Pressekonferenz von Bundeskanzler Scholz und der Premierministerin der Französischen Republik Borne am 25. November 2022 in Berlin

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BK Scholz: Liebe Élisabeth, ich freue mich sehr über deinen Besuch heute in Berlin. Klar ist: Je schwieriger die Zeiten sind, desto wichtiger ist die deutsch-französische Partnerschaft. Unser Gespräch heute hat einmal mehr gezeigt, wie eng und vertrauensvoll unsere beiden Länder zusammenarbeiten, um den aktuellen Herausforderungen gemeinsam zu begegnen.

In dieser Woche haben wir eine ganze Reihe von deutsch-französischen Zusammenkünften gehabt. Mehrere Kabinettsmitglieder waren in Paris. Heute bist du hier bei mir in Berlin. Das sind Belege für unseren engen Austausch und für die Qualität unserer Partnerschaft.

Mit Blick auf den russischen Angriff auf die Ukraine lautet unsere gemeinsame Botschaft: Der Bombenterror Russlands gegen die zivile Infrastruktur der Ukraine muss aufhören. Russland muss den Krieg beenden und seine Truppen abziehen. Sofort.

Frankreich und Deutschland stehen in Solidarität auf der Seite der Ukraine, und wir arbeiten unermüdlich daran, die Ukraine weiter zu unterstützen. Aktuell liegt der Schwerpunkt auf die Wiederherstellung der Energie-Infrastruktur, über die wir uns ausführlich unterhalten haben.

Der russische Angriff auf die Ukraine stellt unsere Länder in diesem Winter vor große Herausforderungen, insbesondere wegen der hohen Preise für Energie und Lebensmittel. Mit zielgerichteter Unterstützung für die, die am stärksten darunter leiden, leisten Deutschland und Frankreich jeweils einen ganz entscheidenden Beitrag, um soziale Härten abzufedern, eine gesellschaftliche Spaltung abzuwenden und unsere wirtschaftliche Basis zu sichern.

Gerade heute hat der Gesetzgeber hier in Deutschland den Weg für zwei wichtige Entscheidungen freigemacht. Der Bundesrat hat der Einführung des Bürgergeldes zum 1. Januar zugestimmt. Damit ist eine erhebliche Anhebung des Leistungssatzes verbunden. Er hat übrigens auch den Weg für die ausgeweitete Leistung des Wohngeldes freigemacht. Und der Bundestag hat heute den Haushalt 2023 verabschiedet, der den Rahmen für unser Handeln im kommenden Jahr setzt.

Frankreich und Deutschland verstärken ihre Zusammenarbeit im Energiebereich, solidarisch und nachbarschaftlich. Bereits jetzt stellt Deutschland seinen Nachbarn, darunter Frankreich, Strom zur Verfügung. Bei Gaslieferungen wiederum haben wir von der verstärkten Zusammenarbeit mit verlässlichen europäischen Partnern profitiert, nicht zuletzt von der mit Frankreich. Diese Form der Energiesolidarität haben wir eben hier noch einmal mit einer gemeinsamen Erklärung bekräftigt. Freunde stehen sich bei in der Not. Deutschland und Frankreich leben gemeinsame europäische Solidarität vor.

Das ist vielleicht auch ganz passend zu unseren Beratungen hier: Das Kabinett hat gerade zu dieser Zeit - im Umlaufverfahren, weil es so dringend ist - einen wichtigen Beschluss gefasst: Die Preisbremsen für Gas, Strom und Fernwärme kommt. Wir deckeln den Preis für Energie, damit Bürgerinnen und Bürger mit den neuen Preisen und mit den Herausforderungen zurechtkommen können.

Die Koalition hat hieran in den vergangenen Tagen und Wochen intensiv gearbeitet und in echter Teamarbeit eine gute Leistung gefunden. Ganz besonders gilt das für die wirklich enge und sorgfältige Kooperation, die ich mit Bundesminister Habeck und Bundesminister Lindner in dieser Frage habe. Die Regierung tut alles, damit unser Land gut durch den Winter kommt.

Neben der Energiepolitik gibt es viele weitere europäische Themen, bei denen Deutschland und Frankreich gemeinsam zu Fortschritten beitragen wollen. Deshalb haben wir heute auch darüber gesprochen, wie wir die Klimapolitik der Europäischen Union ehrgeizig voranbringen können und welche institutionellen Rahmenbedingungen und Reformen nötig sind, damit die Europäische Union auch in Zukunft im Innern und nach außen als starker Akteur handlungsfähig bleibt.

Das alles zeigt: Die deutsch-französischen Beziehungen sind außergewöhnlich dicht und reichhaltig. Wir vertiefen diese Beziehungen weiter. Wir wollen diese Partnerschaft zum Wohle unserer beiden Länder, aber auch für Europa insgesamt nutzen - Seite an Seite.

Noch einmal herzlichen Dank für deinen Besuch.

PM’in Borne: Vielen Dank, Herr Bundeskanzler. Lieber Olaf, sehr verehrte Damen und Herren! Es lag mir sehr am Herzen, lieber Olaf, diese Reise zu dir zu machen. Die Freundschaft zwischen unseren beiden Ländern ist entscheidend. Sie hat bereits gezeigt, dass sie durchaus krisenfest und in der Lage ist, Herausforderungen zu überwinden. Sie hat bewiesen, dass es möglich ist, Lösungen aufzubauen, die Europa voranbringen.

Sehr verehrter Herr Bundeskanzler, lieber Olaf, wir befinden uns in einem dieser kritischen Momente für unseren Kontinent, an einem Zeitpunkt, zu dem die deutsch-französischen Beziehungen an Bedeutung noch zulegen. Dieser Besuch zusammen mit der Staatssekretärin für Europafragen zeigt, wie stark unsere Entschlossenheit ist, die deutsch-französischen Beziehungen zu nutzen, um bilaterale und europäische Termine voranzubringen.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, wir haben auch über sehr schwerwiegende Themen diskutiert. Europa erfährt derzeit eine umfangreiche Krise, ausgelöst durch die russische Invasion in die Ukraine. Aber ich sehe auch Hoffnungszeichen; denn wir sehen, dass in Europa auch Einigkeit geschaffen werden kann, die uns dazu verhilft, die Krisen zu überwinden. Das bedeutet, wir müssen uns auch von den Importen fossiler Brennstoffe unabhängiger machen.

Ich begrüße in diesem Zusammenhang die Bemühungen Deutschlands. Wir sehen, dass die Initiativen der Europäischen Union eischließlich derer in strategischen Bereichen tatsächlich Früchte tragen. Wir haben gesehen, dass es zuerst durch Ihre Rede am 27. Februar und dann durch die vom 29. August, als Sie sich dafür stark gemacht haben, ein geopolitisch souveränes Europa zu stärken, das sein Schicksal in die Hand nimmt, tatsächlich zu einer Zeitenwende gekommen ist. Wir wollen diese Ziele gemeinsam erreichen und sie in Taten umsetzen. In diesem Zusammenhang tragen Frankreich und Deutschland eine historische Verantwortung.

Wir haben gemeinsam entscheiden müssen, unseren deutsch-französischen Ministerrat um einige Wochen zu verschieben. Das haben wir getan, weil wir uns die Zeit nehmen wollten, angesichts der sehr großen Herausforderungen, die vor uns stehen, eine Antwort auszuarbeiten.

Wir kommen voran, und ich würde sogar sagen, wir kommen sehr gut voran. Am 26. Oktober haben Sie unseren Staatspräsidenten getroffen, und wir haben uns darauf geeinigt, einen vertieften bilateralen Dialog zu den Themen Energie, Raumfahrt, Innovation und auch, was die Antwort auf den Inflation Reduction Act angeht, zu führen. Der Anspruch besteht darin, auf die klimatischen Dringlichkeiten zu antworten. Das darf aber nicht dazu führen, dass der Freihandel zwischen Europa und den Vereinigten Staaten behindert oder verzerrt wird.

Wir haben zahlreiche Themen angesprochen, insbesondere die Energiefrage. Darauf werde ich gleich noch einmal zu sprechen kommen. Der Dialog wird weitergeführt, und dies auf allen Ebenen.

Dieser Besuch heute ist tatsächlich der Abschluss einer intensiven Woche des Austauschs zwischen Franzosen und Deutschen. Verschiedene Regierungsmitglieder waren in Paris. Wir haben in Paris die Amtsübernahme der Bevollmächtigten für die Bildungs- und Kulturbeziehungen zwischen Frankreich und Deutschland gesehen.

Ich möchte Frau Rehlinger zu ihrem neuen Amt beglückwünschen und danke sowohl Herrn Wüst als auch Herrn Laschet für ihre sehr erfolgreiche Arbeit.

Ich freue mich des Weiteren, dass wir gestern eine neue Strategie für den Spracherwerb im Partnerland ausarbeiten konnten. Da werden wir sehen, dass die neuen Mobilitäten tatsächlich auch dazu beitragen, dass mehr Franzosen Deutsch lernen und mehr Deutsche Französisch lernen können. Diese Initiativen sind wichtige Meilensteine auf dem Weg zum nächsten Deutsch-Französischen Ministerrat, der aus Anlass des 60-jährigen Jubiläums des Élysée-Vertrags im nächsten Januar stattfinden wird.

Unter den Themen, die wir heute angesprochen haben, möchte ich noch einmal auf eines eingehen, nämlich die Energiekrise; denn da sind alle unsere Regierungsmitglieder mobilisiert. Die Priorität auf allen Seiten muss darin bestehen, dass wir die negativen Auswirkungen dieser Krisen auf unsere Bürger so gut wie möglich mindern und besonders die Verletzlichsten unter ihnen schützen, aber auch unsere Unternehmen und unsere Gebietskörperschaften. Wir haben gesehen, dass der außerordentliche Energierat ein Energiepaket verabschiedet hat und dazu beitragen wird, die Gaspreise zu bremsen. Ich denke insbesondere auch an unsere Entscheidungen zum Thema Abschöpfung der Übergewinne, denn diese werden auch den Verbrauchern zugutekommen. Wir wollen des Weiteren unsere Beschaffung vergemeinschaften, um bessere Verhandlungspositionen erreichen zu können.

Ich begrüße außerdem die Entscheidungen des Energierates in Brüssel gestern. Wir müssen allerdings auch weitergehen; denn wir müssen die Steigerung der Gaspreise einschränken und müssen dafür sorgen, dass die Verbraucher tatsächlich Energiepreise und Strompreise zahlen, die realistisch sind, die erschwinglich sind und die im richtigen Verhältnis zu den Produktionskosten stehen. Ich bin sicher, dass wir hier gemeinsam auf eine gemeinsame Lösung zugehen können. Wie der Staatspräsident auch bin ich fest entschlossen, ebenfalls daran mitzuwirken.

Diese Energiekrise muss uns des Weiteren dazu führen, dass wir unsere Energiesolidarität verstärken und vertiefen. Viel zu oft sieht man, dass der Patriotismus auf den Populismus umgeleitet wird, um die Ängste der Bevölkerungen zu schüren. Diejenigen, die dieser Stimme folgen, plädieren letztendlich gegen ihr eigenes Land.

Wir wissen, Herr Kanzler: Unsere beiden Länder brauchen sich gegenseitig, insbesondere wenn es darum geht, die Energiekrise des Winters zu bewerkstelligen. Wir müssen aber auch Hoffnung schaffen, wir müssen die Zukunft gestalten. Deswegen haben wir heute eine Solidaritätserklärung unterzeichnet. Das ist ein regelrechter Schutz für unsere Bevölkerungen. Wir wollen die dekarbonisierte Energieproduktion in unseren Ländern voranbringen, sodass auch die Investitionen in die Energieträger der Zukunft, wie zum Beispiel Wasserstoff, verstärkt werden. Wir haben gesehen, dass viele Entscheidungen unter Dringlichkeitsbedingungen getroffen werden mussten. Wir wollen aus dem Verbrauch der fossilen Brennstoffe aber aussteigen. Wir haben uns vorgenommen, 2050 CO2-frei funktionieren zu können, und unsere beiden Regierungen legen großen Wert darauf.

Wir versuchen außerdem weiterhin, die Ukraine im Kampf gegen die russische Invasion zu unterstützen. Unsere beiden Länder haben der Ukraine in vielen verschiedenen Bereichen Unterstützung geleistet: beim Militär, in humanitären Fragen, in juristischen Fragen und in vielen anderen Bereichen. Wir haben also eine gemeinsame europäische Antwort formuliert, streben hier in die gleiche Richtung und werden die Ukraine bis zum Ende dieses Konfliktes kontinuierlich unterstützen. Wir stehen aber auch an der Seite der Ukraine für alles, was danach kommt, und ich danke Deutschland, dass es am 26. Oktober zusammen mit der Europäischen Kommission eine Wiederaufbaukonferenz organisiert hat. Auch wir unterstützen diese Initiative. Am 13. Dezember wird Staatspräsident Macron zusammen mit dem Präsidenten Selensky eine Resilienzkonferenz leiten, um die dringendsten Nöte zu lindern, die angesichts des bevorstehenden Winters drängen.

Wir müssen die Ukraine also weiterhin begleiten, auch auf ihrem Weg zum Beitritt zur Europäischen Union; wir dürfen aber nicht abwarten, bis dieser Horizont erreicht ist, um die europäische Familie zu stärken. Das ist übrigens auch der Sinn der Europäischen Politischen Gemeinschaft, die Präsident Emmanuel Macron in Prag initiiert hat. Wir freuen uns bereits auf die nächste Sitzung der Europäischen Politischen Gemeinschaft, die 2023 in Moldau vorgesehen ist. Wir hoffen, konkrete Fortschritte erreichen zu können, und das zugunsten des gesamten europäischen Kontinents.

In wenigen Worten war das die Zusammenfassung der Themen, die wir heute angesprochen haben. Wir wünschen mehr denn je, dass das deutsch-französische Tandem der Motor für Europa wird. Wir sind fest entschlossen, unsere Bürger und Bürgerinnen zu schützen, die Herausforderungen anzugehen, die vor uns stehen, und für ein souveränes Europa zu sorgen. Vielen Dank!

Frage: Sie haben unterstrichen, wie wichtig die Solidarität zwischen Deutschland und Frankreich in Energiefragen ist. Aber angesichts der derzeitigen Herausforderungen stellt sich doch auch die Frage der Verteidigung unserer europäischen Volkswirtschaften und unserer Industrie. Sie haben bereits den Inflation Reduction Act der Vereinigten Staaten angesprochen. Wie steht es mit der deutsch-französischen Position, um auf diesen massiven Plan der Vereinigten Staaten zu antworten? Über welche Instrumente verfügen Sie und welche können Sie einsetzen, um dagegen vorzugehen? Denn Sie sprechen ja von der Solidarität und der europäischen Kohäsion.

Kann, Frau Borne, die Vorgehensweise Deutschlands nicht tatsächlich auch zur Verzerrung in den europäischen Märkten beitragen?

PM’in Borne: Ja, tatsächlich, ich habe den Inflation Reduction Act angesprochen. Es ist, wie ich gesagt habe, einerseits eine gute Nachricht, dass sich die USA stärker in Richtung der Energiewende engagieren. Aber natürlich muss man darauf achten, dass es keine Marktverzerrungen beziehungsweise Wettbewerbsverzerrungen zwischen Europa und den USA gibt. Deswegen müssen wir die Diskussionen zwischen Europa und den Vereinigten Staaten führen, um sicherzustellen, dass dieser Rahmen sozusagen geordnet bleibt und keine Verzerrungen entstehen. Wir müssen also die Instrumente nutzen, über die wir verfügen, insbesondere, wenn es zum Beispiel darum geht, Verzerrungen zu verhindern, die durch Subventionen entstehen können.

Es ist aber auch eine Möglichkeit, dafür zu sorgen, dass Europa neue Investitionen lenkt, die genau in die Richtung der Energiewende gehen. Ich denke, dabei sind wir durchaus einer Meinung, wenn es darum geht, die europäischen Werkzeuge wie zum Beispiel die IPCEIs zu nutzen. Außerdem konzentrieren wir uns auf die neuen Technologien, damit diese eben auch schneller und unbürokratischer umgesetzt werden können. Darin sind wir uns mit dem Bundeskanzler einig.

Wir haben dann noch ein zweites Thema angesprochen. Sie wissen: Es gibt einen europäischen Rahmen, der festlegt, wie wir unsere Unternehmen unterstützen können. Das ist natürlich unabdinglich; denn Europa ist ja nun angesichts der Energiepreise, mit denen wir konfrontiert sind, in einer ganz besonderen Situation. Das gilt nicht in den anderen Weltregionen, in denen die Energiepreise sehr viel gemäßigter sind. Hierbei müssen Deutschland und Frankreich innerhalb eines Rahmens vorgehen, der eben die europäischen Regeln sind.

BK Scholz: Ich möchte von meiner Seite aus ein paar Ergänzungen machen, zunächst einmal: In der Tat müssen wir jetzt alles dafür tun, unsere Unternehmen zu unterstützen. Das tut Frankreich, das tut Spanien, das tut Italien, das tut auch Deutschland, und wir machen das in dem Rahmen, den die Europäische Union vorgegeben hat. Das wird, glaube ich, auch einen großen Beitrag dazu leisten, dass die Zuversicht in der Wirtschaft und bei den Bürgerinnen und Bürger unserer Länder nicht abhandenkommt. Das ist ja wichtig, wenn wir nach vorne marschieren wollen. Ich habe den Eindruck, dass all die verschiedenen Programme, die überall beschlossen worden sind, jetzt auch diesen Beitrag leisten werden. Wir merken jedenfalls sehr unmittelbar, dass mit den Entscheidungen, die auch heute getroffen worden sind und die vor einigen Tagen hierzulande getroffen worden sind, wieder Optimismus bei den wirtschaftlichen Akteuren und bei den Bürgerinnen und Bürgern da ist, und das muss für die ganze Europäische Union gemeinsam gelingen. Wir denken auch, dass wir genau hinschauen müssen, ob alle Handlungsoptionen dabei sind, die wir, Frankreich und Deutschland, wichtig finden, und sonst werden wir noch einmal mit der Kommission sprechen, dass sie uns noch ein paar zusätzliche eröffnet.

Die zweite Frage betrifft den Inflation Reduction Act, und da will ich ausdrücklich unterstreichen, was die Premierministerin gesagt hat: Es ist erst einmal gut, dass die USA im Camp sind. Es ist ja mit der Biden-Präsidentschaft auch verbunden, dass die Frage des Umweltschutzes, der Transformation unserer Volkswirtschaften und des Klimaschutzes eine neue Bedeutung bekommen hat, und der Inflation Reduction Act spielt dabei für die amerikanischen Handlungsstrategien eine große Rolle. Umgekehrt müssen wir natürlich für Fairness im Miteinander zwischen Europa und den Vereinigten Staaten Sorge tragen. Deshalb haben Frankreich und Deutschland, der französische Präsident und ich, sehr früh dafür geworben, dass sich die Europäische Union direkt an die amerikanische Regierung wendet und in dieser Frage Verhandlungen aufnimmt. Das ist passiert. Es gibt jetzt eine gemeinsame Arbeitsgruppe. Sowohl ich als auch die französische Regierung haben in den Gesprächen mit der amerikanischen das Thema adressiert. Wir sind also bei der Arbeit.

Frage: Frau Ministerpräsidentin, ich habe eine Frage, was das Rüstungsprojekt FCAS angeht. Es gibt Berichte, dass auf französischer Industrieseite das Unternehmen Dassault immer noch nicht ganz einverstanden mit den Vereinbarungen ist. Ich hätte gerne gewusst, wie groß Ihr Optimismus ist, wann Sie glauben, dass eine endgültige Einigung vorliegen wird, und ob dieses Projekt im französischen Haushalt auch wirklich untermauert ist.

Herr Bundeskanzler, ein Thema, das Sie nicht angesprochen haben, aber das sich langsam nach vorne drängt, ist das Thema Iran. Es gibt jetzt eine Urananreicherung von 60 Prozent. Was kann der Westen, was können Frankreich und Deutschland eigentlich tun, um zu verhindern, dass der Iran tatsächlich eine Atomwaffe erhält?

PM’in Borne: Was nun FCAS angeht, so wissen Sie, dass unsere Industrievertreter tatsächlich eine Einigung gefunden haben. Diese Einigung muss nun noch umgesetzt werden. Das verlangt natürlich die Zustimmung von staatlicher Seite, aber diese Zustimmung wurde bereits gegeben. Selbstverständlich stehen die dafür notwendigen Budgets zur Verfügung, auf jeden Fall auf französischer Seite.

BK Scholz: Wir haben jetzt Dynamik und Geschwindigkeit in das FCAS-Projekt hineingebracht. Die Vereinbarung der Regierung ist getroffen; die Vereinbarung der Unternehmen ist da. Deshalb sehe ich eigentlich dem weiteren Fortgang der Dinge ganz zuversichtlich entgegen.

Was die iranische Urananreicherungspolitik betrifft, unterstreicht das noch einmal mehr, wie sehr es richtig ist, alles dafür zu tun, dass der Iran keine Atombomben und auch keine Trägerraketen bekommt, mit denen er diese transportieren kann. Das ist eines der zentralen Politikziele, die Frankreich und Deutschland zusammen mit ihren Verbündeten Großbritannien und USA in den letzten Jahren verfolgt haben. Daran halten wir weiter fest. Aber die Fragen, die Sie gestellt haben, machen ja deutlich, wie wichtig das ist und wie schwierig die Lage auch ist. Denn das, was wir dort zur Kenntnis nehmen müssen, ist ja sehr bedrückend. Genauso bedrückend übrigens wie die furchtbare Unterdrückung der Bürgerinnen und Bürger, die für ihre Freiheit kämpfen - die individuelle Freiheit wie auch die Freiheit ihrer Gesellschaft.

Frage: Eine Frage an Frau Borne und Herrn Scholz zum Thema Sport. Der Sport scheint in Katar sehr politisiert zu werden. Die „One Love“-Armbinde wurde von einigen getragen, von anderen nicht. Die deutschen Fußballspieler haben sich den Mund zugehalten, um zu protestieren. Ist das eine Geste, die die ganze Europäische Union unterstützt, einschließlich Frankreich? Unterstützen die französischen Spieler das ebenfalls?

PM’in Borne: Ich kann natürlich keinen Kommentar dazu abgeben, wie die deutsche Mannschaft vorgeht. Es gibt sicherlich Regeln, nach denen die Fußballspieler eben auch eine Meinungsfreiheit haben, indem sie allerdings gleichzeitig die Spielregeln einhalten. Das scheint mir gut.

Frage: Ich würde gerne noch einmal zur gemeinsamen europäischen Solidarität in Energiefragen zurückkommen. Welche Möglichkeit sehen Sie denn für eine Annäherung beim geplanten EU-Gaspreisdeckel? Bleibt Deutschland da bei seiner kritischen Haltung?

BK Scholz: Es finden jetzt sehr intensive Gespräche statt. Wie Sie den Berichten der letzten Tage darüber entnommen haben, gibt es auch Fortschritte, was etwa die Solidaritätsmechanismen oder die langfristige Fragestellung betrifft, dass wir es hinbekommen müssen, dass die erneuerbaren Energien schneller ausgebaut werden können. Deshalb liegt uns sehr viel an dem Verständigungsprozess, der vorangekommen ist, um möglich zu machen, dass wir ganz wichtige Vorhaben, die für die Energiewende bedeutend sind, voranbringen können. Uns geht es dabei ganz zentral um den Ausbau der Übertragungsnetze. Wir haben bereits heute ungenutzte Erzeugungskapazitäten mit Windkraft, Solarenergie und Biomasse, die von dem Netz nicht aufgenommen werden können. Das wollen wir schnell und zügig ändern.

Wir befinden uns in Europa in einer intensiven Diskussion über die Frage: Wie können wir die Spekulationen zurückdrängen? Eine Maßnahme ist unverändert, dass wir nämlich alles dafür tun, dass wir eine genügende Versorgung mit Gas aus aller Welt haben. Denn wenn 80 Prozent des bisher aus Russland gelieferten Pipelinegases in Europa - nicht nur in Deutschland, auch in vielen anderen Ländern - nicht mehr zur Verfügung steht, dann muss Ersatz kommen. Für diesen Ersatz sind verschiedene Dinge wichtig, über die auch großes Einvernehmen existiert - wir haben eben darüber berichtet -, nämlich die Frage, dass auch bei der Beschaffung gemeinsam kooperiert wird. Das ist auch wettbewerbsrechtlich möglich zu machen, und da sehen wir schon erkennbar Fortschritte.

Das Gleiche gilt für die Frage, wie wir Infrastrukturen so ausbauen können, dass von allen Seiten Gas nach Europa kommen kann - mit guten ausgebauten Pipelineverbindungen aus anderen Gegenden Asiens oder Afrikas, zum Beispiel mit Meerversorgung aus den Niederlanden, aus Norwegen mit dem Ausbau der LNG-Häfen und der Pipelineinfrastrukturen, die sie mit dem übrigen Netz in Europa verbinden. Sie wissen, dass Deutschland dabei ganz massiv vorangeht, nicht nur in enger Kooperation mit unseren Nachbarn in den Niederlanden, in Belgien und in Frankreich, sondern eben auch durch den Ausbau der entsprechenden Kapazitäten an den norddeutschen Küsten.

Indem wir das tun, haben wir unmittelbare Auswirkungen, die dazu führen, dass die Preise sinken, weil es dann einfacher ist, dass die zur Verfügung stehenden Mengen von LNG zu Preisen, die auch anderswo in der Welt gezahlt werden, auch in Europa geliefert werden können. Das ist die strukturell bedeutendste Maßnahme.

Ganz aktuell hilft natürlich das, was in vielen Ländern gemacht worden ist, auch in Deutschland, dass wir auf andere Erzeugungsformen umgestiegen sind, zum Beispiel für Elektrizität. In Deutschland ist das die schnelle Wiedernutzung von Kohlekraftwerken und dass in diesem Winter die drei Atomkraftwerke weiter zur Verfügung stehen. Das hat neben dem Gassparen, das überall in Europa Platz gegriffen hat, auch unmittelbar einen Einfluss auf die Preisbildung.

Dann gibt es viele Mechanismen, über die sorgfältig diskutiert wird. Wir sind zum Beispiel sehr dafür, dass man guckt, ob im Tageshandel Preisspitzen bekämpft werden können, die spekulativ sind. Deshalb bin ich ganz sicher, dass es, wenn man sich in die ganzen Details vertieft, die damit verbunden sind, und angesichts der Tatsache, dass alle einig sind, dass das, was wir an Regelwerk erfinden, nicht dazu beitragen soll, dass wir keine Gaslieferungen mehr haben, am Ende auch eine vernünftige Lösung geben wird. Aber es ist eben etwas, was unglaublich viel Fachwissen und unglaublich viel Präzision erfordert. Deshalb ist es auch völlig okay, dass das Zeit kostet.