lösung der Syrien-Krise bedanken.

Ich möchte in diesem Zusammenhang auch mit Blick auf die Ergebnisse der Wahlen in Deutschland am 26. September alles Gute und Gelingen wünschen. Auch für die neu zu gründende Regierung und für den neuen Bundeskanzler oder die Bundeskanzlerin möchte ich ein gutes Gelingen wünschen. Ich hoffe, dass die Arbeit von Frau Merkel auch in der neuen Regierung, die noch zu gründen ist, weiter fortgesetzt wird.

Sehr geehrte Gäste, ich glaube, es ist sehr wichtig zu erwähnen, dass die Bundeskanzlerin ihr Geschick auch in der Diplomatie und in der Staatsführung insbesondere im Rahmen der Türkei-EU-Beziehungen immer wieder gezeigt hat. Trotz aller Probleme und Hindernisse, die wir gehabt haben, haben insbesondere die positiven Herangehensweisen von Frau Merkel immer wieder einen großen Beitrag geleistet, und wir werden uns immer wieder daran erinnern.

In den heutigen Gesprächen haben wir natürlich zunächst die bilateralen Beziehungen besprochen. Auch regionale Themen standen auf der Tagesordnung. Die Beziehung zwischen der Türkei und der EU und die Bedeutung dieser Beziehung haben wir noch einmal bestätigt. Auch über die Modernisierung der Zollunion, die Visaliberalisierung, das Abkommen vom 18. März und die Erneuerung dieses Abkommens sowie kritische Punkte und unsere Erwartungen habe ich mit meiner werten Freundin geredet. Auch zu den Themen östliches Mittelmeer, Afghanistan, Libyen und den Entwicklungen in Syrien haben wir einen Meinungsaustausch geführt. 

Ich wünsche mir auch, dass unser bilaterales Handelsvolumen auf eine Ebene von 50 Milliarden US-Dollar angehoben werden kann. 

Die türkische Gemeinschaft in Deutschland ist die wichtigste soziale Komponente unserer Beziehungen; sie ist eigentlich unser gemeinsamer Reichtum. Wie Sie wissen, wurde in diesem Jahr der 60. Jahrestag der Unterzeichnung des Anwerbeabkommens zwischen der Türkei und Deutschland begangen. Diese Menschen haben damals  einen Beitrag für den Aufschwung und für die Entwicklung in Deutschland, für den Wohlstand und für eine multikulturelle Gesellschaft geleistet. Auch das würdigen wir noch einmal. Während ihrer Amtszeit hat Frau Merkel mit der türkischen Gemeinschaft eigentlich immer einen engen Kontakt entwickelt, und darüber haben wir uns immer wieder gefreut.

In diesem Zusammenhang ist auch sehr wichtig zu erwähnen, dass Rassismus, Islam- und Ausländerfeindlichkeit und Diskriminierung auch gegenüber der türkischen Gemeinschaft immer noch ein großes Problem darstellt. Man sollte gegen Angriffe, gegen Beleidigungen, gegen feindliche Herangehensweisen und Diskriminierung und gegen die Täter vorgehen. Um dabei auch einen kulturellen Rassismus zu unterbinden, ist es wichtig, dass man auch diesbezüglich Maßnahmen ergreift. Erst dann werden die Türken sich auch tatsächlich in Europa zu Hause fühlen.

Frau Bundeskanzlerin Merkel hat sich für die Lösung dieser Probleme stets ehrlich eingesetzt. Ich hoffe, dass ihr Nachfolger oder ihre Nachfolgerin ganz genauso handeln wird. Ich wünsche mir natürlich, dass sie für die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei auch weiter einen Beitrag leisten wird. 

Frau Merkel ist heute das letzte Mal als Bundeskanzlerin in der Türkei. Ich wünsche ihr noch einmal viel Erfolg und bedanke mich bei ihr, und ich hoffe, sie hat auf ihrem weiteren Lebensweg viel Erfolg. Die internationale Gemeinschaft wird von den Erfahrungen von Frau Merkel weiterhin profitieren.

Vielen Dank!

Bundeskanzlerin Merkel: Danke schön für den Empfang hier heute in einem ganz speziellen Haus – dem Haus Huber, wie ich gelernt habe, das Anfang des 20. Jahrhunderts einem deutschen Industriellen gehörte –, und das Ganze auch Rücken an Rücken mit dem Deutschen Konsulat hier in Istanbul. 

Das ist symbolisch dafür, dass wir uns in den letzten Jahren – das darf ich für mich auch ganz persönlich sagen – immer um gute Beziehungen mit der Türkei bemüht haben, auch wenn es Meinungsverschiedenheiten gab und gibt. Ich glaube aber, es gibt sehr vieles, was uns dazu aufruft, für diese guten Beziehungen zu arbeiten – nicht zuletzt das, was Präsident Erdoğan hier eben genannt hat, nämlich die 60 Jahre Anwerbeabkommen und die Tatsache, dass mehr als 3 Millionen türkischstämmige Menschen in Deutschland leben. Wir haben in Deutschland den Jahrestag dieses Anwerbeabkommens begangen, und es gab sehr berührende Geschichten, als Kinder, die heute Ärzte, Wissenschaftler sind, mit ihren Eltern gemeinsam darüber gesprochen haben, was ihre Eltern, die aus der Türkei kamen, für sie getan haben – teilweise sind das auch schon die Großeltern – und was das für sie und ihren Lebensweg bedeutet hat. Da gibt es sehr viele gelungene Beispiele; natürlich ist auch die Entwicklung eines COVID-Impfstoffs durch Herrn Şahin und Frau Türeci ein solches Beispiel.

Wir haben uns über die gesamte Agenda der bilateralen Beziehungen unterhalten, und ich habe hier auch Fälle von deutschen Staatsbürgern angesprochen, die hier im Augenblick nicht in Freiheit sind, nicht ausreisen können. Menschenrechtsfragen haben in den vergangenen Jahren immer wieder eine große Rolle gespielt. Genauso hat auf der anderen Seite der Präsident immer wieder darauf hingewiesen, dass alle Vorgänge des Rassismus, des Hasses gegen Ausländer bekämpft werden müssen. Dazu habe ich mich bzw. haben wir uns – das kann ich für die ganze Bundesregierung und auch alle Landesregierungen sagen – auch immer wieder bekannt.

Wir haben über die EU-Türkei-Beziehungen gesprochen. Hier sind natürlich die Frage der Bekämpfung der illegalen Migration und die Unterstützung der Türkei durch die Europäische Union, die wir ja auch über das bereits Beschlossene hinaus fortsetzen wollen, sehr wichtig. Die Türkei leistet Außergewöhnliches mit Blick auf syrische Flüchtlinge. 

Wir haben uns natürlich auch über das Thema Afghanistan unterhalten. Damit Menschen aus Afghanistan nicht auch Opfer von Schleppern und Schleusern werden, müssen wir sicherstellen, dass humanitäre Hilfe in Afghanistan geleistet wird. Ich habe mich dazu bekannt, dass wir insbesondere die UN-Organisationen unterstützen, damit der Winter nicht zu einer Katastrophe für Afghanistan wird. Wir haben uns auch über unsere jeweiligen Gespräche mit den Taliban ausgetauscht und werden das vielleicht auch gemeinsam mit unseren jeweiligen Afghanistanbeauftragten fortsetzen.

Im Zusammenhang mit der illegalen Migration spielt natürlich auch die Frage der Situation in Syrien eine Rolle; darüber haben wir uns heute intensiv ausgetauscht. Leider geht es mit dem Verfassungsprozess unter der Führung der Vereinten Nationen nicht gut voran, und nach wie vor ist auch die Situation in Idlib sehr angespannt. 

Wir haben genauso über das Thema Libyen gesprochen. Wir hatten ja, ausgehend von der Berliner Konferenz, einen UN-geleiteten Prozess. Demnächst wird es eine Konferenz in Frankreich geben. Es geht hier darum, dass es möglichst bald Wahlen geben wird und wir eine nachhaltige Lösung für Libyen erhalten. Ich habe noch einmal darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, dass dazu natürlich auch die ausländischen Kräfte Libyen verlassen. In einem ersten Schritt müssten das Soldaten oder Söldner aus dem Sudan sein, aber auch solche, die aus Syrien kommen. Ich hoffe, dass wir hier bald einen Schritt vorangehen können.

Wenn wir uns die Situation in unseren beiden Ländern anschauen, dann hat es in der Türkei schwerste Waldbrände und in Deutschland eine ganz schreckliche Flut gegeben. Das alles führt uns vor Augen, wie wichtig auch der globale Klimaschutz ist. Deshalb hat dies in unseren Besprechungen auch eine große Rolle eingenommen. Ich begrüße sehr, dass die Türkei jetzt das Pariser Abkommen ratifiziert hat. Wir werden also ein G20-Treffen in Rom abhalten, bei dem wir sagen können: Alle G20-Mitglieder stehen zu diesem Abkommen. Deutschland wird die Türkei in diesem Zusammenhang auch bilateral bei der Entwicklung von umweltfreundlichen Technologien unterstützen. Hierüber befinden wir uns miteinander noch im Gespräch.

Sie sehen also: Wir hatten ein sehr umfangreiches Gespräch. Das beinhaltete auch die Entwicklung zwischen Griechenland und der Türkei. Hier hat sich Deutschland ja sehr dafür eingesetzt, dass wieder Gespräche bezüglich der Erkundung der Gasvorkommen stattfinden und dass das EU-Türkei-Abkommen auch mit Griechenland gut funktioniert. Wir haben hier noch eine Menge Schwierigkeiten zu überwinden. Aber ich bin immer wieder der Überzeugung, dass es nur durch Gespräche und durch Kontakte gelingen kann, die unterschiedlichen Fragen – seien es Menschenrechte, sei es Zypern oder anderes – auch zu überwinden. Manches dauert sehr lange. Dafür haben 16 Jahre nicht ausgereicht. Aber manches ist auf dem Weg dahin auch gelungen.

Insofern bedanke ich mich für die Zusammenarbeit und für die Möglichkeit, auch wenn es kontrovers war, immer wieder im Gespräch zu bleiben. Herzlichen Dank dafür und für den heutigen Empfang!

Frage: Ich bleibe einmal sitzen, weil die Kollegen hinter mir gute Bilder machen wollen. – Ich wollte noch einmal nachfassen. Sie haben ja jetzt ein bisschen über den gemeinsamen Weg in den letzten 16 Jahren gesprochen. Ich wollte noch einmal nach dem Thema der Menschenrechte und inhaftierter deutscher Staatsbürger nachfragen. Sie haben ja selbst in der Vergangenheit immer wieder auch bei den Pressekonferenzen das Thema angesprochen, Frau Bundeskanzlerin. Haben Sie das Gefühl, dass man dabei irgendwo vorwärtsgekommen ist? Es sind ja immer noch Deutsche hier in Haft. Es gibt einen Prozess gegen einen deutschen Staatsbürger. Diese Woche wurde wieder einer aus politischen Gründen für drei Jahre eingesperrt. Haben Sie das Gefühl, dass man bei den Gesprächen mit dem türkischen Staatspräsidenten auch vorwärtsgekommen ist, oder war die Bilanz eigentlich immer eher ernüchternd?

Der türkische Staatspräsident kann natürlich auch gerne etwas dazu sagen.

Merkel: Ich kann sagen, und Sie kennen ja auch einige Fälle, dass sich die Gespräche auch immer wieder gelohnt haben. Wir haben in der letzten Zeit eine ganze Reihe von Fällen lösen können. Es kommen aber auch immer wieder neue dazu, sodass das ein Gesprächsbereich bleibt. Dennoch habe ich nie den Eindruck gehabt, dass die Gespräche umsonst sind, sondern wir konnten viele Fälle auch einer Lösung zuführen. Wir haben natürlich auch manchmal sehr unterschiedliche Betrachtungen dessen, wann der Terrorismusvorwurf gilt und wann er nicht gilt. Aber alles in allem würde ich sagen: Die Gespräche haben sich ausgezahlt, ja.

Erdoğan: Ich bedanke mich bei der Bundeskanzlerin. Man sollte eines immer mit bedenken: In jedem Land ist die Justiz natürlich unabhängig. Die Justizunabhängigkeit verteidigen wir. In der Türkei ist die Justiz unabhängig. Gegen die Urteile, die die Justiz spricht, kann ich als Staatspräsident nichts einwenden; das ist nicht möglich. Wir sollten alle an die Unabhängigkeit der Justiz glauben.

Frage: Ich habe auch eine Frage an beide, und zwar noch einmal zum Flüchtlingspakt. Was haben Sie heute konkret bezüglich des Themas besprochen, und welche Einigung haben Sie eventuell erzielt?

Merkel: Der Flüchtlingspakt ist ja im Grunde ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und der Türkei. Deutschland ist immer so etwas wie ein Patron dieses Abkommens gewesen, weil ich es für sehr wichtig gehalten habe, dass wir Schlepper und Schleuser bekämpfen, weil ich finde, dass es ein Akt der Notwendigkeit ist, dass die Europäische Union die Türkei bei der Aufgabe unterstützt, die sie übernommen hat, und weil ich glaube, dass wir mit den 6 Milliarden Euro, von denen jetzt knapp mehr als 4,5 Milliarden Euro ausgezahlt sind, auch schon gute Projekte in Gang gebracht haben. Es geht jetzt darum, wie es weitergeht. Die Flüchtlingskommissarin der Europäischen Union, Frau Johansson, war ja gerade auch in der Türkei. Ich bin sehr froh, dass die Kommission jetzt beim Europäischen Parlament – der Rat das schon beschlossen – eine erste neue Tranche festgelegt hat, damit über die schon vereinbarten 6 Milliarden Euro hinaus weitere Gelder fließen.

Wir sind leider noch nicht so gut bei dem direkten Austausch im Hinblick auf syrische Flüchtlinge, die illegal in Griechenland ankommen, und die humanitären Kontingente, die wir dann aufnehmen, vorangekommen. Die Europäische Union hat hier schon Zehntausende aufgenommen, aber dieser Prozess ist noch nicht so gut in Gang gekommen. Dennoch funktioniert dieses Flüchtlingsabkommen in vielen Teilen. Einiges müssen wir noch nachliefern. Deshalb gibt es auch die Gespräche über die Zollunion.

Wir haben also über Details gesprochen, aber wir, Deutschland und die Türkei, können das nicht alleine lösen, sondern das ist immer eine Frage der Europäischen Union und aller 27 Mitgliedstaaten sowie der Türkei. Aber ich werde mich auch auf dem kommenden Europäischen Rat am nächsten Donnerstag und Freitag darum bemühen, dass wir diese Gespräche immer weiter fortsetzen.

Erdoğan: Was das Thema der Flüchtlinge angeht, ist die Türkei sozusagen Gastgeberland und hat diese Menschen aufgenommen. 5 Millionen Menschen aus Syrien und dem Irak sowie 300 000 aus Afghanistan haben wir aufgenommen. Wir sind momentan sozusagen Gastgeber dieser Menschen. Diese Menschen so wie Griechenland irgendwie zurückzudrängen, können wir nicht; das würden wir nicht machen. Wir werden sozusagen auch weiterhin als Gastgeber für sie da sein und werden das fortsetzen. Wir werden versuchen, wie wir es heute tun, diese Menschen zu unterstützen, zum Beispiel durch diese Unterkünfte, die wir in Nordsyrien gebaut haben, damit diese Menschen nicht in Zelten leben. Dass wir diesen Menschen helfen, sehen wir als unsere Aufgabe an. Es sind mehr als 60 000 solcher einfachen Unterkünfte gebaut worden. Wir wollen mehr als 100 000 bauen.

Frage: Ich werde jetzt wegen der Kameras auch nicht aufstehen können. – Ich stelle vielleicht eine Frage abseits der Agenda an Frau Merkel. Sie sind ja seit 16 Jahren an der Regierung und der Herr Staatspräsident schon seit 19 Jahren. Wenn Sie jetzt zurückblicken, sind Sie im Rahmen der Zusammenarbeit eigentlich schon lange zusammen. Ich glaube, der Herr Staatspräsident ist einer der Politiker, die Sie am besten kennen. Wie schätzen Sie ihn als Politiker ein?

Genauso möchte ich auch Herrn Staatspräsidenten fragen: Wie schätzen Sie die Arbeit mit Frau Merkel ein und bewerten sie?

Merkel: Wir sind ja hier nicht dazu da, uns wie in der Schule Zensuren zu geben. Ich habe ja schon gesagt, dass wir immer die Zusammenarbeit gepflegt haben. Ich darf sagen, dass in den Jahren, in denen ich mit Präsident Erdoğan oder dem früheren Ministerpräsidenten Kontakt hatte, in der Türkei unglaublich viel an Infrastrukturentwicklung passiert ist, allein schon mit Blick auf die Stadt Istanbul. Als ich letztes Mal in Ankara war, ist mir erst einmal bewusst geworden, welche Verwaltungseinheiten das sind, wie viele Menschen dort leben und wie sich bei allen wirtschaftlichen Problemen, die es zurzeit wieder gibt, der Lebensstandard in dieser Zeit doch verändert hat.

Die Türkei ist ein Teil der NATO. Wir sind über die NATO miteinander verbunden. Die Türkei liegt, wie man an der Stadt Istanbul geradezu mit den eigenen Augen sieht, an der Brücke zwischen Europa und Asien und hat einen europäischen und einen asiatischen Teil.

Ich bin kritisch gegenüber Entwicklungen, die sich im Bereich der Menschenrechte und vielleicht auch der individuellen Freiheiten ergeben haben. Hierüber sprechen wir immer wieder – ich denke etwa an die Deutsche Universität – und versuchen auch immer wieder, Lösungen zu finden. Hierbei sind die Entwicklungswege sicherlich ein bisschen unterschiedlich.

Wir merken, dass wir geostrategisch sehr stark voneinander abhängen, ob wir gleich agieren oder nicht. Das wird jetzt auch in der Frage der Taliban eine Rolle spielen. Das spielt in der Frage der Flüchtlinge eine Rolle. Wir haben uns eben sehr ausführlich über Afrika als unseren Nachbarkontinent unterhalten. Deshalb kann ich nur raten, dass wir – ich denke, dass das auch jede folgende Regierung aus Deutschland tun wird – die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei in ihrer gesamten Komplexität, mit den positiven und auch mit den schwierigeren Seiten, voll erkennen. Jeder weiß von dem anderen, dass unser Friede und unsere Sicherheit ein Stück weit voneinander abhängen.

Erdoğan: 16 Jahre sind keine kurze Zeit. Wie Sie gesagt haben, habe ich jetzt schon 19 Jahre hinter mir. In dieser Phase habe ich natürlich Kontakt zu vielen Staatsführern, Präsidenten und insbesondere mit der Frau Bundeskanzlerin gehabt und mit ihnen zusammengearbeitet. Sie war sehr erfolgreich in der Führung als Bundeskanzlerin Deutschlands.

Die Beziehungen zwischen der Türkei und Deutschland wären vielleicht anders, wenn es zum Beispiel keine Koalitionsregierung gegen hätte. Aber die Koalitionsregierungen erschweren die Zusammenarbeit natürlich schon. Wenn ich an die Vergangenheit denke, dann stelle ich fest, dass die Koalitionsregierungen in der Türkei immer sehr erfolglos waren. Sie haben keine Ergebnisse erzielen können. Mit dem Übergang zum Präsidialsystem in der Türkei haben wir uns von den Koalitionen befreien können und sind intensiv in die Arbeit eingestiegen. Als Angehörige der türkischen Medien wissen Sie das ja noch besser.

Ich denke, dass wir diesen Erfolg mit der neuen Führung in Deutschland natürlich fortsetzen wollen. Denn in Deutschland gibt es tatsächlich viele Menschen mit türkischen Wurzeln. Damit sie dort in guten Verhältnissen leben können   das wollen diese Menschen ja  , müssen wir auch etwas dafür tun. Wenn sie dort glücklich sind, dann ist das auch für uns ein Glück und freuen wir uns. Wir wollen natürlich auch die Handelsbeziehungen weiter ausdehnen und 50 Milliarden Dollar erreichen.

Merkel: Daraus soll aber, wenn ich das einwenden darf, nicht geschlossen werden, dass ich nicht gern mit meinen Koalitionspartnern zusammengearbeitet hätte. Ich denke, dass zum Charakteristikum Deutschlands der Föderalismus und die Koalitionsregierung gehören. Wir haben keine Absichten, ein Präsidialsystem einzuführen, und trotzdem wollen wir gute Beziehungen mit der Türkei haben.

Erdoğan: Aber, Frau Bundeskanzlerin, ich habe auch immer wieder Kritik von Ihnen gehört.

Merkel: Das stimmt. So ist das im Leben. Trotzdem ist es schön.

Erdoğan: Mein Enkelkind sagt: Großvater, was willst du denn damit? So ist das Leben eben.

Frage: Frau Bundeskanzlerin, welche Empfehlung haben Sie für Ihre Nachfolgeregierung, damit Islamgegnerschaft und Fremdenfeindlichkeit in Deutschland nicht noch weiter zunehmen?

Von der Moschee in Köln soll es freitags den Ezan zu hören geben. Wie bewerten Sie das?

Merkel: Das ist eine Entscheidung der Stadt Köln. Wir haben Religionsfreiheit in Deutschland. In diesem Rahmen ist diese Entscheidung getroffen worden.

Ansonsten will ich sagen, dass wir allen Formen der Menschenfeindlichkeit, des Rassismus, der Feindschaft gegenüber anderen Religionen gegenüber sehr entschieden auftreten, dass wir hierbei keine Toleranz haben und den Anfängen wehren wollen. Leider haben wir sowohl bei der Gegnerschaft gegenüber dem Islam, als auch beim Antisemitismus, aber auch beim Rassismus generell wirklich schreckliche Vorfälle in Deutschland. Jede deutsche Bundesregierung wird hiergegen mit aller Entschiedenheit vorangehen, auch die Landesregierungen.

Wir haben eine Vielzahl von Programmen und haben auch die Mittel hierfür sehr stark aufgestockt, damit sich möglichst viele Gruppen auch in der Zivilgesellschaft dem Kampf gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Religionsfeindlichkeit gleich welcher Art entgegenstellen können. Das wird eine Aufgabe bleiben. Leider ist die Luft zum Teil rauer geworden, auch durch die Möglichkeiten des Internets. Deshalb wird das eine große Aufgabe bleiben.

Erdoğan: Vielen Dank Ihnen allen. Somit ist unsere Pressekonferenz zu Ende. Ich will mich bei Frau Bundeskanzlerin noch einmal bedanken. Wir werden natürlich sehr gern von ihren wertvollen Ideen Gebrauch machen. Auch international gesehen wird das der Fall sein. Ich darf mich persönlich auch im Namen meines Volkes noch einmal bedanken. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg in Ihrem weiteren Leben.