Im Wortlaut
in Brüssel
10 Min. Lesedauer
- Mitschrift Pressekonferenz
- Donnerstag, 24. März 2022
(Der fremdsprachliche Teil der Pressekonferenz wurde nicht gedolmetscht.)
BK Scholz: Meine sehr geehrten Damen und Herren, es ist gut, dass wir uns heute hier in Brüssel auch physisch als G7-Partner treffen konnten und die schwierige Lage miteinander erörtern konnten.
Im Mittelpunkt unseres Gesprächs stand ‑ wie sollte es auch anders sein ‑ der russische Überfall auf die Ukraine und unsere gemeinsame, eng abgestimmte Reaktion darauf. In meiner Funktion als Vorsitzender der G7 in diesem Jahr habe ich veranlasst, dass wir den ukrainischen Staatspräsidenten Wolodymyr Selensky aus Kiew zugeschaltet haben und auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg in unsere Sitzung eingeladen haben. Die aktuelle Situation erfordert die enge Abstimmung mit unseren Partnern.
Der Austausch hat aber auch gezeigt: Wir sind uns in dieser schwierigen Lage einiger denn je zuvor und handeln gemeinsam und entschlossen. Die heutige gemeinsame Erklärung der G7 spiegelt das wider. Mit harten, eng abgestimmten und zielgenauen Sanktionen haben wir auf diesen eklatanten Bruch des Völkerrechts durch Russland reagiert, und wir sind uns einig, dass wir diese Sanktionen solange es nötig ist durchhalten und immer wieder auf ihre Wirksamkeit hin überprüfen werden.
Das sind schwierige Zeiten ‑ vor allem natürlich für die Bürgerinnen und Bürger der Ukraine, die unermessliches Leid, Tod und Zerstörung erleben, aber auch für uns alle in Europa und in der Welt. Unsere Solidarität gilt der Ukraine und ihren Bürgerinnen und Bürgern. Unser Dank gilt ihrem bewundernswerten und heldenhaften Kampf gegen den Aggressor ‑ und er gilt natürlich dem Staatspräsidenten der Ukraine Wolodymyr Selensky dafür, dass er heute an unserer Sitzung teilgenommen und uns über die Lage vor Ort berichtet hat.
Russland hat mit dem Angriff auf die Ukraine fundamentale Werte unserer Nachkriegsordnung gebrochen. Wir rufen den russischen Präsidenten auf, endlich einen Waffenstillstand zu vereinbaren und humanitäre Korridore zur Versorgung und Evakuierung der Zivilbevölkerung einzurichten. Die russischen Truppen müssen aus der Ukraine abziehen. Das ist notwendig, um eine tragfähige diplomatische Lösung des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine zu ermöglichen. Wir werden zudem unser volles Gewicht als führende Wirtschaftsnation einsetzen, um Russland dazu zu bewegen, eine diplomatische Lösung auch anzustreben.
Alle G7-Partner haben umfangreiche Sanktionspakete beschlossen. Wir haben uns heute alle zu einer lückenlosen Umsetzung von Sanktionsmaßnahmen verpflichtet. Die Sanktionen wirken und haben bereits kurzfristig starke Auswirkungen. Wir sind uns zudem einig, dass wir mit weiteren Sanktionen reagieren werden, sollte dies erforderlich werden. Das ist ein starkes Signal und entschlossenes Handeln.
Außerdem müssen wir in den G7 unserer globalen Verantwortung gerecht werden. Unsere Unterstützung gilt natürlich der Ukraine sowie den Nachbarstaaten. Wir sind uns heute darüber einig, Unterstützungsmaßnahmen und humanitäre Hilfe zu erhöhen. Deutschland wird seine aktuelle humanitäre Unterstützung für die Ukraine und ihre Nachbarstaaten auf mehr als 370 Millionen Euro aufstocken. Als G7 fordern wir zudem weitere Länder auf, Maßnahmen zur Unterstützung sowieso humanitäre Hilfe beizutragen. Europa schultert hier vieles, aber wir brauchen wirklich eine globale Anstrengung.
Lassen Sie mich auch ein Wort über jene sagen, die jetzt wegen des Krieges ihre Heimat verlassen und flüchten müssen. Als führende Industrienationen sehen wir es als unsere Pflicht an, Flüchtende aus der Ukraine aufzunehmen und sie zu schützen. Alle G7-Staaten sehen diese Pflicht und wollen ihr gerecht werden. Wir bitten auch weitere Staaten, Kriegsflüchtlinge aufzunehmen.
Russlands Krieg gegen die Ukraine hat auch massive Auswirkungen auf Verfügbarkeit und Preise von Rohstoffen. Deshalb spüren wir alle schon jetzt die Auswirkungen ganz deutlich bei Energie und auch bei Lebensmitteln. Angesichts der russischen Aggression ist es unser Ziel, bei der Energieversorgung dafür zu sorgen, dass wir weniger abhängig werden von Russland, und daran arbeiten wir seit langer Zeit intensiv. Wir müssen zum Beispiel auch unsere Energieversorgung schnell nachhaltig und resilient gestalten. Auch dazu wollen wir in den G7 gemeinsam weitere Schritte in Angriff nehmen.
Russlands Krieg hat auch dramatische Auswirkungen auf die globale Nahrungsmittelversorgung weit über die Ukraine hinaus. Deshalb müssen wir jetzt alles tun ‑ auch da sehen sich die G7 in der Pflicht ‑, um eine Hungerkatastrophe zu verhindern. Die Bundesregierung handelt in dieser Sache entschlossen und schnell. Wir stellen weitere 430 Millionen Euro im Kampf gegen den Hunger zur Verfügung. Ein Großteil davon soll an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen gehen.
Das heutige G7-Treffen fügt sich in eine Reihe von Treffen ein, welche allesamt die Solidarität mit der Ukraine und die Geschlossenheit der Partner zeigen. Wir als G7 tragen Verantwortung für Entwicklungen auf dieser Welt. Wir sind bereit dieser Verantwortung gerecht zu werden. Ich habe die G7 heute als Einheit wahrgenommen, die in allen gerade drängenden Fragen, die weltweit zu beantworten sind, zusammensteht. Wir werden spätestens beim Gipfel der Staats- und Regierungschefs der G7 Ende Juni in Elmau in Deutschland in diesem Format zusammenkommen und natürlich, wie wir es heute getan haben, wenn es nötig ist, auch früher.
Schönen Dank.
Frage: Meine Frage bezieht sich auf das Treffen mit der NATO. Der ukrainische Präsident hat noch einmal ganz konkrete Forderungen nach Waffenlieferungen gestellt. Es ging um Panzer, es ging um Antischiffswaffen. Haben Sie darüber gesprochen? Werden künftig auch Waffen anderer Kategorien geliefert und nicht nur die gleichen noch einmal?
BK Scholz: Schönen Dank für Ihre Frage. In der Tat ist doch ziemlich viel passiert. Das will ich hier noch einmal unterstreichen. Viele Länder auch unter den G7-Ländern, aber nicht nur dort haben Entscheidungen, die sie Jahrzehnte lang anders getroffen haben, revidiert und sich entschlossen, Waffen in ein Kriegsgebiet, in ein Krisengebiet zu liefern. Auch Deutschland hat diese Entscheidung getroffen. Deshalb gehört es schon dazu, dass die Widerstandsfähigkeit der Ukraine zu einem erheblichen Teil darauf beruht, dass es einen konstanten, ständigen und auch immer weiter fortgesetzten Nachschub an Waffen und Munition gibt, die für den Widerstand zur Verfügung stehen.
Alle Länder habe ihre eigenen Kategorien; da gibt es keine einheitliche Linie. Aber in der Tat ist eine ganze Reihe von hocheffektiven Defensivwaffen eingesetzt worden. Die große Menge, die schiere Menge, in der sie zur Verfügung stehen und auch weiterhin geliefert werden, hat einen wichtigen Beitrag zu dieser Widerstandsfähigkeit geleistet. Es geht jetzt natürlich vor allem um Panzerfäuste und Luftabwehrwaffen, die dazu eingesetzt worden sind. Das ist das, was man heute berichten kann.
Natürlich überprüfen alle ‑ damit, glaube ich, greife ich niemandem vor ‑ jeden Tag neu, wie die Entscheidungen angesichts der weiteren Entwicklungen für die Zukunft auszurichten sind.
Frage: Herr Bundeskanzler, der russische Präsident hat gestern angekündigt, dass Energielieferungen von EU-Staaten nur noch in Rubel bezahlt werden können. Was bedeutet das für die deutschen Energieimporte? Glauben Sie, dass das an der Debatte über ein Energieembargo für Russland etwas verändern könnte?
BK Scholz: Zunächst einmal versuchen wir, uns einen Überblick zu verschaffen. Das, was wir bisher erfahren haben, läuft darauf hinaus, dass es überall feste Verträge gibt, in der die Währung, in der bezahlt wird, auch Teil des Vertrags ist. Das gilt dann. Da steht meistens „Euro“ oder „Dollar“. Das sind also die Ausgangslagen, von denen wir ausgehen müssen.
Zum Zweiten haben wir ja sehr bewusst sehr harte, sehr präzise und lange vorbereitete Sanktionen auf den Weg gebracht. Wir haben uns damit sehr viel Mühe gegeben und diese auch lange vor dem Kriegsbeginn vorbereitet. Das ist der Unterschied zu all den Sanktionen, die bei früheren Gelegenheiten verhängt worden sind. Da war es meist so, dass erst ein politischer Beschluss gefasst wurde, und hinterher mussten sich irgendwelche Leute ausdenken, was denn die richtigen Sanktionen sein könnten. Diesmal haben wir uns ganz früh überlegt, welche wirksam sind, welche so präzise sind, dass sie einen schweren Schaden auslösen, insbesondere was die ökonomischen Entwicklungsmöglichkeiten Russlands betrifft, im Finanzbereich, im Hinblick auf Banken, im Hinblick auf Hochtechnologiegüter und deren Exportmöglichkeiten, im Hinblick zum Beispiel auf Güter, die unterschiedlich genutzt werden können, Dual Use usw.
Man sieht an der gegenwärtigen Entwicklung, dass diese Maßnahmen hochwirksam sind. Wir entwickeln sie ständig weiter, versuchen, Umgehungsmaßnahmen zu verhindern, und gehen dagegen vor, wenn sich irgendjemand als Sanktionsbrecher anbietet. Das sind all die Aufgaben, die wir haben.
Trotzdem ist es eine sehr bewusste Entscheidung der europäischen Staaten, dass sie angesichts der wirtschaftlichen Struktur, die in einigen Ländern eine sehr hohe Abhängigkeit von bestimmten Importen von Kohle, Öl und Gas beinhaltet, diese Importe nicht als Teil des Sanktionsregimes ausrichten.
Frage: (auf Englisch)
BK Scholz: (auf Englisch)
Frage: Herr Bundeskanzler, die NATO hat vier neue Battelgroups angekündigt. Welchen Beitrag wird Deutschland dazu leisten?
BK Scholz: Das sind Entscheidungen, die gemeinsam getroffen werden. Sie wissen, dass wir heute schon im Rahmen der Enhanced Forward Presence in Litauen aktiv sind. Diese Maßnahmen haben wir gerade verstärkt. Wir sind jetzt auch dabei, uns in der Slowakei an dem Aufbau zu beteiligen, der dort geplant ist. Sie wissen, dass wir am Air Policing in Rumänien teilnehmen, und wir sind auch bereit, über andere Dinge zu diskutieren, wenn wir denn gefragt werden.
Ohnehin ist es ja so, dass mit der Entscheidung, die wir getroffen haben, die Bundeswehr mit mehr finanziellen Mitteln für ihre Investitionsentscheidungen auszustatten, auch verbunden ist, dass wir ganz besonders die Aufgabe im großen Umfang wahrnehmen können, zu der Deutschland angesichts seiner geografischen Lage und seiner Größe auch berufen ist, nämlich Landverteidigung zu organisieren und die dazu notwendige Kraft aufzubringen.
Frage: Herr Bundeskanzler, in der Gipfelerklärung wird ja auch China erwähnt und aufgerufen, alles zu unterlassen, was Russland in diesem Krieg militärisch und auch ökonomisch helfen könnte. Nun hat der amerikanische Präsident abseits davon der chinesischen Regierung ja auch schon mit Konsequenzen gedroht, sollte sie Russland trotzdem unterstützen. Würden Sie bzw. würde Deutschland Sanktionen gegen China welcher Art auch immer mittragen oder ergreifen, sollte Unterstützung von dort an Russland gehen?
BK Scholz: Die Haltung, die die G7 zu dieser Frage hat, findet sich in der von Ihnen eben zitierten Erklärung, auf die wir uns ja verständigt haben und die nicht zufällig so ist. Ich kann Ihnen berichten, dass auch ich zusammen mit dem französischen Präsidenten ein Gespräch mit dem chinesischen Präsidenten über diese Frage geführt habe, in dem wir uns sehr dafür eingesetzt haben, dass China die Invasion in die Ukraine verurteilt, und dargestellt haben, wie unsere Haltung zu diesem Thema ist.
Frage: Herr Bundeskanzler, die NATO hat einen Teil ihrer ABC-Abwehrkräfte in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt. Gibt es nach Ihrer Einschätzung eine konkrete Gefahr, dass solche biologischen, chemischen oder nuklearen Waffen in der Ukraine zum Einsatz kommen?
BK Scholz: Wir wissen alle das Gleiche, und weil wir darüber öffentlich reden, Sie auch, nämlich dass es ja tatsächlich so ist, dass Russland immer mehr darüber redet, dass die Ukraine biologische und chemische Waffen entwickle oder andere das täten, was alles nicht wahr ist und absolut nicht stimmt. Aber man muss das ja zur Kenntnis nehmen und deshalb sagen: Wenn da jetzt irgendeine „false flag“-Aktion oder was weiß ich auch immer vorbereitet werden sollte, indem diejenigen, die darauf immer hinweisen, dann tatsächlich selbst solche Waffen einsetzen, dann wäre das ein Bruch mit allen Regeln, Vereinbarungen und Konventionen, die existieren. Deshalb ist es unser aller Anliegen, darauf nicht nur öffentlich hinzuweisen, sondern auch in den Gesprächen, die wir führen, zu sagen: Tu das nicht!
Frage: Herr Bundeskanzler, mich würde zur Frage der Waffen einmal Folgendes interessieren: Deutschland hat ja bislang hauptsächlich ältere Waffensysteme in die Ukraine geschickt, zum Teil sogar noch aus der DDR-Zeit. Hat die Bundesregierung Pläne, moderneres Material ‑ vielleicht sogar aus der deutschen Industrie, das jetzt gebaut wird ‑ an die Ukraine zu liefern, damit die vernünftig zurückhauen kann?
BK Scholz: Ihre Frage beruht auf einer falschen Tatsachenerkenntnis. Wir haben auch auf besonderen Wunsch Waffen zur Verfügung gestellt, die eine gewisse Tradition auch in der Ukraine haben, weil sie bei uns verfügbar waren. Aber wir haben auch nagelneues Material, mit dem die Bundeswehr selbst arbeitet, zur Verfügung gestellt. Im Übrigen gibt es ja neben uns als Ressourcengeber auch andere „supply chains“, die da existieren. Ihre Information ist also schlichtweg falsch.